Sonderkonzert "Legenden im Bagno" am 25. 11. 2017 in Steinfurt (Westfalen)

  • Nachdem ich mich nun ein wenig gestärkt habe (23.30 Uhr), darf ich nach meiner Rückkunft von einem Bagno-Konzert der besonderen Art berichten:
    Geplant war ein Klavierabend mit Bruno Leonardo Gelber und Beethoven pur: die Sonaten Nr. 14, 15, 26 und 21 (in der Reihenfolge), ein tolles Programm.
    Am Eingang verkündete jedoch ein Zettel, dass Gelber das Konzert aus Krankheitsgründen abgesagt hatte. Wie wir etwas später erfuhren, hatte er wohl alle Europakonzerte abgesagt.
    Stattdessen war ein junggebliebener österreichischer Pianist eingesprungen, der 90jährige Paul Badura-Skoda , ebenfalls mit Beethoven pur: die Sonaten Nr. 15, 23 und 32, ein noch tolleres Programm:


    Ich habe dieses Foto gewählt, weil er dieses Käppi trug, wohl bei dem Konzert zu seinem 90. Geburtstag im Wiener Musikverein (das Foto erschien im Neuen Merker).


    Die zweite Überraschung war, dass ich einen früheren Nachbarn und heutigen Sangesbruder mit seiner Frau traf, und die dritte Überraschung, dass sich nach Platznehmen ein jüngerer Herr neben mich setzte, der mich fragte, ob ich nicht im Tamino-Klassikforum wäre. Als ich das bejahte, stellte er sich als "Yagura" vor, der noch nicht arg so viel geschrieben hat, und er sagte mir auch warum. Wir erlebten anregende Gespräche.


    Was nun Paul Badura-Skoda betraf, so war er sicherlich die eigentliche Überraschung des Abends: dieses Programm zu spielen in einem kleinen Konzertsaal mit 240 Plätzen und einem veritablen Steinway (so einen Flügel hätte ich Ronald Brautigam am 14. Januar 2015 in der Kölner Philharmonie gegönnt, als er die Sonaten Nr. 8, 21 und 32! spielte, statt eines Conrad-Graf-Nachbaus). Mi t dem Steinway hätte er die Kölner Philharmonie mühelos klanglich gefüllt).
    Für den kleinen länglichen Bagno-Saal war der Steinway fast etwas zu groß, zumal Paul Badura-Skoda trotz seiner 90 Lenze in seinem Vortrag mühelos jedwedes Fortissimo, das die Partitur vorsah, abbilden konnte. :


