Beethoven, Neun Symphonien zum 70. Geburtstag des WDR Sinfonieorchesters

  • Beethovens Neun Symphonien zum 70. Geburtstag des WDR-Sinfonieorchesters


    Unter diesem Titel eröffne ich diesen Thread, in dem ich meine Höreindrücke im Live-Erlebnis aller neun Symphonien schildern möchte, garniert mit einigen Zitaten des nunmehr fast seit 8 Jahren tätigen Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste:

    Ich möchte das Ganze in einem eigenen Thread zusammenfassen, da es meines Wissens das erste Mal ist, dass ein Kölner Orchester eine Beethoven Gesamtaufführung aller neun Symphonien (in 4 Konzerten) macht und auch alle neun Symphonien aufnehmen will:

    Zitat

    Jukka Pekka Saraste: Nach 8 Jahren in Köln fühle ich, dass die Zeit nun reif ist, den Zyklus aufzunehmen - gemeinsam mit dem WDR-Sinfonieorchester.


    Gestern Abend gelangten die Symphonien Nr. 1, 4 und 5 zur Aufführung. Insgesamt waren aufgeboten: 14 erste Geigen, 12 zweite Geigen, 10 Bratschen, 8 Celli, 6 Kontrabässe, 3 Flöten (davon 1 Piccolofl. in der Fünften), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 3 Fagotte (davon 1 Kontrafagott in der Fünften), 2 Hörner, 2 Trompeten , 3 Posaunen (in der Fünften) und die Pauken.
    Als 1. Konzertmeisterin gastierte gestern Abend Camilla Kjøll, 1. Konzertmeisterin des Luzerner Sinfonieorchesters, eine gertenschlanke, sehr große und, wie sich im Lauf des Abends herausstellen sollte, grandiose Geigerin. Sie spielt eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini (1747):


    Mit der 1. Symphonie C-dur op. 21 (gut 25 Minuten), begann das Programm. Sofort mit dem ersten Akkord, dem berühmten Septakkord, war das Orchester, das von einem bestens aufgelegten Jukka Pekka Saraste ständig gefordert wurde, voll da. Es kamen sofort die Vorzüge dieses zumindest zur deutschen Elite zählenden Orchesters zum Tragen, der organische Gesamtklang, die warmen Streicher, die aber an den verschiedenen Stellen auch gewaltig "gegen den Strich bürsteten" und, vor allem dank der "deutschen Aufstellung", die Transparenz in den verschiedenen Orchestergruppen, wodurch sich besonders die zweiten Geigen hervortaten, die in der "amerikanischen Aufstellung" in aller Regel im Konzert nicht so gut zu vernehmen sind. Ihr druckvolles Spiel war auch dadurch besonders hoch einzuschätzen, dass Jukka Pekka Saraste sich mehr zu den ersten Geigen hin orientierte. Doch die zweiten Geigen waren durch ihre Stimmführerin Brigitte Krömmelbein:

    bestens angeleitet und fächerten den Klang von ersten und zweiten Geigen wunderbar auf.
    Die Bratschen wurden durch ihren Stimmführer Junichiro Murakami:

    sehr gut in das Klanggeschehen integriert.
    Jukka Pekka Saraste dirigierte in einem mittleren Tempo, gut 2 Minuten langsamer als Riccardo Chailly seinerzeit das Gewandhausorchester.
    Trotz der schon bei der 1. Symphonie auf dem Podium versammelten gut 60 InstrumentalistInnen war neben der schon gerühmten Transparenz auch eine federnde Leichtigkeit im musikalischen Fluss, in den Steigerungen kontrastiert von entsprechender dynamischer Potenz.


    Zum 2. Stück des Abends, der 4. Symphonie B-dur op. 60 (gut 33 Minuten), die ja 7 Jahre später uraufgeführt wurde, trat ein 4. Kontrabass hinzu, dafür hatte ein Flötist Pause.
    Ich mag diese Symphonie sehr, und zwar seit 55 Jahren, seit ich die erste Berliner Aufnahme Herbert von Karajans hörte, für mich heute noch eine Referenz.
    Ich darf auch den Haupttaktgeber des Abends nicht vergessen, den Solopaukisten Werner Kühn:

    den ich zuletzt vor gut 14 Monaten in Köln bewundern konnte, als Jukka Pekka Saraste Bartoks Violinkonzert Nr. 1 dirigierte und nach der Pause Bruckners Fünfte. Damals spielte noch José Maria Blumenschein beim WDR die "erste Geige" und das Solo im Bartok-Konzert, der heutige 1. Konzertmeister der Wiener Philharmoniker.
    Werner Kühn gab wieder alles, und ebenso, wie er an diesem Abend von Symphonie zu Symphonie mehr in den Vordergrund rückte, schien mir auch das ganze Programm klug ausgewählt, indem es vom ersten Septakkord in der ersten Symphonie bis zum Schlussakkord der Fünften sich ständig steigerte.
    Zur 5. Symphonie c-moll op. 67 war dann das ganze Personal anwesend, einschließlich zweier weiterer Kontrabassisten, der formidablen Piccoloflötistin Leonie Brockmann, die sich in den Tutti mühelos durchsetzte:

    dem Kontrafagottisten und den drei Posaunisten, also insgesamt 68 Musikerinnen und Musiker, die in diesem 3. Akt und Höhepunkt des Abends beteiligt waren, obwohl schon die erste und vierte Symphonie auf einem sehr hohen Niveau waren. Aber es ist, wie es ist: welcher Musiker macht nicht bei diesem mitreißenden Werk die letzten Reserven locker, so dass so ein grandioser Abschluss möglich war, wie wir ihn gestern Abend erleben durften.
    Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es heute Abend nicht anders sein wird, wenn wir die 2. Symphonie D-dur op. 36 und die 3. Symphonie Es-dur op. 55 "Eroica" erleben dürfen.


    Ich habe diese, mehr allgemein gehaltene Form des Berichtens gewählt, weil es mir unmöglich ist, aus dem Gedächtnis und ohne Partituren einen tiefer (in die Einzelheiten) gehenden Bericht über alle drei Symphonien anzufertigen.


    Das werde ich, ebenfalls in diesem Thread, nachholen, wenn dieses Projekt des WDR Sinfonieorchesters am 24. 2. 2018 beendet sein wird und dann in zeitlicher Nähe die neun Symphonien aufgenommen sein werden. Ein Mitarbeiter des WDR konnte mir gestern Abend bestätigen, dass die Aufnahmen kommen sollen, er konnte aber noch nicht sagen, wann.
    Außer dem heutigen Konzert (s. o.) und den beiden Konzerten am 23. und 24. Februar 2018 mit den Symphonien Nr, 8, 9, 6 und 7 (in dieser Reihenfolge) werde ich das WDR-Orchester in dieser Saison noch zweimal erleben, am 15. 12. unter Alan Gilbert mit Rudolf Buchbinder (Mozart K.488), Ljadow und Tschaikowski (4. Symph.) und ein halbes Jahr später, am 15. 6. 2018 unter Jakob Hrusa mit Yuja Wang, Rach 4 und Strauss: Ein Heldenleben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    vielen Dank für Deinen anschaulich beschriebenen, informativen Bericht. Du schreibst mit viel "Herzblut". :thumbup:


    Ob es einer zusätzlichen Gesamtaufnahme der Beethoven Sinfonien bedarf, mag jeder für sich entscheiden. Es kann allerdings passieren, dass man auf "Schätze" stößt, wenn ein Chefdirigent mit "seinem" Orchester in "Sachen Beethoven" unterwegs ist, siehe Hugh Wolff mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks.


    In sofern bin ich gespannt auf Deine weiteren Höreindrücke... :)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Sagitt meint:


    Was ich aus dem Konzertplayer höhre, würde ich als"nett"bezeichnen, für die Interpretation der Musik von Beethoven leider eher ein Urteil: überflüssig.


    Mir ist klar, dass man gegen die übermächtige Zahl bedeutender Interpretationen kaum einen Kontrapunkt setzen kann. Unmöglich ist es nicht, wie ich bei Currentzis hören durfte, der in Luzern eine fantastische Eroica dirigiert hat.

  • Ich habe mir auch die Aufnahme im Konzertplayer angehört und war sehr angetan. Hier wird sehr klangschön, edel und mit Eleganz musiziert. Auch wenn hier keine radikale Neuerung in der Interpretation zu verzeichnen ist -da gebe ich sagitt recht-, finde ich dies dennoch eine sehr schöne Aufnahme, die ich trotz einiger Beethoven-Zyklen, die ich auf CD und DVD besitze, gerne gehört habe. Danke an Schneewittchen für den Hinweis und an Willy für die liebevoll verfasste Rezension!

  • Lieber Don,


    schönen Dank für den Zuspruch, den ich sehr gerne entgegengenommen habe. ich bin vorhin (2.00 Uhr) aus Köln wiedergekommen und beginne nun zu schreiben.


    @ Sagitt:


    Lieber Hans,


    da bin ich ganz anderer Ansicht als du. Erst mal sind es zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, ob man etwas über einen Player hört , oder ob man live im Konzertsaal sitzt und wie ich einen optimalen Platz hat (5. Reihe Mitte), und jeder der mal in der Kölner Philharmonie saß, wird mir bestätigen können, welche vorzügliche Akustik dort anzutreffen ist. Was die vorgestern gehörten Symphonien Nr. 1, 4 und 5 betrifft, so fand ich die Lesart Sarastes wohltuend natürlich, sein Temperament, das sich natürlich auf das Orchester übertragen hat, ganz und gar "unfinnisch", obwohl ich auch die durch und durch "finnischen" Formal 1-Fahrer Mika Häkkinen und Kimi Raikkönen sehr mag. Wenn Jukka Pekka Saraste das Podium betritt und es wieder verlässt, ist er hauptsächlich durch seine Kleidung von den Formel I-Fahrern zu unterscheiden, aber wenn er einmal den Taktstock gehoben hat: s. o.


    Gestern Abend nun stand vor der Pause die Symphonie Nr. 2 D-dur op. 36 (ca. 35 Minuten) auf dem Programm. Hier waren ca. 55 Musiker auf dem Podium, alle im ersten Konzert erwähnten Solisten waren wieder dabei. hier muss ich erwähnen, dass es innerhalb von eineinhalb Jahren bereits das zweite Mal war, dass ich Jukka-Pekka Saraste und das WDR- SO mit der Zweiten Beethoven erlebte. Am 26. Mai 2016 waren sie bei uns im Coesfelder Konzerttheater und haben einen reinen Beethoven-Abend gestaltet, vor der Pause die Coriolan-Ouvertüre und das 3. KK, Solist Yefim Bronfman, und nach der Pause die Zweite Beethoven. Mein Bericht ist hier nachzulesen:
    BEETHOVEN, Ludwig van: Symphonie No. 2 D-dur op. 36
    Schon im letztjährigen Konzert gefiel mir über die Maßen das natürliche, entspannte und dadurch so spannende Musizieren dieses temperamentvollen Finnen und seines temperamentvollen Orchesters. Ich habe gestern noch einmal bewusst hingeschaut und das WDR SO in seinem Habitus verglichen mit der in den letzten Jahren auch öfter erlebten deutschen Kammerphilharmonie Bremen und habe erstaunliche Übereinstimmungen festgestellt in der Art, wie sie sich beim Musizieren bewegen, wie der ganze Körper sich im Rhythmus der Musik bewegt, was ja meines Erachtens auch durch eine jahrelange Zusammenarbeit mit einem Dirigenten entsteht, der diese Art zu musizieren fördert und fordert. Insofern hat Karajans Ausspruch, dass man nicht nur mit den Ohren sondern auch mit den Augen "hört", m. E. durchaus seine Berechtigung. Man fasst die Musik ganzheitlicher auf, ist viel näher dran.


    So war es nicht verwunderlich, dass mir in der Zweiten (ca. 12-11,5-4,5-7 min.) besonders das Larghetto wieder sehr naheging wie schon 2016 in Coesfeld und vorher nach meiner Erinnerung nur in den ersten beiden Karajan-Einspielungen in den 60er und 70er Jahren, Giulini 1991 und Celibidache 1996.
    Was aber für alle 5 bisher gehörte Symphonien gilt, ist, dass Saraste gar nicht erst den Versuch unternahm, etwa in Richtung "Originalklang" zu gehen, sondern dass er mit einem "modernen" Symphonieorchester mit modernen Instrumenten in durchaus üppiger Besetzungen (Zweite S.: 12 erste Geigen, 10 zweite Geigen, 8 Bratschen, 7 Celli, 4 Kontrabässe, 12 (8/4) Bläser und die Pauken)
    Dritte (14+ 12 Violinen, 10 Violen, 8 Celli und 6 Kontrabässe, 13 Bläser (3 Hörner), einen höchst transparenten Klang mit einem wunderbaren homogenen Streicherapparat, exzellenten Holz- und Blechbläsern und abermals einem großartigen Paukisten ein Ergebnis erzielte, das m. E. gar nicht erst die Frage aufkommen ließ, ob nicht vielleicht ein Originalklang-Ensemble doch besser gewesen wäre.


    Und obwohl die Zweite alles andere war als ein "Warmlaufen" für die "Eroica", war diese, die Symphonie Nr. 3 Es-dur op. 55 (ca. 52 Minuten - 19-15-6-12) eben doch wieder etwas ganz Besonderes. Die Zahlen sagen beileibe nicht aus, dass Saraste nun besonders langsam dirigiert hätte, das hat er nicht, nur hat er in der Eroica m. E. nicht eine Note Beethovens ausgelassen. Hätte Karajan z. B. in seinen beiden o. a. Aufnahmen die Exposition im Kopfsatz wiederholt, hätte er mindestens 1 Minute mehr gebraucht als Saraste.
    In der Eroica war jeder Satz ein Höhepunkt, jedes Tempo m. E. klug gewählt. In der Marcia funebre (Adagio assai) kann man m. E. in 15 Minuten tiefer zum musikalischen Kern vordringen als in 12 oder 13 Minuten, und die großen Steigerung entfalten m. E. in diesem Tempo viel mehr elementare Wucht als in einem wesentlich schnelleren Tempo.
    Natürlich war das Variationenfinale ein besonderer Höhepunkt. Selten habe ich z. B. die große Blechbläser-Variation kurz vor der Coda mit dieser unglaublichen Steigerung so überzeugend im Konzert vernommen , und die Coda gehörte auch zum Besten, was ich seit langer Zeit gehört habe.
    Ich freue mich schon jetzt sehr auf die Symphonien Nr. 8 und 9 am 23. 2. 2018 und zum Abschluss die Nr. 6 und 7 am 24. 2. 2018.
    Zum Abschluss möchte ich noch eine gerade für die Eroica so wichtige Instrumentengruppe vorstellen, das Horntrio, das wiederum sehr überzeugen konnte:


    Paul van Zelm, Solohornist



    Ludwig Rast, stellv. Solohornist



    Marlene Pschorr, Hornistin


    Im Konzertplayer des WDR wird sicherlich im Laufe des Tages das Konzert vom 18. 11. zu hören sein:
    http://konzertplayer.wdr3.de/k…t/wdr-3-konzert-17112017/


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Schneewittchen hat im WDR-Konzertplayerthread schon die neue Aufnahme verlinkt, während ich aus verständlichen Gründen noch geschlafen habe. Vielen Dank, Schneewittchen. Auch hier der Link:


    http://konzertplayer.wdr3.de/k…t/wdr-3-konzert-18112017/


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Gestern Abend war nun der dritte Konzertabend dieser Reihe mit der 8. und der 9. Sinfonie. Da die Zeit nun schon fortgeschritten ist, werde ich versuchen, heute über Tag den Bericht nachzuliefern, denn heute Abend folgt schon das vierte und letzte Konzert mit der 6. und der 7. Sinfonie.
    Wenn alle Stricke reißen, werde ich die beiden Berichte hintereinander am Sonntag Nachmittag schreiben.


    Eine angenehme Ruhe wünscht


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Gestern Abend war nun der dritte Konzertabend dieser Reihe mit der 8. und der 9. Sinfonie. Da die Zeit nun schon fortgeschritten ist, werde ich versuchen, heute über Tag den Bericht nachzuliefern, denn heute Abend folgt schon das vierte und letzte Konzert mit der 6. und der 7. Sinfonie.

    Lieber Willi, das finde ich interessant! - Man würde ja erwarten, dass die 9te für den letzten Abend programmiert wird. Gab es Gründe, dies nicht zu tun?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.