Wo Stereo zu wenig ist: Die besondere Surround-Aufnahme

  • Bei dem Thema bleibe ich wahrscheinlich einsam, denn die Zahl der Freunde von Surround-Aufnahmen in diesem Forum dürfte recht begrenzt sein.


    Worum geht es? Im Regelfall bilden Surround-Aufnahmen die normale Situation in einem Konzertsaal ab: die Musiker spielen vorne, und von der Seite und von hinten hören wir Reflexionsschall, der bei einer 5.1- (oder 4.0-)Aufnahme dann über die hinteren Lautsprecher wiedergegeben wird. Damit ist viel im Hinblick auf ein natürlicheres Klangbild gewonnen (finde ich). Aber es gibt andere Beispiele, in denen die Surround-Technik dann wirklich ihre volle Stärke ausspielen kann, ja in denen eine Stereo-Aufnahme als unzulänglich bezeichnet werden muss. Das ist immer dann der Fall, wenn bei der Aufführung die Musik aus allen Richtungen kommt. Dazu gehört manche polyphone geistliche Musik, die mehrere im Raum angeordnete Chöre vorsieht, dazu gehören besondere Klangeffekte mit außerhalb des Orchesters aufgestellten Instrumenten, aber auch Kompositionen der Moderne, die für eine Anordnung von Klangquellen im Raum geschrieben wurden. All diese Effekte kann eine Stereo-Aufnahme naturgemäß nicht reproduzieren, hier braucht man eine Surround-Aufnahme und rückwärtige Lautsprecher. Weitere Beispiele sind besondere Abmischungen, die Instrumente im Raum verteilen, auch wenn dies nicht der Situation im Konzertsaal entspricht.


    Solche Aufnahmen möchte ich hier vorstellen, ob auf SACD, DVD-Audio, Bluray-Audio oder DVD-/Bluray-Video spielt keine Rolle.


    (Bitte hier keine Grundsatzdiskussionen über Sinn und Unsinn von Surround-Aufnahmen, dafür gibt es andere Threads.)

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Mein erstes Beispiel (gerade gehört, daher die Idee zu diesem Thema): die sensationelle Aufnahme von Alessandro Striggios Messe für 40 und 60 Stimmen durch Hervé Niquet und sein Concert Spirituel:



    Die fünf Chöre und Begleitinstrumente, die hier zum Einsatz kommen, sind im ganzen Raum um den Hörer herum verteilt, was die Multikanal-SACD ganz wunderbar wiedergibt. Schaltet man probeweise auf den Stereo-Layer, ist die Musik immer noch herrlich, aber der Effekt ist weg, der das Hören dieses Werks zum besonderen Erlebnis macht.


    Eine phantastische Einspielung - wenn man einen Multikanal SACD-Player und eine Surround-Anlage hat. :thumbup:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido,


    wie Du warscheinlich noch weisst, gehöre ich auch zu den Dolby Surround - Liebhabern ... klar wegen der von Dir genannten Vorteilen in Beitrag 1.
    Ich höre auch viele Stereo-CD´s gerne in Dolby Surround Pro Logic II ... weil´s einfach räumlicher klingt !


    Ich möchte es jetzt kurz machen (melde mich aber in den nächsten Tagen noch dazu) - die Mehrkanaltechnik finde ich hauptsächlich bei nichtklassischem Repertiore umwerfend gut.


    8o Zum Beispiel die SCHILLER - DVD´s im DTS 5.1-Surround Sound sind einfach umwerfend vom gebotenen Klanggeschehen über vier Standboxen Boxen in jeder Ecke des Hörraumes (Center finde ich überflüssig ... und ist mir erfahrungsgemäss zu mittenlastig!).



    :hello: Für die Klassik suche ich mal etwas heraus, was herausragend gut in DS rüber kam.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • wie Du warscheinlich noch weisst, gehöre ich auch zu den Dolby Surround - Liebhabern ...


    Na klar - auf Dich hatte ich gebaut, damit ich hier nicht ganz alleine bleibe :hello:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Diese beiden Bartok - SACD (Hybrid SACD) mit frühen Bartok-Werken sind Paradebeispiele für eine natürlich räumliche Wiedergabe ... und auch von der Interpretation mustergültig:



    Hungaroton, 2007, 5.1 Digital


    - siehe auch die Rückseite der SACD 2 -

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Mit der Klassik wird´s wie gesagt schwierig TOP-Beipiele zu finden; aber diese fetzige Schlagzeug-DVD von unserem grossen Schlagzeugass Martin Grubinger lässt es aus allen vier Kanälen sprudeln:
    :thumbsup: Ein wahres atemberaubendes Feuerwerk an Schlagwerk.



