"Jenufa" in Liberec /Reichenberg - eine großartige, beeindruckende Ensembleleistung

  • Am vergangenen Sonnabend war ich in Liberec zu "Jenufa".
    Eine ausführliche, spezielle Rezension ist heute etwas schwierig für mich, denn bisher kannte ich diese Oper überhaupt nicht, habe also keine Vergleichsmöglichkeiten.
    Aufgrund von Tipps und Hinweisen habe ich mir natürlich in Vorbereitung die Handlung durchgelesen und auch Video-Links angeschaut.
    Ich nehme es mal vorweg - erwartungsgemäß ist es nicht "meine Musik", ist nicht Verdi und Puccini, und doch muß ich sagen, es ist eine großartige Oper, eine Musik,
    passend zur Handlung, die fasziniert und beeindruckt und die man als Bereicherung und Erweiterung des musikalischen Horizonts erlebt haben muß.
    Mir selbst fehlen die Arien und Kantilenen, die zu Herz und Gemüt und sofort ins Ohr gehen, die man nach zweimal hören, mitsingen kann. Und doch muß ich sagen,
    es war ein tolles Erlebnis, einer schweren, unbekannten Musik. Diese Musik, diese Oper ist nach meiner Meinung und Einschätzung ganz sicher von allen Beteiligten
    schwieriger zu interpretieren als z. B. Verdi und Puccini, und da das hervorragend gelungen war, steigere ich mich zu der Schlagzeile:
    "Glücklich ein Haus (und seine Zuschauer), was solch ein hervorragendes, großartiges Ensemble hat"
    Was hier von allen Beteiligten mit dieser schweren, gewiß nicht leicht zu interpretierenden Musik geleistet wurde, das nötigt mir größte Hochachtung und Bewunderung ab!
    Hier stimmte leistungsmäßig alles - Orchester, Solisten, Chor - alle durchweg großartig und ohne Fehl und Tadel. Ich bin überzeugt, Kenner und Liebhaber dieser Oper
    hätten bestimmt auch eingeschätzt, die vier Hauptpartien "Jenufa, Küsterin, Steva, Laca" sind ideal besetzt. Da bleiben keine Wünsche offen - nicht nur stimmlich, auch darstellerisch überzeugend..
    Es sind ja für alle gesangstechnisch sehr schwierige Partien, mit stellenweise extremen Höhen. Dazu kommt das kräftige Orchester mit einem tollen, satten Klang.
    Aber alle Solisten kamen bis zum Schluß deutlich hörbar und immer sicher in allen Tönen rüber. Überragend auch wieder der Chor, dessen toller Klang mich schon immer
    fasziniert und begeistert. Auf der Bühne agierten manchmal bis etwa 50 Personen.
    Das Bühnenbild war deshalb nie überladen, aber immer der Handlung entsprechend stimmig und werkgetreu, genau wie die passenden Kostüme.
    (Ich stelle unten einen Link rein. Da können sich Interessenten ein kurzes Video und Szenenbilder anschauen).
    Und absolut nachvollziehbar war die Regie /Personenführung aller handelnden Personen. Das wurde für uns besonders deutlich, weil die Oper ja in der Originalsprache
    tschechisch gesungen wird. Am oberen Bühnenrand wird der jeweilige Text in tschech. und deutsch in einer sehr guten Übersetzung eingeblendet.
    Erfahrungsgemäß wußten wir das und haben uns deshalb bewußt Plätze in der vorderen Reihe auf der "Lumpenloge" genommen. Das hatte den Vorteil,
    daß die Schriftleiste direkt gegenüber auf Augenhöhe war. Und wenn man erst mal die 86 Stufen bis oben erklommen hat, wird man mit einer hervorragenden Sicht
    auf alles und einer deutlichen, prima Akustik belohnt.
    Am Schluß gab es viele Vorhänge mit hochverdientem enthusiastischem Beifall, Jubel und Bravo-Rufen für alle Beteiligten.
    Besonders bejubelt wurden Jenufa, die Küsterin und Laca, der a. G. ein wirklich großartiger Tenor war. Er klang in der Realität ganz anders, richtig schön tenoral,
    nicht so dumpf wie auf den Youtube-Videos, die ich in einem anderen Thread eingestellt hatte.
    Fazit: Es war eine großartige, beeindruckende und interessante Vorstellung.
    CHRISSY


    http://www.saldovo-divadlo.cz/…ni/r/3307/jeji-pastorkyna

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Mich würde ja interessieren, ob man die Brünner oder die Prager Fassung gespielt hat. Die Brünner Urfassung spiel man ja inzwischen fast überall, aber die Prager Fassung von Kovarovic, durch die ich diese Oper in den Neunzigern kennen und lieben gelernt habe, soll an einigen tschechischen Bühnen, welche halt seit Ewigkeiten das Orchestermaterial dazu im Hause haben, immer noch gespielt werden. Es ist zwar "unwissenschaftlich", aber aus nostalgischen Gründen würde ich die Prager Fassung gerne mal wieder live erleben (so wie ich gerne mal "Boris Godunow" in den Fassungen sowohl von Rimski-Korsakow als auch von Schostakowitsch erleben würde, aber heute muss man schon froh sein, wenn man noch irgendwo Mussorgskis Originalfassung mit Polenbildenr und Waldlichtung bei Kromy erlben kann und nicht nur die Urfassung, die inzwischen fast überall gespielt wird und nur noch 7 Bilder umfasst).


    Leider bekomme ich über die Homepage, die hier verlinkt wurde, die Fassungsfrage nicht heraus. Vom Vorspiel, das im Trailer erklingt, her zu urteilen, könnte das in der Tat die Prager Fassung sein. Das Vorspiel zum 2. Akt wäre diesbezüglich aber eindeutiger gewesen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Mich würde ja interessieren, ob man die Brünner oder die Prager Fassung gespielt hat.

    Die Frage kann ich leider momentan nicht beantworten, da, wie berichtet, diese Oper für mich völlig neu war.
    Ich werde aber, wenn sich die Gelegenheit ergibt, bei meinem nächsten Besuch den Dirigenten Herrn Martin Doubravsky fragen, mit dem ich inzwischen sehr gut bekannt bin.
    Kleiner Tipp: Du kannst es auch selbst direkt erfahren - die nächste "Jenufa" ist am 7. April um 19 Uhr.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Bezüglich der Fassung habe ich mich inzwischen erkundigt: Es ist nicht die Prager Fassung (Kovarovic), aber auch nicht die Erste Brünner Fassung von 1904, die seit erst 2008 wieder (fast überall) gespielt wird, sondern die sogenannte Zweite (revidierten) Brünner Fassung von 1906/07 - also das, was man in der Mackerras-Aufnahme hören kann, ohne den Monolog der Küsterin im 1. Akt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"