Einschränkungen von Pianisten im Alter (???)

  • Immer wieder liest man von nachlassenden manuellen Fähigkeiten von Pianisten im Alter. Das mag zwar sicher in gewisser Weise stimmen, man sollte es aber nicht überbewerten. Es wird ja auch berichtet, daß sich einige berühmte Pianisten erst im Alter wirklich emotionell entfalteten, andere wieder blieben durch die Jahre hindurch gleichermaßen zuverlässig. So mancher Pianist, den wir aus den frühen Tagen der Stereophonie als "altersweisen Interpreten " kennen- und schätzen lernten, war in seiner Jugend ein richtiger "Haudrauf" oder - eleganter formuliert - ein feuriger Wirbelwind. Die Beurteilung ist natürlich kaum neutral zu bewältigen. Was der eine als abgeklärte Deutung gedämpfter Herbstfarben beschreibt, sieht ein anderer als "Zeichen pianistischen Niedergangs"
    Ich habe das vielleicht ein wenig übertrieben, aber ich kann mich erinnern, daß ein Pianist meiner Generation für kurze Zeit Mitglied meines damaligen weiteren Bekanntenkreises (als wir beide etwa Mitte 20 waren) sich nicht sehr positiv über Kollegen geäussert hat, die bis ins fortgeschrittene Alter Schallplattenaufnahmen machten. Das waren keine persönlichen Angriffe, sondern eine allgemeine Ansicht - unerbittlich aber fundiert.
    Und er konnte manuelle Unzulänglichkeiten natürlich hören, ebenso wie er alle Kunstkniffe kannte, sie zu kaschieren oder - im wahrsten Sinne des Wortes - zu überspielen.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich wüüste da einige Beispiele zu nennen lieber Alfred, wo Pianisten "im Alter" technisch nachließen. Wer lässt im Alter nicht nach. Ich komme gerade von meinem Arzt zurück, wo wir genau über dieses Problem des Nachlassens im Alter gesprochen hatten, allerdings in einem anderen Zusammenhang.
    Ein Beispiel will ich dann doch nennen, und zwar betrifft es Wilhelm Kempff, der zwischen Januar 1964 und Januar 1965, also kurz nach nach seinem 68. Geburtstag bis kurz nach seinem 69. Geburtstag, alle Beethoven-Sonaten im Beethovensaal zu Hannover aufgenommen hat. Es wird berichtet, vor allem bei den öffentlichen Aufführungen, in denen er auch alle Sonaten gespielt hat, dass er sich zwar gelegentlich verspielt hat, aber ein so intensives und zu Herzen gehendes Spiel geboten hat, dass nicht wenige Zuhörer wiederholt Tränen der Ergriffenheit in den Augen hatten.
    Vom laufenden Thread über die Hammerklaviersonate habe ich mal die Seite mit der Besprechung dieser Sonate, aufgenommen im Januar 1964, vermutlich als erste Sonate der Gesamtaufnahme, verlinkt:
    Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate", CD (DVD)-Renzensionen und Vergleiche (2017)
    Aus meiner Besprechung geht hervor, dass Pianisten, auch wenn sie nie zu den ganz großen Virtuosen gehört habe wie z. B. Rubinstein, Horowitz oder Arrau, auch im Alter noch zu interpretatorischen Großtaten fähig sind, was sich nicht unbedingt auf das rein Handwerkliche bezieht. Jedenfalls ist das meine Meinung.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Arthur Rubinstein hat die fünf Klavierkonzerte von Beethoven dreimal komplett in Stereo eingespielt: Mit mit Symphony of the Air (Ex-NBC Symphony Orchestra) unter Josef Krips 1956, mit dem Boston Symphony Orchestra unter Erich Leinsdorf 1963/64 und schließlich mit dem London Philharmonic Orchestra unter Daniel Barenboim 1975. Er war bei allen drei Zyklen kein junger Mann: 69, 76/77 und schließlich gar 88 Jahre alt. Alle diese Einspielungen haben ihre Meriten. Am meisten schätze ich aber die ganz späten, die eine aristokratische Noblesse ausstrahlen, wie man sie bei diesen Werken ganz selten hört.



    Derzeit scheinbar alle vergriffen. Wäre mal wieder Zeit für eine Neuauflage. Als LP sah das so aus:



    Für Alfreds Bekannten dürfte Rubinstein ja geradezu ein Paradebeispiel gewesen sein für die greisen Pianisten, die besser in Rente gegangen wären ... :stumm:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mein Lehrer sagt immer: Es gibt die Fingertechniker und die, welche mit dem Arm und Körpereinsatz kraftaufwendig und -verschwenderisch spielen. Erstere verlieren auch im hohen Alter nicht: Horowitz, Gould, Michelangeli, Rubinstein.... - letztere bauen merklich ab. Man muss nur dem 90jährigen Rubinstein auf die Finger schauen! Eine Augenweide, ergonomischer geht es nicht! Natürlich ändern sich Körperhaltung (Anspannung), Tempoempfinden usw. So sitzt Horowitz im Alter deutlich gerader am Flügel als früher. Bei Pollini ist die ungeheure Wucht seines Spiel im Alter nicht mehr da, aber die Finger sind sehr, sehr beweglich geblieben! Arrau spielt im hohen Alter nicht mehr so wuchtig, aber das vermisst man auch nicht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Auch wenn es nicht so aussieht, lieber Jospeh, bekommst du in dieser Box:



    Nicht nur die fünf KK mit Rubinstein/Barenboim, sondern obendrein noch 4 KK von Mozart, die beiden KK von Brahms, KK Grieg, KK Schumann, die breiden KK von Chopin, KK Saint Saens 2, Tschaikowsky 1, Liszt 1, Rach 2 und diverse Piecen von de Falla, Chopin und die 4. Symph. für Klavier und Orchester von Szymanowsky, alles mit Rubinstein auf 11 CD's.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Mein Lehrer sagt immer: Es gibt die Fingertechniker und die, welche mit dem Arm und Körpereinsatz kraftaufwendig und -verschwenderisch spielen. Erstere verlieren auch im hohen Alter nicht: Horowitz, Gould, Michelangeli, Rubinstein....

    Lieber Herr Dr., Glenn Gould, der hier wohl gemeint ist, wurde ganze 50 Jahre alt, das ist wahrlich kein hohes Alter. So werden wir nie erfahren, ob er im Alter Einschränkungen hatte.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Ich glaube nicht, daß Dr. Kaletha auf jemanden bestimmten anspielte, und vermutlich am wenigsten auf Glenn Gould, der ja ein Thema für sich ist. (eigenartigerweise ist es in "seinem "Threads eher still geworden) Enweder man betrachtet ihn als "Genie" oder aber man findet sein Spiel als Verunstaltung des Werks. Gould hatte ja von Anfang an seine Fangemeinde, die in unerschütterlicher Treue zu ihm hielt. Diese Anhänger waren ziemlich "auffallend", so daß es schwierig ist, einzuschätzen wie er vom "durchschnittlichen" Klassikhörer wahrgenommen wurde.....
    Zurück zum Thema: Abgesehen vom durch Dr. Kaletha angesprochenen "Gebarens" des Pianisten, gibt es noch weitere Aspekte, so beispielsweise das Kernprogramm, die Attitüde in der Jugend und die Erwartungshaltung des "Stampublikums" War der Künstler am Beginn seiner Karriere für seinen ungestümen Stil berühmt - so wird man eine altersbedingte Veränderung eher wahrnehmen als beim eleganten ausgewogenen Vortrag. Im Prinzip deckt sich das mit der Aussage von Dr. Kalethas Lehrer, weitgehend ähnliche Sichtweise - mit anderen Worten gesagt.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Einen IMO gut dokumentierten Fall von Nachlassen der "Strahlkraft" eines Pianisten stellt Wilhelm Kempff dar (Ich verehre ihn sehr !!)
    So wird in weiten Kreisen seiner Mono-Aufnahme aller Beethoven Sonaten (1951-1956) der Vorzug gegenüber seiner später erschienen Stereo-Einspielung (1964-1965) gegeben, was sich sogar im geringfügig höheren Preios der Mono-Aufnahme ablesen lässt. Es gab jedoch schon lange zuvor (etwa um 1925) einen älteren Zyklus, der allerdings nur 14 der 32 Sonaten umfasst (Schellackperiode) und teilweise sogar noch in die Zeit der "akustischen Aufnahmen" (= Trichter statt Mikrophon) zurückreicht.
    Im Fall des ersten Zykus meine ich, er habe allenfalls noch eine historische Bedeutung, wogegen der 2. Mono Zyklus bereits mit einem ausgezeichneten Klavierklang aufwarten kann.... Ob die Technik von Kempff zwischen 1955 und 1965 gelitten hat - da möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Herr Dr., Glenn Gould, der hier wohl gemeint ist, wurde ganze 50 Jahre alt, das ist wahrlich kein hohes Alter. So werden wir nie erfahren, ob er im Alter Einschränkungen hatte.

