WAGNER, Siegfried: HERZOG WILDFANG

  • Siegfried Wagner (1869-1930):


    HERZOG WILDFANG
    Oper in drei Akten - Libretto vom Komponisten


    Widmung:
    Ihrer Exzellenz Frau Gräfin Marie von Wolkenstein-Trostburg,
    der siegreich treusten Vorkämpferin des Bayreuther Kunstwerkes


    Uraufführung am 23. März 1901 im Königlichen Hof- und Nationaltheater München



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Herzog Ulrich (Tenor)
    Mathias Blank, sein Berater (Bariton-Buffo)
    Thomas Burkhart, Andreas Stephan, Ratsherren (Bässe)
    Junker Kurt (Tenor)
    Osterlind, Burkharts Tochter (Sopran)
    Reinhart (Bariton)
    Kuni, Burkharts Haushälterin (Alt)
    Zwick, Schneidermeister (Tenor)
    Konrad, Michel, Sebastian, Freier von Osterlind (Tenöre)
    Christoph Kern, Bürger (Bass)
    Zupfer, Gärtner (Bariton)
    Jacob Fell, Arbeiter (Tenor)
    Ein älterer Bauer (Bass)
    Das Wurzelweib vom Hahnenkamm (Sopran)
    Ein Bursche (Tenor)
    Junges Wäschermädchen (Sopran)
    Ein alter Professor (Bass)
    Der kleine Geier
    Chor, Statisterie: Kavaliere, Ratsherren, Marktweiber, Gaukler, Volk


    Das Geschehen ereignet sich in einer mitteldeutschen Residenz in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.



    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT
    Schlosshof der herzoglichen Residenz, heller Vormittag.


    Mathias Blank, der Berater des Herzogs, und Ratsherr Thomas Burkhart stehen im Hof der herzoglichen Residenz und hören im Hintergrund Tumult. Der Grund dafür wird klar, als das Volk, die Wachsoldaten überrumpelnd, durch das Schlosstor dringt und Bürger Christoph Kern seinen und der Leute Ärger Blank gegenüber ausdrückt:


    Nun! wüsst Er’s am End‘ noch nicht, was abermals über uns bricht?
    Einmal mocht es geschehn, dass man uns quetscht die Zeh’n!
    Zweimal aber, mein Herr, macht Euch und ihm Beschwer!

    Herzog Ulrich hat nämlich dem englischen König erneut seine männlichen Untertanen als Soldaten für einen stattlichen Geldbetrag angeboten, um damit seine Kassa zu sanieren. Und diese Wiederholung regt die Bürger, denen Christoph Kern - der schon einen Sohn verloren hat - hier seine Stimme gibt, auf. Blank versteht es, die Wogen mit beschwichtigenden Worten zu glätten, was die Menge beruhigt und sich, Blank über den Klee lobend, zurückziehen lässt…


    …nicht wissend, dass es der so Gelobte war, der seinem Herrn den zweiten Deal mit dem englischen Herrscher vorgeschlagen hat. Gegenüber Burkhart äußert sich Blank zynisch-offen: Wer das Volk mit „bunten Phrasen an der Nase“ kitzelt, gewinnt! Der Ratsherr rümpft die Nase und zieht sich äußerst kühl zurück, als Blank verklausuliert einen Umsturz ins Gespräch bringt, der ihm wohl selbst den Herzogshut bringen soll.


    Burkharts Tochter Osterlind hat sich, wie sie der Haushälterin Kuni gesteht, in den Herzog verliebt, wird aber gewarnt, dass es mancher Maid nicht gut bekommen ist, sich mit hohen Herren einzulassen. Kuni rät stattdessen, sich für einen der fünf anderen Bewerber zu entscheiden. Doch gegen jeden hat Osterlind Einwände - für den von Kuni ebenfalls genannten Blank sogar nur Hohn. Ausgerechnet der Verhöhnte kommt gerade mit Junker Kurt auf die Szene und Osterlind schaltet sofort um: Sie bittet Kuni, den Junker, der bei Hofe als Kuppler vom Dienst gilt, auszuhorchen, wann und wie sie den Herzog treffen kann. Währenddessen will sie Blank ablenkend „schöne Augen“ machen. Tatsächlich erreicht Kuni, dass der Junker ein Rendezvous zu arrangieren verspricht. Als die beiden Frauen zufrieden gegangen sind, stellt sich der Junker ein Eigenlob wegen seiner Kuppeldienste aus und holt den verliebten Blank damit in die Realität zurück: Er schwört Osterlind Rache.


    Die Gelegenheit dazu kommt schneller als er es vielleicht geahnt hat: Auf der Schlossterrasse decken Lakaien eine Tafel ein und bringen für ein merkwürdiges Jagdvergnügen, bei dem von den Zinnen des Schlosses auf das Wild im gegenüberliegenden Wald geschossen werden soll, Gewehre herbei. Zunächst begrüßt der Herzog die Gäste recht freundlich, dann aber schlägt seine gute Laune wegen der ihm „en Masse“ überreichten Bittschriften ins Gegenteil um - er wünscht, davon befreit zu sein.


    Während er verschiedene Flinten ausprobiert, hat Blank an einer höher gelegenen Stelle einen Sitzplatz ergattert und Osterlind an einem Baum im Wald entdeckt. Er lenkt geschickt die Aufmerksamkeit des Herzogs auf angebliche Wildbewegungen und Durchlaucht legt sofort an und schießt - Warnungen von Kurt und den Kavalieren überhörend, die „Weiber“ gesehen haben wollen. Der Schuss ist noch nicht verhallt, da sind schon Hilfeschreie zu hören. Alles erstarrt - nur Blank ist es zufrieden und er zieht sich unbemerkt zurück.


    Als die ohnmächtige Osterlind auf einer Trage in den Schlosshof gebracht wird, starrt der Herzog sie mit Schuldgefühlen an und gesteht murmelnd, sich verliebt zu haben. Vater Burkhart kommt aus dem Schloss gerannt und will wissen, was geschehen ist. Die gerade wieder zu sich kommende Osterlind versucht, den aufgebrachten Vater zu beruhigen. Doch das nimmt Burkhart nicht wahr, er geht den Herzog nach dessen Schuldbekenntnis verbal an und verlangt für den Frevel Sühne. Durchlaucht geht aber nicht auf diese Attacke ein, weil er durch das herbeiströmende Volk, das auch noch eine bedrohliche Haltung einnimmt, abgelenkt ist. Sein Befehl, die Wache solle auf den Pöbel schießen, verhallt ungehört.


    Burkhart verlangt als Sühne jetzt energisch die Rücknahme des Deals mit dem englischen König. Junker Kurt sieht den Herrn in Gefahr und veranlasst die Kavaliere, sich schützend vor ihn zu stellen, während Blank seiner Durchlaucht rät, zu fliehen. Dazu ist der tatsächlich bereit: Er erklärt, sofort abzudanken und zu emigrieren. Blank nutzt die Gelegenheit, den Bürgern Thomas Burkhart als neuen Anführer vorzuschlagen. Den aber lehnt Christoph Kern strikt ab, weil er in Allem zu streng ist. Stattdessen ruft er Blank zum Anführer aus, was der, überzeugend den Überrumpelten mimend, annimmt. Er kitzelt mit den schon bekannten „bunten Phrasen“ dem Volk „an der Nase“ und verspricht vollmundig das Paradies auf Erden. Während des Orchesternachspiels wird er auf einen Sessel gehoben und zur Stadt getragen…



    ZWEITER AKT
    Eine Straße mit Burkarts Haus, Vorgarten und einer Laube links und dem Haus des Schneiders Zwick rechts; die Straße mündet, sich zum Hintergrund hin verengend, auf einen Platz.


