Es wurde großartig gesungen. Die fünf Hauptpartien waren mit drei Ensemblemitgliedern und zwei Gästen besetzt. Hayoung Lee war eine darstellerisch und im vokalen Gefühlsausbruch großartige Blanche, die endlich mal wieder in einer Hauptpartie eingesetzte Katja Pieweck (Mutter Marie) glänzte mit ihrem silbrigen, problemlos die Sopranhöhe erreichenden Mezzo, Dovlet Nurgeldiyev imponierte schönstimmig als Le Chevalier. Bei den Gästen handelte es sich um Doris Soffel, die als erste Priorin (Madame de Croissy) einen bewegenden Sterbemonolog sang und um Emma Bell, die mit großem leuchtenden Sopran der zweiten Priorin (Madame Lidoine) ihre Stimme lieh. Der eher helle und nicht sehr durchschlagende Sopran von Christina Gansch passte gut zur Rolle der noch verspielt naiven Schwester Constance. Den Marquis de la Force, dem Poulenc nur im ersten Bild bedachte, sang tadelsfrei Marc Barrard. Auch die zahlreichen anderen, in kurzen Nebenrollen Mitwirkenden minderten nicht das hohe gesangliche Niveau der Aufführung. Da Kent Nagano erkrankt war, hatte Stefan Blunier die Leitung der Hamburger Philharmoniker übernommen.
Bei dieser „Dialoge der Karmeliterinnen“ genannten Oper von Francis Poulenc (nach einem Schauspiel von Georges Bernanos) handelt es sich um ein wahres Geschehen. Während der französischen Revolution weigerten sich zahreiche Nonnen des Karmeliterinnenklosters in Compiègne (nahe Paris) ihr Gelübde abzulegen und wählten 1794 den Weg unter die Guillotine. 1906 wurden sie dafür von Papst Pius X. selig gesprochen. Die Oper beginnt im Hause des Marquis de La Force, dessen von den Vorgängen auf der Straße völlig verängstigte Tochter Blanche Ruhe im Kloster finden will. Gegen den Rat des Vaters und des Bruders (Le Chevalier) unterzieht sie sich den Riten des Klosterlebens, geprüft von der sterbenskranken Priorin Madame de Croissy und begleitet von der jungen Novizin Constance. Sterbend gesteht die Priorin ihre Angst vor dem Tod und sieht traumwandlerisch das Ende des Klosters kommen. Sie vertraut die ihr ergebene Blanche der Mutter Marie an. Madame Lidoine wird zur neuen Priorin gewählt. Die Revolution fordert ihren Tribut (der Vater wird hingerichtet), der Bruder versucht Blanche aus dem Kloster zu retten. Blanche will aber lieber in den Tod gehen, als ihr Gott gegebenes Versprechen zu brechen. Der Priester des Klosters berichtet den Schwestern von der Auflösung des Klosters, Mutter Marie schwört ihre Mitschwestern auf den Märtyrertod ein. Nach anfänglichem Widerstand schließt sich Constance der Gruppe an. Letztlich überzeugt der Priester Mutter Marie, dass der Opfertod nicht ihre Bestimmung sei. Mutter Marie flieht verkleidet aus dem Kloster und nimmt Blanche mit. Die Karmeliterinnen werden verhaftet und am nächsten Tag guillotiniert, als letztes stößt Blanche, die Mutter Marie doch nicht folgte, zu den Märyrerinnen und lässt sich hinrichten.
Das ist schon sehr tiefenschwer, was hier inhaltlich geboten und gesanglich zum Ausdruck gebracht wird. Angst vor dem Leben, Angst vor dem Sterben, Angst vor dem Tod, darum kreist dieses Stück. Da bleibt einem beim Zuschauen und Zuhören manchmal nicht mehr viel Luft zum Atmen. Es wird französisch gesungen, das Lesen der Übertexte ist für das Verständnis notwendig, das lenkt schon vom Gesang und auch vom Orchesterklang ab. Das Bühnenbild (Raimund Bauer) ist einfach, aber sehr überzeugend. Die Wände bestehen aus dunklen blau-schwarz changierenden Lamellen, die hochgezogen werden können, der Bühnenboden ist ebenfalls lamellenartig gegliedert, von denen jede zweite abgesenkt werden kann (so können Sitzbänke imitiert werden, die senkrechten Lamellen dienen als Tore etc.). Fast unerträglich ist der Schluss der von Nikolaus Lehnhoff verantworteten Inszenierung: Vorn senkt sich über die gesamte Bühnenbreite ein schmale Streifen frei lassender Vorhang. Die Karmeliterinnen treten einzeln vor jede der Öffnungen, bis ein Fallbeil (eine schwarze, unten beschwerte Stoffbahn) niedersaust und die Öffnung verschließt. Vor die letzte Öffnung tritt Blanche, danach ist alles schwarz.
Das Haus war schwach besucht, ca. 70% der Plätze blieben frei, das tat dem Beifall keinen Abbruch. Warum eine bühnentechnisch, inszenatorisch, gesanglich und musikalisch so starke Aufführung so wenig Zuschauer anzieht, sollte man sich aber schon fragen. Der Direktion ist jedenfalls kein Vorwurf zu machen. Besser geht es wohl nicht. Natürlich ist die Oper inhaltlich herausfordernd, die Thematik des gemeinsamen Märtyrertodes vielleicht nicht mehr von dieser Welt, und wer mag sich schon gern mit den Thema Angst vor dem Tod auseinandersetzen; aber, von Belang ist sicherlich auch die blamable Situation der lokalen Presseberichterstattung. Es gibt ja in Hamburg leider nur noch eine Tageszeitung (das Hamburger Abendblatt), welche sich etwas ausführlicher mit kulturellen Themen befasst. Der dortige Leiter des Kulturressorts fühlt sich aber offenbar weitgehend nur noch für das Konzertwesen (und jetzt insbesondere für die Elbphilharmonie) zuständig (und hinreichend kompetent), während eine kontinuierliche Opernberichterstattung schon lange nicht mehr erfolgt. Allein schon von der Besetzung her herausragende Aufführungen wie diese „Dialoge der Karmeliterinnen“ oder jüngst der exzellente „Macbeth“ finden so keinen Niederschlag in der Presse mehr. Hier müsste das Hamburger Abendblatt als einzige Lokalzeitung mit kulturellem Anspruch und auch entsprechender Leserschaft sich selbst eigentlich stärker in der Pflicht sehen.