Amelia Grimaldi - Guanqun Yu
Simon Boccanegra - Claudio Sgura
Jacopo Fiesco - Alexander Vinogradov
Gabriele Adorno - Massimo Giordano
Paolo Albiani - Alexey Bogdanchikov
Pietro - Alin Anca
Philharmoniker Hamburg und Chor der Staatsoper Hamburg unter der musikalischen Leitung von Christoph Gedschold;
Inszenierung Claus Guth, Bühnenbild und Kostüme Christian Schmidt, Licht Wolfgang Göbbel.
(34.Vorstellung seit der Premiere am 5.Februar 2006)
In den Programmheften der Hamburger Staatsoper findet sich häufig (leider nicht immer) eine Aufstellung vergangener Produktionen des Werkes, was zuweilen recht interessante Einblicke in die jeweilige Aufführungsgeschichte. So scheint es mit der Hamburger Erstaufführung des Simon Boccanegra im Jahre 1931 (auf einen deutschen Text von Franz Werfel(!), der u.a. auch einen großen - und wie ich finde sehr guten - Verdi-Roman geschrieben hat) insgesamt nur vier Inszenierungen dieser Oper gegeben zu haben: Nach der Erstaufführung mit 11 Vorstellungen eine weitere Ende 1940 ebenfalls in deutsch (Text Carl Stueber) u.a. mit Hotter in der Titelpartie und Ferdinand Frantz als Fiesco unter der musikalischen Leitung von Hans Schmidt-Isserstedt, für welche lediglich acht Aufführungen verzeichnet sind. Dann war es 50 Jahre still um Verdis "Spätwerk" (2te Fassung von 1881), bis es 1991 zu einer neuen Produktion in der Regie von Tony Palmer u.a. mit Bernd Weikl (Boccanegra), Jewgenij Nesterenko (Fiesco) und Fabio Lusisi am Pult kam - die Inszenierung, die es in einem Jahr von Oktober 1991 bis Oktober 1992 immerhin auf 16 Aufführungen brachte, habe ich wohl gesehen, allein die Erinnerungen sind verschwommen ... Seit 2006 schließlich läuft hier am Haus relativ regelmäßig die Guth-Inszenierung (Premierenbesetzung u.a. Grundheber (Boccanegra), Tomlinson (Fiesco) und GMD Simone Young), welche es am Ende der laufenden Serie auf soviele Aufführungen gebracht haben wird, wie all ihre Vorgänger zusammen. Ein weiteres bemerkenswertes Detail ist vielleicht, dass der Simon Boccanegra eine der letzten Opern gewesen ist, die die ehemalige GMD Simone Young in Hamburg dirigiert hat (vgl. auch den Bericht von Ralf Beck) und eigentlich hätte damals ihr zu Ehren der inzwischen wohl als "unverwüstlich" zu bezeichnende Plácido Domingo die Titelrolle übernehmen sollen, ist dann aber leider krankheitsbedingt ausgefallen.
Anmerkung. Auf youtube findet sich eine Aufzeichnung aus dem Gran Teatre del Liceu, Barcelona aus 2016 (zuletzt aufgerufen am 28.10.2017), in welcher Domingo, der den Boccanegra mittlerweile ja fest in sein (Rest-)Repertoire aufgenommen hat, diese Rolle zu seinem dortigen 50jährigen Bühnenjubiläum "singt". Ihm zur Seite ein mich ebenfalls nicht überzeugender Furlanetto als Fiesco, dafür ein wirklich guter Gabriele Adorno gesungen von Ramón Vargas.
Kommen wir zum gestrigen Abend: Wir, dass heißt mein kleiner, privater "Kulturverein", waren heuer zu fünft und haben - ohne zuviel zu verraten - gegen 22 Uhr alle recht zufrieden das Haus wieder verlassen. Zuvor gab es einen etwas mehr als zweieinhalbstündigen Verdi-Opernabend mit guten bis hervorragenden Gesangsleistungen in einer der besseren Inszenierungen von Claus Guth. Am meisten Lob verdient m.E. Alexander Vinogradov als Fiesco, dessen im wahrsten Sinne des Wortes wohltönender Bass in jedem Moment den Raum zu füllen vermochte, nie ins "nuschelnde" abglitt und über eine immense Tiefe zu verfügen scheint. Neben ihm sang Claudio Sgura einen adäquaten Boccanegra. Ihre beiden gemeinsamen großen Szenen im Prolog, sowie im letzten Akt ließen einen wahrlich wohlige Schauer über den Rücken laufen. Sgura, der zuletzt an Den Norske Opera in Oslo als Scarpia reüssierte, liefert hier ein nicht nur sängerisch, sondern, in der große Präzision erforderten Inszenierung, auch schauspielerisch beeindruckendes Rollendebüt ab.
Stimmlich ein wenig unterkühlt, wenngleich im Laufe des Abends flüssiger erschien mir Guanqun Yu. Was auf jeden Fall vorhanden war, eine sichere und sehr klare Höhe. Allerdings passte ihr Timbre und das des Gabriele Adorno, gesungen von Massimo Giordano, in meinen Ohren nicht uneingeschränkt gut zusammen. Zudem verfügt Giordano zwar über eine kräftige, aber dynamisch etwas eindimensionale ("laut", "lauter", "noch etwas lauter") Stimme. Entgegengesetzt dazu der Paolo Alexey Bogdanchikovs, welcher in den entscheidenende Stellen, wie z.B. am Ende des ersten Aktes nicht gut zu hören war und der in seiner Verzweifelung auch nicht wirklich überzeugend wirkte. Christoph Gedschold, seit 2015/16 Kapellmeister an der Oper Leipzig, lieferte ein transparentes Verdi-Dirigat, mit kleinen Überraschungen, wie z.B. einem plötzlich stark angezogenem Tempo im Finale des Prolog und viel Rücksicht auf einzelne Instrumente etwa in der L'aurora-Einleitung des ersten Aktes.
Die Inszenierung, die im Wesentlichen in einem Einheitsbühnenbild eines weißen Saales mit abwechselnd "Spiegel", Gemälde oder Türen im Hintergrund (nicht unähnlich der hiesigen Luisa Miller in der Homoki-Inszenierung) spielt, interpretiert das Werk vom Ende her. Zu Beginn sehen wir den toten Boccanegra, die Figuren bewegen sich rückwärts und das Drama nimmt - 25 Jahre zuvor - seinen Lauf. Die typisch Guthsche Figurendoppelung sehen wir diesesmal nur für den Titelhelden, der sich z.B. so gleichzeitig im "Spiegel" (ein Rahmen mit einem weiteren Hintergrund-Bühnenbild antsprechend dem Vordergrund, eine ziemlich gut gemachte Illusion) und auf der Bühne bewegt. Insgesamt ist Verdis Oper bei Claus Guth eher eine Kammeroper, die den Fokus auf die zwischenmenschlichen Situationen lenkt und die politischen Dimensionen des Werkes eher in den Hintergrund rückt. Am ehesten ist noch Boccanegra selbst, dessen Gefangenheit in den politischen Zwängen am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Bestimmend (und gleichzeitig am rätselhaftesten) für den Verlauf der Zeit ist ein großer Felsbrocken, der im Prolog die Decke des Saales grad eben durchbricht um im letzten Bild am Boden aufgeschlagen die Schicksale der Personen trotz des verdischen Pseudo-Happy-Endes zertrümmert zu haben scheint.
Als nächstes steht am kommenden Samstag Monteverdis Il ritorno d'Ulisse in patria auf meinem Programm, welcher morgen an der Hamburger Staatsoper Premiere feiert und (für alle interessierten) live im Radio auf NDRkultur übertragen wird (siehe hier).