    Ja, er war aber mit 50 schon so krank und kräftemäßig schwach, dass er mit dieser Konstitution Anderen mit 70 durchaus vergleichbar ist. Zum anderen ist er das Beispiel für einen reinen Fingertechniker - seine Ellenbogen hängen bezeichnend unter dem Flügel. Gould hatte eine unglaubliche Fingerunabhängigkeit, welche sein Spiel von polyphoner Musik eben so besonders machte.

    Ich glaube nicht, daß Dr. Kaletha auf jemanden bestimmten anspielte, und vermutlich am wenigsten auf Glenn Gould, der ja ein Thema für sich ist. (eigenartigerweise ist es in "seinem "Threads eher still geworden)

    Stimmt, lieber Alfred. Im Moment komme ich einfach kaum zum Musikhören, die ungehörten CDs stapeln sich. Entsprechend ist in meinen Threads auch wenig los. :)

    Einen IMO gut dokumentierten Fall von Nachlassen der "Strahlkraft" eines Pianisten stellt Wilhelm Kempff dar (Ich verehre ihn sehr !!)
    So wird in weiten Kreisen seiner Mono-Aufnahme aller Beethoven Sonaten (1951-1956) der Vorzug gegenüber seiner später erschienen Stereo-Einspielung (1964-1965) gegeben, was sich sogar im geringfügig höheren Preios der Mono-Aufnahme ablesen lässt.

    Kempff zeigt, dass die Bewertung des Alters doch sehr kompliziert ist. Erst einmal war Kempff nie der perfekte Techniker. Mein Lehrer, auch ein Kempff-Bewunderer, sagte zu seinen manuellen Fähigkeiten mal schön und absolut treffend: "genial gepfuscht". :D Klaviertechnisch mogelt sich Kempff eigentlich immer irgendwie durch, aber ohne dass es unangenehm auffällt. Von nachlassender Strahlkraft der letzten Stereo-Aufnahme würde ich nicht sprechen. Denn oft ist er da am konsequentesten. So hat er im Alter einen sehr rhetorischen Stil, den er in der letzten Aufnahme auch konsequent durchführt. Das ist dann eine neue Dimension. Früher hat man die alte Spielweise als altmodisch abgetan. Sicher, so wie er 1930 spielt kann man heute nicht mehr spielen. Aber man entdeckt auch, was an ungeheurer Musikalität durch den neusachlichen Purismus alles verloren gegangen ist. Es ist natürlich immer so, dass einzelne Sonaten in der einen oder anderen Aufnahme stärker oder schwächer ausfallen. Auf das Alter würde ich das aber nicht zurückführen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Von nachlassender Strahlkraft der letzten Stereo-Aufnahme würde ich nicht sprechen. Denn oft ist er da am konsequentesten. So hat er im Alter einen sehr rhetorischen Stil, den er in der letzten Aufnahme auch konsequent durchführt.


    Das möchte ich bestätigen und an einer Aufnahme, die er sicher in der in Rede stehenden GA (1/1964 - 1/1965) mit zuletzt aufgenommen hat, der Sonate Nr. 27 e-moll op. 90, belegen:


    Nie wieder habe ich den zweiten Satz "Nicht zu geschwind und sehr singbar vorzutragen" wieder so intensiv und berührend gehört wie in der o. a. Aufnahme, wie ich finde, so vollkommen in Übereinstimmung mit den Intentionen des Komponisten. Es müsste sich um diese Aufnahme handeln:


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo,


    ich denke auch, dass um so ergonomischer die pianistische Technik der Künstler von Beginn an ist, desto sicherer sind sie auch im höheren Alter. Viele Beispiele wurden genannt. Man muss im höheren Alter überlegen, ob man hochvirtuose Werke unbedingt spielen sollte. Geistige Frische und mentale Stärke spielen eine große Rolle! Außerdem muss man gesundheitlich Glück haben. Alexis Weissenberg musste z.B. seine Konzertkarriere wegen Parkinsonscher Erkrankung aufgeben.


    LG Siamak

  • Als einer der zuberlässigstsen Pianisten im Alter (das beziht sich auf eventuelle Verspieler oder sonstige technische Abnützungserschienungen) war Wilhelm Backhaus.
    Der Mann muss über einen außergeöhnlichen Willen gehabt haben. Als er am 28. Juni 1969 während eines Konzerts in Ossiach einen Schwächeanfall erlitt, bat er das Publikum, das Programm abändern zu dürfen. Er spielte an Stelle des geplanten Programmes drei Zugaben. Am 5. Juli 1969 starb er in Villach.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !