Pierre Boulez Livre pour Quatuor

  • Um das einzige Streichquartett von Pierre Boulez habe ich lange Zeit einen großen Bogen gemacht. Das war auch nicht schwer, denn es gab praktisch auch keine Aufnahmen. Inzwischen weiss ich, das sowohl des Quatuor Parrenin als auch das Quatuor Parisii welche gemacht haben, aber auch die sind mir nie über den Weg gelaufen und nicht greifbar. Als ich kürzlich entdeckte, dass das von mir sehr geschätzte Quatuor Diotima in 2015 eine Neuaufnahme eingespielt hat, gab es dann kein gutes Argument mehr, sich nicht mit diesem Werk auseinanderzusetzen.
    Boulez hat das Werk 1948 als 23-jähriger begonnen und eine 6-sätzige Version entwickelt. Das war um die Zeit als er seine 2. Klaviersonate komponierte. Der Titel Livre pour Quatuor war eine Hommage an Mallarmé und dessen Idee eines Buches, bei dem man die Kapitel austauschen und umstellen kann. So ist auch das Streichquartett konzipiert, die Sätze können beliebig kombiniert werden und müssen auch nicht alle immer aufgeführt werden. Verschiedene Teile wurden auch zu verschiedenen Zeiten uraufgeführt. Bei youtube kann man diverse Zusammenstellungen hören. Das Gesamtwerk kam erst 1985 durch das Arditti Quartett zur Aufführung. Die Partitur hat Boulez nie richtig abgeschlossen, der vierte Satz z.B. liegt bis heute nicht vor. In den letzten Jahren hat er mehrere Überarbeitungen vorgenommen, da das Stück praktisch wohl m.o.w. unaufführbar war und einen Dirigenten benötigt hätte. Die letzte Überarbeitung erfolgte Anfang des Jahrzehnts in Zusammenarbeit mit den Diotimas und stellt sozusagen die letzte Version dar, die aber auch noch ein Fragment ist.
    In dieser Version "revise" haben es die Diotimas eingespielt und das wird vermutlich in Zukunft die Referenzversion sein. Das Werk hat in dieser Form ca. 45 min Spiellänge, aber man kann die verschiedenen Teile - wie erwähnt - auch einzeln hören. Das habe ich in den letzte Tagen auch getan, als Ganzes habe ich das Stück noch nicht gehört, 15-20 Minuten reichen mir meistens. Außer einigen Sachen von Carter und Ferneyhough gibt es vermutlich kaum etwas komplexeres fürs Streichquartett, aber wenn man bereit ist, sich einzuhören, kann man schon eine fremdartige Schönheit in den Klängen entdecken.


  • Lieber Lutz,


    die Beschäftigung mit dem Boulez-Quartett reizt mich auch sehr - Dank Deines Threads werde ich das in meinem Kopf speichern!


    Wie schön, dass Du wieder da bist! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger