FORTNER, Wolfgang: IN SEINEM GARTEN LIEBT DON PERLIMPLIN BELISA

  • Wolfgang Fortner (1907-1987):


    IN SEINEM GARTEN
    LIEBT DON PERLIMPLIN BELISA

    Vier Bilder eines erotischen Bilderbogens in der Art eines Kammerspiels
    Libretto nach Federico García Lorcas Schwank „Amor de Don Perlimplín con Belisa en su jardín“ in der deutschen Übersetzung von Enrique Beck
    Auftragskomposition des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart


    Uraufführung am 10. Mai 1962 durch das Ensemble der Kölner Oper anlässlich der Schwetzinger Festspiele



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Don Perlimplin, 50 Jahre alt (Bariton)
    Belisa, Nachbarin (Sopran)
    Belisas Mutter (Sopran)
    Marcolfa, Dienerin bei Don Perlimplin (Alt)
    Zwei Koboldchen (Sopran)


    Das Geschehen ereignet sich im Landhaus und Garten von Don Perlimplin, 18. Jahrhundert.



    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Vorspiel
    Erstes Bild: Zimmer in Hause des Don mit Balkon und Blick auf Doña Belisas Haus gegenüber.


    Marcolfa, langjährige und gluckenhaft wirkende Haushälterin von Don Perlimplin, will ihren Herrn partout unter die Haube bringen, obwohl der Don sich für Frauen überhaupt nicht interessiert, dafür umso mehr für seine Bücher. Er hat sogar eine handfeste Begründung für seine Zurückhaltung den weiblichen Geschlecht gegenüber: Als Kind hörte er von einer Frau, die ihren Ehemann erdrosselt hat, und das hat sich bei ihm festgesetzt, das kann er nicht vergessen. Marcolfa versucht, dem Don die Liebe als eine von unergründlichen Geheimnissen umgebene Macht darzustellen und errötet von ihren eignen gedanklichen Vorstellungen. Aber Don Perlimplin bleibt abweisend.


    Da kommt es Marcolfa gerade gelegen, dass aus dem Haus der schönen Doña Belisa gegenüber sehr erotischer Liedgesang zu hören ist und sie drängt ihren Herrn sofort mit der ihr eigenen Resolutheit auf den Balkon. Sie fordert ihn auf, die Nachbarin, die sie schon länger als eine Heiratskandidatin im Visier hat, herauszurufen. Die tut ihm den Gefallen und erscheint, passend zu dem frivolen Lied, in einem recht freizügigen Outfit und bringt Don Perlimplin zu einer Schnappatmung. Von Marcolfa mit knuffigen Rippenstößen unterstützt macht er der schönen Nachbarin einen Heiratsantrag - den sie, selbstverständlich mit Erlaubnis der hinzugetretenen Mutter, tatsächlich annimmt. Danach geht sie, das erotische Led singend, mit der Mama ins Haus zurück, während der Don ihr sehnsuchtsvoll nachblickt...


    Zweites Bild: Don Perlimplins Schlafzimmer mit sechs Türen und einem Himmelbett in der Mitte.


    Das Publikum wird nun Zeuge einer (vorsichtig ausgedrückt) merkwürdigen Hochzeitsnacht: Belisa hat sich passend-aufreizend angekleidet und flötet, dass der, der sie „mit Liebesgluten“ sucht, auch finden werde; außerdem (noch deutlicher) wird ihr „Durst nie gelöscht, wie nie der Durst gelöscht wird jener Masken, die Wasser in den Brunnen spei'n“. Solche aufregenden Worte lassen auf eine stürmische Hochzeitsnacht schließen, doch der Don enttäuscht - ihm fällt nur die Frage ein, ob sie schläfrig sei, worauf ihre gleichlautende Gegenfrage die Ahnung aufkommen lässt, dass die Nacht nicht zu ihrer Zufriedenheit verlaufen wird. Unvermittelt rafft sich Perlimplin doch noch zu einer Liebeserklärung auf und Belisa entfährt der Satz, dass genau das auch seine „Pflicht“ sei. Während des Gesprächs hat sie sich eine rote Capa umgelegt und stolziert vor ihrem Herrn Gemahl auf und ab. Plötzlich ertönen von außen Pfiffe, was den Don zusammenzucken lässt, während Belisa meint, es sei wohl die Uhr gewesen und es wäre Zeit zum Schlafengehen. Er nimmt das für bare Münze und sie begeben sich, das Licht löschend, zu Bett - begleitet nochmals von fünf Pfiffen...


    An dieser Stelle des Geschehens erscheinen zwei Koboldchen, die von beiden Seiten einen Vorhang zuziehen und sich, dem Publikum zugewandt, auf den Souffleurkasten setzen.


    Sie unterhalten das Publikum mit ironisch-satirischen Bemerkungen über die Neuvermählten und ziehen dann, der Morgen dämmert bereits, den Vorhang wieder auf.


    Don Perlimplin liegt schlafend, mit großen goldenen Hörnern im Bett, neben ihm Belisa. Die fünf Balkontüren stehen weit auf.


    Der Don schreckt plötzlich hoch und fragt seine (Müdigkeit vorspielende) Belisa, warum die Türen so weit offen stehen. Während er zum Balkon geht, erzählt sie, dass ein „unerhörter Sturm in dieser Nacht“ wohl die Türen aufgestoßen habe. Es bleibt unklar, ob der Don diese Aussage registriert hat, denn fünf an den Balkon gelehnte Leitern und fünf daneben liegende Hüte irritieren ihn noch mehr. Die Leitern, flötet Belisa „Perlimplinillo“ zu, sind ein Brauch aus dem „Lande meiner Mutter“ und die fünf Hüte gehören den „Trunkenen, die kommen und gehen.“ Seine Reaktion ist eine weitere Merkwürdigkeit: Perlimplin gibt seiner Frau eine zweite Liebeserklärung und näher sich ihr, um sie zu umarmen - weicht aber plötzlich, wie ängstlich, zurück, während sich Belisa gähnend aufs Bett legt hat und schnell einschläft.


    Don Perlimplin nähert sich auf Zehenspitzen dem Bett, bedeckt Belisa mit der roten Capa und setzt sich schließlich auf den Bettrand.


    Den ersten Akt beschließt ein Solo des Don, in dem er sich seinem Liebesschmerz hingibt und aus dem auch klar wird, dass er Belisas nächtlichen „Sturm“ durchschaut hat:


    […] ich komm mit Todeswunden, verletzt von fliehender Liebe, verletzt und tot vor Liebe.



    ZWEITER AKT
    Drittes Bild: Don Perlimplins Speisezimmer.


    Marcolfa weint und erzählt ihrem Herrn mit stockender Stimme, dass in der Nacht fünf Männer (aus den fünf Erdteilen) bei Belisa waren und, ein harter Vorwurf an ihren Herrn, dass er nichts bemerkt hat oder nichts bemerken wollte. Seine Antwort verblüfft sie: Was sie anspricht, ist für ihn ohne jede Bedeutung. Und was, fragt Marcolfa, sagt er dazu, dass ihr gestern Belisa auf der Straße mit einem anderen Mann - ganz ungeniert - begegnete? Das ist für den Don ebenfalls ohne Bedeutung - er ist nicht aus der Ruhe zu bringen, er ist, nach eigenen Worten, einfach nur glücklich! Als sie Belisa im Hintergrund hören, zieht sich Marcolfa zurück und Perlimplin versteckt sich.


    Belisa spricht mit sich selbst über einen Mann, den sie auf der Straße nicht sah, nur spürte, und der sie gerade deshalb erregt hat. Sie glaubt, dass er sie befriedigen könnte - zuckt aber zusammen, als ihr Mann sie anspricht und fragt, ob sie in die Konditorei oder spazieren gehen sollten. Doch das will Belisa beides nicht. In diesem Moment fällt ein Stein mit einem darum gewickelten Brief auf den Balkon; Perlimplin hebt ihn auf, aber sie will, dass er ihn ihr ungelesen gibt, behauptet, er wäre für sie. Der Don ist folgsam, sagt ihr aber, dass er den Schreiber und den Inhalt des Briefes kenne. Sie staunt über diese Aussage, denn sie kennt ihn genausowenig, wie ihre Freundinnen, schwärmt aber trotzdem von ihm, weil er ihren „weißen, geschmeidigen, bebenden Leib“ begehrt! Perlimplin zieht sie zum Balkon, zeigt mit den Worten: „Da ist er!“ auf einen jungen Mann, der vorübergeht und bedauert, durchaus niedergeschlagen, schon so alt zu sein, aber er hat sich vorgenommen, sich für sie zu opfern! Belisa versteht diese Aussage nicht und er setzt hinzu: „Später wirst du das alles wissen. Später!“


    Viertes Bild: Zypressen- und Orangengarten.


    Don Perlimplin muss Marcolfa beruhigen, die sich, tränenreich, an seiner Lage schuldig fühlt. Trotz Widerwillens hat sie, seiner Bitte entsprechend, Belisa darüber informiert, dass der „Jüngling diese Nacht mit dem zehnten Glockenschlag“ mit der roten Capa in den Garten kommen werde. Und, so sagt sie, Belisa war sofort Feuer und Flamme. Der Don ist es zufrieden, wünscht sich sogar, dass sie den Jüngling liebt, worauf Marcolfa ihm vorwirft, in seiner Gattin die schlimmste Sünde zu nähren - genau das aber kann sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren und nimmt ihren Abschied. Das ist für Don Perlimplin nachvollziehbar, aber er bittet seine alte Dienerin, bis morgen zu bleiben - dann „wirst du frei sein wie ein Vogel“. Während sie, die Tränen trocknend, davon geht, versteckt sich der Don hinter einem Gebüsch.


    Kurz darauf erscheint Belisa und äußert ihre Vorfreude auf das kommende Liebesabenteuer. Lange ist sie nicht allein auf der Szene, dann kommt der junge Mann mit der roten Capa, bleibt aber nicht stehen, sondern durchquert stumm den Garten und macht ihr mit einem Handzeichen klar, dass er wieder kommen werde. Kaum ist er verschwunden, tritt Don Perlimplin zu Belisas Überraschung hervor, spielt den Erstaunten und fragt sie nach ihren Absichten. Belisa gibt ohne Umschweife zu, auf den jungen Mann, den er, der eigene Mann, ihr ausdrücklich zu lieben half, glühender als je zu warten. Dass Perlimplin nicht widerspricht, sondern behauptet, die Situtation als Triumph seiner Fantasie zu sehen, erstaunt Belisa; dass er hinzufügt, er werde ihr helfen, ihn zu beweinen, macht sie stumm, weil sie diesen Satz nicht versteht. Er zieht einen Dolch hervor und kündigt ihr an, den Rivalen zu töten, aus Liebe zu ihr, damit sie ihn „immer und ewig liebkosen“ kann - ohne vor dem Ende seiner Liebe Angst haben zu müssen. Dann stürzt er davon, sie verängstigt zurück lassend.


    Belisa ruft verzweifelt nach Marcolfa, sie soll ihr aus dem Esszimmer umgehend Don Perlimplins Degen bringen, den sie ihrem Mann „mit Kraft durch die Kehle stoßen“ will. Doch die Dienerin reagiert nicht; ist sie vielleicht schon gegangen? Da regt sich im Gebüsch etwas: Ein Mann, in eine rote Capa gehüllt, taumelt hervor; Belisa eilt ihm freudig entgegen, will ihn umarmen und bemerkt plötzlich, dass er einen Dolch in der Brust trägt und stark blutet. Sie schreit entsetzt auf und sieht in diesem Augenblick, dass es ihr Gatte ist. Stockend sagt er, dass „dein Mann mich erstach“, weil er „wusste, dass ich dich liebte, wie niemand“ sonst. Belisa ist verwirrt: Was redet Perlimplin da? Der ist noch nicht zu Ende und meint sterbend, dass er sich selbst tötete, damit ihr bewusst werde, wie sehr er sie liebte - er, der Greis und Jüngling in einem. Mit der hinzukommenden Marcolfa (sie ist also vorläufig noch geblieben) trauert Belisa - und Marcolfa hat das letzte Wort: „Schlaf ruhig, Don Perlimplin!“



