Die Entführung aus dem Serail in Gera

  • Wie ich bereits angekündigt hatte, haben mich diesmal die Bilder in der Presse und auf der Website vom Geraer Theater veranlaßt, mir die "Entführung aus dem Serail" anzusehen. Anders als beim Rheingold in Chemnitz haben die Fotos eine mir zusagende Inszenierung suggeriert, d.h ich hatte einen Mozart erwartet und keine Mozartbearbeitung. Ich muß bemerken, daß ich meine letzte Entführung vor rund 60 Jahren ebenfalls in Gera gesehen habe. Die Oper gehört nicht zu meinen Lieblingen.


    Gestern war es so weit. Karten rechtzeitig besorgt (beste Kategorie, 4. Reihe Parkett, 32,00 Euro pro Karte). Das Haus war ausverkauft, für Operninszenierungen in Gera keine Selbstverständlichkeit.


    Für Inszenierung, Bühne, Kostüme und Videogestaltung wurde Kobie van Rensburg gewonnen, die Leitung hatte GMD Laurent Wagner.


    Die gesamte Inszenierung verzichtete auf Kulissen. Sämtliche Bühnenbilder wurden über Videoprojektionen auf die Bühne gebracht, nur ergänzt durch Utensilien wie Tisch, Stühle, angedeutetes Hamam, Brunnen, Gebetsteppiche usw. Die Projekionen zauberten aber ein wunderbares orientalisches Flair auf die Bühne. Lediglich einige Kostüme ( Belmonte in heller Hose und weißem Hemd, im Schlußakt Blondchen im kleinen schwarzen Kleid) waren gewöhnungsbedürftig. An diese Art der Inszenierung kann ich mich gewöhnen, denn sie ermöglicht einen Szenenwechsel ohne große Bühnenumbauten und sie bleibt bei Mozart. Alles ging in Sekundenschnelle, die ganze Oper begann 18.00 Uhr und war incl. 2 Pausen um 21.15 beendet. Ich hatte keinen Augenblick das Gefühl, eine andere Oper zu sehen, es war immer die Entführung.


    Gesanglich waren die Leistungen ordentlich. Die Zugnummern des Osmin (Ulrich Burdack) kamen an, allerdings sollte man TV-Erlebnisse wie mit Kurt Rydl oder Kurt Moll weder darstellerisch noch gesanglich als Maßstab nehmen. Beim Publikum kam er gut an.


    Den Belmonte sollte Janos Oscovai singen, der allerdings erkrankt durch Jaesig Lee vom Nationaltheater Weimar ersetzt wurde. Ich kann mir gut vorstellen, daß dieser stimmstarke und höhensichere Tenor (preisgekrönt 2005 beim Maria Callas Wettberwerb mit dem 1. Platz und auch beim "Operalia" von Domingo 2009 auf dem 3. Platz u.a.) in Rollen wie Herzog oder Rudolf seinen Stimmglanz noch besser zur Geltung bringen kann. Er gehört auch in die Rubrik, die caruso41 bearbeitet. Zu bewundern ist die Leistung dadurch, daß sein kurzfristiges Einspringen in eine fremde Inszenierung kaum wahrgenommen werden konnte. Zu recht bekam er mehrfach Szenenapplaus.


    Die Konstanze von Megan Marie Hart stand ihm in nichts nach. Herrliches Timbre, weich und auch bei "Martern aller Arten" konsequent ausdrucksstark, auch in den Koloraturen sicher war sie eine prima Ergänzung zu Belmonte. Auch sie, die als Gast dabei war, ist schon mit einigen Auszeichnungen versehen.


    Das "Buffopaar" Blonde (Miriam Zubieta) und Pedrillo (Timo Rößner) vermochte ebenfalls zu gefallen. Das Orchester spielte schwungvoll und sicher, ohne hörbare falsche Einsätze.


    Die Sprechrolle des Bassa Selim, besetzt mit Kai Wefer, paßte äußerlich sehr gut in die Szenerie. Meine Frau verglich ihn optisch mit Sandokan. Einziger Nachteil: seine Aussprache erinnerte sehr stark an Till Schweiger. Nuscheln scheint eine typisch deutsche Eigenschaft zu werden.


    Insgesamt war es ein gelungener, unterhaltsamer Abend. Größter Mangel: Darsteller der 6 Rollen aus 4 verschiedenen Ländern bringen Sprachunverständlichkeiten im großen Maße, selbst bei den Dialogen. Oft wußte man nicht, was der Text gerade an Details zu bieten hatte. Eines bleibt: Es war schön, wieder einmal Theaterluft zu schnuppern, von der Inszenierung nicht enttäuscht worden zu sein und Sängern zuzuhören, die durchaus am oberen Rand des Geraer Niveaus agierten.


