Großartiger Holländer in Wagners gleichnamiger Oper, Hamburgische Staatsoper, 24.02.2018

  • Aufgrund der guten Kritiken besuchte ich heute Abend die aktuelle Serie der Aufführungen des Fliegenden Holländers (Musikalische Leitung Johannes Fritzsch, Inszenierung und Bühnenbild Marco Arturo Marelli, 75. Vorstellung seit der Premiere im Jahre 1996). Was ist das doch für eine großartige, fesselnde Oper, selbst wenn sie wie hier ohne Pause in 135 Minuten durchgespielt wird. Insgesamt wurde es eine herausragende, begeisternde Vorstellung. Angefangen mit dem wunderbaren Chor (Leitung Eberhard Friedrich); genannt sei nur der lyrische Zwischenpart der Damen vor dem Ende von Sentas Ballade („Ach wo weilt sie, die dir Gottes Engel einst könne zeigen?“). Das Orchester schien mit Anfangs während der Ouvertüre zwar durchaus dynamisch, aber auch recht laut. Als allerdings Günther Groissböck als Daland mit seinem schallstarken, in allen Lagen sonoren Bass deutlich über dem Orchester lag, zeigte sich, dass zumindest ein stimmlich außergewöhnlicher Abend bevorstand.


    Selten, eigentlich nie, hat mich der Monolog des Holländers erschüttert („Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht? Wenn alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn. Ihr Welten, endet Euren Lauf! Ew‘ge Vernichtung nimm mich auf“). Dieses gelang John Lundgren, der mit strahlkräftige Stimme die notwendigen dynamischen Abstufungen beherrschte und sie interpretarisch einsetzte, aber auch mit Stimmglanz in der Höhe beeindruckte. Lundgren überzeugte auch darstellerisch. Man nahm ihm sein schweres Schicksal ab. Welchem Holländer gelingt schon eine solche formidable gesangliche und darstellerische Interpretation. Da muss man schon auf Franz Grundheber oder Jose van Dam zurückgreifen. Wenngleich nicht so heldentenoral wie sonst üblich, gelang auch Daniel Behle als Erik eine herausragende Leistung. Mit seiner schönstimmigen, deutlich artikulierenden (Konsonanten!) und in allen Lagen sowie dynamischen Abstufungen interpretatorisch eingesetzen Tenorstimme sang er nicht nur überzeugend, sondern war auch darstellerisch so überzeugend, wie ich es bei einem Erik bisher noch nicht erlebt habe.


    Und die Senta (Ingela Brimberg)? Sie war durchaus gut, sehr laut (was das Publikum beeindruckte), meiner Meinung nach aber nicht gesanglich den vorgenannten Männern gleichrangig. Ihrer Stimme fehlten die dynamischen Übergänge, vom Piano wechselte sie oft unvermittelt ins Forte und in der Höhe verlor ihre an sich nordisch-weiße Stimme noch mehr an Farbe. Nicht dass sie fahl wurde, aber irgendwie entwich der glühende Kern, der bei anderen Sopranen in den hohen Frequenzen (nicht immer, aber nicht selten) zum Tragen kommen kann. Auch war ihre Ballade im zweiten Aufzug in meinen Ohren oft zu vibratoreich. Im Zwiegesang mit dem Holländer im zweiten Aufzug (Holländer: „Wie aus der ferne längst vergangner Zeiten“, Senta: „Versank ich jetzt in wunderbares Träumen?“) fehlte es ihrer Stimme an (der gerade während dieses fast schon italienisch anmutenden Parts notwendigen) Kantabilität (über die Lundgren verfügte).


    Das sind natürlich ganz hohe Anforderungen, die häufig nicht erfüllt werden. Hellen Kwon hatte als Senta zum Beispiel für dieses Duett die notwendige Kantabilität. Unter den, ich habe es nachgezählt, insgesamt auf der Bühne gehörten 16 verschiedenen Sentas war natürlich Anja Silja die unnachahmlichste. Aber auch Gabriele Benackova, Elisabeth Connell, Sabine Hass, Adrianne Pieczonka oder Inga Nielsen sangen diese Partie herausragend. Meine Kritik an der Senta-Stimme von Frau Brimberg soll ihre gesanglich insgessamt gute Leistung nicht herabwürdigen, ich habe sie aber an den vorgenannten Sängerinnen gemessen, also einen sehr hohen Maßstab angelegt. Die beiden Nebenpartien waren mit Renate Spingler (Mary) und Sergei Abakin (Steuermann) gut besetzt. Abakin gehört zum Internationalen Opernstudio und ist damit gewissermaßen noch in der Ausbildung. Mit der Zeit wird er mit Wagners Sprachduktus wohl deutlich besser zurechtkommen. Das Publikum war von der Aufführung begeistert, zahlreiche Bravos für Groissböck, Behle, Brimberg und Lundgren sowie für den Chor.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Die beiden Nebenpartien waren mit Renate Spingler (Mary) und Sergei Abakin (Steuermann) gut besetzt.

    Nein, waren sie - zumindest am 16.2. - nicht. Herr Abakin sang grenzwertig und Frau Spingler war stimmlich und sprachlich (mit ihrem enervierenden Lispeln) eine Zumutung! Für mich ein glatter Totalausfall!


    Am besten hat mir am 16.2. tatsächlich die Senta gefallen. So mühelos und schön gesungen habe ich diese Partie nur selten erlebt. Lundgren war auch eindrucksvoll, wenn auch mit einigen Textschmissen. Groisböck fand ich im 1. Akt enttäuschend, im 2. Akt sang er dann allerdings eine großartige Arie und auch das "Gott!" im 3. Akt war sehr präsent. Behle war in der Tat stimmlich über weite Strecken auf seine Art beeindruckend, aber nach der Kavatine konnte er nur noch ein bissl reinsprechen, wirklich durchsetzen konnte er sich im Finalterzett stimmlich nicht. Für größere Wagner-Partien dürfte das nicht reichen.


    Also, so unterschiedlich können sängerische Eindrücke sein: Fr mich war am 16.2. die Senta die beste, vor einer guten, aber nicht überragenden Herren-Riege und der Mary als absolutem Tiefpunkt (wobei auch die Chordamen teilweise ihre liebe Mühe in der Höhe hatten). Das Dirigat war solide, aber ebensowenig überwältigend wie die Orchesterleistung an sich (die Klarinette schmiss schon in der Ouvertüre.)


    Soweit mal meine (musikalischen) Eindrücke von einer früheren Aufführung der gleichen Serie.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Also, so unterschiedlich können sängerische Eindrücke sein

    Ich war ja in der selben Aufführung, wie Du und tatsächlich waren meine Eindrücke wieder andere und ich komme zu einem Ergebnis, welches etwa zwischen Ralf und Dir liegt. - Vielleicht schaffe ich es, heute abend etwas ausführlicher zu werden. Außerdem will ich noch einen Bericht zum vorgestrigen [i]Rigoletto[i] ebenfalls an der Hamburger Staatsoper verfertigen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zuletzt habe ich diese optisch durchaus gelungene, aber vielleicht etwas gemütliche Marelli-Inszenierung in 12/2009 gesehen. Damals sangen u.a. Eva Johansson, Torsten Kerl, Dovlet Nurgeldiyev, damals ebenfalls noch Mitglied des Internationalen Opernstudios, als Steuermann und Franz Grundheber, am Pult der quasi unverwüstliche Stefan Soltesz. Aus der Erinnerung an damals war nun die Aufführung vom vorvergangenen Freitag wohl deutlich besser und vor allem musikalisch ausgewogener: Brimberg/Behle/Lundgren/Groissböck sangen allesamt auf einem Niveau, welches Hamburg in den vergangenen Jahren nicht immer zu bieten hatte - womit ich nicht sagen will, dass an der Hamburger Staatsoper unter der Ägide Young nicht auch tolle Sänger auftraten, jedoch fehlten dann oft die adäquaten Partner.


    Sehr markant, sowohl darstellerisch, als auch gesanglich empfand ich John Lundgren als Holländer, von den tatsächlichen, aber wenigen Textaussetzern war das m.E. durchaus eine Leistung, die auch für Bayreuth gut genug wäre. Auf seiner Homepage (zuletzt aufgerufen am 25.02.2018) ist zu lesen, dass er in der nächsten Saison in Hamburg Wanderer/Wotan singen wird, was ich mir sicher nicht entgehen lassen werde. Frau Brimberg mühelos und lautstark bis hinauf zu uns in den 4ten Rang, jedoch für meinen Geschmack nicht immer stimmschön. Von einem Vibrato, wie es auch hier (zuletzt aufgerufen am 25.02.2018) angemerkt wurde, habe ich nicht viel mitbekommen. Überrascht hat mich Daniel Behles Erik, der über weite Strecken nicht nur sehr schön, sondern ausgesprochen kraftvoll über die Rampe kam. Von Günther Groissböck, der heuer bekanntlich den Veit Pogner in der neuen bayreuther Meistersinger-Inszenierung gesungen hat, habe auch ich im ersten Akt vielleicht etwas mehr erwartet. Schließlich bei Sergei Abakin als Steuermann muss ich mich leider Stimmliebhabers Meinung anschließen, hier habe ich jegliche Gesangslinie vermißt und hätte sehr viel lieber nocheinmal Dovlet Nurgeldiyev gehört. Dirigat und Orchesterleistung fand ich im Wesentlichen tadellos, einzig in den Chorszenen zu Beginn des 2ten und 3ten Aufzuges hat es meinem Ohr nach doch etwas "geklappert".

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • So weit liegen unsere Meinungen doch gar nicht auseinander. Natürlich wäre Nurgeldiyev ein wesentlich besserer Steuermann gewesen. Aber über solche kleinen Partien ist er wohl schon hinaus. Das gilt im Grunde auch für die Rolle der Mary. Welches Opernhaus besetzt diese Partie wirklich mit einer herausragenden Sängerin. Ich selbst habe das nur zweimal erlebt (Hanna Schwarz, Ivy Jännicke). Frau Brimberg hat schon eine raumfüllende und strahlkräftige Stimme, die selbst ein so großes Haus wie z.B. die Metropolitan Oper in New York gut füllen würde. Wirklich schön klang sie in meinen Ohren aber nicht. Besonders überrascht hat mich, auch im Nachhinein, Daniel Behle als Erik, sowohl gesanglich, als auch darstellerisch. Er ist zwar kein typischer Heldentenor, in der 13. Reihe war er aber sehr gut und verständlich zu hören. Das mag an akustisch ungünstigeren Plätzen auch anders sein.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Insgesamt liegen wir ale drei wirklich nicht weit auseinander.



    Von Günther Groissböck, der heuer bekanntlich den Veit Pogner in der neuen bayreuther Meistersinger-Inszenierung gesungen hat, habe auch ich im ersten Akt vielleicht etwas mehr erwartet.


    Gerade auch hier. Ich habe schon geschwamkt, mir wegen ihm in der kommenden Spielzeit doch diesen Stölzl-"Parsifal" an der Deutschen Oper Berlin anzusehen, aber von dieser Idee habe ich erst einmal wieder Abstand genommen.


    Aber über solche kleinen Partien ist er wohl schon hinaus. Das gilt im Grunde auch für die Rolle der Mary. Welches Opernhaus besetzt diese Partie wirklich mit einer herausragenden Sängerin.


    Tut mir Leid, aber als ich um 1990 anfing, in Berlin regelmäßig Aufführungen des "Fliegenden Holländers" zu sehen, alternierten an der Deutschen Staatsoper Berlin Gisela Schröter und Barbara Bornemann (letztere sang diese Rolle seinerzeit auch in Bayreuth), später kam in der Fischer-Inszenierung Mette Ejsing hinzu - die waren alle drei Welten besser als Frau Spingler am 16.2., die in der dort erlebten Verfassung eigentlich nicht mehr als Solistin auf eine Staatsopernbühne gehört.
    An der Deutschen Oper Berlin hatte ich damals noch Ruth Hesse, danach mehrfach Kaja Borris, die nun nicht meine Lieblingssängerin war, aber doch weit souveräner als Frau Spingler. Auch eine solche Rolle, die für den ersten Teil des 2. Aktes schon wichtig ist, muss an einer Staatsoper anständig, wenigstens akzeptabel besetzt werden.
    Das war am 16.2. nicht der Fall udn das muss dann auch gesagt werden dürfen.


    Frau Brimberg hat schon eine raumfüllende und strahlkräftige Stimme, die selbst ein so großes Haus wie z.B. die Metropolitan Oper in New York gut füllen würde. Wirklich schön klang sie in meinen Ohren aber nicht.


    Da ich flirrende, vibratöse Sopran-Stimmen durchaus mag (mehr als vibratolose kalte und stahlschneidende) habe ich das anders empfunden - vor allem aber auch wohl deshalb, weil ich nur fünf Tage vorher an der Semperoper Dresden mit Frau Pankratova wirklich eine desaströse, in der Höhe peinvolle Senta erleben musste. Im Vergleich dazu war Frau Brimberg eine wahre Wohltat!


    in der 13. Reihe war er aber sehr gut und verständlich zu hören.


    Ich saß am 16.2. witzigerweise auch in der 13. Reihe und da ging Herr Behle nach(!) der Kavatine im Finalterzett doch ziemlich unter. Aber insgesamt bot er schon eine sehr anständige Leistung, das habe ich nicht bestritten und will dies auch gar nicht. Und vielleicht war er in deiner Aufführung noch besser, dann kann ich gar nicht bestreiten, weil ich es nicht weiß.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"