    Die Bagno-Konzertgalerie


    Schon in der Pastorale, D-dur op. 28, Beethovens 15. Sonate, stellte Badura-Skoda unter Beweis, dass er immer noch ein Händchen für die lyrischen Sequenzen dieser Sonate hat, dass er aber auch die dramatischen Abschnitte adäquat hervorlocken kann und dies auch tut.
    Das große Staunen überkam mich jedoch, als er sich dann der "Appassionata" widmete, zwar nicht mit dem gleichen Tempo wie Richter oder Berman, aber mit der gleichen Verve und mit einer Risikofreudigkeit ohnegleichen, jedoch auch mit einer altersweisen Abgeklärtheit im wunderbaren Andante con moto . Sein Spiel glich, vor allem im Finale, einem Ritt über den Bodensee, aber ohne Pferd. Zwar war jedem Klavierfreund völlig klar, dass auch Verspieler aus dem Vortrag hervorgingen, aber die waren nicht nur mir, wie ich den Eindruck hatte, angesichts seiner Gesamtleistung und der Wirkung, die das auf die Zuhörer hatte, nicht so wichtig. Im Einzelnen war hervorzuheben, dass er jegliche Läufe, ob im Bass oder im Diskant, mit eminentem Tempo spielte. Und er beachtete auch in dieser Situation im Finalsatz der Appassionata Beethovens wichtige Vorschrift "La seconda parte due volte", an die sich leider nicht alle Pianisten halten.
    Die nächste Überraschung erwartete mich in der Pause, am Waschbecken der Herrentoilette (im Untergeschoss, als er plötzlich hinter mir stand (was ich im Spiegel sehen konnte). Ich stellte mich vor, und wir gerieten sofort in ein kurzes Gespräch, das wir auf dem Weg nach oben fortsetzten. Erst, als wir oben waren, sagte er: "Ach, meine Garderobe ist ja unten, ich muss wieder umkehren". Sprach's und ging die Treppe wieder runter. Dabei war das Gehen das Einzige, was ihm etwas Schwierigkeiten bereitete.
    Und so warteten Yagura und ich auf den ultimativen Höhepunkt des Abends, die Sonate Nr. 32, die Situation an der Schwelle zu einer anderen Dimension. Bald verstand ich, warum er in unserem kurzen Gespräch betont hatte, dass ihm die Nr. 32 seit jeher ein besonderes Anliegen gewesen sei.
    Wieder steckte er die dynamischen Kontrastgrenzen, besonders im 1. Satz, Maestoso - Allegro con brio ed appassionato, sehr weit, differenzierte in den Abschwüngen sehr sorgfältig und legte er in die unglaubliche Arietta die ganze Erfahrung seines über 80jähriugen Pianistenlebens, und er betonte noch einmal im Nachgespräch, dass ihn Beethoven seit seiner frühen Kindheit unglaublich interessiert und beschäftigt hätte.
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren habe ich mir wieder ein Autogramm besorgt. Leider hatte ich die CD's, die angeboten wurden, schon alle, deshalb hat er es mir aufs Programm geschrieben Es wird in meinem Wohnzimmer einen Ehrenplatz erhalten.
    Die Bilanz des Abends waren eine Reihe von überaus positiven Überraschungen, vor allem eine unerwartete Begegnung und ein erfüllender Konzertabend.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Die Bilanz des Abends waren eine Reihe von überaus positiven Überraschungen, vor allem eine unerwartete Begegnung und ein erfüllender Konzertabend.

    Lieber Willi,
    wunderbar, dass die unerwarteten Überraschungen doch so positiv waren und Du einen erfüllenden Klavierabend erleben konntest.


    Herzlichst
    Operus


    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Willi,


    wirklich toll! :) Das wird Dir eine bleibende Erinnerung sein! In weiser Vorraussicht hatte ich davor zurückgeschreckt, den Termin im voraus einzuplanen. Es wäre auch nicht gegangen. :hello:


    P.S. Wer ist Yagura, wenn ich fragen darf? :)


    Einen schönen Sonntag wünscht herzlich grüßend
    Holger

  • Yagura ist ein Tamino, der sich nur selten zu Wort meldet, weil er sich angesichts "der geballten Kompetenz" hier im Forum verunsichert fühlt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • "Yagura" hat, wenn ich es richtig verstanden habe, jedenfalls in diesem Falle etwas mit japanischem Schach zu tun.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das war recht witzig. Ich hatte in einem anderen Thread mitbekommen, dass im Bagno in Burgsteinfurt Konzerte stattfinden und das William B. in eben dieses Konzert gehen wollte.
    Da meine Wurzeln im Münsterland liegen, ich habe in Burgsteinfurt studiert), war das natürlich eine Gelegenheit, Eltern und Schwiegereltern zu besuchen.


    Als ich eintraf, lief mir auch jemand über den Weg, der William hätte sein können. Aber solch ein schmales Gesicht hat er auf seinem Avatar nicht. Dann fiel mir aber ein erwähnter enormer Gewichtsverlust ein. Kurz darauf staunte ich nciht schlecht, dass ich genau neben ihm zu sitzen kam. Dann nahm ich meinen Mut zusammen und sprach ihn mit "Sie sehen aus, wie ein Tamino" an.


    Die Unterhaltung in der Pause und nach dem Konzert waren natürlich noch ein besonderes Bonbon.



    dass sich nach Platznehmen ein jüngerer Herr neben mich setzte,


    Vielen Dank 8-)

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand

  • Yagura ist ein Tamino, der sich nur selten zu Wort meldet, weil er sich angesichts "der geballten Kompetenz" hier im Forum verunsichert fühlt.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    Lieber Willi,


    das ist so nicht ganz richtig, obwohl ich mir als musikalischer Laie doch mehrmals überlege, ob ich etwas schreiben soll oder nicht.
    Interessanter ist für mich die Frage, wie man ausdrücken kann, warum einem ein Musikstück von A besser gefällt als von B. Dazu würde ich demnächst gern mal einen Thread starten. Ich verspreche mir davon, dass die vielen musikalischen Laien in unserem Forum dort lernen können, gefühlte Eindrücke besser in Worte zu fassen.

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand

  • Zit: "Dazu würde ich demnächst gern mal einen Thread starten"


    O ja! Tu das bitte, lieber yagura! Da dürfte dann nämlich wirklich über Musik gesprochen werden, und die Art, wie man sie rezipiert, statt dass darüber in weitschweifiger, im Grunde aber nichtssagender und deshalb im Effekt letzten Endes langweilender Art und Weise theoretisiert wird.
    Verlockender Gedanke!

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  • das ist so nicht ganz richtig, obwohl ich mir als musikalischer Laie doch mehrmals überlege, ob ich etwas schreiben soll oder nicht.

    Lieber Yagura,
    ich finde es toll, dass Du (wieder?) bei uns bist und mitmachen willst. Was heißt Laie, was heißt Profi? Du bist ein engagierter Musikfreund und damit für das Mitdiskutieren im Tamino-Forum ideal geeignet. Bitte schreibe, was Du hörst, was Du empfindest und wie Dein Urteil über das Gehörte ist. Deine Meinung ist für eine Diskussion wichtig, nichts anderes. Wobei ich meine, dass der Profi und noch schlimmer, der Halbprofi nicht mehr wie ein normaler Musikfreund hört. Ich ertappe mich selbst oft dabei, dass ich bei einem mir bekannnten Musikstück bereits bevor die gefürchtete Stelle kommt, dieser entgegenfiebere. Wir wird das Hornsolo gelingen, schafft der Sänger das hohe C, das tiefe E usw? Lass' Dich erfassen, mitreißen, begeistern und teile uns dann im Forum den Grund Deiner Begeisterung mit. Also ohne Hemmungen aus dem Bauch heraus schreiben, denn der Kopf ist sowieso immer dabei.


    Nachdem wir mit den "Höreindrücken" einen sehr anspruchsvollen Thread haben, kann ich Dich nur ermuntern einen Thread zu starten, in dem ohne allzu detailverliebte, akademische Analyse in verständlicher Sprache gesagt wird, warum A besser gefällt als B. Das würde sicherlich Taminos und Mitleser ermuntern mitzuschreiben und wir würden eine "volksnahe" Alternative bekommen, quasi Normalos versus Elitos. Ich würde mich freuen, wenn der Thread gestartet würde und hoffe bald auf Deinen Startbeitrag. :hello: :hello:


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Yagura,


    bitte entschuldige, dass ich das aus dem Gedächtnis nicht ganz richtig wiedergegeben habe. Da kann man mal sehen, wie groß der Unterschied des Gedächtnisses zwischen einem älteren Tamino und einem beinahe 20 Jahre älteren Pianisten sein kann, der willens und in der Lage ist, drei so große Klaviersonaten Beethovens so wiederzugeben, wie das am Samstagabend geschehen ist. :untertauch:


    Um noch einmal an den Anfang des Threads zurückzukommen, habe ich heute den Zeitungsrtikel zu diesem Bild aus den "Westfälischen Nachrichten":

    http://www.wn.de/Muensterland/…-mit-90-Premiere-im-Bagno


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).