    Meine Lieblingsoper wird die Entführung aber trotzdem nicht.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber LaRoche,
    diese Inszenierung muß es gewesen sein:

    Gibt es einen Trailer davon?
    Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Den Belmonte sollte Janos Oscovai singen, der allerdings erkrankt durch Jaesig Lee vom Nationaltheater Weimar ersetzt wurde. Ich kann mir gut vorstellen, daß dieser stimmstarke und höhensichere Tenor (preisgekrönt 2005 beim Maria Callas Wettberwerb mit dem 1. Platz und auch beim "Operalia" von Domingo 2009 auf dem 3. Platz u.a.) in Rollen wie Herzog oder Rudolf seinen Stimmglanz noch besser zur Geltung bringen kann. Er gehört auch in die Rubrik, die caruso41 bearbeitet.


    Lieber LaRoche,


    ich lade Dich ganz herzlich ein, Jaesig Lee im Thread NEUE STIMMEN vorzustellen!
    Dann will ich auch gerne etwas zu ihm sagen! Der Koreaner ist in der Tat eine Entdeckung wert!


    Einstweilen danke ich Dir erst mal für Deinen Bericht über die Aufführung in Gera!!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Insgesamt war es ein gelungener, unterhaltsamer Abend.
    Eines bleibt: Es war schön, wieder einmal Theaterluft zu schnuppern, von der Inszenierung nicht enttäuscht worden zu sein und Sängern zuzuhören,
    die durchaus am oberen Rand des Geraer Niveaus agierten.


    Herzlichst La Roche

    Lieber La Roche
    Vielen Dank für Deinen ausfürlichen und interessant geschriebenen Bericht.
    Auch wenn es nicht unbedingt Deine Lieblingsoper war, freue ich mich mit Euch, daß ihr wieder mal einen (wenn auch vielleicht nicht absolut beglückenden),
    aber wohl doch schönen und zufriedenstellenden Theaterabend erlebt habt.
    Und ich stimme Dir auch hier zu - es ist immer schön, wieder mal "Theaterluft zu schnuppern" - Live ist eben live!!!

    Die gesamte Inszenierung verzichtete auf Kulissen. Sämtliche Bühnenbilder wurden über Videoprojektionen auf die Bühne gebracht, nur ergänzt durch Utensilien
    An diese Art der Inszenierung kann ich mich gewöhnen, denn sie ermöglicht einen Szenenwechsel ohne große Bühnenumbauten

    So ähnlich habe ich den "Freischütz" in Liberec /Reichenberg erlebt. Und mit den Werk entsprechenden Projektionen, ist auch so etwas durchaus zu akzeptieren.
    Man sieht also, so starrsinnig, wie uns von manchen unterstellt wird, sind wir gar nicht.
    Auch wenn "Amfortas 09" in einem anderen Thread so nett und freundlich behauptet...
    Zitat:
    Kaum einer von denen würde sich nämlich auf ein derartiges Vollpfosten-Niveau so vieler RT-Phoben herunterziehen lassen.

    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • diese Inszenierung muß es gewesen sein:

    Lieber Hans Heuenkamp,


    ja, es ist diese Inszenierung. Obwohl die Technik des Geraer Theaters ausreichte, herrliche Videos zu projezieren hat es nicht gereicht, einen Trailer zu produzieren. Jedenfalls war bis gestern keiner auf der website von TPT (Theater und Philharmonie Thüringen). Bedauerlich.


    Den Tenor Jaesig Lee habe ich im Thread "Neue Stimmen" vorgestellt.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Zitat

    Zitat von La Roche: Die gesamte Inszenierung verzichtete auf Kulissen. Sämtliche Bühnenbilder wurden über Videoprojektionen auf die Bühne gebracht, nur ergänzt durch Utensilien wie Tisch, Stühle, angedeutetes Hamam, Brunnen, Gebetsteppiche usw. Die Projekionen zauberten aber ein wunderbares orientalisches Flair auf die Bühne.

    Lieber La Roche,


    erfreulich, dass du endlich wieder einmal ein echtes Opernerlebnis hattest.
    Deine Schilderung zeigt, dass man mit den heute der Bühne zur Verfügung stehenden Mitteln wirkungsvoll eine Atmosphäre schaffen kann, die dem über das Werk informierten Zuschauer auch ohne gewaltigen Aufbau von Kulissen oder einem Einheitsbild (das dann noch nicht einmal zum Werk passt) das Gefühl geben kann, in der richtigen Oper zu sein. Da genügt dann wirklich die Ergänzung mit einfachen Mitteln wie hier.
    Was nützen dem Zuschauer viel falscher Tand und künstlich hinzuerfundene Utensilien oder auch Personen, wenn er den ganzen Abend das Gefühl nicht loswerden kann, dass ihm ein falsches Werk unter Missbrauch der Musik des angekündigten Werkes präsentiert wird.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • chrissy
    „Man sieht also, so starrsinnig, wie uns von manchen unterstellt wird, sind wir gar nicht.
    Auch wenn "Amfortas 09" in einem anderen Thread so nett und freundlich behauptet...
    Zitat:
    Kaum einer von denen würde sich nämlich auf ein derartiges Vollpfosten-Niveau so vieler RT-Phoben herunterziehen lassen. „


    Also geringe Starrsinnigkeit eurerseits wäre höchst neu. Eher wird Schalke die Meister-Schale anfassen und nicht bloß angucken. Das zieht sich leitmotivisch hin vom z.B. Pranger:


    „Auf diese Weise kann das Tamino Klassikforum seinen Teil dazu beitragen, das noch unwissende Publikum bereits im Voraus vor solchen Schmierfinken zu warnen…“


    d.h.


    1. Das Publikum ist blöd. Muss von wahren Opernfreunden deshalb belehrt werden.
    2. Derlei Regisseure sind Schmierfinken…


    Regisseure des Grauens — Teil 1: Calixto Bieito


    bis zum jüngstem Posting von Gerhard Wischniewski


    „und nicht willkürlich von einem Regisseur verunstaltet wird. Bei jeder Neuinszenierung ist ja in Deutschland (und angrenzenden Ländern) zu befürchten, das wieder einmal etwas völlig Absurdes herauskommt…“


    Rettet den Münchner Rosenkavalier



    Kübelt also weiterhin eure Verbal-Ressentiments aus. Das belebt doch für einige das Forum.


    Gerhard Wischniewski
    „erfreulich, dass du endlich wieder einmal ein echtes Opernerlebnis hattest.“


    Was wäre ein unechtes Opernerlebnis. Etwa Wiedergabe als bloßes Playback vom Orchester, Chor und Solisten?


    Gerhard Wischniewski
    „Was nützen dem Zuschauer viel falscher Tand“


    Eine ganze Menge. Denn falscher Tand hätte (falls du damit – volkswirtschaftlich - eine materielle Sache und keine immaterielle Sache meinst) – im Gegensatz zum echten Tand – für den Nutzer – einen gewissen Gebrauchswert, weil er dann kein Tand mehr bildet.



    Gerhard Wischniewski
    „und künstlich hinzuerfundene Utensilien“


    Du verstehst vermutlich dann unter natürlich hinzuerfundener Utensilien, irgendwelche Requisiten, die aus einer besonderen Öko-Werkstatt bzw. Öko-Tischlerei erstellt wurden, also ganz ohne Kunststoff, Metall bzw. Kunstfasern.

  • Zitat

    von La Roche: Meine Lieblingsoper wird die Entführung aber trotzdem nicht.

    Das, mein lieber Ulli, finde ich äußerst schade: 'Opern wie Figaro, Don Juan oder Die Zauberflöte war die Welt berechtigt, mehrere von Mozart zu erwarten, aber eine Entführung konnte er mit dem besten Willen nicht noch einmal schreiben' (Carl Maria von Weber über die 'Entführung', aus dem Gedächtnis zitiert). Ernsthaft: Die Oper muss ja nicht Deine Lieblingsoper werden, aber sie sollte zumindest in Deinen persönlichen Kanon wichtiger Opern gehören. So wie Mozarts Werke für Richard Strauss zum Nonplusultra gehörten.


    Übrigens: Auch von mir ein 'Danke' für Deinen Bericht; durch das von Hans Heukenkamp eingestellte Bild wird mir zumindest angedeutet, wie das mit den Projektionen zu verstehen ist (aus irgendwelchen Gründen verorte ich bei diesem Bild das Operngeschehen im Jemen :D ). Diese Vorstellung hätte ich mir auch gerne angesehen. Aber Gera ist von hier aus nicht mit der Tram zu erreichen, und Mülheim liegt momentan bahntechnisch abseits allen Geschehens: Das Unternehmen wegen Baumaßnahmen hat für mehrere Wochen sämtliche Verbindungen zwischen Essen und Duisburg gekappt X(


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER