Meyerbeers "Le Prophète" in Essen, 23. April 2017

  • Ich bin alles andere als ein Kenner der Opern Meyerbeers. Einige wenige habe ich als DVD im Regal stehen, aber weder hatte ich „Le Prohète“ vorher gehört, noch habe ich eine Meyerbeer-Oper jemals auf der Bühne gesehen. So habe ich der gestrigen Aufführung mit einiger Erwartung, aber auch einer Portion Ungewissheit entgegen gesehen. Bei einem Werk mit einer Aufführungsdauer von 4 ½ Stunden (inkl. 2 Pausen) kann die Zeit schnell lang werden, wenn es nicht überzeugt. Diese Befürchtung war allerdings gänzlich unbegründet: es war keine Minute zu lang, so schön und auch abwechslungsreich ist diese Oper musikalisch (weswegen ich es auch überhaupt nicht verstanden habe, dass einige Plätze schon nach der ersten Pause leer blieben).


    Miserabel war leider die Inszenierung von Vincent Boussard. Da meine bisherigen Erfahrungen mit diesem Regisseur nicht gerade positiv waren, war ich schon vorher skeptisch, aber auch bei dem Versuch einer unvoreingenommenen Beurteilung mit einem halben Tag Abstand muss ich sagen: die szenische Umsetzung dieses Werks war misslungen. Nicht etwa deswegen, weil ich die (nicht vorhandenen) üppigen Kulissen und historisierenden Kostüme vermisst hätte, daran liegt mir nichts. Sondern weil diese Inszenierung einfach völlig nichtssagend und dabei nicht einmal ästhetisch ansprechend war, was man den bisherigen Regiearbeiten von Boussard, die ich kenne, wenigstens noch zugute halten kann. „Le Prohète“ hat viele Ebenen, die eine Inszenierung herausarbeiten könnte: eine religiöse, eine politische, eine psychologische in der Mutter-Sohn-Beziehung und wahrscheinlich noch einige mehr. Nichts davon wurde hier irgendwie erhellt, es fehlte jedes schlüssige Konzept.


    Auf Kulissen hat diese Inszenierung weitgehend verzichtet, das Geschehen spielte sich zwischen hohen grauen Wänden ab, die manchmal mit ein paar Objekten behangen, meistens aber kahl und gelegentlich verschieden beleuchtet waren. Ich habe nichts gegen minimalistische Kulissen, auch wenn ich diese hässlich fand. Aber dann muss die Personenregie stimmen, und die war furchtbar. Unzählige Male standen die Sänger weit voneinander entfernt, wo sie eigentlich einander nahe hätten sein müssen, sangen voneinander abgewandt ins Publikum, wo sie sich eigentlich hätten anschauen müssen usw. Nur ein Beispiel: Oberthal erkennt in der 2. Szene seinen ehemaligen Kellermeister in einem der Widertäufer, schaut ihn dabei aber nicht einmal an. Derartige Absurditäten gab es viele. Und vor einer der schwierigsten Aufgaben eines Regisseurs, nämlich der Gestaltung von Massenszenen und der Führung des Chors, hat Boussard einfach kapituliert: Der Chor wurde von der Drehbühne auf- und abgefahren und stand während seiner Auftritte ansonsten fast immer statisch herum. Noch so eine absurde Szene: Als Fidès im 4. Akt ihren Sohn erkennt und anruft, der sich in Anwesenheit seiner Anhänger gerade zum Kaiser krönen lassen will, ist der Chor gerade mal wieder von der Drehbühne abgefahren worden und bekommt somit ihren Aufschrei „Mein Sohn!“ überhaupt nicht mit, quittiert diesen dann aber trotzdem von hinter der Wand mit „Ihr Sohn! Ihr Sohn! Ihr Sohn!“, um dann erst etwas später von hinten wieder auf der Szene zu erscheinen. Überhaupt die Drehbühne: Boussard scheint sie zu lieben, denn sie war gefühlt während der halben Zeit in Bewegung. Nicht nur zu den nötigen Szenenwechseln rotierte sie, sondern auch ganz unnötig mittendrin, während der Orchesterzwischenspiele und während der Ballettszene im 3. Akt. Einfach nur nervig.


