Webers "Freischütz" in Münster - Aufführung vom 7.4.2017

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    Meine Vorfreude war nach der Matinée am 12. 3 groß – und leider die Enttäuschung gleich zu Beginn um so größer: Wegen Krankheit musste Mirko Roschkowski kurzfristig absagen, der in der Matinée als „Max“ so überzeugt hatte mit einem ebenso stimmmächtigen wie differenzierten Vortrag – Mozart und Schubert als Anklänge. Für ihn sprang Tilmann Unger ein, der den „Max“ in der Hannoveraner „Skandal“-Inszenierung gesungen hatte und später dann in Stuttgart und zuletzt in Dresden. Das Konzept von Regisseur Carlos Wagner, den Eremiten und den Samiel in einer Person zu vereinigen, wurde durch eine weitere Krankmeldung – Sebastian Campione – durchkreuzt. Es fand sich natürlich so schnell kein Ersatz, wo jemand tatsächlich beide Rolle übernehmen konnte.


    Als Intendant Ulrich Peters bei Regisseur Carlos Wagner anrief, um ihn für den „Freischütz“ zu engagieren, brauchte der erst einmal etwas Zeit, um zuzusagen. Wegen der Klischeebeladenheit dieser „deutschesten“ aller deutschern Opern (meine Frau, die ja keine gebürtige Deutsche ist, meinte beim „Jägerchor“ nur: „Das ist aber sehr (!) deutsch!“) und der Erwartungen des Publikum, genau dieses Klischee auf der Bühne auch präsentiert zu bekommen, machen Regisseure von heute um das Stück eher einen großen Bogen.


    Anstelle einer „naturalistisch“ bebilderten Inszenierung lässt Carlos Wagner das Bühnenbild zum Spiegel der Innenwelt werden. Dieser Ansatz ist dem Regieteam (für Bühnenbild und Kostüme war Christophe Ouvrard zuständig) auch rundum gelungen. Man sieht eine ruinenhaft zertrümmerte Hauswand, durch die ein riesiger Baum mit Wurzelwerk gefallen ist wie nach einem großen Sturm. Die romantische Symbolik und Stimmung ist also da – das Fantastische, Bizarre. Zugleich wird damit die Öffnung des Wohn- und Kulturraums zur Natur hin symbolisiert. Die bürgerliche, prosaische Welt ist also nicht in sich geschlossen, sondern offen für das Unheimliche. Die Figuren prägt – so Carlos Wagner – ihre Entwurzelung, was sich auf diese Weise eindrucksvoll im Szenenbild verdichtet. Das Bestreben der Regie, Klischees zu vermeiden, ging kurioser Weise ursprünglich so weit, dass die Regie ausgerechnet auf den Jägerchor verzichten wollte, was aber am „Einspruch“ des musikalischen Leiters Stefan Veselka scheiterte, der zudem bemerkte, dass Carlos Kleiber in seiner Aufnahme „gepfuscht“ habe, nämlich acht Hörner verwendet. Mit den Klischees des Zuschauers wird statt dessen gespielt. Während der Ouvertüre projiziert die Inszenierung das Schattenbild eines gefilmten, lebenden „röhrenden Hirschs“ in das Szenenbild des entwurzelten Baumes. Und tatsächlich hörte man eine Zuschauerin sagen: „Das ist der röhrende Hirsch!“. Der „Aha“-Effekt kam also an, hatte etwas von Loriots „Karneval der Tiere“: „Meine verehrten Damen und Herren, sorgen Sie sich nicht, der röhrende Hirsch kommt wirklich!“ War das etwa die ironische Antwort auf Hannover? Oder die „Rache“ dafür, dass der Regisseur den Jägerchor nun doch nicht streichen durfte? :D


    Weil die Unheimlichkeit durch das omnipräsente, bizarre Bühnenbild immer da ist, muss sie in der schauerromantischen Wolfsschlucht-Szene auch nicht eigens evoziert werden. Carlos Wagner stellt dort die Welt auf den Kopf – Kronleuchter mit Kerzen, Möbel stehen mephistophelisch verkehrt herum auf dem Boden. Nicht ganz verstanden habe ich, warum auf den berühmten Schuss zu Beginn der ersten Szene verzichtet werden musste. Das ist sicherlich ein Theatercoup und Wirkungsästhetik pur. Aber das gehört finde ich zu dieser Oper dazu. Zudem war die Regie nicht konsequent in dieser Hinsicht. Warum hört man erst bei den Jägern keine Schüsse, bei Ännchens komischem Auftritt aber schon? In der Durcharbeitung gab es manche Schwächen, so agierte der Chor beim Gesellschafts-Gruppentanz zu Beginn so steif, als ob er nicht richtig geprobt hätte. Den Schuhplattler machten sie dann allerdings sehr gut! Die Regie-Konzeption fand ich stimmig, allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass die Buntheit der Stilmischung bei Weber ein bisschen im einheitlichen Grau in Grau des schauerromantischen Bühnenbildes untergeht, dem knorrigen entwurzelten Baum, der mit der Drehbühne immer wieder fleißig gedreht wird.


    Insgesamt, muss ich sagen, gehöre ich nicht zu den „Freischütz-Enthusiasten“. Nichts gegen die Musik und die musikgeschichtliche Bedeutung der Oper. Aber es ist einfach nicht von der Hand zu weisen, dass es dieses Libretto – freilich höchst wirkungsvoll und erfolgreich – schafft, Romantik als Opernklischee für Jedermann zu präsentieren. Da wird einfach alles nacheinander auf dem Tablett serviert, was Lieschen Müller so mit Romantik verbindet: Deutsches Singverein-Gemeinschaftsgefühl durch die reichliche Verwendung des Chors (Kommentar meiner Frau: „bei Euch Deutschen geht es immer um „Gemeinschaft“) , Jäger- und Schützenvereinsromantik mit dem dazugehörigen Tralala, Schauerromantik, bei der einer meiner Germanistikprofessoren, der Romantikexperte Heinz Rölleke, nicht ohne ironisches Lächeln auskam, und nicht zuletzt Biedermeier-Kitsch wie der Jungfernkranz. Herrlich, was Heinrich Heine einst schrieb, der die Oper zugleich liebte und hasste:


    „Haben Sie noch nicht Maria von Weber’s ‚Freischütz‘ gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper ‚das Lied der Brautjungfern‘ oder ‚den Jungfernkranz‘ gehört? Nein? Glücklicher Mann!“


    Mit heutigen Maßstäben gemessen fast schon peinlich ist der dramaturgisch völlig „unwahrscheinliche“ Schluss. In Johann August Apels Novelle, die Weber und Kind für ihr Libretto ausschlachteten, erschießt Max Agathe und endet im Wahnsinn. Opernwirksam wird dieses tragische Ende nun umgemodelt in ein Happy End, wo sich alles zum Guten wendet und alle zufrieden nach Hause gehen können. Durch solche Libretto-Bastelei wird allerdings Entscheidendes, etwa dass der Hochzeitskranz durch einen Totenkranz vertauscht ist, schlicht und einfach unlogisch. In Apels Novelle macht dieses Symbol der dunklen Ahnung Sinn – Agathe selber heiratet nicht wie erwartet, sie wird von Max tatsächlich erschossen – durch das Opern-Happy-End verliert das Todessymbol schlechterdings jegliche dramaturgische Sinnhaftigkeit. Man kann das Mystische und Fantastische freilich so deuten, dass die gesellschaftliche Konvention im Grunde selber schon entwurzelt ist, von daher also auf eine höhere Gewalt zurückgegriffen werden muss, welche das Naturrecht der romantischen Liebesheirat durchsetzt. Warum sich aber ausgerechnet der weltliche Herrscher diesem fügt, ist schlicht nicht einsichtig und wohl nur dem Wunschdenken der Restaurationszeit geschuldet, die Obrigkeit möge mit dem „Göttlichen“ im Einklang stehen, was sie aber eigentlich gar nicht mehr will, kann und darf, denn der unaufhaltsame Zug der Aufklärung ist längst abgefahren. All das kann man einem Zuschauer von heute, der Sinn in dieser Opern-„Handlung“ (die eigentlich keine ist, denn es regiert allein das Schicksal) sucht, als dramatische „Lösung“ nun wirklich nicht mehr ernsthaft zumuten. Adorno hasste bekanntlich das „Affirmative“, die Hohlheit von Schlussapotheosen, und hier, beim Finale des „Freischütz“, schießt einem das unweigerlich in den Kopf. Der musikalischen Leitung merkte man auch an, dass sie sich vor allzu viel Finalbegeisterung in Acht nehmen wollte. Genau diese intellektuell besonnene Zaghaftigkeit „wirkt“ dann aber nicht – eine aufführungspraktische Quadratur des Kreises. Hier wird Regietheater fast schon zur Pflicht, dem Finale seine Peinlichkeit zu nehmen. Verständlich also, dass Carlos Wagner die Figuren des Eremiten und des Samiel vereinigte, um im Geiste Richard Wagners das Finale aus dem Ganzen heraus zu motivieren. Statt opernhafter Schwarz-Weiß-Malerei gibt es in dieser Inszenierung also Ambivalenz: Das romantische Schicksal, es kann sowohl das Gute wie das Böse einem Menschen „geben“, der voll und ganz seinem Schicksal „er“-geben ist. Und dass Kaspar – der „das Böse“ verkörpert – in der Inszenierung zum Schluss in einem kollektiven Akt verbrannt wird, zeigt eine Katharsis, die im Grunde ein Unmögliches bleibt, weil das Handlungsprinzip durch romantische Passivität – die Schicksalsergebenheit – außer Kraft gesetzt ist. So bekommt diese „Tat“ das Beklemmende von Scheiterhaufen und Bücherverbrennungen, die etwas zutiefst Humanes – wie es eben auch das im Menschen schlummernde Böse ist – zu vernichten trachten durch einen inhumanen Akt. Auf diese Weise schließt sich der Kreis in Carlos Wagners Inszenierung: Der erste Akt beginnt damit, dass der „Versager“ Max von seinen höhnenden Jägerkollegen kollektiv gequält wird und zum Schluss erscheint diese kollektive Qual im vermeintlichen Triumph des Guten über das Böse: Eine durch das Kollektiv, die „Gemeinschaft“, verleugnete Humanität als Ausgang und Ende wird zum Sinnbild einer entwurzelten Gesellschaft.


    Die „Vertretung“ Tilman Unger machte seine Rolle als Max sicherlich gut – die Vielschichtigkeit der Töne von Mozart bis Schubert, die mich bei Mirko Roschkowskis Matinée-Probesingen beeindruckte, vermisste ich allerdings. Wirklich hervorragend war die „Italienerin“ des Münsteraner Ensembles, Sara Rossi-Daldoss, als Agathe. Nicht nur, dass ihr die „italienischen“ Züge der Arien natürlich liegen, wie schon in der Matinée gefiel sie durch ihre schöne Stimme und wunderbare Piano-Kultur. Eva Baumüller passte einfach ideal für die „prosaische“ Gegenfigur der romantisch-poetischen Agathe mit ihrer Mädchenhaftigkeit und ihrem Humor. Wieder einmal eine Sternstunde präsentierte der Münsteraner Bösewicht vom Dienst, der Bass Gregor Dalal, in der Rolle des Kaspar. Zu Recht bekam er den größten Beifall, mit dem auch die anderen Solisten reichlich beschert wurden. Nur für den Chor, der im „Freischütz“ wirklich Schwerstarbeit zu verrichten hat, hätte ich mir einen Sonderapplaus gewünscht, den er sich wahrlich verdient hatte. Stefan Veselka leitete den Abend souverän und völlig uneitel im Dienst der Aufführung. Die Hörner klangen romantisch warm, wenn es auch in den schwierigen Partien einige Wackler gab. Ein rundum wirklich gelungener, schöner Opernabend!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger, vielen Dank für die detaillierte und wie immer sehr gehaltvolle und mit Gewinn zu lesende Besprechung! Außerdem hast Du die Schwierigkeiten, die auch ich mit dem Freischütz habe, sehr schön auf den Punkt gebracht. Daher werde ich mir diese Produktion wohl nicht anschauen, obwohl die Inszenierung in Münster zum Glück darauf verzichtet, die Klischees auch noch alle naturalistisch und ungebrochen auf die Bühne zu bringen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Holger, vielen Dank für die detaillierte und wie immer sehr gehaltvolle und mit Gewinn zu lesende Besprechung! Außerdem hast Du die Schwierigkeiten, die auch ich mit dem Freischütz habe, sehr schön auf den Punkt gebracht. Daher werde ich mir diese Produktion wohl nicht anschauen, obwohl die Inszenierung in Münster zum Glück darauf verzichtet, die Klischees auch noch alle naturalistisch und ungebrochen auf die Bühne zu bringen.

    Lieber Bertarido,


    danke! :) Vielleicht gehe ich hier zum ersten Mal in einen Ballettabend - Romeo und Julia. Die Matinee zur "Orchesterprobe" ist am 30. April. Da gehe ich hin und entscheide mich dann, ob ich mir das Stück ansehe, das zwar bekannt ist, aber das ich überhaupt nicht kenne! :D


    Schöne Sonntagsgrüße
    Holger

  • meinte beim „Jägerchor“ nur: „Das ist aber sehr (!) deutsch!“

    und was ist daran schlimm? Ein Italiener schämt sich doch sicher nie, wenn er den "sehr italienischen" Gefangenenchor aus Nabucco hören darf.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • und was ist daran schlimm? Ein Italiener schämt sich doch sicher nie, wenn er den "sehr italienischen" Gefangenenchor aus Nabucco hören darf.


    Herzlichst La Roche

    Nein, schlimm ist das gar nicht, lieber La Roche. Ich habe meiner Frau geantwortet: Das ist deutsche Romantik! Ein dankbares Stück für Chöre, und mitreißend ist das auch. Ich mag den Jägerchor! :D :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Auch ich möchte mich bedanken für den sehr interessanten und tief greifenden Bericht, lieber Holger. Nur an einer Stelle möchte ich einhaken:


    Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Mit heutigen Maßstäben gemessen fast schon peinlich ist der dramaturgisch völlig „unwahrscheinliche“ Schluss.


    Ist nicht diese Möglichkeit auch gegeben aus dem Libretto heraus: (dem Sinne nach) : "... doch die Siebente gehört dem Bösen. Der kann sie hinführen, wohin es ihm beliebt." D. h. konnte nicht Samiel die Kugel statt auf Agathe nicht genauso gut auf Kaspar lenken, so wie es geschehen ist? Oder hat am Ende Samiel (als Eremit) der Kugel eine andere Adresse gegeben? :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Sicher, die Kugel kann im Prinzip jeden trteffen. Die erste Ungereimtheit, lieber Willi, ist aber, warum ausgerechnet der Teufel den Unterschied zwischen "Gut" und "Böse" macht. Es wird merkwürdiger Weise der "Böse" (Kaspar) getroffen, aber das Gute (Agathe und ihre Liebesbeziehung zu Max) wird geschont. Normalerweise zerstört der Teufel aber gerade das Gute, er verkörpert ja das "Böse" als Prinzip. So ist es auch völlig schlüssig in der Novelle: Max tötet vom Teufel gelenkt seine Liebe und wird darüber wahnsinnig. Der verfehlte Schuss bekommt dagegen in der Oper den Charakter, dass sich hier eine Art höherer Gerechtigkeit vollzieht, also letztlich das Böse bestraft und das Gute belohnt wird. Das Böse richtet sich selbst: Kaspar wird getroffen. Dann darf man aber fragen: Hatte hier wirklich der Teufel, oder nicht vielmehr Gott seine Hände im Spiel? Das ist einfach eine eklatante Ungereimtheit, Libretto-Bastelei.


    Ebenso uneinsichtig ist die Begnadigung von Max. Warum soll ausgerechnet der Fürst die Aufhebung seiner Macht durch ein höheres Naturrecht akzeptieren? Das wird von der "Handlung" her überhaupt nicht klar. :D :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Vielen Dank für die ausführliche und ineressante Rezension.
    Nach meiner Erinnerung wird Agathe doch deswegen gerettet, weil ihr Kranz - auf Grund der versehentlich gelieferten Totenkrone - aus den geweihten Rosen des Eremiten geflochten wird und sie schützt?
    Der Jägerchor ist ein schönes Stück, aber er ist so "abgenudelt", dass ich ihn nur noch live ertragen kann.
    Meine Frau - die auch keine gebürtige Deutsche ist - erinnerten die "geselligen Szenen" in der Leipziger Inszenierung übrigens an Veranstaltungen meiner Studentenverbindung (was sicher kein Kompliment war) ;)
    Sie ist übrigens ein guter Indikator für die "Publikumsfreundlichkeit" der Regie, da sie die klassische "naive" Opernbesucherin ist und ich daher immer eine Rückmeldung bekomme, ob der plot und eine evtl. weitergehende Botschaft des Werkes angekommen sind, was übrigens bei der Leipziger Inszenierung der Fall war.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • ........
    Ebenso uneinsichtig ist die Begnadigung von Max. Warum soll ausgerechnet der Fürst die Aufhebung seiner Macht durch ein höheres Naturrecht akzeptieren? Das wird von der "Handlung" her überhaupt nicht klar. :D :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


    Das war in LE ganz plausibel: Der Fürst ist ein Populist und Narzisst, der sich (Freibier für alle) jovial in der Beliebtheit bei seinen Untertanen sonnt; daher gibt er (entsprechend der wahrgenommenen Stimmung des Volkes) eher widerwillig dem Eremiten nach.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Zitat

    Sicher, die Kugel kann im Prinzip jeden trteffen. Die erste Ungereimtheit, lieber Willi, ist aber, warum ausgerechnet der Teufel den Unterschied zwischen "Gut" und "Böse" macht.


    Egal was in DIESER Novelle steht, der Teufel macht in beinahe allen Sagen den Unterschied in Gut und Böse.


    Weil er nämlich MACHT nur über das Böse hat, man muß sich FREIWILLIG für das Böse entscheiden, damit der Teufel Macht über einen hat. In der Oper wird das ganz klar durch Samiel in Bezug auf Max gesagt: "NOCH HAB ICH KEINEN TEIL AN IHM"
    Er ist also Tabu, der Teufel versucht stets die "Guten" zu blenden und zu verführen. Erst wenn ihm das gelingt hat er Macht über ihn, Wäre das anders, so bräuchte er nicht Fausts Unterschrift (andere Baustelle, ähh Oper - ich weiß), welche ihm die Seele verpfändete, er nähm sie sich einfach - aber wir leben in einer zivilisierten Welt: SOO einfach ist das nicht.....


    Die Kugel kann zudem nicht jeden treffen, denn sie ist nur EINMAL benutzbar, Wenn der Teufel einen guten Christen abknallt, so hat er nichts davon, denn dessen Seele bekommt er nicht. Dann schon lieber Max, der ja schon in den letzten Tagen versucht hat mit diversen Tricks und Manipulationen aus dem ablaufenden Vertrag, der dem Teufel die Seele zugesteht, auszusteigen, bzw sich zu drücken. Ein klarer Schlußstrich - völlig vertrags- und termingerecht - ist hier die richtige Entscheidung.


    Wenn wir uns wieder in der Sagenwelt kundig machen, dann werden wird sehen, dass sich der Teufel sehr wohl an Abmachungen hält. Er holt sich die verpfändeten Seelen stets erst zum vereinbarten Zeitpunkt. Der Teufel schläft nicht nur nicht, er hat auch unendlich viel Zeit. Diese Einhaltung von Verträgen ist äusserst wichtig, denn wäre das nicht so, niemand würde sich mit dem Teufel auf ein Geschäft einlassen. So lebt jeder in der Illusion, er könne den Teufel überlisten, was in der Tat nur wenigen je gelang, und man muß sich die Frage stellen ob das nicht sogenannte "Werbeaktivitäten" sind, so wie wenn jemand im Lotto gewinnt, während die Mehrheit dort ihr Geld verliert. DAS ist gerade das Teuflische - die Illusion eines fairen Deals, bei dem man als Sieger hervorgeht...
    Der Schluß der Oper: Er ist vermutlich dem bürgerlichen Publikum geschuldet, das keinen unglücklichen Ausgang wünscht. Der Fürst unterwirft sich nicht einer höheren Macht, er ist ihr de facto permanent unterworfen. Das beruht vermutlich noch auf einem damals schon obsoleten Prinzip. wonach der Papst dem Kaiser, König, Fürsten oder wem auch immer als Vertreter der göttlichen Macht übergeordnet ist. Im konkreten Fall übernimmt der Prophet diese Aufgabe. Deus ex macchina....


    Da wir uns hier mit erfundenen Personen befassen, kann ich meine Theorie weder beweisen, noch habe ich das vor.


    Es ist nur ein mögliches Denkmodell.
    Freundliche GRüße aus Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Das war in LE ganz plausibel: Der Fürst ist ein Populist und Narzisst, der sich (Freibier für alle) jovial in der Beliebtheit bei seinen Untertanen sonnt; daher gibt er (entsprechend der wahrgenommenen Stimmung des Volkes) eher widerwillig dem Eremiten nach.



    Das kann man so sehen, muss man aber nicht. In der Partitur gibt es nämlich dafür keinerlei Belege. Die Semperoper war mit ihrer Wiedereröffnung Premiere vom Freischütz da Vorreiter Punkt und ich erinnere mich noch, wie man sich damals in den Rezensionen darüber mokiert hat, dass der Fürst typisch kommunistisch als Menschenschinder und Narzisst dargestellt wurde. ein paar Wochen später hatte Düsseldorf Premiere vom Freischütz und da war alles wie ein Märchen erzählt. Und somit war auch das Ende mit dem Eremiten völlig schlüssig, anrührend und glaubwürdig.

  • Das war in LE ganz plausibel: Der Fürst ist ein Populist und Narzisst, der sich (Freibier für alle) jovial in der Beliebtheit bei seinen Untertanen sonnt; daher gibt er (entsprechend der wahrgenommenen Stimmung des Volkes) eher widerwillig dem Eremiten nach.

    Diese Deutung, lieber Misha, ist in der Tat verbreitet, um der Handlung des Fürsten Sinn zu geben. Nur ist das wirklich schlüssig? Als Fürst - und Populist - kann er Gnade walten lassen. Doch was er tut, ist weit mehr als eine Begnadigung. Der Schlüssel zu allem ist die Figur des Eremiten. Er taucht auf in einer ausweglosen Situation als "Helfer" - das ist die Logik des Märchens. Das Märchen ist zwar ein "Kanon" der Romantik, nur gerät das in Widerspruch mit der Gattungstradition des Dramas. Die Handlung eines Dramas muss immer wahrscheinlich sein. Das Unwahrscheinliche ist undramatisch, weil es unmotiviert ist. Selbst Richard Wagner hat an diesem aristotelischen Prinzip nicht gerüttelt.


    Entscheidend beim Eremiten ist, dass er nicht nur die Begnadigung fordert, sondern die Aufhebung der gesellschaftlichen Konvention und des Rechts: Der Probeschuss findet in Zukunft nicht mehr statt. Das muss er auch, denn Max ist ein Versager, der ohne vom Teufel gelenkte Freikugel nicht mehr trifft. Der Fürst hätte ja auch sagen können: Du bekommst einen zweiten Freischuss (eine "zweite Chance"). Das geht aber nicht. Genau das ist jedoch unplausibel. Nach vorneuzeitlichem Verständnis gibt es eine Einheit von göttlicher und gesellschaftlicher Ordnung, die durch den Fürsten repräsentiert wird. Aufgehoben wird sie dann durch die neuzeitliche Idee des "Gesellschaftsvertrags". Auf die vorneuzeitliche, göttliche Legitimation kann sich der Fürst aber gar nicht mehr berufen. Statt dessen gibt es bei Weber und Kind die romantische Dichotomie von Natur und Gesellschaft. Wenn der Fürst Max begnadigt, kann er das nur, indem er die Gesellschaftsordnung aufhebt, konkret wenn er einem Versager, der nicht mehr trifft, ein Amt gibt, wo er treffen muss. Dann beugt er sich aber einem höheren Recht als dem gesellschaftlichen, nämlich dem Naturrecht. Damit hebt er jedoch im Grunde die Legitimation seiner fürstlichen Herrschaft auf.

    Egal was in DIESER Novelle steht, der Teufel macht in beinahe allen Sagen den Unterschied in Gut und Böse.


    Weil er nämlich MACHT nur über das Böse hat, man muß sich FREIWILLIG für das Böse entscheiden, damit der Teufel Macht über einen hat. In der Oper wird das ganz klar durch Samiel in Bezug auf Max gesagt: "NOCH HAB ICH KEINEN TEIL AN IHM"

    Ja, lieber Alfred, aber wenn Max die Freikugeln gießt, hat er sich dem Teufel verschrieben. Und mit der Freiwilligkeit ist es bei der romantischen Schicksalsgläubigkeit so eine Sache...


    Schöne Grüße
    Holger