"Tannhäuser"-Premiere am 5. 6. 2017 in SAARBRÜCKEN

  • Zum Ende der Spielzeit wollte die scheidende Intendantin Dagmar Schlingmann nochmals auf sich aufmerksam machen und vergab den Auftrag einer neuen Tannhäuser-Produktion an einen besonders schrägen Regisseur, der sich auch die Gestaltung der Bühne nicht entgehen ließ: Johannes Erath. Für die Kostüme hatte man sich ein besonderes Event ausgedacht: den Star-Modeschöpfer Christian Lacroix, der, vermutlich aus seinem Fundus, einige spektakuläre Brautkleider mit bühnengerecht überlanger Schleppe zur Schau stellte - und sowohl die Pilger-Choristen als auch die Minnesänger in überaus passende knallweiße Party-Anzüge steckte.
    Der Regisseur ersetzte alle Wagner-Bühnenbilder durch eine monströse Treppe bzw. eine unschöne graue Wand, die im öden Wechsel einander ablösten und mit jeweils passenden bedeutungsvollen Gegenständen möbliert wurden - sofern die Bühne nicht überhaupt leer blieb.
    Man spielte die Pariser Fassung mit dem Venus-Bacchanal, das aber als Tanz ausblieb und von dem nur postcoitale Ermattung auf den Stufen der Schautreppe übrig blieb. Der GMD Nicholas Milton war zu bedauern, zumal auch die orchestralen Highlights der Ouvertüre und des Vorspiels zum 3.Akt buchstäblich zer-inszeniert wurden. Alles wurde ins Schema der Treppe bzw. der grauen Wand und einer Reihe von Kinder- Hängeschaukeln gepresst, vom Stück blieb kaum ein Stein auf dem andern. Gesungen wurde brillant vom Chor (Eistudierung Jaume Miranda) und von der Venus (Jennifer Maines), solide von Wolfram (Werner van Mechelen), nicht ohne Schärfen von Elisabeth (Susanne Braunsteffer), sauber, aber dünn vom Titelhelden und blass vom Landgrafen (Hiroshi Matsui). Die szenischen Details zu beschreiben sträuben sich meine arthritischen Finger. Nicht dass sie besonders obszön gewesen wären - nur langweilig. Genau das Richtige, um mir meinen Abschied von der Merker-Berichterstattung wohlwollend zu erleichtern.
    Ich habe noch nie einen so gekünstelten, konstruierten, öden und langweiligen Tannhäuser erlebt und warne jeden Wagnerfreund (von Wagnerianern ganz zu schweigen) vom Besuch einer der noch folgenden Vorstellungen. Besseres kann ich leider aus dem deutsch-französischen Grenzgebiet nicht berichten. Die hiesige Hofberichterstattung dürfte es diesmal schwer haben, dieses Konstrukt als Event zu vermarkten. Obwohl: Der Applauszirkus hat sogar diesmal funktioniert - die Leute sind inzwischen protestmüde und schwitzen durch rhythmisches Klatschen ihren mehrstündigen Frust aus.
    In tiefer Trauer grüßt herzlich Sixtus

  • Zitat

    Zitat von Sixtus: Der Applauszirkus hat sogar diesmal funktioniert - die Leute sind inzwischen protestmüde und schwitzen durch rhythmisches Klatschen ihren mehrstündigen Frust aus.

    Oh Herr, vergib ihnen, denn sie wussten nicht, was sie da gesehen hatten. Auch ich kann jedem Kenner nur raten, sich so etwas nicht anzutun.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich habe noch nie einen so gekünstelten, konstruierten, öden und langweiligen Tannhäuser erlebt

    Hallo Sixtus
    Du tust mir echt leid. Schade um Zeit und Geld!
    Andererseits hat es aber auch etwas Gutes. Du stimmst mir sicherlich zu, nach dem "Genuß" einer solchen tollen Aufführung,
    wird der kürzlich von Dir erlebte, gelungene und beglückende "Rigoletto", nochmal veredelt.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Beim letzten Saarbrücker Tannhäuser, den ich miterlebt habe, stand ich selbst mit auf der Bühne, muss so im Jahr 2000 gewesen sein. Damals war die Inszenierung von Philip Himmelmann auch schon eher spartanisch-langweilig, mit einigen anachronistischen Details (Handys etc.) und sonstigen Requisiten, die jedoch m.E. keinen interpretatorischen Mehrwert hatten.
    Aber zumindest war die Aufführung musikalisch auf sehr hohem Niveau, v.a. aufgrund des bärenstarken, prachtvoll singenden Rudi Schaschings - für mich ein absolut hochkarätiger Tenor, dem ich bei Gelegenheit auch hier im Forum einen Thread widmen möchte.
    Umso betrüblicher, lieber Sixtus, dass da die Neuauflage des Saarbrücker Tannhäusers nicht wirklich überzeugend zu sein scheint, jedenfalls danke für Deine Warnung - die Rezensionen der hiesigen Presse, die meist ausschließlich die Inszenierung, egal wie verquast sie ist, wortreich hochjubeln und die Sängerleistungen bzw. Chor und Orchester in einem halben Nebensatz abhandeln, sind für mich meist nicht wirklich aufschlussreich.

  • Zunächst mal herzlichen Dank für die beiden tröstlichen Zusprüche!
    Im Eifer der Zusammenfassung habe ich vergessen, den Namen des Titelhelden zu nennen. Es war Neal Cooper. Er sang ohne Fehl und Tadel - die Noten. Dass er meistens zu hören war, ist dem Dirigenten zu verdanken, der sich mit den vorhandenen Stimmen begnügen musste und nur selten orchestrale Klangpracht entfaltete.
    Dazu ein kleiner, aus dem Gedächtnis zitierter Ausschnitt einer Unterhaltung zweier ehemaliger Ensemblemitglieder in der Pause, von denen einer die Generalprobe erlebt hatte:
    "Aber die Romerzählung kann man doch nicht in den Sand setzen!?" - "Doch, man kann!"
    Nach dem überstandenen 3.Akt kann ich das bestätigen.
    In der regionalen Presse wurde der Sänger heute als der gelobt, der "alles an sich riss"! Der Mann hat recht: Man wartete gepannt, dass endlich etwas kommt...


    Übrigens: Am Tag davor hatte ich ebenfalls eine dienstliche Pflicht zu erfüllen. Ich hatte also ein von (heiligem?) Geist erfülltes Pfingst-Wochenende. Aber ich war etwas im Stress und wollte nur den Tannhäuser einstellen. Doch nach diesem Fiasko schicke ich doch noch diese für die Gattung Oper tröstliche Produktion nach (Cav./Pag. Straßburg 3.6.).

  • Vom Regen in die Traufe, du Armer. Himmelmann ist ja auch einer von den "begnadeten" Regisseuren, die die Stück verhackstücken, bis sie sie goutieren können. Die Neuinszenierung nun scheint ja wirklich keine Verbesserung zu sein. Würg! Und das zu Pfingsten!

  • Lieber Don Gaiferos,


    was für ein Zufall! Der Sänger, den ich vorhin mit den Worten zitiert habe "Doch, man kann!", war niemand anderes als der von dir geschätzte Tannhäuser. Ich war damals damals erst ganz kurz in meinem jetzigen Wohnort St.Ingbert und wurde durch ein Podiumsgespräch (auf Wunsch des Publikums) von dieser Inszenierung abgeschreckt. Später habe ich ihn dann nur als eindrucksvollen Dalibor erlebt, bevor er ernstlich krank wurde.