Themenschwerpunkt "Marseillaise"

  • Die "Marseillaise" wurde heute in einem anderen Thread bereits gestreift, und zwar in jenem von Viotti. Würden wir das Thema dort ausdiskutieren, bliebe Viotti auf der Strecke, denn über die Marseillaise gäbe es viel zu sagen. Allein der Wikipedia-Beitrag ist schon ein Wust an Informationen.
    Dieses Thema wurde indes schon in anderen Threads gestreift, zum Beispiel in jenem, wo es um Bundeshymnen und Kaiserhymnen ging, die als Themen zu anderen klassischen Stücken dienten. Aber fast überall waren es einige wenige Themen, die diese Threads fast für sich beanspruchten. Daher habe ich heute diesen Thread hier gestartet, es kann darüber geschrieben werden, wer (vermutlich) das Thema erfunden hat, sogar Mozart wurde hier ins Spiel gebracht, ebenso Boccherini. Dann aber auch klassische Kompositionen, wo das bereits bekannte Thema lediglich bewusst zitiert wurde. Wir sind in der glücklichen Lage, dieses Thema nicht nur theoretisch abzuhandeln, sondern auch mit Klangbeispielen zu belegen. Daß man nebstbei ein paar Fakten über die französische Revolution in seinen Wissensschatz mitnimmt betrachte ich nicht als Nachteil...


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Robert Schumann zitiert in seinem balladesken Lied "Die beiden Grenadiere" nach einem Text von Heinrich Heine die "Marseillaise" sehr bewusst. Sie wird Teil der Botschaft. Für ich ist das eine der schönsten Beispiele für den Einzug dieser Melodie in die klassische Musik. Gesungen wird sie von dem Bariton Samuel Hasselhorn, der schon in Carusos Thread über die neuen Stimmen gebührend herausgestellt wurde - völlig zu Recht. Er ist eine große Begabung. In diesem Vortrag wirkt sich die Jugend und Unbefangenheit des Sängers sehr positiv auf die Geschichte aus. Darbietungen durch gestandene Solisten reiferen Kalibers können nach meinem Eindruck zu sehr ins Pathetisch-Vaterländische geraten - wie hier:



    Der Einfachheit und Schnelligkeit halber will ich eine ergänzende Information direkt von Wikipedia hinzufpügen:


    Richard Wagner vertonte ein halbes Jahr vor Schumann in Paris die französische Übersetzung von F.-A. Loeve-Veimar als Les deux grenadiers (WWV 60) und griff ebenfalls auf die Marseillaise zurück. Als Wagner davon erfuhr, dass Schumann das Gedicht ebenfalls vertont hatte, schrieb er an ihn: "Ich höre, daß Sie die Heineschen Grenadiere componiert haben, und daß zum Schluß die ‚Marseillaise‘ darin vorkommt. Vorigen Winter habe ich sie auch componiert, und zum Schluß auch die ,Marseillaise' angebracht. Das hat etwas zu bedeuten! Meine Grenadiere habe ich sogleich auf eine französische Übersetzung componiert, die ich mir hier machen ließ und mit der Heine zufrieden war. Sie wurde hie und da gesungen, und haben mir den Orden der Ehrenlegion und 20 000 fr jährliche Pension eingebracht, die ich direkt aus Louis Philippes Privatkasse beziehe."


    Hier nun die Wagnersche Komposition mit Sándor Kónya:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Schumann: Faschingsschwank aus Wien. Die Marseillaise entwickelt sich aus einer Episode des rondoartigen Anfangssatzes (ca. 5:15). Das Stück wurde 1839 in Wien begonnen; welche Bedeutung die Marseillaise hier hat, weiß ich nicht. Ich habe vor Jahren mal irgendwo gelesen, dass das Singen der Marseillaise damals in Wien gerade mal wieder verboten worden war (zeitlich etwa in der Mitte zwischen den Revolutionen von 1830 und 1848).


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Eine der typischsten Verwendungen der "Marseillaise" ist wohl in der "Ouverture solennelle 1812" von Tschaikowski zu finden.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Nach den Ereignissen vom 10. August 1792 befürchtete Rouget de Lisle, dass die Marseillaise auch zu öffentlichen Hinrichtungen ("comme un credo à chaque séance de guillotine") gesungen würde ...

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  • Das Thema ist schier unerschöpflich - Genau deshalb habe ich es ausgegliedert und hier neu gestartet, Es ist beachtlich wie viele Thesen und Anekdoten, aber auch Musikbeispiele es um die Entstehung der Melodie gab.
    Kein Wunder, wenn die "Marsellaise" in Wien verboten gewesen wäre (ich bin mir ziemlich sicher, daß dies der Fall war), war sie doch anfangs ein Kriegslied für die französische Rheinarmee, die gegen Österreich kämpfte. Schumanns Zitat ist unüberhörbar, wenngleich sehr kurz, und ich hatte hier den Eindruck eines "Kassibers", der vermutlich von jeder Zensur überhört werden würde.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    clck147

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Robert Schumann zitiert in seinem balladesken Lied "Die beiden Grenadiere" nach einem Text von Heinrich Heine die "Marseillaise" sehr bewusst. Sie wird Teil der Botschaft.


    Lieber Rheingold,


    das habe ich vor Tagen mit Fischer-Dieskau und Christoph Eschenbach gehört! :)


    Im abschließenden Feuerwerk aus Debussys Preludes Heft II gibt es ganz zum Schluss die Marseillaise "en dehors":



    Schöne Grüße
    Holger

  • Auf vielen Internetseiten, erstaunlicherweise vorzugsweise französischen, wird behauptet, daß ein Thema aus Mozarts Klavierkonzert Nr 25 den Komponisten der "Marseillaise" - wer immer es war - zu dieser Hymne inspiriert haben könnte, da die Ähnlichkeit recht auffällig sei. Das muß jeder für sich entscheiden ob er das ebenso sieht, oder in den Bereich der Spekulation verbannt.
    Man wollte ja dieses Thema immer schon den Österreichern zuschreiben (was ich für äusserst schmeichelhaft empfinde). Die rührende Geschichte, daß Pleyel mit der Komposition dieser Hymne seinen Kopf vor der Guillotine gerettet hat, wird - da sehr effektvoll - heute noch immer gern erzählt, obwohl sie nach heutiger Forschung erfunden ist. Aber Legenden sind nun mal sehr beständig - sogar auf der Seite der Internationalen Ignaz Pleyel Gesellschaft habe ich sie gefunden........


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich gebe hier nur eine Erfahrung wider, die ich als Gymnasiast in der 8. Klasse gemacht habe. Da haben wir die Marseillaise im Französischunterricht durchgenommen. Ich habe damals im Unterricht gesagt, dass bei der Deutschlandhymne die erste Strophe verboten sei, weil sie nationalistisch sei. Der Text der Marseillaise ist aber noch nationalistischer und voller Gewalt ("qu´un sang impure abreuve nos sillons"). Meinem Französischlehrer hat das überhaupt nicht gefallen! Mehr als zwei Strophen mussten wir aber nicht lernen. Trotz der Abwehr meines Französischlehrers habe ich die Marseillaise immer gehasst, bis heute! Allerdings kann ich die beiden ersten Strophen immer noch auswendig. Gesungen haben wir die dann im Musikunterricht; der Musiklehrer respektierte meine Meinung aber. Natürlich haben wir die Marseillaise auch parodiert und verballhornt; das habe ich leider vergessen. Diese Fassung bekamen unsere Lehrer aber weder zu Gesicht noch zu Gehör. Wir waren ja klein, aber nicht doof.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich komme - das Wort "Parodie" von Dr. Pingel aufgreifend, auf Schumanns Lied (oder Ballade) "Die beiden Grenadiere" zurück.
    Ich musste mich daran erinnern, daß vor wenigen Tagen, die Rede davon war, daß gewisse Texte heute "unerträglich" seien, weil die den Menschen von heute fremd seien. Eigentlich ist der Text dieses Liedes aus so ein Kandidat. Die heroische Attitüde, die weltfremde Kaiserverehrung ist - entsprechend vorgetragen - eigentlich eine Parodie (ähnlich den salbungsvollen Sarastro-Arien oder dem theatralischen Auftritt des Ministers im Schlussbild des Fidelio).
    Und dennoch hatte ich beim Vortrag durch Samuel Hasselhorn den Eindruck geradezu unheimlicher Aktualität des Textes und Authentizität des Vortrags.
    Wie Richard Wagner so richtig an Robert Schumann schrieb: "Das hat etwas zu bedeuten".
    Hier dürfte ein tief verwurzelter Patriotismus (Den die EU gerne auslöschen, bzw. auf Europa übertragen möchte - was nie gelingen wird !!!) und ein gewisses Untertanendenken mit im Spiel sein - auch dieses konnte und wird nicht auf Politiker von heute übertragen werden - die sind eher gehasst als geliebt...


    Mir fällt eigentlich spontan nur "Rule Brittania" ein, und eventuell noch das Lied vom Prinzen Eugen, die ähnliche Wirkung erzielt haben.....
    (Vermutlich gibt dazu schon - oder bald - eigene Threads)


    mfg aus Wien


    Alfred

    clck 241

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Alfred Schmidt: Auf vielen Internetseiten, erstaunlicherweise vorzugsweise französischen, wird behauptet, daß ein Thema aus Mozarts Klavierkonzert Nr 25 den Komponisten der "Marseillaise" - wer immer es war - zu dieser Hymne inspiriert haben könnte, da die Ähnlichkeit recht auffällig sei. Das muß jeder für sich entscheiden ob er das ebenso sieht, oder in den Bereich der Spekulation verbannt.

    Mozart hat ja das KK Nr. 25 C-dur KVV 503 im Dezember 1786 vollendet. Es könnte also tatsächlich so sein. Wikipedia sagt dazu Folgendes (Es geht um den Kopfsatz):

    Zitat

    Wikipedia: Eine Überleitung, in welcher sich Trompeten und Pauke feierlich äußern, führt zum zweiten Thema. Dieses weist auf die später entstandene französische Nationalhymne, die Marseillaise, hin. Dieses Thema erscheint zunächst in Moll, wendet sich dann jedoch nach Dur.

    Hier kann man es schön verfolgen in dieser Aufnahme mit den Wiener Philharmoniekrn unter Riccardo Muti. Am Klavier sitzt meine Lieblingspianistin Mitsuko Uchida. Das in Rede stehende Seitenthema beginnt im Orchestervorspiel, zunächst in Moll bei 1:36 min. Die ersten 7 Töne entsprechen exakt dem Thema der Marseillaise:



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Und jetzt kommts: Auf einer weiteren Internetseite behauptet jemand, daß beim Spielen des Flötenquintetts op 17 Nr 2 sämtliche Ausführenden plötzlich festgestellt hätten, daß sie das Anfangsthema als "Marseillaise" wiedererkannt hätten.
    Stimmt das? Das überprüfe ich! Ein Kinderspiel. Ich suche das Werk bei youtube, finde es und starte: "Das Video ist nicht verfügbar".
    Aha. Suche ich eben bei cpo. AAH da ist es schon op 17 Nr 2 = EINE CEMBALOSONATE!!!
    Nach einer Weile finde ich heraus, die Opuszahl wurde zweimal vergeben, es gibt aber ein alternatives Werkverzeichnis. Nach kurzer Recherche finde ich heraus, daß es sich um G.420 handelt. Kaum im Internet vorhanden, nur eine alte Naxosaufnahme. Ich suche den 2. Satz und spiele ihn an: Fehlanzeige - vermutlich startet das Sample mitten im Satz. Da muss ich in meiner Sammlung nach diesem Flötenquartett suchen. Meine Boccherini Sammlung ist gigantisch groß - aber das Gesuchte ist nicht vorhanden: "Warum eigentlich nicht?" frage ich das kleine grüne Männchen das immer auf meiner rechten Schulter sitzt und mir gute Ratschläge erteilt*.
    "Weil Du Flöte nicht magst und daher wenig einkaufst, Du Depp!" ist die lakonische Antwort.
    Und dann kommt's knüppeldicke "Im übrigen ist es nicht der 2. sondern der 1. Satz. Du bist schon ein wenig hysterisch vom suchen - G.40 ist das Flötenquintett op 17 Nummer 2 - aber 1. Satz!!! Pass besser auf!!!"
    Ich versuch's - und siehe - ich hab's gefunden.
    Also Bitte den ERSTEN Satz anhören. Wieder überlasse ich das Urteil den geneigten Taminos.



    mfg aus Wien
    Alfred


    *) Das kleine grüne Männchen (Abkürzung: KLGM war es auch, das mir zur Gründung Taminos geraten hat....
    Ich: "So ein Forum ist einTohuwabohu - ein unlösbares Problem, alle sind bisher eingegegangen".


