Was für eine verquirlte Ka**e! So enttäuscht wie gestern, war ich, glaube ich noch nie nach einer Opernaufführung, es war für mich das erste Mal, dass ich eine Opernaufführung in der Pause verlassen habe.
Aber nun mal der Reihe nach: Mit zwei Arbeits-Kollegen wollte ich an der Züricher Oper einen netten Abend verbringen, schlimmer als manch andere Sauerei an diesem Haus in den letzten Jahren wird es schon nicht werden. Dachte ich zumindest. Aber erneut wurde man eines Besseren belehrt. Bereits die Premierenkritiken waren diesmal sogar in den zahlreichen RT-freundlichen Online Portalen recht bescheiden gewesen, man ging mit gemischten Gefühlen in diesen Idomeneo.
Ein schmuddeliger Zwischenvorhang bedeckte zunächst die Szene, der sich nach der Ouvertüre hob. Prinzessin-Ilia im modernen Sekretärinnen-Look trauerte in einem schmuddeligen Holz-Einheitsraum an der Särgen ihrer Family. Hach, wie ergreifend. Klar, macht ja grossen Sinn, dass der König Idomeneo erst die trojanische Königsfamilie ermorden liess und dann die Särge wohl in einem Staatsakt nach Kreta überführen liess. Dann kam Idamante hinzu. Auch im schmuddeligen Business-Look. Hatte man gehofft Hanna-Elisabeth Müllers schrill intoniertes «Padre, germani, addio…» sei in dieser Form der Anfangsnervosität geschuldet wurde man beim Auftritt von Anna Stephany als Idamante eines Besseren belehrt. Da hatte sich wirklich ein Paar gefunden, dass nicht sang, sondern für den Rest des Abends jaulte. Kaum eine Hand rührte sich auch den Arien zum Applaus. Dann kam ein schmuddelig kostümierter Chor hinzu, die Kostümabteilung hatte offenbar den nächsten Kleider-Entsorgungscontainer geplündert, man sah aus, wie auf der Akutstation, der nächsten Wald-und-Wiesen-Psychiatrie. Nur Elettra trug einen eleganten Hosenanzug. Während ihrer ersten Arie musste man mit ansehen wie sich im Hintergrund ihre Ellis Klytämnestra und Agamemnon grausam massakrierten. Die gute Guanqun Song mühte sich dabei stimmlich halbwegs erfolgreich um etwas stimmliche Authentizität, wirkte aber in dem runtergekommenen Setting wie verloren. Und weiter ging`s. Idomeneo wurde an Land gespült, die Rezitative die seine Rettung aus Seenot und seinen inneren Konflikt verdeutlichten wurden auf völlig willkürliche und unmusikalische Weise gestrichen. Seine Begegnung mit Idamante war völlig unmotiviert und von der völlig bekloppten Regisseuse Jetske Mijnssen total kaputt inszeniert. Dann schleppte der Chor runde Tische auf die Bühne, und sang den stark gekürzten Chor des Intermezzos. Der Marsch des Intermezzos war……gestrichen. Dann sang Ayram Hernandez mit wunderbar strahlendem Tenor die Arbace Arie, die erste Arie an diesem Abend, die wirklich glücklich machte. Während er sang, zog sich der Idomeneo um. Natürlich durfte man ihn oben ohne und in Unterwäsche anschauen, kein noch so billiges RT-Klischee wurde in dieser Inszenierung ausgespart. Ilia zeigte daraufhin ihrem Schwiegerpapi in spe die Fotos ihrer ermordeten Familie. Immerhin konnte Frau Müller ihren lyrischen Sopran in dieser zweiten Arie ungehindert strömen lassen, es kam so etwas wie Atmosphäre auf sehr niedrigem Niveau auf. Dann sang Joseph Kaiser mit rauem, unflexiblem und in der Höhe engem Tenor «Fuor del Mar», einfach nur grausam. Um seinen Zorn zu verdeutlichen fegte er dabei die verbliebenen Fotos von einem der Tische. Toll. Man wusste nicht ob man lachen oder weinen sollte. Elettra erschien zu ihrer Abfahrt mit einem Koffer (aha: Wir sind beim RT) und packte daraus ein Brautkleid aus. Dann kamen aus dem Hintergrund andere Bräute diversen Alters und standen auf den Tischen herum, beglotzt vom Chor, die Bräute begannen zu bluten, alles sah aus, als wäre man in einer Lucia di Lammermoor-parodie gelandet. Der Abschied von Idomeneo, Idamante und Elettra fand im Sitzen um einen runden Tisch statt, die Grimassen, die die drei schneiden durften, wären zum Lachen gewesen, wäre es nicht so traurig. Dann nahm, zur Erscheinung des Seemonsters Idomeneo eine Knarre und fuchtelte damit psychotisch grinsend herum, während sich der hölzerne Bühnenraum über im hob. Zum ersten Mal an diesem Abend wurde die musikalische Wucht dieser Mozartoper aus dem Orchestergraben spürbar. Denn was der Dirigent Giovanni Antonini mit dem tiefgestimmten Orchester in pseudo-historischer Aufführungpraxis geboten hatte, war lauter, verwaschener Einheitsbrei in breiten Tempi. Endlich Pause. Meine Kollegen waren sichtlich ermattet. Für die Eine war es der erste Opernbesuch, höchstwahrscheinlich auch der Letzte. Um den Abend zu retten, beschlossenen wir auf den Rest der Oper zu verzichten und den Abend in der benachbarten Belcanto-Bar den Abend bei einem Bierchen ausklingen zu lassen, wir plauderten und lachten gut gelaunt, fast war die versaute Oper vergessen. Als wir gingen war auch die Oper beendet. Man beobachtete wie sich das sichtlich ermüdete Publikum zur Trambahn schleppte.
Wie tief kann ein Opernhaus noch fallen, bevor endlich jemand die Notbremse zieht?