Der Eid der HIPokraten - der Thread, um einen solchen zu erstellen

  • angeregt durch diesen HIP-Thread von Hosenrolle1 hier mein Vorschlag zum Thema, mit der Bitte um Verbesserungen/Korrekturen und noch weitere Ideen:


    seicento



    Der Eid der HIPokraten


    Ich gelobe, dass Musik ich
    anders mach als Arthur Nikisch,
    Karajan und Böhm und nur
    wie Savall und Harnoncourt.


    Falls ich selbst zum Bogen greife
    oder gar persönlich pfeife,
    nutz zum Geigen ich und Flöten
    alte Fideln oder Tröten.


    Vorzuziehen ferner seien
    Zinken, Gamben und Schalmeien.
    Bach will ich mit Federkielen
    aber nie mit Hämmern spielen !


    Das Vibrato nutz ich wenig,
    Tempi niemals maßlos dehn' ich.
    Für das a' nutz ich Frequenzen
    die an die 400 grenzen.


    Ich versprech' auch nie zu spielen
    etwa Hörner mit Ventilen.
    In Funktion als Saite hat
    nie zu suchen was ein Draht !!


    Und so will ich's immer halten:
    Spiel wenn möglich wie die Alten !


    frei nach Jacques-Louis David "Der Schwur der Horatier" von 1784

  • In Funktion als Saite hat nie zu suchen was ein Draht !!


    Es gab damals auf bestimmten Instrumenten durchaus Stahlsaiten, wenn auch andere als die, die heute im Handel erhältlich sind. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Stahlsaiten, ich habe nur etwas dagegen, falsches Werkzeug zu benutzen. Beethoven etwa schreibt durchaus - wenn auch selten - ein Ventilhorn vor. Wenn er das tut, sollte man auch eines verwenden.


    Ich finde es auch schade, dass ausgerechnet du, den ich für seine tollen Photoshop-Cover und seinen Humor sehr schätze, dieses Thema in einem, zugegeben kreativen, Gedicht herunterbrichst auf Dinge, die höchstens für den uninformierten Laien lustig sind, nicht aber für die, die sich ernsthaft mit dem Thema befassen und daher wissen, dass es da um wesentlich mehr geht als "alte Fideln und Tröten", oder dass es nicht darum geht alles "anders" zu machen, sondern sich dem Werk so gut es geht anzunähern, mithilfe des alten Instrumentariums und Quellenstudium- und auswertung. Das sind zum Teil wissenschaftliche Dinge, denen man mit so einem satirisch gemeinten Gedicht einfach nicht gerecht wird, zumal es hier darum geht zu ergründen, was ein Komponist wollte, und diese Zielsetzung finde ich an sich überhaupt nicht komisch.


    Mehr möchte ich auch gar nicht dazu sagen, denn das Thema ist zu umfangreich, und um eine sachliche Diskussion dazu geht es hier offenbar sowieso nicht; da bietet sich das erneute Wiederholen alter Klischees eher an, und auf diese Weise können auch mehr Leute mitreden, die ansonsten speziell in musiktheoretischen Threads wenig bis gar nichts sagen.


    Ich glaube jetzt schon zu wissen, wohin dieser Thread führen wird.





    LG,
    Hosenrolle1

  • Lieber Hosenrolle1,
    du hast vollkommen recht. Ich habe mich sozusagen über mich selber lustig gemacht, weil ich selbst vor sieben Jahren zum Vibratohasser mutiert bin und nur noch HIP und fast nur noch alte Musik höre. Weg vom opulenten Orchesterklang zu möglichst kleinen Besetzungen. Ich würde gern mehr wissen und ich bin sehr froh, dass so jemand wie du einen Thread über das Thema eröffnet hat. Ich wollte das Thema noch populärer machen. Sehr gefreut hat mich auch, dass du mit deinem Thema Gombert dazu gebracht hast, Beiträge zu schreiben. Ich würde gerne von dir und Gombert (und Bachiania) mehr lernen.


    Liebe Grüße


    seicento

  • Lieber seicento,


    dann habe ich dich falsch eingeschätzt. Das tut mir leid.


    Es ist nur - wie du sicher selbst weißt - leider so, dass es viele Klischees zum Thema HIP gibt, die dann auch gerne, in welcher Form auch immer, wiedergekäut werden. Sicher haben da teilweise auch ein paar schlechte HIP-Ensembles Mitschuld, deren Absicht es vielleicht wirklich war, bloß anders zu klingen als man es gewohnt ist, statt sich viel mehr darum zu kümmern, was der Komponist wollte. Oder Aufnahmen mit schlechten Nachbauen, die auch einfach mies klingen.


    Andererseits gibt es natürlich die Hörer und ihre Hörgewohnheiten, die man oft selbst dann nicht ablegen möchte, wenn man selbst zu der Überzeugung gelangt ist, dass das Gewohnte mit dem tatsächlichen Werk herzlich wenig zu tun hat.
    Ich selbst stelle meine Hörgewohnheiten immer auf die neuesten Erkenntnisse ein. Beispiel: mir gefällt eine aktuelle HIP-Aufnahme besonders gut, und ich höre sie immer wieder. In 15 Jahren aber gibt es ganz neue Erkenntnisse, neue Quellen, die 100%ig belegen, dass das, was auf meiner Lieblingsaufnahme drauf ist, leider falsch ist, einerseits spieltechnisch gesehen (Tempo, Artikulation, Stimmung, etc.), andererseits weil vielleicht 2 oder 3 Instrumente "falsch" sind, falsche Modelle, falsche Bauweise, oder so. Natürlich würde ich es bedauern, dass meine Lieblingsaufnahme nicht mehr richtig ist, aber da HIP ja ständige Weiterentwicklung und nicht Stillstand bedeutet, und weil ich daran interessiert bin, dass man einem Werk noch näher und noch näher kommt, würde ich einer neuen Aufnahme den Vorzug geben, wo es nun richtig eingespielt ist - bis man es in 10 Jahren wieder besser weiß.
    Vereinfacht gesagt, ich passe mich einem Werk an, und erwarte nicht, dass es sich an mich anpasst.
    Wenn ein Komponist für ein Cembalo geschrieben hat, und mir der Klang eines originalgetreuen(!), absolut hochwertigen Nachbaus nicht gefällt, dann habe ich Pech gehabt, dann ist diese Komposition nichts für mich. Ich werde mich dann nicht nach Bearbeitungen für modernes Klavier umschauen. Ich nehme die Komposition so, wie sie ist.


    Ich bin auch immer dagegen, wenn von "Originalklang" die Rede ist, denn niemand kann überprüfen, wie original er wirklich ist. Man kann sich dem nur annähern durch exakte Nachbauten sowie Quellenstudium. Was das Vibrato angeht, das gab es ja auch zur Zeit Mozarts; Leopold Mozart empfiehlt es in seiner Violinschule als Verzierung am Ende von langen Noten. Da finde ich es auch am Schönsten, auch etwa beim Gesang. Meine Lieblingsinterpretin des "Hänsel" tut das: der Gesang ist vibratoarm, nur am Ende von längeren Noten kommt ein feines Vibrato, das einfach herrlich klingt. Aber ständiges Vibrato, gerade bei Mozart, das klingt für mich extrem schmalzig.


    Was das Lernen angeht, da muss ich dich enttäuschen, weil ich zu wenig über das Thema weiß, und selbst dazulernen möchte. :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Lieber Hosenrolle1,
    danke für die nette Antwort. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich in Rente gehe, wieder weniger Photoshop zu machen und mehr über Ensembles und Komponisten zu schreiben. Vielleicht nehm ich auch wieder Geigenunterricht. Ich werde aber bestimmt auf Metall-umsponnenen Saiten spielen, weil ich auf Darmsaiten nur rumrutsche und Vibrato muss ich machen, um zu vertuschen, dass ich den Ton nicht getroffen habe. Du siehst, zwei Seelen schlagen in meiner Brust. Ich mag auch bestimmte Ensembles nicht. Das Repertoire von Ars Antiqua Austria liegt eigentlich 'voll auf meiner Linie'. Ich finde den Ton von Letzbors Geige aber immer als sehr schrill. Oft denke ich auch, ein Geiger spielt viel zu tief - falsch(?) Hat der sich an 415 Hz für den Kammerton entschieden. Wieso klingt das für mich falsch. Die Enttäuschung ist immer groß, wenn man auf eine bestimmte Einspielung gewartet hat und dann tut das Zuhören weh. Mich interessieren auch Fragen, inwieweit meine Erziehung - mein Musikunterricht - mich geprägt hat. Bin ich vom Musikgeschmack her wieder in die Schulorchesterzeit 'zurgeworfen' worden?


    Viele Grüße


    seicento

  • Ich möchte etwas Praktisches beisteuern. Ich habe in der Essener Philharmonie jetzt vier Konzerte mit alter Musik gehört (weitere vier folgen, z.B. die King´s Singers). Das fantastische Vokalensemble "Ingenium" aus der Slowakei, das Orchestra of the Age of Enlightenment unter William Christie, eine konzertante Aufführung von Händels Giulio Cesare mit tollen Solisten und der Accademia Bizantina unter Ottavio Danone und gestern Abend das Barockorchester aus Venedig unter Marcon. Solistin war Magdalena Kozena. Unglaublich, wie sicher und kraftvoll sie sang. Händel verlangt ja viel in seinen Opern. Ich war kein schlechter Chortenor, aber was diese Profis können, das würde ich in 300 Jahren nicht lernen.
    Die Philharmonie ist nie ausverkauft bei diesen Konzerten, aber die, die da sind, bilden das beste Publikum, was man sich denken kann: es gibt keine Handys, kein Rascheln von Papier, kein Tuscheln, kein Husten. Noch nie habe so ein Publikum erlebt. Atemlose Stille und dann frenetischer Beifall. Man sieht es den Künstlern an, dass sie das genießen. Was ich sagen will, ist, dass die Alte Musik für mich die spannendere ist. Das heißt natürlich nicht, dass ich andere Musik verachte.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    Ich würde gerne von dir und Gombert (und Bachiania) mehr lernen.


    Lieber seicento!


    Von bachiana haben wir lange nichts mehr gehört. Bei meinem letzten Besuch in Salzburg habe ich versucht, etwas über sie herauszufinden. Leider negativ. Das einzige was ich erfahren konnte, daß sie verzogen ist und nicht mehr als Taxifahrerin arbeitet. Ob dem so ist, weiß ich nicht sicher. Schade, mit ihr wollte ich noch eine kleine Bergtour unternehmen. Vielleicht meldet sie sich ja eines Tages mal wieder. :yes:

    W.S.

  • Ich werde aber bestimmt auf Metall-umsponnenen Saiten spielen, weil ich auf Darmsaiten nur rumrutsche und Vibrato muss ich machen, um zu vertuschen, dass ich den Ton nicht getroffen habe.


    Es ist halt natürlich ein Problem mit Darmsaiten, weil die im Vergleich zu Stahlsaiten mehr Probleme machen. Stahlsaiten halten deutlich länger, sind lauter (was mehr Publikum und damit mehr Geld verspricht) und günstiger.


    Im Gegensatz zu den Instrumenten generell wurden Stahlsaiten auf Streichinstrumenten ja recht spät, irgendwann Anfang der 1900er Jahre, eingeführt, wohl weil man ihren Klang nicht mochte. Man hat sich die Frage gestellt: möchte ich einen schönen Klang, dafür aber problematischere Saiten, oder möchte ich einen weniger schönen Klang, dafür aber mehr Sicherheit beim Spielen? Harnoncourt meinte, als er als junger Cellist zu einem Orchester kam (ich glaube, es waren die Wr. Symphoniker, ich weiß es nicht mehr genau), hätten dort alle noch auf Darmsaiten gespielt, und er sei der Einzige gewesen, der Stahlsaiten hatte, bis ihm der Chef dort gesagt hat "Runter mit dem Draht". Ein paar Jahre später haben alle auf Stahlsaiten gespielt.


    Ich bin natürlich kein Experte, was das Thema angeht, ich kenne keine Saitenmarken oder Vergleiche. Sicher wird es auch schlechte Darmsaiten oder gar Darmsaiten-Imitate geben, die wie Plastik klingen.
    Aber seit ich einmal gehört habe, wie schön Darmsaiten klingen, mag ich den Stahlsaitenklang überhaupt nicht mehr, er klingt mir zu kalt, zu metallisch. Eine Passage kann großartig interpretiert werden, aber dieser Klang verdirbt mir den vollen Spaß daran.


    Hier eine wundervolle Nahaufnahme eines Kontrabasses, der gerade eine Mozart-Sinfonie spielt:






    LG,
    Hosenrolle1

  • Zitat

    Aber seit ich einmal gehört habe, wie schön Darmsaiten klingen, mag ich den Stahlsaitenklang überhaupt nicht mehr, er klingt mir zu kalt, zu metallisch.


    Zu diesem Thema eine Frage: Wie sieht es bei Harfen aus? Es gibt einige Aufnahmen der Oper "Hoffmanns Erzählungen", da wird die Puppe Olympia von einer Glasharfe begleitet. Es ist schon länger her als ich diese Aufnahme hörte, aber in Erinnerung habe ich noch den wunderbaren Klang.

    W.S.

  • Lieber seicento,


    ich nehme stark an, dass du Noten lesen kannst, deswegen zwei Beispiele, um zu zeigen, was ich meine. Es geht um das Horn.


    Zuerst eine Tabelle aus Berlioz´ "Instrumentenkunde", die das Naturhorn betrifft. Die ganzen Noten sind Töne, die in der Naturtonreihe liegen und vom Horn offen gespielt werden und auch am saubersten, eben "offen" klingen. Alle anderen Noten werden eh darüber Infos angezeigt, wie gut diese Töne klingen, denn sie kann man nur erzeugen, indem man die Hand mehr oder weniger stark in die Stürze steckt und das Loch zustopft, was natürlich den Klang beeinflusst.




    Nun zwei Musikbeispiele, die für das Naturhorn geschrieben wurden. Einmal der Beginn der Cavatine aus dem 3. Akt Freischütz von Weber. Achte hier bitte nur auf das Notensystem der Hörner (Corni):



    In den ersten beiden Takten spielt das erste Horn ein A (also ein notiertes A), und das klingt, wie man an obiger Tabelle sieht, gestopft, aber gut. (In einer anderen Tabelle sieht man, dass dieses A erzeugt wird, indem man das Horn zur Hälfte stopft)
    Das zweite Horn spielt ein C, das innerhalb der Naturtonreihe liegt und offen gespielt wird. Ein Horn spielt also halb gestopft, das andere offen - dadurch entsteht ein ganz eigener Mischklang.
    Im nächsten Takt dann spielen beide Hörner offene Töne (G und B) - hier ändert sich die Klangfarbe plötzlich!


    Spielt man diese Stelle auf Ventilhörnern, gehen diese Farben verloren, weil diese Instrumente ja jeden Ton spielen können, und man nicht mehr stopfen muss.



    Ein anderes Beispiel ist das Horn Trio von Brahms, der das Ventilhorn offenbar nicht mochte und sein Werk für Naturhorn geschrieben hat. Hier gibt es folgende Stelle:



    In den ersten vier Takten spielt das Horn lauter offene Naturtöne - nur im letzten Takt wechselt es plötzlich zum F, das, wie der Tabelle zu entnehmen ist, dumpf klingt. Brahms wusste natürlich, was er da schrieb, und wie es klingen wird, und an dieser Stelle, die noch weiter geht, verklingt das Horn leise, indem es vom dumpfen F in einen Naturton übergeht. Er wollte also, dass es hier dumpf klingt.


    Spielt der Hornist aber auf einem Ventilhorn, dann klingt dieser Ton genauso wie alle anderen, was man auch in solchen Aufnahmen hören kann.


    Und ich bin nunmal an eben diesen Klangfarben interessiert, die der Komponist sich da ausgedacht hat. An solchen Mischklängen wie bei Weber, an dumpfen oder absichtlich unschönen Tönen, die ein wichtiger Bestandteil der Komposition sind. Ein Ventilhorn ist eine großartige Sache, es geht mir nur um das richtige Werkzeug, und für DIESE Werke ist es das falsche Werkzeug, weil die Komposition dadurch verändert, verfremdet und bearbeitet wird.





    LG,
    Hosenrolle1

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zu diesem Thema eine Frage: Wie sieht es bei Harfen aus? Es gibt einige Aufnahmen der Oper "Hoffmanns Erzählungen", da wird die Puppe Olympia von einer Glasharfe begleitet. Es ist schon länger her als ich diese Aufnahme hörte, aber in Erinnerung habe ich noch den wunderbaren Klang.


    Dazu kann ich leider nichts sagen, mit diesem Instrument habe ich mich bisher nicht wirklich beschäftigt, obwohl ich es natürlich sehr mag!




    LG,
    Hosenrolle1

  • In den Fünfzigern, als ich in der Unterstufe des Schlossgymnasiums Düsseldorf-Benrath war
    (wir waren in einem Flügel des Schlosses untergebracht, Holger hat dann ein paar Jahre später den Neubau besucht, wir hatten aber denselben Kunstlehrer), kam einmal im Jahr der einzige Solist für Glasharfe in Deutschland; ich meine, er hieß Bruno Hoffmann. Wir wurden dann in die Aula verfrachtet und mussten zwei Mark abgeben. Damals war es noch nicht üblich, angesichts dieses Zwanges mit dem Rechtsanwalt in der Schule zu erscheinen. Warum der bei uns auftreten durfte, haben unsere Lehrer uns nie gesagt. Für uns Jungs, die wir Fußballer und Leichtathleten waren, war das wie Schlaftabletten. Nebenbei gesagt waren wir in der 5. Klasse 46 Jungs, und nur einer war dick!
    Übrigens hat hier jemand mal geschrieben, dass die letzte Arie meiner Lieblingsoper "Lucia di Lammermoor" (manchmal las man auch Lucia, die Lammermoor) in der Originalfassung mit Glasharfe besetzt war.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    Übrigens hat hier jemand mal geschrieben, dass die letzte Arie meiner Lieblingsoper "Lucia di Lammermoor" (manchmal las man auch Lucia, die Lammermoor) in der Originalfassung mit Glasharfe besetzt war.


    Ja, diese Aufnahme besitze ich sogar. Aber unter meinen vielen "Lucias" müßte ich mir erst diese LP oder Box mit der Gesamtaufnahme herauspicken. Ich werde bei meiner nächsten "Lucia-Anhörung" mal genau darauf achten. 8o

    W.S.

  • (wir waren in einem Flügel des Schlosses untergebracht, Holger hat dann ein paar Jahre später den Neubau besucht, wir hatten aber denselben Kunstlehrer),

    Nee, lieber Doktor Pingel, ich war auf dem "Gymnasium Koblenzer Str.", das gerade 50. Jubiläum hatte. :) Da war dann aber ein Stand der Albert Fürst-Stiftung! Den Neubau des Schlossgymnasiums kenne ich natürlich. Nächstes Jahr haben wir unser 40jähriges Abitur-Jubiläum. Wie schnell doch die Zeit vergeht! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Aber unter meinen vielen "Lucias" müßte ich mir erst diese LP oder Box mit der Gesamtaufnahme herauspicken.


    Hallo Wolfgang,
    die Glasharfe wird in der GA mit Beverly Sills verwendet.


    @ Dr. Pingel


    Den Bruno Hoffmann kenne ich auch. Ich war damals in Berlin noch in der Grundschule, 2. oder 3. Klasse. Zu uns kam er umsonst (allerdings herrschte schon damals in Berlin Lehrmittelfreiheit), und wir fanden die Sache eigentlich ganz spannend - vielleicht, weil wir jünger waren. Ich nehme an, er tingelte durch die Schulen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Welches Orchester braucht schon eine Glasharmonika?


    Es gibt sogar eine Aufnahme mit ihm (keine Angst, es ist nicht die Lucia!)



    LG Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    Hallo Wolfgang, die Glasharfe wird in der GA mit Beverly Sills verwendet.


    Hallo, Imke!


    Vielen Dank! Diese Aufnahme werde ich als Nächstes anhören.


    Liebe Grüße
    Wolfgang

    W.S.

  • Und ich bin nunmal an eben diesen Klangfarben interessiert, die der Komponist sich da ausgedacht hat.


    Lieber Hosenrolle1,
    ich kann mich auch an unterschiedlichen Klangfarben sehr erfreuen. Dazu brauch ich mich nicht unbedingt den Karajan'schen Klangorgien hinzugeben und die Klänge müssen auch nicht die reinen Schönklänge sein. Eine meiner Lieblings-CD ist eine CD eines römischen Ensembles, das zum Teil auf alten Instrumenten aus Mittenwald spielt (von Klotz). Auf einer CD mit Sonaten von Albinoni gibt es viele Sätze, die fugenartig aufgebaut sind. Mir macht das eine riesige Freude, wenn ich die Instrumente an ihrem Klang und unterscheiden kann. Die alten Geigen klingen manchmal wie Flöten (bei Amandine Beyer zum Beispiel) und die alten Bratschen könnte man fast Klarinetten halten - daran musste ich mich zugegebenermaßen erst gewöhnen. Ich kann dann zwar immer noch nicht den Aufbau dieser Art von Fuge verstehen aber trotzdem habe ich eine fast kindliche Freude daran, wenn ich begreife, welche Stimme sich wann "zu Wort meldet". Es ist wie bei einem Ballett, wo die Tänzer unterschiedliche Kostüme tragen und man erkennt, wer jetzt von links oder von rechts auf die Bühne springt und tanzt. Das ist zwar auch eine Art "Genusshören" - aber nicht ein sich Berauschen am reinen Klang. Der "Sound" also nicht als Selbstzweck.
    Meinen wir ungefähr dasselbe ?
    Andere Beispiele, bei denen das "Unvollkommene" so etwas wie das Salz in der Suppe darstellt, ist das Klopfen der Finger, wenn ein Cellist das Griffbrett trifft (ganz krass manchmal bei Bruno Cocset, Bach Cello-Suiten) oder wenn man das Klappern der Ventile bei einem Fagott hört, wenn die Finger über die Saiten einer Gitarre schleifen. Das gefällt mir, weil man merkt, das die Musik handgemacht ist. Gamben klingen ebenfalls nicht so perfekt wie Celli, aber Stücke mit Gambe gefallen mir inzwischen auch.


    seicento

  • ch kann mich auch an unterschiedlichen Klangfarben sehr erfreuen. Dazu brauch ich mich nicht unbedingt den Karajan'schen Klangorgien hinzugeben und die Klänge müssen auch nicht die reinen Schönklänge sein.


    Bearbeitungen können ja durchaus interessant sein, ich lehne sie nicht an sich hab. Ich habe z.B. auf YouTube vor längerer Zeit eine Fassung von "Hänsel und Gretel" für minimales Streichorchester gehört, und mir gefiel es durchaus - nur war mir natürlich jederzeit klar, dass das hier NICHT das "richtige" Werk ist, sondern eine Bearbeitung.


    Was mich stört ist, dass eben auf solchen Aufnahmen nicht draufsteht "Bearbeitung für modernes Orchester" oder "auf modernen Instrumenten", so dass die breite Masse davon ausgeht, dass das jetzt tatsächlich Mozart sei.


    Eine sehr gute HIP-Aufnahme hat natürlich nicht den Anspruch, den "wahren" Mozart zu spielen, aber sie ist sehr viel näher dran.


    Wenn Mozart für eine Holzflöte in einer Tonart komponiert, die für den Spieler blöd zu greifen ist, dann wusste der Komponist das, er rechnete damit, dass es so klingen wird. Und er wollte die Klangfarbe, die dieses Instrument in dieser Tonart erzeugt, damit hervorlocken.
    Spielt man das auf einer modernen Metallflöte, die in jeder Tonart gleich klingt und leicht zu spielen ist, dann ändert sich damit nicht nur der reine Klang des Instruments, sondern man hört auch nichts mehr von dem, was Mozart kunstvoll gezaubert hat - es ist einfach eine Bearbeitung, die vielleicht auch "schön" klingen kann, aber wesentliche Eigenschaften der Komposition vermissen lässt.


    Und ich persönlich möchte unbedingt hören, möchte wissen, wie das klingt, was er da geschrieben hat, möchte diese unterschiedlichen Klangfarben für unterschiedliche Situationen erleben können. Und das kann ich bei Karajan und Co. nicht.



    Das ist zwar auch eine Art "Genusshören" - aber nicht ein sich Berauschen am reinen Klang. Der "Sound" also nicht als Selbstzweck.
    Meinen wir ungefähr dasselbe ?


    Ich denke schon, wobei ich sowieso immer mit Partitur höre. Natürlich finde ich es herrlich, wenn ich Schuberts D810 auf alten Geigen und Darmsaiten höre, und manche Passagen sind da wirklich ein "Genuss" zum Hören, aber dennoch steckt in dieser Musik sehr viel mehr, das man entdecken kann, nicht nur schöne Klänge alleine. (Wobei ich mit "schön" nicht ausschließlich Wohlklänge meine! Für mich gehört da alles dazu, auch dumpfe, matte, rauhe Klänge, die ein Werk ausmachen. Auch das ist Teil der Schönheit eines Werkes für mich)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Gunthard Born schreibt in seinem Buch "Mozarts Musiksprache" etwas Schönes:


    Dies zu verfolgen [die kunstvollen Modulationen bei Mozart] fällt den meisten musikinteressierten Laien heute recht schwer, denn das Organ, mit dem sie Mozarts Modulationen als Ausdrucksmittel bemerken könnten, wurde ihnen durch nachfolgende Musiker betäubt, stillgelegt, verödet. Doch Mozart ging davon aus, daß Kenner auch seine Modulationen bewußt miterlebte und verstanden, sonst hätte er diesem Ausdrucksmittel in seinen Opern nicht so konkrete Aussagen anvertraut, ohne die sich der Inhalt der Dramen manchmal gar nicht verstehen lässt.


    Und ich habe keine Lust, mir die Ohren noch weiter veröden zu lassen durch den Gebrauch falscher (nicht schlechter, sondern falscher!) Instrumente und uninformierte Spielweise. Wenn ich daran denke, wie ich noch vor wenigen Jahren kritik- und bedenkenlos alle möglichen Mozart-Aufnahmen gehört habe und dachte, das sei jetzt Mozart, dann wird mir übel. Diese Stunden, die ich damit verschwendet habe, bekomme ich nie mehr zurück.
    Aber das ist eben das Problem, selbst WENN man Interesse daran hat, sein Gehör auf diese Musik hin zu "trainieren", hat man praktisch keine wirkliche Auswahl.





    LG,
    Hosenrolle1

  • Hallo, Hosenrolle, du bist nicht der erste, auch nicht der Einzige, der darunter leidet. Im thread Haydn-Sinfonienhabe ich mich öfter gemeldet, weil bei den Kollegen die großen Sinfonieorchester unter Klemperer oder Karajan so beliebt waren.Die habe dann als Bearbeitungen für großes Sinfonieorchester bezeichnet. Ich habe damals 5 Jahre lang alle Sinfonien von Haydn gehört, jede mindesten 10x, meist mehr. Auch meine These, dass die besten Sinfonien die 40er sind (42, 44, 45, 48) seien und Ablehnung der englischen Sinfonien für größeres Orchester, fand hier wenig Gegenliebe. Da bin ich froh, hier einen Mitstreiter zu haben. Übrigens gibt es hier mindestens 3 Alte-Musik threads: Vokalpolyphonie, Musikalische Perlen vor Bach, Belleza.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber dr.pingel,


    das freut mich sehr, dass es hier auch andere gibt, die solchen Dingen wie Tonartencharakteristik, korrekte Stimmung oder Klangfarben alter Instrumente nicht völlig gleichgültig gegenüberstehen.
    Ich muss jedoch gestehen, dass ich an barocker Musik eigentlich gar nicht interessiert bin, weil sie mir in den seltensten Fällen etwas gibt. Ausnahmen sind ein paar Stücke aus dem Messias und ein paar wenige andere Sachen, aber im Großen und Ganzen bin ich eigentlich in der Romantik zu Hause, von Weber bis Strauss, versuche jetzt aber mich Mozart "anzunähern" (s. mein Thread zum Thema "Mozarts Musiksprache"). Das Problem ist auch, dass barocke Musik sehr viel mit quasi rhetorischen Figuren arbeitet (wie auch Mozart, wenngleich nicht exakt so wie im Barock), und da müsste man sich erst einarbeiten, denn einfach nur barocke Musik hören ohne jede Kenntnis (und mit Kenntnis meine ich nicht, dass man 10 Aufnahmen davon gehört hat, sondern theoretische Kenntnisse) wäre für mich unsinnig. Wagner und Humperdinck schreiben da ganz anders, das ist ganz andere Musik.


    Du hast die Sinfonien von Haydn angesprochen. Wäre es nicht z.B. eine spannende Entdeckungsreise, sich in den Noten umzusehen, beispielsweise nur beim Horn, und nachzuschauen, ob Haydn unschöne Töne verwendet, und wenn ja, WIE er sie verwendet, und WANN, also in welchen Situationen er das tut?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Du hast die Sinfonien von Haydn angesprochen. Wäre es nicht z.B. eine spannende Entdeckungsreise, sich in den Noten umzusehen, beispielsweise nur beim Horn, und nachzuschauen, ob Haydn unschöne Töne verwendet, und wenn ja, WIE er sie verwendet, und WANN, also in welchen Situationen er das tut?


    LG,
    Hosenrolle1


    Leider bin ich damit überfordert. Als Chorsänger in verschiedenen Vokalensembles habe ich leidlich gelernt, vom Blatt zu singen. Dazu kommt ein sehr gutes Gedächtnis. Partituren kann ich nicht lesen, auch die Noten von Instrumenten kann ich nicht lesen.
    Ich habe vor 25 Jahren das letzte Mal den Messias gesungen. Als mich unser örtlicher Kantor bat, beim Messias den Tenor zu verstärken, habe ich schon bei der 2. Probe keinen Fehler mehr gemacht.
    Noch eins: für mich ist Alte Musik mehr die Vokalpolyphonie wie etwa Palestrina oder Tomás Luis de Victoria und die Opern von Monteverdi und Cavalli, dazu die Motetten von Schütz. Barock kenne ich natürlich auch gut, wir haben das alles ja in meinen 5o Jahren als Chorsänger gesungen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Von einem Musiker bekam ich folgende Zuschrift - mit der Erlaubnis (nach Rückfrage), sie hier einzustellen. Die Analyse ist doch sehr bemerkenswert, weil sie auf ein Problem hinweist: Nicht alles, was in der Partitur eines Komponisten steht, ist auch gewollt. Die Frage entsteht immer, ob nicht bestimmte Dinge einfach überinterpretiert werden. Der Betreffende ist ebenfalls ein Liebhaber von HIP.


    Hosenrolle1 schreibt:


    "Das zweite Horn spielt ein C, das innerhalb der Naturtonreihe liegt und offen gespielt wird. Ein Horn spielt also halb gestopft, das andere offen - dadurch entsteht ein ganz eigener Mischklang.
    Im nächsten Takt dann spielen beide Hörner offene Töne (G und B) - hier ändert sich die Klangfarbe plötzlich!"


    "Also, wenn doch im ersten Takt eh schon ein Horn offen spielt und nur eines gestopft (und zwar ja offenbar trotzdem 'gut'), kann ich mir jetzt nicht so wirklich vorstellen, dass sich im dritten Takt, wenn dann beide Hörner offen spielen, dadurch die Klangfarbe so dramatisch ändert, und das auch noch absichtlich. In der Aufnahme ändert sich die Klangfarbe an der Stelle zwar vermeintlich auch, aber das liegt vielleicht weniger am Klang der Hörner, sondern eher am Harmoniewechsel. Außerdem darf man nicht vergessen, dass dem Komponisten trotz aller Freiheiten ja allein durch sein harmonisches Konzept sowie durch den Hang zu einem stimmigen Arrangement und guter Stimmführung durchaus Grenzen gesetzt sind, und ich würde doch sehr stark annehmen, dass er hier auch eher im Blick auf eine gute Stimmführung komponiert hat und nicht gerade gedacht hat, 'Ach, hier lass ich nur das eine Horn mal noch gestopft spielen und danach macht es dann auf'. Die offenen Töne danach sind mit absoluter Sicherheit als solche auch so gewollt, weil die sich hier optimal ergeben und ja quasi eh lieber genommen werden, wenn möglich, aber die 'Gestopftheit' davor ergibt sich denke ich vielleicht eher aus der Stimmführung als aus dem bewussten Willen nach halb gestopftem Klang.


    Das Beispiel von Brahms kann ich aber besser begründen als meine eben genannte Vermutung. Auch hier glaube ich, dass sich der gestopfte dumpfe Ton hier halt nun mal ergibt. In dem genannten Takt wird ein B-Dur-Akkord gespielt, das Horn spielt – so ergibt es sich aus der Stimmführung – ein notiertes F, also ein klingendes As und macht den Akkord damit sehr schön zum B-Dur-Septakkord, woraufhin das F (klingend As) auf dem folgenden Es-Dur-Akkord (nicht mehr im Beispiel abgedruckt) noch kurz als Quart-Vorhalt liegenbleibt und sich dann schön ins E (klingend G, die Terz von Es-Dur) auflöst. Aber das macht das Horn eben nicht, weil das F (bzw. As) gestopft gespielt werden muss und so 'schön' dumpf klingt, sondern weil die Melodie hier eben den Ton verlangt. Vielleicht hat sich Brahms an der Stelle ja sogar gedacht: 'Scheiße, dass man das Drecks-F auf dem Naturhorn nicht auch offen spielen kann! Dann wär alles viel stimmiger!' Wer weiß? Brahms bleibt hier jedenfalls kompositorisch fast nichts anderes übrig als einen gestopften Ton zu nehmen. Er hat nicht viel zur Auswahl! Ich halte das mit dem Wechsel der offenen zur dumpfen und zurück zur offenen Klangfarbe hier eher für einen Nebeneffekt – ob willkommen oder nicht.


    Der Aussage, die Forumsmitglied Hosenrolle1 hier treffen will, stimme ich trotzdem zu, weil es halt nun mal so ist, dass Brahms es, aus welchen Gründen eben auch immer, so komponiert hat, dass sich der Effekt der Klangfarbenänderung mit ergibt – und die ist, wenn man so will, deshalb auch irgendwo ein Teil des klanglichen Ergebnisses der Komposition. Aber darüber kann man sich aus oben genannten Gründen halt auch streiten. Man kann das so sehen, muss aber nicht. Die Aussage, dass die Komposition hier durch Verwendung eines Ventilhorns 'verändert, verfremdet und bearbeitet wird' ist so gesehen aber nicht wirklich stichhaltig."


    Schöne Grüße
    Holger

  • Eigentlich wollte ich zum Thema HIP hier nicht mehr viel sagen, weil eh jeder selbst wissen muss, was ihm wichtig ist. Ich will niemanden "bekehren", sondern nur Argumente liefern, wieso MIR etwas wichtig ist, und selbst dazu lernen.
    Aber dennoch hier meine Antworten:


    Der Betreffende ist ebenfalls ein Liebhaber von HIP.


    Als "Liebhaber" würde ich mich nicht bezeichnen. Mir ist nur wichtig, dass man sich sowohl dem Willen des Komponisten als auch einem Werk so weit wie möglich annähert. Für mich ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit, deswegen bin ich auch kein Liebhaber - für mich sind nur solche Interpretationen interessant.


    Also, wenn doch im ersten Takt eh schon ein Horn offen spielt und nur eines gestopft (und zwar ja offenbar trotzdem 'gut'), kann ich mir jetzt nicht so wirklich vorstellen, dass sich im dritten Takt, wenn dann beide Hörner offen spielen, dadurch die Klangfarbe so dramatisch ändert


    Keineswegs dramatisch, oft sind das kleine Feinheiten, die man oft erst beim mehrmaligen Hören wahrnimmt, und dann aber umso positiver auffallen. Aber ist das nicht eine der Dinge, die man in der klassischen Musik, speziell im Vergleich zur Popmusik, so oft preist, nämlich dass sie mehr Feinheiten hat, mehr Raffinessen, etc.?


    In der Aufnahme ändert sich die Klangfarbe an der Stelle zwar vermeintlich auch, aber das liegt vielleicht weniger am Klang der Hörner, sondern eher am Harmoniewechsel.


    Das spielt natürlich auch mit, aber auch Harmoniewechsel können dumpf oder offen oder eben wie eine Mischung aus beidem Klingen, mit vielen Abstufungen. Leider hatte ich noch nicht die Gelegenheit so etwas ordentlich zu hören. Ja, die Freischütz-Aufnahme unter Weill, aber da war die Tontechnik nicht berauschend, aber dennoch war es spannend, sich die Aufnahme mit Partitur anzuhören und darauf zu achten, wo Töne wie gestopft werden, und wie das dann klingt. Ein paar Unterschiede hat man doch gehört, aber das hängt natürlich auch von der Tontechnik und etwa dem Tempo ab - wenn alles gehetzt wird, hört man gar nichts.


    Außerdem darf man nicht vergessen, dass dem Komponisten trotz aller Freiheiten ja allein durch sein harmonisches Konzept sowie durch den Hang zu einem stimmigen Arrangement und guter Stimmführung durchaus Grenzen gesetzt sind, und ich würde doch sehr stark annehmen, dass er hier auch eher im Blick auf eine gute Stimmführung komponiert hat und nicht gerade gedacht hat, 'Ach, hier lass ich nur das eine Horn mal noch gestopft spielen und danach macht es dann auf'.


    Was er gedacht hat kann ich nicht sagen. Sicher spielt die Stimmführung eine Rolle, aber Brahms hat sich bewusst für das Naturhorn entschieden, und zu seiner Zeit war das Ventilhorn schon voll ausgereift. Ich las einmal, dass er auch kein Freund des Ventilhorns war, und auf einer Schallplatte aus den 1980er Jahren sieht man ihn auf einer alten Photographie zusammen mit vielen anderen Hornisten - alles Naturhörner.


    Vielleicht hat sich Brahms an der Stelle ja sogar gedacht: 'Scheiße, dass man das Drecks-F auf dem Naturhorn nicht auch offen spielen kann! Dann wär alles viel stimmiger!'


    Wie gesagt, er hätte problemlos für das Ventilhorn komponieren können, dann klänge dieser Ton auch "sauber".


    Die Aussage, dass die Komposition hier durch Verwendung eines Ventilhorns 'verändert, verfremdet und bearbeitet wird' ist so gesehen aber nicht wirklich stichhaltig."


    Hier möchte ich die NMA in einem Vorwort zitieren:


    Lange Zeit hat man das Inventionshorn über dem in gewisser Hinsicht praktischeren Ventilhorn vergessen. Glücklicherweise sind heute wieder Bestrebungen im Gang, dem Naturhorn zu einer neuen Blüte zu verhelfen. Nachbau von Instrumenten und Unterrichtsmöglichkeiten lassen die Vorteile des ventillosen Instruments für die Musik des 18. Jahrhunderts auch in der Praxis evident werden. An erster Stelle steht wohl der Effekt des unnachahmlichen Hornklangs in der entsprechenden Tonart, in der das Instrument gebaut ist und die jeweils vom betreffenden Musikstück verlangt wird. Hornstimmen auf einem Naturinstrument geblasen verleihen z.B. einer Sinfonie ein viel reineres und tieferes Tonalitätsgefühl, eine bedeutend charakteristischere Tonartenfarbe als mit einem Ventilinstrument. Und auch das im harmonischen Ablauf eines Satzes sich ergebende Entfernen von der Tonalitätsmitte wird durch Naturhörner klanglich intensiver erlebbar. Hinzu kommt, dass sich gewisse Bindungen auf dem Naturhorn besser und nahtloser ausführen lassen als auf dem Ventilinstrument. Weitere Vorzüge sind leichte Ansprache und Präsenz, wie sie auf einem Ventilinstrument mit seinen vielen konstruktionsbedingten Verbindunbgsmuffen und kompakten Windungen in dem Maße nicht möglich sind.


    Ein Argument, das ich schon häufig gebracht habe, ist der Klang des Instrumentes bei höheren Lautstärken. Hierzu ein Ausschnitt eines Interviews mit Harnoncourt, in dem es zwar um den Unterschied zw. Natur- und Ventiltrompete geht, aber für das Horn gilt das ebenfalls:


    Zitat

    Zum Beispiel die Trompeten, um bei den Blechbläsern zu bleiben. Bei Beethoven werden die Trompeten fast immer für Aufrufe, Signale, all´ armi, auch zur Darstellung des Heros verwendet, das heißt, es gibt bestimmte Rhythmen und Motive, die der Trompete gehören: punktierte Rhythmen, Tonwiederholungen; diese verlangen von ihrer Klanggeste her einen schmetternden Klang. Die Naturtrompete, die doppelt so lang ist wie die entsprechende Ventiltrompete, schmettert auf Grund der langen Luftsäule bereits im Mezzoforte. Der Trompeter brauchte also gar nicht sehr laut zu spielen, diese trompetentypischen Figuren werden ganz deutlich über ein laut spielendes Orchester erkennbar. Die kurze moderne Ventiltrompete schmettert aber erst weit über dem Forte. Das heißt, wenn ich in der Dynamik richtig spiele, also im Mezzoforte, höre ich sie nicht, wenn ich sie im Gestus richtig spiele, schmetternd, ist sie viel zu laut. Ich habe also mit einer modernen Trompete keine Möglichkeit, einen der Komposition adäquaten Klang zu erzeugen. Es ist einfach unmöglich, das kann der beste Trompeter nicht, da muss man irgendwie künsteln, vielleicht noch etwas kürzer spielen, aber im Grunde ist es unmöglich. Ich muss also wählen: Ist die richtige Geste, der richtige Inhalt das Wichtigere, dann muss ich in Kauf nehmen, dass die Hörer nachher sagen, die Trompeter haben zu laut gespielt, oder sie spielen die richtige Lautstärke, dann entsteht ein unverbindlicher symphonischer Klang, in dem die wirkliche Aussage nicht mehr zur Geltung kommt.


    Ich finde, dass es sehr wohl ein deutlicher Unterschied ist, ob ein Blechblasinstrument schmettert und roh klingt, oder ob es weich klingt. Wenn ein Komponist diesen schmetternden Klang mit Hilfe einer entsprechenden Dynamikvorschrift erzeugen wollte, um eine bestimmte Aussage, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, und das Ganze dann aber zu weich klingt, dann ist das für mich durchaus eine Verfälschung.


    Aber es gibt tatsächlich Bearbeitungen, von denen H. berichtet (Hervorhebung von mir):


    Zitat

    Ein konkretes Beispiel: Beethoven verwendet (außer im 4. Horn der Neunten Symphonie) Naturhörner; die kann man aber melodisch nicht in Oktaven führen, weil nur das 1. Horn eine Melodie ausführen kann. Beethoven führt aber trotzdem das 2. Horn sozusagen in Oktaven dazu und springt bei den fehlenden Tönen, die in der tieferen Lage eben nicht vorhanden sind, in die obere Lage, das heißt, es entstehen keine Oktaven, sondern abwechselnd Oktaven und Einklänge, und so hüpft das 2. Horn immer hin und her. Das ergibt für den Spieler des 2. Hornes eine eigenartige Stimmführung. In der Partitur sieht das sehr merkwürdig aus. In der Praxis wird das fast immer geändert, weil man ja die heutigen Ventilhörner ohne weiteres in Oktaven führen kann. Ich finde das falsch, denn die melodische Führung von zwei Naturhörnern bedingt eben diesen bunten Klang, und nur dann, wenn ich heute diesen bunten Klang schlecht finde, ihn ablehne und mittels Ventilhörnern verändere, die „fehlenden“ Töne ausfülle, kann ich die Veränderung als Verbesserung bezeichnen. Aber ich bin überzeugt, dass Beethoven, wenn er für das 2. Horn ein Ventilhorn gehabt hätte, er nicht nur dort diese Oktaven geschrieben hätte, sondern die gesamte Konzeption eines Werkes anders aufgebaut hätte. Man kann nicht punktuell das sogenannte Unvermögen der alten Instrumente korrigieren, jeder Apparat hat Beschränkungen (…) Jede Beschränkung, jedes spieltechnische, klangliche Problem ist eben auch eine Inspirationsquelle für den Komponisten. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass diese Schwierigkeiten, auch die Grenzen der Singstimme – das kann man bei Beethoven ganz deutlich erkennen – ein wichtiger Bestandteil der Inspiration sind. Wahrscheinlich sind sie auch die einzige Möglichkeit für den Komponisten, das Scheitern in die Komposition einzubeziehen. Denn der Komponist will ja nicht eine konfliktfreie Marmelade vor uns ausbreiten, sondern er will menschliche Situationen mit all ihren Abgründen und mit ihrem Scheitern darstellen. Wenn dieses Scheitern sozusagen vom heutigen Aufführungspraktiker ausradiert wird, dann wird die Komposition verändert. Und da bin ich einfach dagegen.


    Berlioz schreibt in seiner "Instrumentationslehre" aus den 1840er Jahren - lange vor HIP - im Kapitel über das Naturhorn Sachen wie diese:


    Zitat

    Mehrere Komponisten haben gegen diese neuen Instrumente [Ventilhörner, Anm.] eine gewisse Abneigung, weil dieselben seit ihrer Einführung ins Orchester von manchen Hornisten auch dann gebraucht werden, wenn das gewöhnliche Horn vorgeschrieben ist, da die Bläser es bequemer finden, durch diesen Mechanismus die gestopften Töne als offene vorzutragen, während der Komponist gerade die besondere Wirkung der gestopften Töne haben wollte.


    Er nennt das einen "gefährlichen Missbrauch" des Ventilhorns.


    Weiter:


    Zitat

    Wenn man die gestopften Töne nicht um eines besonderen Zweckes willen verwendet, muss man wenigstens diejenigen vermeiden, deren Klang zu schwach und den anderen Tönen des Hornes zu unähnlich ist. Der Art sind das d und des unter der Linie, das tiefe a und b und das as in der Mittellage, welche nie als bloße Füllnoten, sondern nur einer ihrem dumpfen, rauhen und wilden Klange entsprechenden Wirkung wegen angewendet werden sollten. Das tiefe b ist einmal in vortrefflicher dramatischer Absicht von Weber in der Szene des „Freischütz“, wo Kaspar den Samiel beschwört, angewandt worden; aber dieser Ton ist so sehr gestopft und daher so dumpf, dass man ihn kaum vernimmt, falls nicht das ganze übrige Orchester bei seinem Erklingen schweigt.(…) In Szenen geheimen Grauens können diese gestopften Töne, mehrstimmig angewandt, von großer Wirkung sein.


    Komponisten haben die Instrumente, die sie kannten, studiert, sei es durch Instrumentationslehren, sei es durch befreundete Musiker, die ihnen die Möglichkeiten des Instruments (wie etwa Leutgeb das laut NMA höchstwahrscheinlich bei Mozart getan hat), sei es durch das Studium fremder Partituren. Sie wussten, welche Töne wie klingen, kannten die Stärken und Schwächen sowie alle möglichen Spieltechniken. Und mit diesen Eigenschaften hat er gearbeitet, indem er so kunstvoll wie möglich die Stärken und die Schwächen gezielt eingesetzt hat für seine Zwecke.
    Wer weiß, vielleicht hat ein Hornist einem Komponisten etwas vorgespielt und dabei viele gestopfte Töne verwendet, und der Komponist wurde durch den eigenen Klang dieser Töne zu einem neuen Stück inspiriert? Das möchte ich dann auch als Hörer erleben können, statt dass die Töne beispielsweise alle offen klingen.


    Eine andere Frage ist, was dem Hörer wichtig ist. Wenn einem solche Dinge egal sind, dann stößt jedes Argument, egal ob nachvollziehbar oder nicht, ob stichhaltig oder nicht, auf taube Ohren, weswegen ich zu diesem Thema eigentlich nichts mehr sagen möchte.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Komponisten haben die Instrumente, die sie kannten, studiert, sei es durch Instrumentationslehren, sei es durch befreundete Musiker, die ihnen die Möglichkeiten des Instruments (wie etwa Leutgeb das laut NMA höchstwahrscheinlich bei Mozart getan hat), sei es durch das Studium fremder Partituren. Sie wussten, welche Töne wie klingen, kannten die Stärken und Schwächen sowie alle möglichen Spieltechniken.

    Wenn ein Komponist sich grundsätzlich für ein Instrument entscheidet, muss das aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass dieser Vorzug dann in jeder einzelnen gespielten Note der Partitur deutlich wird oder werden müsste. Es kann eben auch bedeuten, dass er die Vorzuge an solchen für ihn wichtigen Stellen schätzte, an anderen dafür aber bereit war, Kompromisse einzugehen, wo das andere Instrument vielleicht besser gewesen wäre. Man sollte schon aufpassen, dass man solche Dinge nicht idealisiert und auf diese Weise überinterpretiert. Das glaube ich will dieser Beitrag sagen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wenn ein Komponist sich grundsätzlich für ein Instrument entscheidet, muss das aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass dieser Vorzug dann in jeder einzelnen gespielten Note der Partitur deutlich wird oder werden müsste. Es kann eben auch bedeuten, dass er die Vorzuge an solchen für ihn wichtigen Stellen schätzte, an anderen dafür aber bereit war, Kompromisse einzugehen, wo das andere Instrument vielleicht besser gewesen wäre.


    Das ist durchaus möglich, aber wer kann konkret sagen, was ein Komponist genau dachte, was ihm wichtig war, usw.?
    Sicher kann manches ein Kompromiss gewesen sein, aber offenbar einer, der für den Komponisten vertretbar war, sonst hätte er das Instrument weggelassen oder für ein anderes geschrieben.
    Es kann ja auch möglich sein, dass er bei einer Probe gehört hat, dass es nicht passt, und seine Musik umgeschrieben hat, manche Töne anderen Instrumenten gab, weggelassen hat, was auch immer.




    LG,
    Hosenrolle1