Die bedeutendste Symphonie zwischen Beethoven und Brahms?

  • Das Verdikt, nach Beethovens Neunter, uraufgeführt 1824, könne es eigentlich keine Steigerung mehr geben, bekamen zahlreiche Komponisten im 19. Jahrhundert zu spüren. Den Bann brach gleichsam erst Brahms mit seiner Ersten, die 1876 ihre Uraufführung feierte und von Hans von Bülow als "Beethovens Zehnte" gepriesen wurde. Dazwischen liegt ein halbes Jahrhundert. Natürlich wurden in diesen fünfzig Jahren viele Symphonien geschrieben. Welche aber hat das Zeug, als die bedeutendste Symphonie zwischen Beethoven und Brahms zu gelten?


    Im Folgenden eine (vermutlich unvollständige) Übersicht über Symphonien, die nach 1824 und vor 1876 entstanden (Programmsymphonien inklusive):


    1825 (oder 1828): Schubert, Symphonie Nr. 9 C-Dur D 944 "Große"
    1830: Mendelssohn, Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 107 "Reformation"
    1830: Berlioz, Symphonie fantastique op. 14
    1832: Wagner, Symphonie C-Dur
    1833: Mendelssohn, Symphonie Nr. 4 A-Dur op. 90 "Italienische"
    1834: Berlioz, Harold en Italie op. 16
    1834: Wagner, Symphonie E-Dur (unvollendet)
    1835: Ries, Symphonie Nr. 7 a-Moll op. 181
    1839: Berlioz, Roméo et Juliette op. 17
    1841: Schumann, Symphonie Nr. 1 B-Dur op. 38 "Frühlingssymphonie"
    1841: Schumann, Symphonie Nr. 4 d-Moll op. 120 (Erstfassung)
    1842: Berwald, Symphonie Nr. 1 g-Moll "Sérieuse"
    1842: Berwald, Symphonie Nr. 2 D-Dur "Capricieuse"
    1842: Mendelssohn, Symphonie Nr. 3 a-Moll op. 56 "Schottische"
    1845: Berwald, Symphonie Nr. 3 C-Dur "Singulière"
    1846: Schumann, Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 61
    1850: Schumann, Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 "Rheinische"
    1851: Schumann, Symphonie Nr. 4 d-Moll op. 120 (Letztfassung)
    1853: Saint-Saens, Symphonie Nr. 1 Es-Dur op. 2
    1855: Bizet, Symphonie Nr. 1 C-Dur
    1857: Liszt, Faust-Symphonie S. 108
    1857: Liszt, Dante-Symphonie S. 109
    1859: Gottschalk, Symphonie Nr. 1 RO 255 "Eine Nacht in den Tropen"
    1859: Saint-Saens, Symphonie Nr. 2 a-Moll op. 55
    1861: Raff, Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 96 "An das Vaterland"
    1863: Bruckner, Studiensymphonie f-Moll
    1865: Dvorák, Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 3 "Die Glocken von Zlonice"
    1865: Dvorák, Symphonie Nr. 2 B-Dur op. 4
    1865: Rimski-Korsakow, Symphonie Nr. 1 e-Moll op. 1
    1866: Bruckner, Symphonie Nr. 1 c-Moll (Linzer Fassung)
    1866: Raff, Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 140
    1866: Tschaikowski, Symphonie Nr. 1 g-Moll op. 13 "Winterträume"
    1867: Borodin, Symphonie Nr. 1 Es-Dur
    1868: Rimski-Korsakow, Symphonie Nr. 2 op. 9 "Antar" (Erstfassung)
    1869: Bruckner, Symphonie d-Moll "Nullte"
    1869: Gottschalk, Symphonie Nr. 2 RO 257 "À Montevideo"
    1870: Raff, Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 153 "Im Walde"
    1870: Widor, Symphonie Nr. 1 op. 16
    1871: Raff, Symphonie Nr. 4 g-Moll op. 167
    1872: Bruckner, Symphonie Nr. 2 c-Moll (Erstfassung)
    1872: Raff, Symphonie Nr. 5 E-Dur op. 177 "Lenore"
    1872: Tschaikowski, Symphonie Nr. 2 c-Moll op. 17 "Kleinrussische"
    1873: Bruckner, Symphonie Nr. 3 d-Moll (Erstfassung)
    1873: Dvorák, Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 10
    1873: Rimski-Korsakow, Symphonie Nr. 3 C-Dur Op. 32 (Erstfasung)
    1874: Bruckner, Symphonie Nr. 4 Es-Dur "Romantische" (Erstfassung)
    1874: Dvorák, Symphonie Nr. 4 d-Moll op. 13
    1875: Bizet, Symphonie Nr. 2 C-Dur "Roma"
    1875: Dvorák, Symphonie Nr. 5 F-Dur op. 76
    1875: Paine, Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 23
    1875: Tschaikowski, Symphonie Nr. 3 D-Dur op. 29 "Polnische"