    KLGM: "Ja, weil DU sie nicht geleitet hast, DU wirst das schaffen, denn DU bist ein GENIE".
    DAS hat mich dann überzeugt......
    :hello::hahahaha:

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  • Zur Nacht gönne ich mir noch eine sehr bewegende filmische Adaption der "Marseillaise":


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Robert Schumann war scheinbar von der Marseillaise sehr beeindruckt - er zitiert sie in vielen seiner Werke, so auch in seinem Opus 136, der Ouvertüre zu Goethes Epischem Gedicht "Hermann und Dorothea".



    Dieser Thread ist ein gutes Beispiel, wie wichtig es für das Forum ist, daß von Zeit zu Zeit neue Mitglieder zu uns stoßen.
    Ohne die Erwähnung einer CD mit Violinkonzerten von Viotti, die auch eine Bearbeitung der "Marseillaise für Violine und Orchester enthält - auf die er speziell hinwies - wäre ich nicht auf dieses doch sehr aktive Thema gekommen... und es geht noch weiter.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Alfred Schmidt: Also Bitte den ERSTEN Satz anhören. Wieder überlasse ich das Urteil den geneigten Taminos.


    Das ist in der Tat leicht zu hören, sogar in de gleichen Tonart wie bei Mozart, aber im 5. Ton des Themas geht es im Gegensatz zu Mozart hinauf. Ich demonstriere das mal am Originaltext:


    "Al-lons-En-fants-de-la-pa-tri-i-e"


    Dafür geht es bei Boccherini in der zweiten Melodiezeile im Gegensatz zum Mozartbeispiel zunächst orignal weiter:


    "Le-jour-de-gloire-est-ar-ri-vé!"


    So hat anscheinend jeder nachschöpfende Komponist seine persönliche Note hinzugefügt. :D


    Ich habe mir übrigens das gesamte Mozartkonzert vorhin in dieser vorzüglichen Aufnahme vom September 2005 aus Bamberg angehört. Da wird ja im Kopfsatz das Seitenthema ausführlich durchgeführt:



    Matthias Kirschnereit, Bamberger Symphoniker, Ltg. Frank Beermann


    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Es gab übrigens bei TAMINO schon einmal einen inzwischen versiegten Thread über Nationalhymnen in der Klassik. Dort wurden auch Marseillaise-Beispiele angeführt. Vielleicht kann ja dieses und jenes neu aufgegriffen oder hier versammelt werden.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Vorenthalten möchte ich euch auch nicht einen Beitrag in "Musik heute", welcher der Vermutung nachgeht, ein Österreicher könnte der Komponist der Marseillaise sein - nämlich Ignaz Joseph Pleyel (1757-1831).


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Eine der typischsten Verwendungen der "Marseillaise" ist wohl in der "Ouverture solennelle 1812" von Tschaikowski zu finden.


    Über diesen Beitrag von Gerhard habe ich nachgedacht. Was könnte an der Verwendung der Marseillaise in diesem Werk typisch sein? Mir fällt nichts dazu ein, und ich wäre Gerhard sehr dankbar, könnte er noch etwas präzisieren. Für mich wird durch dieses Beispiel eher der sehr unterschiedliche Gebrauch der Marseillaise deutlich. Tschaikowski verwendet sie zu Kennzeichnung der französischen Truppen Napoleons, die von Russland besiegt worden waren. Die Marseillaise wird zur Musik der Verlierer, der Feinde, der Eindringlinge, die zerschlagen und zerlumpt von dannen ziehen mussten. In der Ouvertüre gibt es eine regelrechte musikalische Schlacht, die Marseillaise auf der einen, ein altes russisches Volkslied auf der anderen Seite. Der Sieg über die Franzosen wird schließlich mit der alten russischen Zarenhymne gefeiert, die in das Finale einfällt. In der Sowjetunion wurde die Zarenhymne durch eine Melodie aus Glinkas Oper "Ein Leben für den Zaren" ersetzt, die allerdings zu dieser Zeit den unverdächtigen Titel "Iwan Sussanin" trug.


    Eine sehr effektvolle Aufnahme der Ouvertüre 1812 gibt es mit dem Hallé Orchestra unter Leitung von Mark Elder von den Proms 2004 aus der Royal Albert Hall - natürlich mit der alten Zarenhymne (bei 13:34).


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    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Das Mozart-Thema kann man ebensogut als Moll-Variante von "Der Vogelfänger bin ich ja" deuten.
    Das hat so viel oder wenig mit der Marseillaise (falsches Tongeschlecht und die charakteristische marschartige Punktierung fehlt) zu tun, wie wenn zwei Dichter in 100 Versen je einmal "Herz" auf "Schmerz" reimen. Einfache Themen mit Skalen und Dreiklangsauschnitten sind in der Musik der Zeit allgegenwärtig. Daraus lässt sich genausowenig auf gegenseitige Inspiration schließen wie bei den Herz-Schmerz-Reimern.

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  • Lieber Rheingold, vielen Dank für die Verlinkung zum versiegten Thread.
    Jean-Baptiste Lucien Grisons (musicophil schrieb den Namen im versiegten Thread damals (irrtümlicherweise ?) mit zwei Binnen-s) soll ein weiterer möglicher Komponist der Marseillaise sein.
    Außer einer kurzen Aufnahme (bei Youtube)



    habe ich keine weiteren Aufnahmen dieses Komponisten gefunden.


    Im versiegten Thread findet sich auch ein Hinweis zu einer Bearbeitung Strawinskys für Solovioline. Dem werde ich demnächst etwas nachgehen (die Hörschnipsel (ich hatte leider nur welche bei iTunes gefunden) lassen (auch) an Variationen zur Follia denken).

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  • Lieber quodlibet, in den Tiefen von TAMONO findet sich manches. Ich bin auch immer wieder erstaunt über diese Fülle. Nun könnte man einen alten Thread hervorholen und ihn einfach weiterschreiben. Das ist nicht immer ganz einfach, weil viele Diskutanten, die damals die Debatten bestimmten, abhanden gekommen sind und mit ihnen Ansichten und Meinungen. Trotzdem lohnt es sich, zurückzublättern. Ich bin auf Deine neuen Beiträge zum Thema gespannt.

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  • Die Franzosen hatte ja in jenen Zeiten wahrlich keinen "Lauf". Nach dem Debakel Napoleons in Russland gab es ja im Jahr darauf bei Vitoria im Baskenland erneut eine vollständige Niederlage, diesmal gegen die Engländer.
    Kein Geringerer als Beethoven nahm sich ja der Schlacht bei Vitoria in seinem musikalischen Schlachtengemälde "Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria" op. 91 an. Nur griff er damals zur Symbolisierung der Franzosen nicht auf die Marseillaise zurück, sondern auf das alte französische Volkslied "Marlbrogh s*en va-t' en guerre", (auf das es ja auch den Text gibt "For he's a jolly good fellow"), während die Engländer unter dem äußerst passenden Lied "Rule Britannia" firmierten.
    Ich denke mal, dass Beethoven mit Bedacht die Marseillaise nicht genommen hat. Mir gefällt das Stück auch so, beispielsweise in dieser Einspielung:



    Und ich wage die Voraussage, dass die Engländer nach Abschluss der Brexit-Verhandlungen dieses Stück nicht spielen werden. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Zitat von »Gerhard Wischniewski«
    Eine der typischsten Verwendungen der "Marseillaise" ist wohl in der "Ouverture solennelle 1812" von Tschaikowski zu finden.


    Über diesen Beitrag von Gerhard habe ich nachgedacht. Was könnte an der Verwendung der Marseillaise in diesem Werk typisch sein?

    Nichts.



    Tschaikowski verwendet sie zu Kennzeichnung der französischen Truppen Napoleons, die von Russland besiegt worden waren

    In der Ouvertüre gibt es eine regelrechte musikalische Schlacht, die Marseillaise auf der einen, ein altes russisches Volkslied auf der anderen Seite. Der Sieg über die Franzosen wird schließlich mit der alten russischen Zarenhymne gefeiert, die in das Finale einfällt.

    Genau darum geht's!



    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Das Mozart-Thema kann man ebensogut als Moll-Variante von "Der Vogelfänger bin ich ja" deuten.
    Das hat so viel oder wenig mit der Marseillaise (falsches Tongeschlecht und die charakteristische marschartige Punktierung fehlt) zu tun, wie wenn zwei Dichter in 100 Versen je einmal "Herz" auf "Schmerz" reimen. Einfache Themen mit Skalen und Dreiklangsauschnitten sind in der Musik der Zeit allgegenwärtig. Daraus lässt sich genausowenig auf gegenseitige Inspiration schließen wie bei den Herz-Schmerz-Reimern.


    Lieber Johannes,


    ich habe das 25. Klavierkonzert Mozarts (Kopfsatz) mit dem besagten Seitenthema in drei verschiedenen Interpretationen gehört. Dieses Seitenthema fand ich immer ansprechend und ich wäre nie auf die Idee gekommen, die Marseillaise könnte damit im Zusammenhang stehen. Ich sehe das wie Du.


    LG, Siamak

  • Auch Franz Liszt beschäftige sich mit der Marseillaise. 1872 komponierte er die Fantasie La Marseillaise S.237


    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

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  • Das führt ein bißchen vom Thema ab, aber eine der kompositorischen Pointen des Satzes in KV 503 scheint das bewusst "banale" Material (eigentlich eher eine bei Beethoven und Haydn häufige Technik) zu sein. So ist der 3-Achtel-Auftakt beinahe allgegenwärtig und leitet eben auch besagtes Seitenthema ein. Ein weiterer Punkt ist der Moll-Dur-Wechsel dieses Themas, wodurch es mehr Kontur gewinnt als bei dem trivialen Material zu erwarten wäre. Alles sehr genial gemacht, aber eben gerade nicht "melodienbasiert".


    Bzgl. Wellington's Sieg habe ich mehrmals gelesen, dass Beethoven aufgrund seiner Sympathien für die Ideale der Revolution und Republik diese Melodie nicht verwenden wollte, um die hier als imperial expansive Feinde auftretenden Franzosen zu charakterisieren. Über beide Hymnen der Engländer hatte er ja schon Jahre vorher Klaviervariationen geschrieben. Ich könnte mir vorstellen, dass er bei der Planung das hymnische God save the King als für die Siegessinfonie geeigneter reserviert hatte und als Aufmarsch Rule Britannia eh besser taugt.

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    (Bob Dylan)

  • Ein Werk, in dem die Marseillaise auf besonders raffinierte Weise adaptiert wird, ist die Musik zum Stummfilm "Das neue Babylon" von Dmitri Schostakowitsch. Er spielt während der Pariser Kommune und erzählt die dramatische Liebesgeschichte zwisichen Louise, die als Verkäuferin in dem Kaufhaus arbeitet, das so heißt wie der Film und dem Soldaten Jean. Louise steht auf der Seite der Kommune, Jean muss gehen sie kämpfen. Der Film lebt von unglaublich starken Bildern, an denen sich Generationen von Regisseuren orientierten. Schostakowtsch war erst neunzehn, als er die Musik komponierte. Es war seine erste Filmmusik. In restaurierter und rekonstruierter Form wurde der Streifen 2006 von Arte ausgestrahlt. Natürlich ist er auch auf Youtube zu sehen:



    Schostakowitsch verarbeitet neben der Marseillaise noch viele andere Stücke, darunter den Can Can aus Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt". So von der 55. Minute an trifft die Marseillaise auf den Can Can. Sie wird selbst zum Can Can, wärend der Can Can zur Marseillaise wird. Ich bin immer wieder hin und weg, wenn ich das höre. Es ist - wie ich finde - unheimlich gut gemacht. Vom "Babylon" gibt es auch gesonderte CD-Einspielungen.


    Und hier die Musik ohne Film:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich muß ja hier nicht unbedingt einen Clip mit den Beatles ins Tamino Klassikforum stellen, aber auch sie haben die Marsellaise zitiert, und zwar als Einleitung zu ihrem Song "All you need is love"......


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    Alfred

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