Mein erst einige Wochen zurückliegender achtzigster Geburtstag fiel zusammen mit einigen weiteren für mich wichtigen, markanten Terminen, die mich veranlassen, einen Rückblick auf mein Leben mit der Oper zu artikulieren.
Ich erwarte nicht, dass ihn viele lesen - und erst recht nicht, dass sich jemand aus "Pietät" verpflichtet fühlt, ihn zu kommentieren. Aber aussprechen möchte ich einige Gedanken, die bei solchen Anlässen nicht ausbleiben.
Die anderen persönlichen "Gedenktage", die ich damit assoziiere, sind:
Vor 65 Jahren erlebte ich meine erste Opernaufführung.
Vor zwanzig Jahren erlöste mich die vorzeitige Pensionierung vom ungeliebten Lehrerberuf und verschaffte mir noch mehr Zeit und Muße, mich meinen wichtigsten Interessen zu widmen. Das hatte unübersehbare Folgen:
Vor (stark aufgerundet) zehn Jahren fing ich an, unverkäufliche Bücher zu schreiben - und lernte in Siegmund Nimsgern einen späten Freund kennen.
Vor fünf Jahren wurde ich vom Wiener Merker "entdeckt" - und (unvermeidlich!) kurz darauf vom allgegenwärtigen Hans A. Hey zum Ölbronn-Berichterstatter bestallt. (Letzteres werde ich dieses Jahr mit einem abschließenden Fünftenmal krönen, wie zu befürchten ist!)
Vor anderthalb Jahren schließlich gelang es ebendiesem Faktotum, mich in dieses Forum zu locken, an das ich mich nur widerstrebend gewöhnt, in dem ich aber auch interessante Gesprächspartner gefunden habe.
So weit die Jubiläen.
Jetzt zum Wesentlichen: Was haben diese Erlebnisse in mir ausgelöst? Fangen wir hinten an!
Da meine Lebensgefährtin mir aus kalendarischem Anlass etwas Gutes tun wollte, wurde mir zum 23.Mai das Geschenk eines Wiener "Rosenkavalier" zuteil (mit Spphie Koch!). Die 88o km von Saarbrücken nach Wien waren die längste Anfahrt meines Lebens zu einer Opernvorstellung. Doch meine Merker-Chefin, immer um gute Proportionen besorgt, legte noch einen "Fidelio" (am Tag darauf!) dazu. So ergab es sich, dass ich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Otto-Schenk- Inszenierungen konsumierte, die mich nachdenklich machten: Wie schafft es der Mann, diese Oper, die ich fast immer als Patchwork aus Singspiel, großer Oper und Kantate erlebt habe, in ein sich organisch entwickelndes Stück zu verwandeln - ein Musikdrama, in dem sogar Sänger wie normale Menschen sprechen - und nicht wie Kammersänger! Als Frucht meines Nachdenkens schälte sich heraus: Es ist die uneingeschränkte, mit profunder Kenntnis unterfütterte Liebe zum Werk, der es gelingt, selbst die Schwächen und Brüche eines Werkes vergessen zu lassen. Diese Detail-Verliebtheit ist in jedem Takt zu spüren. Sie springt gleichsam von der Bühne ins Orchester, steckt die Musiker an - und erfasst das Publikum.
Als mich dann die Chefredakteurin fragte, ob ich bereit wäre, den Rosenkavalier - und schließlich auch den Fidelio! - aus der Sicht des Nicht-Wieners zu rezensieren, konnte ich nicht widerstehen. (Das Resultat wird im Juni-Merker nachzulesen sein.)
Ohne jetzt eine weitere RT-Pseudodiskussion lostreten zu wollen: Gute Regie kann aus vielen Quellen schöpfen. Die erste - und wichtigste - aber ist der Dienst am Werk, der aus wissender Liebe zu ihm kommt. Die immer wieder von Modernisierern geforderten "Argumente" dafür sind deshalb nicht zu erbringen, weil es dafür keine rein intellektuellen Argumente gibt. Die können als Bereicherungen hinzukommen; aber den Kern einer Interpretation erreichen sie nicht. Liebe, auch Liebe zur Sache, ist vor allem eine starke Emotion, die, wenn sie nicht zertreten wird, ihren Weg ins Herz de Gegenübers findet.
So viel zu diesem Punkt. Der muss jetzt erst eine Weile gären. Dann komme ich zu den weiteren Punkten, die mein Leben mit der Oper geprägt haben - und noch prägen. Vielleicht wird eine fortlaufende Kolumne draus?
Für heute herzliche Grüße von Sixtus