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Josef,


    in deiner Liste sind grossartige Sinfonien enthalten. Aber auch solche die ich gar nicht kenne ... Widor und Gottschalk ( :D ich dachte der machte "Wetten dass" als bester Showmaster usw. ...) .


    Ohne lange zu überlegen würde ich die 3 Sinfonien als Bedeutenste wählen:


    Bruckner: Sinfonie Nr.4
    Schumann: Sinfonie Nr.2
    Berlioz: Symphonie fantastique



    Bei Schumann tue ich mich schwer, denn ich schätze alle 4 Sinfonien aufs Höchste ! Die gehören alle Vier zu den Bedeutensten zwischen Beethoven und Brahms.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich würde sagen, lieber Wolfgang,


    dass du die Symphonie C-dur D.944 Schuberts, die Joseph (nicht unabsichtlich, wie ich annehme), als erste in seiner Liste genant hat, vergessen hast, oder willst du allen Ernstes Schumanns C-dur-Symphonie über die Schubertsche stellen wollen?


    Unter dem Aspekt würde ich folgende drei nominieren, wobei ich die ersten beiden gleichauf sähe:


    Schubert, Symphonie Nr. 8 C-dur D.944,
    Bruckner, Symphonie Nr. 4 Es-dur "Romantische"
    Bruckner, Symphonie Nr. 3 d-moll (Urfassung)


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Josephs Liste ist offenbar chronologisch, nicht wertend.


    Schubert C-Dur
    Berlioz' Symphonie Fantastique
    Schumann d-moll
    Bruckner 3. (NB die heute meistgespielten Fassungen von Bruckners 3. und 4. entstanden allerdings nach Brahms' 1. Und da bestehen nicht nur bei der 4., sondern auch bei der 3. erhebliche Unterschiede zu den Erstfassungen)


    Liszts Faust-Sinfonie wäre auch ein Kandidat, ist mir aber zu weit (IMO weiter als Berlioz) von der "normalen" Sinfonie und näher an der programmatischen Tondichtung. Das soll keine Abwertung sein, macht sie aber schlecht mit den meisten anderen Kandidaten vergleichbar.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Meine oben gepostete Liste war a) chronologisch zu verstehen und b) der Versuch, überhaupt möglichst alle Symphonien zwischen 1824 und 1876 zu erfassen. Das war insofern keinesfalls meine persönliche Wertung.


    Die folgt nun:


    Schumann: Symphonie Nr. 2 C-Dur (mein persönlicher Favorit)
    Schubert: Symphonie Nr. 9 C-Dur "Große"
    Mendelssohn: Symphonie Nr. 3 a-Moll "Schottische"


    Und als Sonderfall:


    Berlioz: Symphonie fantastique


    Wobei ich mich insbesondere bei Schumann und Mendelssohn schwer tue, da ich (ähnlich Wolfgang) alle von Schumann hoch schätze und bei Mendelssohn für mich der Abstand zur "Italienischen" minimal ist (selbst die "Reformation" ist stark in meiner Wertschätzung gestiegen). Symphonien, die bei mir nur wenig hinter den genannten stehen, wären Tschaikowskis erste drei, Dvoráks Fünfte sowie Bruckners Zweite (meine bevorzugten Fassungen der Dritten und Vierten entstanden, wie Johannes schon anmerkt, nach 1876).

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • willst du allen Ernstes Schumanns C-dur-Symphonie über die Schubertsche stellen wollen?