    Auch bei den Kostümen war keine Linie erkennbar. Teils waren sie modern, etwa bei Jean, dessen Zimmer dazu passend ein Bild eines holländischen Nationalspielers in einer quasi-religiösen Pose zierte und dessen Kneipen-Hinterzimmer mit einer Bierkästenwand abgetrennt war, und passend zu den Laptops, denen sich die drei Wiedertäufer gelegentlich bedienten. Andere Personen trugen altertümlich anmutende Gewänder, so etwa die Bürger Münsters mit Anzügen und Melonen, Jeans Anhänger teils punkig wirkende Phantasiekostüme, teils kitschig-bunte pseudo-sakrale Gewänder. Auch hier fehlte wieder ein Konzept, man kann nicht einmal sagen, dass die Inszenierung aktualisierend sein wollte. Ein eher komisches Detail: Fidés war nicht von ihrem Handtäschchen zu trennen, das sie allzeit über dem Unterarm baumeln lassen musste, selbst als Bettlerin und in den Kerker geworfen war es offenbar unverzichtbar für sie. Immerhin konnte sie es dann theatralisch zu Boden pfeffern, als sie sich im Kerker über ihren Sohn empörte. Einige Figuren waren eher Karikaturen, so der im 1. Akt als Lüstling posierende Oberthal und die drei Wiedertäufer.


    Auch die Schlussszene war enttäuschend inszeniert. Es muss ja nicht gleich die ganze Kulisse explodieren oder abbrennen, aber etwas mehr hätte sich Boussard da schon einfallen lassen können als ein bisschen Kunstnebel. So war es völlig antiklimaktisch.


    Wesentlich erfreulicher als die Regie waren die sängerischen Leistungen, soweit ich das beurteilen kann. Besonders Marianne Cornetti hat mich in der Rolle der Fidés beeindruckt, die ja so etwas wie die heimliche Hauptrolle der Oper ist. Meyerbeer legte auf ihre Besetzung so viel Wert, dass er einen Streit mit dem Direktor der Pariser Opéra nicht scheute, der diese Rolle seiner Geliebten zuschanzen wollte, was die Uraufführung um Jahre verzögerte. Auch John Osborn als Jean war sehr gut, während ich die Stimme von Lynette Tapia als Berthe etwas dünn fand. Der Zacharie wurde von einem Einspringer (Avtandil Kaspeli) von der Seite der Bühne gesungen, während der an einer Kehlkopfentzündung leidende eigentliche Sänger stumm auf der Bühne agierte. Das war manchmal etwas störend.


    Obwohl ich nur rudimentär Französisch spreche, sind mir einige Fehler in der Aussprache aufgefallen, so sang Osborn das "u" mehrfach falsch.


    Weil ich das Stück vorher nicht kannte, kann ich wenig zur Leistung des Orchesters sagen, außer dass dem Dirigenten Giuliano Carella die leisen Töne offenbar nicht liegen. Bei etlichen leisen Stellen stimmte zumindest an meinem Platz die Balance zwischen Orchester und Sängern nicht, zum Beispiel bei dem viel zu laut blökenden Saxophon, das Berthes Todesmonolog begleitete.


    Insgesamt war es trotz der enttäuschenden Inszenierung ein sehr schöner Opernabend und die Neuentdeckung eines wirklich hörenswerten Werkes für mich.


    Das Aalto-Theater war ungefähr zu 80-90% gefüllt, wie schon gesagt blieben nach den Pausen jeweils einige Plätze leer, und direkt nach Fall des Vorhangs drängelten sich nicht wenige Besucher durch die Reihen, um fluchtartig den Ausgängen entgegen zu stürzen, was ich nie verstehen werde. :no: Die verbliebenen applaudierten laut, besonders stark war der Beifall bei Marianne Cornetti und John Osborn.


    Eine Bildergalerie und einen Trailer findet man hier: http://www.aalto-musiktheater.de/premieren/le-prophete.htm

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.