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Wolfgang Fortner schrieb die Kammeroper im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart. Die Uraufführung am 10. Mai 1962 im Schlosstheater zu Schwetzingen (im Rahmen der Schwetzinger Festspiele) dirigierte Wolfgang Sawallisch, die Regie lag in den Händen von Oscar Fritz Schuh und das Bühnenbild schuf Teo Otto. Den Don Perlimplin gestaltete Ingvar Wixell (Bariton), die Belisa sang Lia Montoya (Sopran), Belisas Mutter war Maria Kallitsi (Koloratursopran) und die Marcolfa die Altistin Helen Raab. Die „Zwei Koboldchen“ sind von Sopranen zu singen; sie sind im (mir zur Verfügung stehenden) Libretto, im Gegensatz zu den anderen Mitwirkenden, nicht aufgeführt. Der klein besetzte Chor (immer hinter der Szene eingesetzt) ist Ansager und Kommentator zugleich. Die außerdem verlangte kleine Tanzgruppe verdeutlicht in der Gartenszene (im Serenandenstil vertont) Belisas Liebessehnsucht. Fortner versucht den Text mit den Mitteln der Zwölftonmusik zu deuten und legt dabei viel Wert auf kammermusikalische Durchsichtigkeit. Um bei entsprechenden Stellen spanisches Kolorit zu erzeugen, schreibt der Komponist Cembalo, Gitarre, Harfe und Celesta vor.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2017
    unter Hinzuziehung des Librettos aus dem Schott-Verlag (1962)

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    MUSIKWANDERER

    Einmal editiert, zuletzt von musikwanderer ()

  • Fortner war in der NSDAP, wurde aber nach dem Krieg als "Mitläufer" eingestuft und entkam so dem Berufsverbot. Ich habe zwei Opern von ihm gesehen, in Essen und in Düsseldorf: "Bluthochzeit" und "Don Perlimplin". Bei beiden hatte ich mit Tiefschlaf zu kämpfen. Sie werden auch nicht mehr gespielt.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich habe zwei Opern von ihm gesehen, in Essen und in Düsseldorf: "Bluthochzeit" und "Don Perlimplin". Bei beiden hatte ich mit Tiefschlaf zu kämpfen. Sie werden auch nicht mehr gespielt.

    Die Meinungen reichen von "Ein sublimes, ein anziehendes Werk für Kenner" (Hans Renner) über "Das hintergründig heiter-traurige Spiel mit dem ebenso umständlichen wie poetischen Titel 'In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa' erforderte eigentlich einen modernen Mozart, um es musikalisch auszuschöpfen oder gar zu überhöhen" (Walter Abendroth, am 18.05.1962 in "Die Zeit") bis zu "Es wird nicht leicht sein, diese subtile Oper im Repertoire zu plazieren" (Der Spiegel, 21/1962). Damit sind die Pflöcke gesetzt und es versteht sich wie von selbst, dass das Werk nicht mehr gespielt wird - und es auch keine Aufnahme von ihm gibt. Trotzdem sollte es in einem Opernführer erwähnt werden...



    :hello:

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    MUSIKWANDERER

  • Natürlich gehört auch eine solche Oper wie diese in den Opernführer. Ich denke, du weißt, dass keine Kritik an dir mit meinem Beitrag verbunden war. Ich glaube überhaupt, dass deine enorme Arbeit am Opernführer hier nicht richtig gewürdigt wird. Ich würde spontan sagen, dass es der beste Opernführer der Welt ist. Keine Druckversion kommt da heran!

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich habe Deinen Einwurf auch nicht als Kritik verstanden, sondern wollte die damals veröffentlichte Meinung noch zusätzlich einbringen...


    :hello:

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    MUSIKWANDERER