    Auch wenn es an Wolfgang gerichtet war: Persönlich würde ich die von Schumann noch vorziehen. Leonard Bernstein sah es ähnlich. ;)
    Zudem würde es ja gewissermaßen das Vorurteil bestätigen, wenn man eine Symphonie aus den 1820er Jahren, vermutlich noch zu Lebzeiten Beethovens geschrieben, als die wichtigste nach Beethovens Neunter ansähe. Schumanns Zweite liegt mit dem Entstehungsjahr 1846 in etwa in der Mitte des veranschlagten halben Jahrhunderts und kann insofern auch als gutes Beispiel für eine Symphonie der Hochromantik gelten.
    Natürlich ist das nur eine subjektive Einschätzung. Rein von der Ausdehnung dürfte kaum eine Symphonie in der Zeit an Schuberts "Große" heranreichen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Für mich auch ganz klar die bedeutendste:


    Schubert: Symphonie Nr. 9 C-Dur "Große"

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Der strittige Punkt dürfte weniger in der Bedeutung von Schuberts C-Dur als in der Bedingung "nach Beethoven" liegen, der streng genommen nicht erfüllt ist. Zwar knapp nach allen Sinfonien Beethovens, aber nach der aktuellen Datierung nicht nach Beethovens Lebzeiten.

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  • Woanders wurde mal geschrieben, die Popularität der "Schottischen" von Mendelssohn habe im Vergleich zu früher stark abgenommen. Tatsächlich scheint heutzutage die "Italienische" häufiger gespielt zu werden und beliebter zu sein. Aber die "Schottische" wird wohl doch als die gewichtigste Mendelssohn-Symphonie zu gelten haben. Bezeichnenderweise hat sie außer mir bislang niemand genannt.

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  • Der strittige Punkt dürfte weniger in der Bedeutung von Schuberts C-Dur als in der Bedingung "nach Beethoven" liegen, der streng genommen nicht erfüllt ist. Zwar knapp nach allen Sinfonien Beethovens, aber nach der aktuellen Datierung nicht nach Beethovens Lebzeiten.

    Aber wenn von den Anhängern des Regietheaters der Vorwurf mangelnder "Werktreue" doch immer mit dem Argument gekontert wird, "das Werk ist die Aufführung", dann existiert nach dieser Logik Schuberts "Große" erst seit 1839! :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Woanders wurde mal geschrieben, die Popularität der "Schottischen" von Mendelssohn habe im Vergleich zu früher stark abgenommen. Tatsächlich scheint heutzutage die "Italienische" häufiger gespielt zu werden und beliebter zu sein. Aber die "Schottische" wird wohl doch als die gewichtigste Mendelssohn-Symphonie zu gelten haben. Bezeichnenderweise hat sie außer mir bislang niemand genannt.

    Du hast halt in deiner Rubriküberschrift nach dem Superlativ gefragt, nach "der bedeutendsten" Sinfonie - und diese Frage habe ich mit Schuberts "Großer" beantwortet. Dass die Schottisch eine der bedeutendsten Sinfonien jender Zeit ist und von Mendelssohn die bedeutendste, ist doch völlig unbestritten.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dass die Schottisch eine der bedeutendsten Sinfonien jender Zeit ist und von Mendelssohn die bedeutendste, ist doch völlig unbestritten.


    Und warum ist die “Schottische” unzweifelhaft (!) bedeutender als die „Italienische “?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Meine Lieben


    Offenbar hat mich schon der Altersblödsinn in voller Stärke gepackt, denn selbst nach dreimaligem Lesen des Eröffnungsbeitrags konnte ich keine Stelle orten wo nach DREI Sinfonien gefragt wurde (Ich finde diesen Thread übriegens sehr interessant, bin allerdings froh, daß der Krieg der Sinfonien nur virtuell ausgetragen wird, sonst gäbe es vermutlich arge Blessuren)


    Ein weiterer Hinweis auf den Verfall meiner Person ist die Tatsache, daß ich mit Bertarido vom progressiven Flügel des Forums einmal vollinhalltlich übereinstimme (das war mir bestimmt nicht an der Wiege gesungen worden)


    Fazit:
    Auch ich bin der Meinung, daß


    Schuberts Große C-dur Sinfonie


    (bei mir bleibt sie für immer die Neunte auch wenn diese Zählung auf einem historischen Irrtum beruht)


    die bedeutendste Sinfinie zwischen Beethoven und Brahms ist. - und zwar ohne wenn und aber.