    Osterlind sitzt auf einer Bank vor dem Haus, als Kuni aufgeregt kommt und erklärt, in der Stadt von einem „venezianischen Kaufmann“ angesprochen worden zu sein, der wissen wollte, wo Osterlind zu finden sei. Und so wie der Mann sie erkannt hat, wusste auch sie sofort, dass der exilierte Herzog vor ihr stand. Und der wohnt, fügt sie hinzu, sogar „bei meinem Zwick“, folglich im Haus gegenüber. Zu Kunis Überraschung reagiert Osterlind nur verhalten, wird aber munter, als das Objekt der Nachricht auf sie zukommt. Kuni bittet den Kaufmann um die Präsentation seiner Waren, setzt sich aber dann mit ihrem Strickzeug in die Laube.


    Während Osterlind die Warenauslage betrachtet wirbt der Herzog mit einfühlsamen Worten um sie:


    Dir zu nah‘n, dich zu gewinnen, was tät‘ ich trotzig nicht beginnen!
    Den viele ersehnen, den Thron! lachend stieß ich ihn von mir! Lachend schleud’r ich davon der Krone beneidete Zier! […] Warum, so frag ich, ist das gescheh’n? Weil ich dich, du Zaub’rin, geseh’n!

    Osterlind fühlt sich zwar geschmeichelt, hat aber Bedenken, die der „Kaufmann“ zu entkräften versucht: Er will bei ihrem Vater offiziell um Ihre Hand anhalten, und bei Zurückweisung ein Liebes-Wett- und Werbe-Rennen für alle Brautbewerber beim Kirchweihfest vorschlagen. Dabei müssen alle maskiert antreten, wodurch der Sieger letztlich bis zur Demaskierung unbekannt bleibt. Natürlich ist der Herzog a.D. überzeugt, zu gewinnen!


    Osterlind findet Freude an dem „heit‘ren Spiel voll Übermut“, hat aber Bedenken, weil ihr Vater den Spaß noch verderben könnte. Deshalb schlägt er vor, dass sie mit ihm spricht und seine Entscheidung einem Briefchen anvertraut, das sie an einem aus seinem Fenster hängenden Band befestigt, so dass es von ihm hochgezogen werden kann. Ehe Osterlind zur Antwort kommt, raunt Kuni den beiden zu, dass Burkhart naht. Das lässt Ulrich kalt, er präsentiert auch dem Ratsherrn seine Waren und packt dann, weil der nichts kaufen will, alles zusammen und geht davon - ohne erkannt worden zu sein.


    Osterlind erinnert ihren Vater an sein Versprechen, dass sie einen Wunsch frei hat, wenn alle Wunden verheilt sind - und das sind sie jetzt. Als er zustimmt, ist er jedoch überrascht, dass Osterlind sich kein Schmuckstück von dem abgewiesenen Händler wünscht, sondern heiraten will. Das Vater-Tochter-Gespräch wird jetzt von vier Ratsherren unterbrochen, die ihren Kollegen unter vier Augen zu sprechen wünschen. Nach Osterlinds Abgang berichten sie, dass Blank dem Arbeiter Jacob Fell wegen Diebstahls in der Kämmerei zehn Jahre Kerker aufgebrummt hat, obwohl dessen Schuld nicht bewiesen werden konnte. Wohl aber hat der Gärtner Zupfer eine Krähe mit Gold im Schnabel aus dem offenen Fenster der Kämmerei fortfliegen sehen - und dieser Vogel gehört (Ratsherr Stephan flüstert Burkhart den Namen ins Ohr) Blank! Genau das aber will Zupfer hier und jetzt und in Zukunft nicht bekennen, denn er fürchtet um sein „Renommee“- und zieht sich zurück. Stephan ruft ihm wütend „Kamel“ nach.


    Das Geschehen hat im Hintergrund Blank mitbekommen, den wiederum Burkhart bemerkt hat. Sofort bricht er laut in pathetische Lobeshymnen auf Blank aus. Der ist dadurch so gerührt, dass er hervortritt und Burkhart überschwänglich umarmt. Die übrigen Ratsherren fühlen sich plötzlich nicht wohl in ihrer Haut und entfernen sich rasch, nicht ohne sich vor Blank verbeugt zu haben.


    In einer neuen Szene erklärt Osterlind ihren Verehrern - Michel, Sebastian, Konrad und Blank - die Spielregeln und macht damit klar, dass Vater Burkhart ihrem Drängen nachgegeben und das „Spiel voll Übermut“ als Brautwerbung akzeptiert hat. Osterlind hat festgelegt, dass jeder Bewerber als Beweis der Ehrlichkeit vom Brunnen im Buchenwald ein Büschel frischer Kresse mitzubringen hat. Zwar finden alle Teilnehmer (ohne es laut zu sagen) das Spiel kindisch-lächerlich, wollen aber, jeder für sich auf den Sieg hoffend, mitmachen.


    Nachdem sich Osterlind, jedem Glück wünschend, ins Haus zurückbegeben hat, wird es auf der Szene unruhig, denn mit Bürgerbegleitung wird der angebliche Dieb Jacob Fell gefesselt von Gendarmen zum Gefängnis geführt. Als er Blank sieht, stößt er eine Schimpfkanonade aus, verbunden mit Drohungen auf die Zeit nach seiner Entlassung; Blank äußert gegenüber den Umstehenden mitleidiges Verständnis für Fells Ausraster und die Bürger loben ihn für seine Gutmütigkeit.


    Blank ist allein auf der Szene und starrt vor sich hin. Was ihm durch den Kopf geht, wird deutlich, als Kuni aus dem Haus tritt und er sie bittet, bei Osterlind eine Absage des Wettlaufs zu erreichen. Dass es ihm damit ernst ist, unterstreicht er durch die Aushändigung eines prall gefüllten Geldbeutels, den Kuni mit den Worten, dass man Geld immer gut gebrauchen kann, auch annimmt, und wieder ins Haus geht. Blank ist nur kurz alleine, denn aus dem Haus gegenüber kommt Schneider Zwick und geht mit einem freundlichen Gruß auf Blank zu. Beiläufig sagt er, dass es dem Jacob Fell ganz recht geschehen sei, nur er, Zwick, warte noch auf seinen Lohn. Blank reagiert ungehalten und vertröstet Zwick auf den nächsten Tag. Als der Schneider plötzlich ein Lied von dem Hasen und dem Igel anstimmt, hat Blank eine Idee und er zieht Zwick in dessen Schneiderladen…


    …während auf der anderen Seite gerade Osterlind aus dem Haus kommt und ihrer Jugendliebe Reinhart gegenübersteht, der als Soldat in Spanien war. Die jungen Leuten erinnern sich an frühere Zeiten und schwärmen von vergangenem Liebesglück. Dieses Idyll zerstört Kuni, die Osterlind den Brief für den Herzog geben will, Reinhart aber zu spät bemerkt. Der reagiert eifersüchtig, entreißt Kuni das Kuvert, kann nur durch Osterlinds scharfen Einwand davon abgehalten werden, es aufzureißen. Er zuckt zusammen, bittet um Entschuldigung und rennt davon, Osterlind bekennt, Reinhart „bis zum Himmel jubelnd“ zu lieben. Die Haushälterin aber sieht schwere Zeiten kommen: Was ist mit dem Herzog? Mit dem Wettlauf? Mit den übrigen Bewerbern? Kuni erinnert sich an Blanks Forderung, mit einer dicken Geldbörse unterstrichen, dass sie die Absage des Wettlaufs bei Osterlind erreichen sollte. Genau das schlägt sie nun vor; Osterlind könne ja in dem Brief an den Herzog a.D. ihres Vaters Abneigung gegen das „heitere Spiel“ als Grund für die Absage nennen: „Lüge in der Not macht ein Weib nicht rot“.


    Doch die Freude, einen Ausweg gefunden zu haben, hält nicht lange vor, denn Blank kommt aus Zwicks Haus und als Kuni ihm Osterlinds Einverständnis zur Absage des Wettlaufs mitteilt, will er plötzlich davon nichts mehr wissen, sondern besteht auf dem Wettlauf. Was nun? Kuni schlägt Osterlind vor, dass sie Reinhart zur Teilnahme überreden soll, doch die meint, der werde dabei nicht mitmachen. Kuni besteht aber darauf und will sogar für seinen Sieg beim Wurzelweib einen Zaubertrank holen.


    Wie verabredet befestigt sie aber zunächst Osterlinds Brief mit der Zusage des Wettlaufs an der Schnur, die aus Ulrichs Zimmer hängt. Als sie sich umdreht, stößt sie mit Blank zusammen, der mit einem großen Paket unter dem Arm auf Zwicks Haus zugeht und Kuni erbost zusammenstaucht. Seine Laune hellt sich aber auf, als ihn die Teilnehmer eines Fackelzuges erkennen und hochleben lassen. Währenddessen zieht Ulrich die Schnur nach oben…



    DRITTER AKT
    Ein Wiesenplatz, zum Kirchweihfest mit Buden und Ständen bestückt. Tanzboden im Hintergrund.


    Ein lebhaftes Orchestervorspiel im Walzertempo weist auf das lebhafte Treiben beim Kirchweihfest hin: Die Marktleute diskutieren kontrovers den bevorstehenden Liebes-Wett- und Werbelauf, bei dem der Bräutigam für Osterlind gefunden werden soll. Die einen freuen sich auf den Spaß, die anderen finden die Idee unmöglich und haben schnell ihr Urteil über Osterlind gefällt - es fällt nicht schmeichelhaft aus. Alles wie im richtigen Leben.


    Ein Tänzer, spanisch gekleidet, ergötzt das staunende und sich amüsierende Volk mit seinen grotesken Sprüngen und Tänzen. Er greift sich ein Mädchen und tanzt mit ihr; dadurch animiert tanzen immer mehr Bürger. Die Marktleute fürchten um ihre Waren und räumen sie zur Seite; die Bühne wird für den allgemeinen Volkstanz frei.


    Junker Kurt tritt als Herold auf den Tanzboden und löst damit das allgemeine Tanzvergnügen auf. Aus dem Hintergrund kommen Thomas Burkhart, Osterlind mit Kuni und mehreren Ratsherren nach vorn. Burkhart vermag nur mit Mühe seinen Ärger über die lächerliche Lage zu verbergen, Osterlind ist gezwungenermaßen fröhlich, nur Kuni zeigt ein zufriedenes Gesicht. Der Herold fordert Ruhe ein und kündigt den Beginn eines „seltsam-neuen Schauspiels“ an; er ruft die Brautwerber nach vorn und löst damit bei Burkhart Verwunderung aus, denn da stehen statt der von ihm erwarteten vier Bewerber sechs Maskierte am Start.


    Kaum sind nach Kurts Startzeichen die Läufer außer Sicht, tritt das Wurzelweib auf Osterlind zu und zeigt ihr ein altes Gebetbuch, in dem ein großer und verrosteter Schlüssel liegt. Damit, sagt sie, wird ihr der Sieger des heutigen Tages bekannt:


    Ei! so schau, was ich dir bring: prophezeien will ich laut, wer dich kriegt zur liebsten Braut! Nenn‘
    die Namen, ich sag‘ Amen, und beim richtigen sollst du seh’n, wird der Schlüssel im Buch sich dreh’n!

