Gert Westphal - der "Sänger" unter den Sprechern


  • Was hat Gert Westphal in einem Klassikforum zu suchen? Bekannt geworden ist er als Vorleser, und als solcher fand er hier auch oft Erwähnung. Mit seiner unverwechselbaren Stimme gab er vor allem den Romanen und Erzählungen von Thomas Mann akustisch Ausdruck. Die emotionale Nähe zu diesem Schriftsteller wird auch dadurch deutlich, dass er neben ihm auf dem Dorffriedhof zu Kilchberg bei Zürich seine letzte Ruhestätte fand. Es ist, als begännen die Texte durch ihn zu klingen. Für mich hat er immer eine dem Singen ähnliche Wirkung gehabt. Ich höre ihm zu wie einem Sänger, der Lieder vorträgt. Immer und immer wieder. Ich kann mich nicht satt hören. Andererseits suchte Westphal auch selbst die Nähe zur und direkte künstlerische Verbindung mit der Musik. In den "Gurre-Liedern" von Arnold Schönberg und im Oratorium "Christus" von Franz Liszt ist als Sprecher aufgetreten, in Bizerts "L'Arlésienne" und in Debussys "Le Martyre de Saint-Sebastian" als Récitant. In der Sammlung "Luther und die Musik" - in diesem Jahr besonders aktuell - trägt er Text des Reformators vor.


    Es ließen sich noch mehr derartige Beispiele finden. Der Erwähnung bei Tamino wert ist auch die umfangreiche Hörbuchsammlung von deutschen Balladen. Viele Texte dienten Komponisten als Vorlagen. Für heutige Ohren schießt Westphal mitunter über das Ziel hinaus. Sein hochdramatischer Vortrag orientiert sich an den großen Mimen der Vergangenheit und fällt dadurch etwas aus der Zeit. Westphal pflegte auch das Melodram.


    Schließlich eine Gegenüberstellung des Gedichts "Wald(es)gespräch" von Joseph von Eichendorff, gesprochen von Westphal, und gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau in der Vertonung von Robert Schumann aus dem Liederkreis Op. 39.


    Gert Westphal wurde am 5. Oktober 1920 in Dresden geboren und starb am 10. November 2002 in Zürich.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe einmal vor Jahren in einem Urlaub in Frankreich die kompletten "Buddenbrooks" von Gert Westphal vorgelesen bekommen - unvergleichlich. Er war auch ein guter Regisseur: vor Jahrzehnten gab es unter seiner Regie "Moral" von Ludwig Thoma. Da saß jede Zeile, jede Pointe, denn Westphal liebte die genaue Arbeit.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Diesen Mann habe ich als Sprecher und Leser von literarischen Texten geschätzt wie keinen Zweiten, ja sogar ein wenig bewundert. Ihn als "Sänger unter den Sprechern" zu bezeichnen, trifft genau das Wesen seiner Kunst. Denn um eine solche handelt es sich. Er betrachtete die Texte, die er sprechend vortrug, als literarische Kunstwerke, die es bis ins kleinste Detail ihrer Gestalt und ihres Gehalts zu vortragend zu interpretieren galt, und er entwickelte dabei eine geradezu unglaubliche Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Sprache, den epischen oder lyrischen Gehalt oder die Rolle, die er einzunehmen hatte.


  • Eine Gert-Westphal-Empfehlung sollte auch diese Aufnahme der "Arlésienne" von Bizet sein, die der originalen Fassung als Bühnenmusik zu dem gleichnamigen Schauspiel von Alphonse Daudet nachempfunden ist. Wer sich gern Geschichten erzählen lässt, ist damit bestens bedient.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Was hat Gert Westphal in einem Klassikforum zu suchen?

    Immerhin hat Westphal, der ja auch Regisseur gewesen ist, sogar Opern inszeniert; wenn ich recht erinnere, z.B. Reimanns Lear in Düsseldorf.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.