    Schubert knüpft mit seiner Großen C Dur Sinfonie beinahe nahtlos an Beethoven an, wobei das "beinahe" nicht übersehen werden wollte. Ebenso wie bei Ries und Czerny war Beethoven für Schubert ein strahlendes Vorbild. Schubert hat es aber nicht geschafft das Original zu kopieren - zu stark ist die eigene Tonsprache.
    Ähnlich ist der kräftige, strahlende Ansatz, das majestätisch fordernde bei gleichzeitig unverwechselbaren und eingängigen Themen


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Und warum ist die “Schottische” unzweifelhaft (!) bedeutender als die „Italienische “?

    Weil sie die spätere und deutlich reifere Sinfonie ist. Die "Italienische" lebt vor allem vom grandiosen Eingangsthema, die "Schottische" ist aber besser durchgearbeitet und in allen Sätzen hochqualitativ. (Ich glaube bei großen Komponisten an einen Entwicklungsfortschritt. Daher halte ich auch Verdis "Otello" für bedeutsamer als seinen "Nabucco". Oder um bei Sinfonien zu bleiben: Ich halte Mozarts "Jupiter"-Sinfonie für bedeutender als seine "Haffner"-Sinfonie, so brillant deren Schlusssatz auch ist.) Bei Mendelssohn ist die "Schottische" das, was bei Schubert die "Große" ist: der krönende Abschluss seiner Leistungen im Genre Sinfonie.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Schuberts große Sinfonie wird heute Abend in Duisburg gespielt, mal sehen, ob ich noch eine Karte kriege. Ansonsten möchte ich als großer Verehrer von Schumanns 4. (aber bitte nur Furtwängler) seine 3., die Rheinische, ins Feld führen. Vor allem der 4. Satz, der Bläsersatz, der den Kölner Dom schildert, gehört zu den eindrucksvollsten Bläsersätzen, die je geschrieben wurden.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Weil sie die spätere und deutlich reifere Sinfonie ist. Die "Italienische" lebt vor allem vom grandiosen Eingangsthema, die "Schottische" ist aber besser durchgearbeitet und in allen Sätzen hochqualitativ. (Ich glaube bei großen Komponisten an einen Entwicklungsfortschritt. Daher halte ich auch Verdis "Otello" für bedeutsamer als seinen "Nabucco". Oder um bei Sinfonien zu bleiben: Ich halte Mozarts "Jupiter"-Sinfonie für bedeutender als seine "Haffner"-Sinfonie, so brillant deren Schlusssatz auch ist.) Bei Mendelssohn ist die "Schottische" das, was bei Schubert die "Große" ist: der krönende Abschluss seiner Leistungen im Genre Sinfonie.


    Ich will ja gar nicht bestreiten, dass die "Schottische" das insgesamt bessere Werk als die "Italienische" ist. Nur finde ich die Begründung "weil sie die spätere und deutlich reifere Sinfonie ist" nicht sehr überzeugend. Es gibt ja durchaus Komponisten, die ihre besten Werke in jungen Jahren geschrieben haben und dann nie mehr zu der gleichen Höhe fanden. Der Vergleich mit Verdis "Nabucco" und "Otello" ist auch nicht passend, weil es sich dabei um ein ausgesprochenes Frühwerk und ein Spätwerk handelt, zwischen denen über 40 Jahre liegen, was bei den Mendelssohn-Symphonien natürlich nicht der Fall ist. Da hätte man dann eine der frühen Streichersymphonien zum Vergleich heranziehen müssen. Und wie ist es bei Wagner? Ist der "Parsifal" bedeutender als der "Tristan", weil es das spätere Werk ist? Das glaube ich kaum. Ist Puccinis "La fanciulla del West" bedeutender, weil später und reifer als "La Bohème"? Doch wohl auch nicht. Sind Strauss' Spätwerke wie "Capriccio" bedeutender als deutlich frühere Werke wie "Salome" oder "Rosenkavalier"? Nein. Weitere Gegenbeispiele auch im Bereich der symphonischen Musik ließen sich leicht finden. Aber das wäre ein eigenes Thema und führt hier zu weit.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • In der Tradition der Wiener Klassik favorisiere ich eindeutig


    - Schuberts "Große" Sinfonie
    - Schumanns Rheinische
    - Mendelssohns Schottische


    Ich könnte es auch begründen, aber wie so oft, ist der persönliche Geschmack bei mir höher angesiedelt als die Meinung der Fachleute.


    Und so nenne ich auch als bedeutendste Sinfonie nach Beethoven bis 1876 die "Sinfonie fantastique". Sie geht inhaltlich neue Wege, hin zur programmatischen Musik (nur wo sollte man etliche der Haydn-Sinfonien oder Beethovens 6. da ansiedeln, wenn programmatische Musik nicht dem Ideal der Wiener Klassik entsprechen sollte?), und sie ist nicht nur im Satzaufbau, sondern auch in der Komposition völlig anders als Beethoven. Neuartig, moderner, so etwas wie den Gang zur Hinrichtung oder den Hexensabbat hat man bis dahin wohl nicht gehört.


    Als ich sie das erste Mal hörte, hätte ich die Musik eher in den 1870-er Jahren angesiedelt. Berlioz war seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Deshalb finde ich sie so bedeutend (wie auch die Faust-Sinfonie von Liszt).


    Und Bruckner würde ich in einer ganz neuen Region sehen, auch wenn Teile seiner Musik vor der 1. Brahms uraufgeführt wurden. Seine 1. hat sich aber erst nach einigen Umarbeitungen durchgesetzt, die Linzer Fassung mit der UA 1868 ist jetzt wieder favorisiert. Da hatte Brahms aber schon Teile seiner 1. im Kopf und auf dem Papier. Es hat ja 14 Jahre gedauert, bis er Beethoven aus seinem Kopf so weit verdrängen konnte, daß er eine klare Konzeption in Noten umsetzen konnte.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Mein erster, für mich selbstverständlicher Gedanke war die Große C-Dur-Symphonie von Schubert - da brauche ich nicht lange zu überlegen, bzw. wie es Alfred schrieb " ohne wenn und aber".
    Das ist aus meiner Sicht das wichtigste viersätzige symphonische Werk nach Beethoven und vor Brahms.


    Da Leute hier - warum auch immer- mehrere Symphonien nannten, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, noch drei Werke zu nennen, die ich für sehr bedeutsam halte:


    Schubert h-moll D759, für mich so wie sie ist eine durchaus vollendete Symphonie, weil mit den zwei Sätzen alles gesagt wurde, was zu sagen war.
    Aus meiner Sicht eines der wichtigsten und stärksten Werke des Genres Symphonie überhaupt. In den zwei Sätzen sagt Schubert mehr, als so mancher Komponist mit seinem Lebenswerk....In seiner Wucht und Tiefe durchaus auf gleichem Niveau, wie die C-Dur-Symphonie, bei der es um andere Affekte bzw. Seelenszustände geht, die aber auch tragisch ist.


    Schumann: Symphonie Nr. 4, letzte Fassung
    Gegenüber der Erstfassung tragischer und stringenter. Aus meiner Sicht die beste der Schumann-Symphonien, gefolgt von der Frühlingssymphonie.


    Mendelssohn: "Die Schottische"
    Sie hat sehr viel Klarheit, Aussagekraft, atmosphärische Dichte ( musste ständig an das Thema denken, als ich im Sommer in Schottland war..) und ist melodisch wie harmonisch wie harmonisch wegweisend, wie so manches bei Mendelssohn. Ich finde ja, dass ausgerechnet er eine Inspirationsquelle für Wagner war, auch wenn der sich - warum auch immer- nicht gerade schmeichelhaft über Mendelssohn äußerte. Das mit Notenbeispielen usw. argumentativ zu unterfüttern ginge durchaus, würde aber den Rahmen des Threads und meiner zeitlichen Möglichkeiten sprengen. Es geht mir dabei weniger um die wagnersche harmonisch-modulatorische Umdeuterei, die er gerne mit Hilfe des halbverminderten Akkords vornimmt, sondern mehr um seinen emotional sehr effektiven Einsatz von Akkorden/Akkordprogressionen ( z.B. die dem Moll-Quintsextakkord innewohnende Ernsthaftigkeit und Dramatik, wenn man ihn geschickt einsetzt), Instrumentierungen und Stimmführungen.
    Gegenüber der Vierten Mendelssohns, die in der Tat sehr italienisch klingt, bringt die Schottische mehr Gewicht, Ernsthaftigkeit und Tiefe mit sich.


