Altisten, Countertenöre, Sopranisten: Ist ihre Wiederkehr künstlerisches Interesse oder Mode ?

  • Hallo,


    als Historiker weiß ich, daß mein Thema für das Thema dieser Rubrik zu spät liegt, aber da Barock und Rokoko landläufig künstlerisch derselben Epoche zugeordnet werden, subsummiere ich einfach mal. In den letzten 25 Jahren treten die "Sonder-Stimmlagen" der Altisten, Countertenöre und Sopranisten vermehrt im Klassikbetrieb vermehrt in Erscheinung, nehmen Tonträger mit der Musik von Komponisten des späten 17. und 18. Jhs. auf oder singen ursprünglich für Kastraten komponierte Opernpartien auf der Bühne. Künstler wie Jochen Kowalski, Max Emanuel Cencic, Andreas Scholl, Axel Köhler, Philipp Jaroussky oder Bezun Mehta wurden plötzlich zu Stars. Zwar haben OpersängerInnen schon immer einzelne Stücke oder Partien beispielsweise von Gluck oder Händel aufgenommen, aber plötzlich macht man sich eine ganze Gattung zu eigen: Andreas Scholl nahm eine Platte auf mit Arien des Kastraten Senesino und Cecilia Bartoli führte ihren hohen Mezzo auch sehr erfolgreich in der Welt der Kastraten spazieren. Früher nahmen sich nur virtuose Spezialisten, wie Alfredo Kraus, der "Antiken Arien" an. Heute wird eine ganze Epoche wiederentdeckt, interpretiert und vermarktet. Nun sind die Fragen:


    1.) Erlebt diese Musik eine Wiedergeburt, weil es heute wieder Instrumente, Ensembles und Künstler gibt, um sie angemessen zu interpretieren ?


    2.) Ist beim Publikum meist künstlerisch-musikalisches Interesse vorhanden, oder empfindet man irgendwie wohligen Grusel bei der Bewußtmachung des grausamen Sachverhaltes der Kastraten, wenn deren Musik gehört wird ?


    3.) Oder ist dem heutigen hedonistischen Wohlstandsmenschen die Welt der adligen Festefeierer des 18. Jhs. mittlerweile näher, als Verdis, Wagners und der Veristen Vertonungen von Kampf, Liebe und Pathos ?


    Ich freue mich auf Meinungen !


    Antalwin

  • 1.) Erlebt diese Musik eine Wiedergeburt, weil es heute wieder Instrumente, Ensembles und Künstler gibt, um sie angemessen zu interpretieren ?


    Die Frage kann man mit einem klaren "ja" beantworten. Wenn ich mir einige ältere Aufnahmen der wenigen Barock-Opern anhöre, die auch vor dem Revival im Repertoire überlebt haben, dann gruselt es mich nur (z.B. Händels "Giulio Cesare" mit einem Bariton in der Titelrolle), und es wundert mich nicht, dass sich diese Werke keiner besonderen Beliebtheit erfreuten. Heute ist das zum Glück anders, wir haben dank der geleisteten Pionierarbeit nicht nur Sängerinnen und Sänger, sondern auch Ensembles, die diese Werke angemessen aufführen können und immer wieder neue Stücke ausgraben.


    2.) Ist beim Publikum meist künstlerisch-musikalisches Interesse vorhanden, oder empfindet man irgendwie wohligen Grusel bei der Bewußtmachung des grausamen Sachverhaltes der Kastraten, wenn deren Musik gehört wird ?


    Ich denke nicht an Kastraten, wenn ich diese Werke höre, sondern erfreue mich an der wunderbaren Musik. Da Kastratenrollen vielfach durch Frauenstimmen substituiert werden, ist die gedankliche Verbindung da ohnehin nicht gegeben. Bei Countertenören mag es anders aussehen.


    3.) Oder ist dem heutigen hedonistischen Wohlstandsmenschen die Welt der adligen Festefeierer des 18. Jhs. mittlerweile näher, als Verdis, Wagners und der Veristen Vertonungen von Kampf, Liebe und Pathos ?


    Es geht doch bei den Opern des 18. und 17. Jahrhunderts nicht um das Feiern von Festen, sondern um mythologische und historische Stoffe, die höchst spannend sind. Hinzu kommt die Betonung von Affekten durch die virtuosen Arien der Barock-Oper (jedenfalls der italienischen), die dieses Genre für mich besonders reizvoll macht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich bedanke mich ! Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich kein Gegner dieser Musik bin ! Ich besitze Aufnahmen von Alessandro Moreschi, des letzten, echten Kastraten. Für mich einer der interessantesten Tonträger meiner Sammlung ! Auch ich weiß, daß die Musik jener Zeit sehr viel Effekt und Affekt hat.


    Antalwin


  • Die Frage kann man mit einem klaren "ja" beantworten. Wenn ich mir einige ältere Aufnahmen der wenigen Barock-Opern anhöre, die auch vor dem Revival im Repertoire überlebt haben, dann gruselt es mich nur (z.B. Händels "Giulio Cesare" mit einem Bariton in der Titelrolle), und es wundert mich nicht, dass sich diese Werke keiner besonderen Beliebtheit erfreuten. Heute ist das zum Glück anders, wir haben dank der geleisteten Pionierarbeit nicht nur Sängerinnen und Sänger, sondern auch Ensembles, die diese Werke angemessen aufführen können und immer wieder neue Stücke ausgraben.



    Das klassische Beispiel sind ja die Opern Cavallis in den Aufführungen von Raymond Leppard (immerhin der Ausgräber) und den neueren Fassungen, etwa von René Jacobs. Da liegen Welten dazwischen. Ich habe meine Leppards inzwischen weggeworfen und nur die booklets behalten.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das geht deutlich weiter zurück als 25 oder 30 Jahre. Ein Interesse an (freilich oft stark bearbeiteten) Barockopern gibt es seit den 1920er/30er Jahren mit den Göttinger Händel-Festspielen. Etwa gleichzeitig erfolgte die Wiederentdeckung Monteverdis und auch ein gesteigertes Interesse an Musik des Mittelalters und der Renaissance. Der erste berühmte Countertenor war Alfred Deller (1912-79) und der war eher mit Musik von Dowland und Purcell aktiv als mit Barockoper. Denn in England gab es in der Chormusik die männliche Falsettlage durchgehend seit Jahrhunderten, während auf dem Kontinent meist gemischte Chöre die rein männlichen Ensembles verdrängten.
    Schon um 1960 wurde eine "All Star"-Aufnahme von Händels Alcina (mit Sutherland u.a.) produziert. Obwohl es also naheliegenderweise Parallelen zwischen Aufführungspraxis und der Etablierung bestimmter Stücke und Komponisten gibt, war das nicht unbedingt synchron.


    Überdies waren männliche Alt-Solisten ja erst einmal so selten, dass man, ganz abgesehen von ihrer Eignung für Kastratenrollen, gar nicht genügend gehabt hätte. Und meines Wissens werden und wurden durchweg sowohl für Soli in geistlicher Musik als auch erst recht in Opernrollen auch Frauen eingesetzt. Sogar zur Zeit der Kastraten gab es auf Kastratenrollen spezialisierte Sängerinnen, vermutlich weil Kastraten oft zu teuer waren (Man braucht meistens zwei, oft drei für eine typische hochbarocke Oper).


    Der Einsatz von Falsettisten für diese Rollen ist m.E. nicht ganz unproblematisch. Oft sind sie damit eher überfordert als entsprechend spezialisierte Frauen. Wie die Kastraten zu ihrer Blütezeit klangen, werden wir wohl nie erfahren, aber alle Beschreibungen stimmen darin überein, dass diese Stimmen eine außerordentliche "Durchschlagskraft" hatten, was man von Countertenören in größeren Räumen kaum behaupten kann (selbst gegen Ende der Epoche Anfang des 19. Jhd. meinte Schopenhauer noch, dass keine Frauenstimme diesem Gesang gleichkäme - und dieses Urteil war wohl nicht der Schopenhauerschen Weiberfeindschaft geschuldet ;)). Insbesondere haben Falsettisten tendenziell Problem in der Tiefe. Aber natürlich ist das auch eine Nische und damit eine Chance für manchen Sänger, daher werden sie uns wohl eine Zeitlang erhalten bleiben, selbst in Rollen, bei denen ihr Einsatz fragwürdig ist.


    https://books.google.de/books?…q=Heine%20kastrat&f=false


    Dass die Renaissance der Alten Musik und speziell der Barockoper auch bloß eine "Mode" ist, glaube ich dagegen nicht. Sicher werden sich Schwerpunkte auch mal wieder verschieben, aber in den 30 Jahren, die ich hier einigermaßen bewusst miterlebt habe, habe ich noch kein Nachlassen bemerkt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Den "Boom" der Countertenöre in den letzten zwei Jahrzehnten als reine Modeerscheinung unserer Zeit abzutun, erscheint mir ein wenig einseitig. Dass berühmte heutige Vertreter wie Philippe Jaroussky und Max Emanuel Cencic solch große Erfolge feiern und damit sogar einen Hörerkreis ansprechen, der sonst wenig klassische bzw. (besser) Alte Musik hört, ist freilich ein interessantes Phänomen. Womöglich hat das auch mit dem Auftreten der Countertenöre zu tun. Jaroussky, mittlerweile beinahe vierzig, wirkt wie ein ewiger Jüngling. Cencics exzentrisches Auftreten mag auch viele ansprechen. Zumindest letzterer macht ja kein Geheimnis aus seiner Veranlagung. Inwieweit auch diese ansprechend ist, sei mal dahingestellt. Zumindest klischeehaft stehen Countertenöre in der Öffentlichkeit für einen homoerotischen Unterton. Die Ablehnung, die ihnen gerade von Anhängern der spätromantischen Oper entgegengebracht wird, kann zumindest auch teilweise eine Ablehnung eben dieses Untertons sein.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Der Einsatz von Falsettisten für diese Rollen ist m.E. nicht ganz unproblematisch. Oft sind sie damit eher überfordert als entsprechend spezialisierte Frauen. Wie die Kastraten zu ihrer Blütezeit klangen, werden wir wohl nie erfahren, aber alle Beschreibungen stimmen darin überein, dass diese Stimmen eine außerordentliche "Durchschlagskraft" hatten, was man von Countertenören in größeren Räumen kaum behaupten kann (selbst gegen Ende der Epoche Anfang des 19. Jhd. meinte Schopenhauer noch, dass keine Frauenstimme diesem Gesang gleichkäme - und dieses Urteil war wohl nicht der Schopenhauerschen Weiberfeindschaft geschuldet ). Insbesondere haben Falsettisten tendenziell Problem in der Tiefe. Aber natürlich ist das auch eine Nische und damit eine Chance für manchen Sänger, daher werden sie uns wohl eine Zeitlang erhalten bleiben, selbst in Rollen, bei denen ihr Einsatz fragwürdig ist.


    Über den Einsatz von Countertenören in Kastratenrollen gibt es ja auch bei Barock-Spezialisten sehr unterschiedliche Meinungen. Klar ist: weder Countertenöre noch Frauenstimmen klingen wie Kastraten. Insofern ist eine historisch authentische Aufführung von Barock-Opern heutzutage bei diesen Rollen nicht mehr möglich, und man muss den besten Ausweg finden. Gegen Countertenöre spricht, dass sie mit ihrer Falsettstimme von den Kastraten wohl weiter entfernt sind als Frauen. Händel beispielsweise hat Frauen als Ersatz für Kastraten eingesetzt, wenn diese aus irgendwelchen Gründen nicht zur Verfügung standen, obwohl es in England damals auch Countertenöre gab. Allerdings waren diese im geistlichen Chorgesang tätigen Sänger nicht für Opern ausgebildet, im Gegensatz zu den heutigen Countertenören, die sich den dazu nötigen Stimmumfang antrainieren. Für den bekannten Farinelli-Film von 1994 wurden bei den Arien noch ein Countertenor und eine Sopranistin zusammengemischt. Ich habe kürzlich die Aussage gelesen, dass das heute nicht mehr nötig wäre, weil die heutigen Countertenöre das auch alleine schaffen würden. Für Countertenöre spricht auf jeden Fall, dass das Spiel mit den Geschlechterrollen ein wichtiger Bestandteil der Barockoper ist und es natürlich anders wirkt, wenn männlich-heroische Herrscher wie Julius Cäsar oder Tamerlano von einer Frau dargestelllt werden. Und der besondere Effekt eines mit hoher Stimme singenden Mannes geht dabei eben auch verloren, der sicher zum Reiz des ganzen beiträgt.