    Unvermittelt wendet sie sich den neugierig gaffenden Kindern zu und beweist dann ihre Kunst der Wahrsagerei mit dem Schlüssel, indem sie einen unter ihnen als Kirschendieb benennt. Ratsherr Andreas Stephan hat die Szene genau beobachtet und will vom „klugen Schlüssel“ wissen, ob er auch den Dieb aus der Stadtkämmerei benennen kann - doch bei „Fell“ bewegt sich der Schlüssel keinen Millimeter. Dann muss er eben das Alphabet durchdeklinieren, kommt aber nur bis „B“ und dem Namen „Blank“, denn da rotiert der Schlüssel und Stephan ist es zufrieden. In diesem Moment verkünden die Trompeten, dass der erste Läufer eingetroffen ist und atemlos auf den Tanzboden wankt. Die Menge verlangt, dass er die Maske abnimmt - es ist Blank und er wird von den Bürgern begeistert gefeiert. Nur Osterlind verweigert sich dem vermeintlichen Sieger - Kuni versteht die Welt nicht mehr - und Vater Burkhart besteht gegenüber Osterlind auf der Erfüllung des Versprechens, den Sieger des Wettlaufs als Mann zu akzeptieren.


    Der nächste Läufer trifft ein und es ist zur Enttäuschung von Osterlind und Kuni wieder nicht Reinhart, sondern der Initiator des Spektakels, der Herzog a.D., der Blank des Betrugs bezichtigt. Aber Blank ist ja bekanntlich nicht auf den Mund gefallen und er stimmt ein Spottlied auf den Herzog an:


    Ei, ei! Der ist uns wohlbekannt, der „Herzog Wildfang“ ohne Land!
    Mag Er nur gleich wissen, wie wenig wir Ihn missen!
    Mit Neid könnt Ihr erseh’n, wie alles jetzt so schön. Froh sind wir und frei, bar der Tyrannei!

    Und ihm wird, wie er weiter erklärt, auch klar, was der Grund für diesen Wettlauf war: Der Herzog sollte gewinnen, weil die fast Getötete, Osterlind, ihre Hand in die des Herzogs legen wollte! Aber die Hand der schönen Maid gehört ihm - Blank!


    Unterdessen ist auch Reinhart mit einem nahezu entkleideten Burschen im Schlepptau angekommen; in seinen Händen trägt er einen falschen Bart, einen Hut und über seiner Schulter ein Kleidungsstück, das eine genaue Kopie von Blanks Kleidung ist, wie übrigens auch der Hut in seiner Hand auffallend dem von Blank ähnelt. Reinhart bringt die Wahrheit ans Licht: Der Bursche war, von Schneidermeister Zwick ausgewählt, in Blanks Verkleidung an den Start gegangen, während sich der echte Blank schon am Ziel versteckt hielt - das Märchen vom Hasen und Igel lässt grüßen! Blanks Bluff ist aufgeflogen und wird jetzt vom Wurzelweib sogar noch bestätigt! Natürlich versucht der Beschuldigte mit allen möglichen Tricks heil aus der Affäre herauszukommen, doch zerstreut Schneider Zwick mit der Bestätigung, dass er an dem Trug beteiligt war, alle Zweifel. Die Menge gerät vollends in Rage, als das Wurzelweib Blank auch des Kämmerei-Diebstahls bezichtigt - nur mit Mühe gelingt es Thomas Burkhart, den Kerl vor der Lynchjustiz zu bewahren und die Ruhe wiederherzustellen.


    Burkhart wendet sich jetzt an den Herzog und bittet ihn, erneut die Regentschaft zu übernehmen. Dazu ist Ulrich bereit, will sogar die Heirat mit Osterlind als einen Friedensbund zwischen Bürgertum und Adel verstanden wissen. Doch an dieser Stelle spielt Burkharts Tochter nicht mehr mit: Sie bekennt sich eindeutig zu ihrem Jugendfreund Reinhart und stürzt Ulrich damit in eine tiefe Krise. Als jedoch die Bürger ihn fast flehentlich bitten, erneut „der Herr“ zu werden, gibt er nach und schwört, „Euch fortan zu dienen“. Der Schlussgesang aller Bürger steht in freudigem G-Dur:


    Heil! dem Fürsten Heil! Unserm Herzog Heil, dass Gottes Segen auf ihm weil‘!
    Himmel, sollst es hören, wie wir Treue fest ihm schwören! Heil unserm teuren Herrn!



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2018
    anhand des Textes aus dem Klavierauszug (Leipzig 1901)

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