    Die beiden Spätsymphonien Schuberts sind jedoch aus meiner Sicht das Wichtigste, was im Bereich Symphonie vor Brahms geschrieben wurde.
    Mein musikalisches Leben ist mir ohne diese beiden Werke nicht vorstellbar.


    Gruß
    Glockenton


    PS. Die "Tragische" Vierte von Schubert fiele mir auch noch ein. Aber gut, lassen wir es dabei..

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Da wohl nur eine Symphonie genannt werden soll, ist das für mich eindeutig Franz Schuberts "Große" C-Dur Symphonie, ob sie nun als 8. oder 9. bezeichnet wird.


    Ich muss allerdings gestehen, dass ich auch einige weitere Werke von Berlioz, Mendelssohn und Schumann nennen könnte, die für mich zu den ganz großen Werken vor Brahms gehören.



    Liebe Grüße


    Portator

  • Meine oben gepostete Liste war a) chronologisch zu verstehen und b) der Versuch, überhaupt möglichst alle Symphonien zwischen 1824 und 1876 zu erfassen.

    Öh, da hättest Du wohl einige tausend Stück nennen müssen, oder? So wenige Komponisten gab es ja damals auch nicht.

  • Weil sie die spätere und deutlich reifere Sinfonie ist. Die "Italienische" lebt vor allem vom grandiosen Eingangsthema, die "Schottische" ist aber besser durchgearbeitet und in allen Sätzen hochqualitativ. (Ich glaube bei großen Komponisten an einen Entwicklungsfortschritt.


    Das ist bei Mendelssohn aber keineswegs eindeutig. Ich weiß nicht, ob das die Forschung en detail geklärt hat, aber die Skizzen für die Schottische gehen vor die Italienische zurück und die eigentlich vorher vollendete Italienische wurde dann noch überarbeitet und deswegen noch später veröffentlicht (wobei es anscheinend genau genommen gar keine Fassung letzter Hand der A-Dur-Sinfonie gibt). Abgesehen davon, dass nicht alle Komponisten solch eine stetige oder gar monotone Entwicklung nehmen müssen (und bei Mendelssohn ist das m.E. nicht der Fall, einige seiner besten Werke schrieb er zwischen ca. 16 und 21), kann man für diese Werke daher nicht einmal klar sagen, dass viele Jahre Entwicklung zwischen ihnen liegen. (Es stimmt ja nichtmal bei einem eher "linearen" Komponisten wie Beethoven, die Eroica ist die ehrgeizigste und bedeutendste der ersten 8, wenn zwischen 4 und 8 eine "Entwicklung" stattfindet, dann keine geradlinige.)


    Obwohl unbestritten "leichter" und weniger ehrgeizig halte ich die A-Dur-Sinfonie tatsächlich für das überzeugendere Werk. Es weicht auf brillante Weise der Bürde der Tradition aus, ist dabei aber sehr originell und hat mit den Sätzen 2 und 4 sogar ein ähnliches Lokalkolorit wie "Schottische". Letztere ist natürlich auch stark, aber konventioneller und weder finde ich sie so atmosphärisch wie die "Hebriden-Ouvertüre" noch in der angedeuteten per-aspera-ad-astra-Entwicklung ganz überzeugend. (Klemperer fand die "angehängte" hymnische Coda des Finales so wenig überzeugend, dass er eine Alternative komponiert hat, habe die allerdings nie gehört, gibt es wohl auf einer Live-Aufnahme, seine Studio-Aufnahme folgt der Partitur.)
    Die Schottische ist allerdings wohl relevanter als ein Vorbild für andere klassizistisch-romantische Komponisten (wie Gade u.a.), trägt damit aber vielleicht eher zu Stagnation der Gattung in dieser Zeit bei. Einen "Befreiungsschlag" gegen Beethoven hatte Mendelssohn wohl auch nicht im Sinn, selbst wenn ihm mit der A-Dur so etwas gelungen ist, taugt das eben auch nicht als Vorbild und ist ja eher ein Ausweichen als eine Überwindung des "Riesen".

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  • Warum sollte eigentlich Schuberts große bedeutender sein als Berlioz' fantastische?
    Ich würde, was Bedeutung betrifft, mal auf Berlioz als Nummer 1 tippen, bei Schubert eher auf Lieder und andere Kleinbesetzungen verweisen. Mendelssohn ist hier im Thread wohl auch unterschätzt, ebenso wie Liszt, dessen Faust-Sinfonie ja immerhin Sinfonie heißt.
    :D

  • Aber wenn von den Anhängern des Regietheaters der Vorwurf mangelnder "Werktreue" doch immer mit dem Argument gekontert wird, "das Werk ist die Aufführung", dann existiert nach dieser Logik Schuberts "Große" erst seit 1839! :D


    Das ist auch nicht völlig abwegig. Vorher hatte das Werk keinen Einfluss auf irgendeinen anderen Komponisten, danach beinahe sofort; denn der Anfang von Schumanns Frühlingssinfonie (sowie die Wiederkehr des Themas) sind ziemlich sicher davon inspiriert worden.
    Andererseits ist es natürlich ein Werk, das 1825 geschrieben wurde, und Beethovens 7. weit nähersteht als dessen 9. (oder auch 3. und 5.) Von anderen Einzigartigkeiten abgesehen macht m.E. dieser Doppelcharakter zwischen Klassik und Romantik ein Teil der Interpretationsschwierigkeit dieser Sinfonie aus, zumal sich eben dann eine Tradition ergeben hat, das Werk eher wie Bruckner, also sagen wir wie 1870 zu spielen, nicht wie Mendelssohn und Schumann um 1840.
    Da ich die Sinfonie oben selbst genannt habe, halte ich die frühe Entstehung ebenfalls für kein schlagendes Gegenargument. Schumann sagte ja explizit, dass man hier einen Weg gezeigt bekäme, wie man nach Beethoven Sinfonien schreiben könnte (und interesanterweise eben ohne die Neuerungen der 5. (extrem enger Anschluss der Sätze und zyklische Thematik), 6. (poetisches Programm) oder gar 9.)
    Wenn man allerdings die Sinfonien der 1830er bis 60er betrachtet gehört sie nicht nur zeitlich vorher, sondern aufgrund des gerade Gesagten eben genauso wie Beethovens Sinfonien zu den Werken, an denen sich die späteren Komponisten abarbeiteten. D.h. wenn man diesen Zeitraum spezifisch betrachtet, müsste man eigentlich sagen zwischen "Beethoven/Schubert und Brahms".

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  • Öh, da hättest Du wohl einige tausend Stück nennen müssen, oder? So wenige Komponisten gab es ja damals auch nicht.

    ich glaube, das ist zuviel geschätzt.


    Hofmeister XIX liefert für 1829 - 1875 "Symphonie" (andere Schreibweisen spielen keine Rolle) 400 Treffer. Darin sind aber zahlreiche Bearbeitungen aller Art sowie Neuauflagen älterere Kompositionen (Haydn, Mozart) enthalten.

  • Ich will ja gar nicht bestreiten, dass die "Schottische" das insgesamt bessere Werk als die "Italienische" ist.

    Fein. Aber warum dann dieser Beitrag?:


    Und warum ist die “Schottische” unzweifelhaft (!) bedeutender als die „Italienische “?

    Dass es Ausnahmen vonj der Regel gibt, is klar, aber gerade bei den großen, bedeutenden Komponisten kann man doch zwischen den folgenden Werkes eines genres zumeist einen kompositorischen Fortschritt feststellen. Und sich war das Beispiel Mozart mit Haffner und Jupiter hier treffender als das Verdi-Beispiel, weshalb ich das Mozart-Beispiel noch ergänzt habe.

    Das ist bei Mendelssohn aber keineswegs eindeutig. Ich weiß nicht, ob das die Forschung en detail geklärt hat, aber die Skizzen für die Schottische gehen vor die Italienische zurück

    Das betrifft meines Wissens nur den Beginn des 1. Satzes, also die Einleitung. Mein Stand ist, dass die Schottische eigentlich die 5. Sinfonie Mendelssohns ist.

    Obwohl unbestritten "leichter" und weniger ehrgeizig halte ich die A-Dur-Sinfonie tatsächlich für das überzeugendere Werk. Es weicht auf brillante Weise der Bürde der Tradition aus

    Ich finde die "Italienische" auch überzeugend (wenn auch nicht durchgängig in allen Sätzen gleich brillant), die "Schottische" aber noch überzeugender. Dass ein Ausweichen von der "Bürde der Tradition" gerade unter der Fragestellung, welche Sinfonie zwischen Beethoven und Brahms die bedeutendste sei (wo also ausdrücklich eine Traditionslinie aufgebraut wird) ein positives Qualitätsmerkmal sein soll, verblüfft mich etwas. Vielleicht findet man ja noch irgendeine "Sinfonia" irgendeines Italieners (Mercadante oder so), die dieser Beethoven-Brahms-Tradition noch mehr ausweicht, dann ist die vielleicht der "winner"... 8-)


    Ich kann für mich nur sagen, dass ich die "Italienische" sehr schätze, die "Schottische" aber noch deutlich mehr. Sie ist für mich die vollendetere Sinfonie, während die "Italienische" mit ihrem genialischen Beginn eine Erwartung aufbaut, die sie in der Folge nicht in jedem Abschnitt einlöst.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es stimmt, dass die Schottische die 5. ist, aber von den Skizzen bis zur Vollendung wird 1829-42 angegeben. Die Italienische 1833 und danach noch revidiert, wenn auch wohl kaum schwerwiegend, war Mendelssohn dennoch nicht zufrieden und es gibt offenbar keine Fassung letzter Hand. Es ist ein interessantes Phänomen, dass ein flüssig und scheinbar "leicht" komponierender Musiker wie Mendelssohn gleichzeitig so selbstkritisch war, dass er Werke wie die A-Dur (und auch die "Reformationssinfonie", wobei ich es bei der verstehen kann, obwohl ich sie sehr mag, hat sie doch etwas von einem uneinheitlichen Patchwork) zu Lebzeiten nicht offiziell veröffentlich hat.


    Die wirkliche Reihenfolge von Mendelssohns Sinfonien müsste 1-5-4-2-3 sein...


    Bzgl. des Ausweichens als positives Merkmal: Das kommt halt drauf an, wie brillant man das macht, es geht nicht um das Ausweichen als solches, sondern das wie. ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich glaube, das ist zuviel geschätzt.


    Hofmeister XIX liefert für 1829 - 1875 "Symphonie" (andere Schreibweisen spielen keine Rolle) 400 Treffer. Darin sind aber zahlreiche Bearbeitungen aller Art sowie Neuauflagen älterere Kompositionen (Haydn, Mozart) enthalten.

    Dafür habe ich jetzt dort nach einem relativ wenig berühmten Komponisten gesucht, der 1848 eine Symphonie komponiert hat, Hans Matthison-Hansen, die scheint, da unpubliziert, nicht auf. Auch für Friedrich Karl Kühmstedt (1809 - 1858), der drei Sinfonien geschrieben hat, liefert die Suche mit dem Begriff "Symphonie" keinen Treffer. Das waren die ersten zwei, die ich probiert habe ...

  • Es stimmt, dass die Schottische die 5. ist, aber von den Skizzen bis zur Vollendung wird 1829-42 angegeben.

    Wie gesagt, die Jahreszahl 1829 betrifft nach meinem Stand nur das Thema der Einleitung zum ersten Satz, die Mendelssohn sich in Schottland notiert hat. Alles andere ist deutlich später entstanden - und noch später, nämlich postum, die aus besagtem frühen Thema entstandene Todverkündungsszene in der "Walküre"... :D


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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