    Ich denke, da gibt es keine Pauschallösung, man muss die Besetzungen von Fall zu Fall entscheiden, abhängig von den zur Verfügung stehenden Sängerinnen und Sängern und dem künstlerischen Gesamtkonzept einer Produktion. Ich bin mir sicher, dass Countertenöre keine Modeerscheinung sind, sondern sich als Opern-Stimmfach fest etabliert haben. Und ich bin froh darüber, weil ich ihren besonderen Klang gerne mag.


    Ich habe übrigens einen der wenigen echten männlichen Soprane der heutigen Zeit bei den berühmten Stimmen vorgestellt: Radu Marian. Der klingt schon anders als ein Countertenor und auch anders als eine Frau.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Hallo,


    welche Vorteile soll ein männlicher Sopran gegenüber einer vom Opernbetrieb stimmlich nicht verdorbenen Sopranistin haben (ich denke da z. B. an Nuria Rial)?


    Für Musik (keine Opern) z. B. bis zum Ende der Barockzeit erscheint mir eine stimmlich (sehr gut steuerbares Tremolo!) und vom Stimmumfang prächtig aufgestellte Altistin immer geeigneter als ein männlicher Ersatz. Wenn es um die stimmliche Durchschlagskraft im Opernbetrieb geht, kann ein Countertenor Vorteile haben.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich habe übrigens einen der wenigen echten männlichen Soprane der heutigen Zeit bei den berühmten Stimmen vorgestellt: Radu Marian. Der klingt schon anders als ein Countertenor und auch anders als eine Frau.


    Ja, ganz anders klingt er - nämlich schrecklich. Ich halte das für einen Irrtum.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ja, ganz anders klingt er - nämlich schrecklich. Ich halte das für einen Irrtum.


    Was meinst Du mit Irrtum? Wer irrt sich hier? Verstehe ich nicht. ?(


    Ich finde ganz und gar nicht, dass Radu Marian schrecklich klingt, die Bononcini-Arien und seine Arien in der Albinoni-Serenata gefallen mir sogar sehr gut. In letzterer kann man übrigens sehr gute Vergleiche anstellen, weil auch eine weibliche Sopranistin und ein Countertenor mitwirken:




    Wie die berühmten Kastraten Farinelli, Senesino etc. geklungen haben, wissen wir leider nicht. Aber immerhin gibt es Tondokumente des wohl letzten Kastraten, Alessandro Moreschi.


    Hier kann man Moreschi hören - den finde ich schrecklich, aber nicht wegen der Höhe seiner Stimme, sondern weil er jault (oder liegt das an der Aufnahmetechnik?):


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Was meinst Du mit Irrtum? Wer irrt sich hier? Verstehe ich nicht. ?(


    Ich finde ganz und gar nicht, dass Radu Marian schrecklich klingt, die Bononcini-Arien und seine Arien in der Albinoni-Serenata gefallen mir sogar sehr gut. Wie die berühmten Kastraten Farinelli, Senesino etc. geklungen haben, wissen wir leider nicht. Aber immerhin gibt es Tondokumente des wohl letzten Kastraten, Alessandro Moreschi.


    Hier kann man Moreschi hören - den finde ich schrecklich, aber nicht wegen der Höhe seiner Stimme, sondern weil er jault (oder liegt das an der Aufnahmetechnik?):


    Ich irre mich gern, lieber Bertarido. Es gibt nichts Produktiveres als einen Irertum, den man als solchen erkennt - und anerkennt. Im Fall von Marian halte ich es dennoch für einen Irrtum, die Stimme in diese Richtung zu lenken. Moreschi ist nun wirklich ein ganz anderer Fall. Er ist der letzte und damit der einzige Kastrat, von dem Tonaufnahmen existieren. Da kommt einiges im Umgang von mindestens einer LP zusammen. Er war damals bereits über die fünfzig. Diese Dokumente von 1904 sind für mich nur von historischem Interesse. Es ist wirklich nicht leicht, sie anzuhören. Abqualifizieren würde ich sie aber nicht. Wenn ich die Geschichte richtig erinnere, war die Aufnahmefirma nach Rom gereist, um die Stimme des neu gewählten Papst Pius X. (Foto unten) zu dokumentieren. Moreschi, der in vatikanischen Diensten stand, war nur eine Art Abfallprodukt. Ich weiß nicht einmal mehr, ob sich der Papst dann auch für Aufnahmen zur Verfügung stellte.



    Moreschi ist als Kappellsänger nicht einem Kastraten aus der Oper zu vergleichen. Die müssen wirklich phänomenal gesungen haben. Beschreibungen und verlässliche Zeitzeugenberichte gibt es zuhauf.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich irre mich gern, lieber Bertarido. Es gibt nichts Produktiveres als einen Irertum, den man als solchen erkennt - und anerkennt.


    Völlig d'accord. Ich hatte nur nicht verstanden, wer oder was sich da geirrt haben soll.


    Im Fall von Marian halte ich es dennoch für einen Irrtum, die Stimme in diese Richtung zu lenken.


    Warum lenken? Er hat einfach eine so hohe Stimme, weil er aufgrund einer endokrinen Funktionsstörung nie in den Stimmbruch kam. Eben genauso, wie es bei Kastraten der Fall war, nur dass dort die Testosteron-Produktion auf brutalere Weise unterbunden wurde.


    Ich weiß nicht einmal mehr, ob sich der Papst dann auch für Aufnahmen zur Verfügung stellte.


    Doch, doch, auf dem YouTube-Clip ist der Papst ganz am Ende zu hören (ab 50:40).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich bedanke mich für die kenntnisreichen Antworten ! Zunächst: Ich wollte nicht in Abrede stellen, daß es Interesse an dieser Musik, zmindest an Händel und Gluck, schon seit 60 Jahren wieder gibt. Die Aufnahmen von Alcina, Julius Caesar und Xerxes mit Wunderlich besitze ich. Es verwundert einem sehr, wenn man hört, daß selbst Mario del Monaco seine Spinto-Dramatico-Stimme in Händels Ariodante erprobte. Nur Wenige wissen außerdem, daß Peter Hofmann 1982 nach Bayreuth nach Dortmund ins Studio ging, um den Gluck´schen Orfeo aufzunehmen, als er, ich besitze die Aufnahme, seine Parsifal-Stimme in Kastraten-Höhen führte. Es ist das wiedererwachte Interesse an einer versunkenen musikalischen Welt, daß zum Nachwachsen von Countertenören, Altisten und Sopranisten geführt hat, die dann übrigens ein riesenhaftes Repertoire vorgefunden haben. Wir werden nie erfahren, wie Kastraten wirklich geklungen haben, aber, halten zu Gnaden, nachdem ich Radu Marian gehört habe, trotz unbestreitbarer Virtuosität, möchte ich es auch nicht erfahren ! An anderer Stelle sollte der Einsatz dieses Stimmtypus auch nicht zu sehr Raum greifen: Muß es denn sein, daß, nach Beispiel Jochen Kowalski, der Orlowsky in der Fledermaus immer öfter von einem Countertenor statt einer Mezzosopranistin gesungen wird ? Wie dem auch sei: Der Stimmtypus trieb und treibt die Komponisten um. Nicht nur Mozart und Rossini komponierten noch für Kastraten, auch Wagner plante ursprünglich, den Klingsor im Parsifal für eine Kastratenstimme. Jochen Kowalski verkündete schon vor Jahren, daß extra für ihn Musik komponiert werde !


    Antalwin