    DG, 2011, DTS 5.1


    Ich hatte diese DVD 2012 direkt gekauft, nachdem ich diese bei einem Klassiknachmittag bei unserem Mitglied vivelamusic gehört und gesehen hatte.
    (vivelamusic hat aus beruflichen Gründen derzeit wenig Zeit sich beitragsmässig hier gross einzubringen, liesst aber immer begeistert mit !)

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Wie Wolfgang völlig zu Recht angemerkt hat, findet man Surround-Effekte weitaus häufiger im nicht-klassischen Repertoire. Es gib aber auch ein paar klassische Stücke, wo der behutsame Einsatz der Surround-Technik Sinn macht, ohne zur Effekthascherei zu werden. Dazu gehört Berlioz' monumentales Requiem, das bekanntlich den Einsatz von vier zusätzlichen Blechbläserguppen vorsieht, welche in allen vier Himmelsrichtungen angeordnet sein sollen und im Tuba mirum die Posaunen des jüngsten Gerichts plastisch darstellen. Auf einer Stereo-CD ist das natürlich nicht wiederzugeben, auf einer Surround-SACD oder DVD-Audio sehr wohl. Ich kenne zwei Aufnahmen, die dies höchst eindrucksvoll umsetzen, so dass die Bläser wirklich aus den vier Ecken des Hörraums ertönen:



    Die Aufnahme vom Utah Symphony Orchestra unter Maurice Abravanel von 1969 wurde im 4-Kanal-Verfahren durchgeführt und war zur Veröffentlichung auf Quadrophonie-Schallplatten bestimmt. Später ist sie digitalisiert erst auf DVD-Audio (die habe ich) und dann auch auf SACD erschienen. Das Tuba mirum ist hier ein wirklicher Knaller.



    Aufnahmetechnisch insgesamt noch besser und auch interpretatorisch top ist diese 5.1-SACD mit Roger Norrington und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR:



    Es gibt auch noch die ältere Philips-Aufnahme von Sir Colin Davis und dem LSO, ebenfalls eine Quadrophonie-Aufnahme, die von Pentatone digitalisiert und auf SACD herausgebracht wurde. Auch hier werden die rückwärtigen Kanäle ausgenutzt, wenn auch nicht ganz so eindrucksvoll wie auf den erstgenannten Aufnahmen:


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Durch den FOSS-Thread ist mir heute noche eine ganz exqusite CD in meiner Sammlung aufgefallen, die mit Dolby Surround Pro Logic II einen ganz exqusiten Raumklang hat und genau dafür prädestiniert ist.


    Ich finde meine CD-Version nicht, die auf dem COVER extra *DIGITAL Surround Sound* aufgedruckt hat - aber diese abgebildete CD-Version enthält genau die gleichen Aufnahmen:


    -->
    PRO ARTE, MCMLXXXIV, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich habe bisher nicht viel Erfahrung mit Surround-Systemen und Klassik, aber ich habe durchaus ein adäquates Equipment und mir jetzt gerade die hier im Forum empfohlene DVD zu Tallis und Spem in alium von Oxford Camerata, Jeremy Summerly zugelegt.


    Bisher kann ich, trotz prinzipieller Neigung, Tallis außerordentlich zu mögen, dem Spem in alium nicht allzu viel abgewinnen, weil es zu komplex scheint, jedenfalls, wenn es über eine Stereo-Anlage gespielt wird. Mein Surround-System ist zur Zeit nicht einsatzfähig, da ich es von einem Raum in einen anderen transportiert und noch nicht wieder aufgebaut habe, aber ich bin schon ganz gespannt, wie sich Spem anhören wird.


    Es wird berichtet.

  • Bisher kann ich, trotz prinzipieller Neigung, Tallis außerordentlich zu mögen, dem Spem in alium nicht allzu viel abgewinnen, weil es zu komplex scheint, jedenfalls, wenn es über eine Stereo-Anlage gespielt wird. Mein Surround-System ist zur Zeit nicht einsatzfähig, da ich es von einem Raum in einen anderen transportiert und noch nicht wieder aufgebaut habe, aber ich bin schon ganz gespannt, wie sich Spem anhören wird.


    Es wundert mich, dass Dir dieses herrliche Werk nicht auf Anhieb zusagt. Für mich gehört es zu den Höhepunkten der Vokalpolyphonie. Allerdings ist es eben aufgrund der extremen Vielstimmigkeit nicht einfach, wenn nicht gar unmöglich, allen Stimmen jederzeit zu folgen. Die Surround-Aufnahme hilft dadurch, dass die Chöre im ganzen Raum verteilt werden können, wenngleich das hier nicht ganz so gut gelungen ist wie bei der eingangs beschriebenen Striggio-Messe. Trotzdem ist die Surround-Aufnahme, die sowohl auf DVD-Audio als auch auf SACD erschienen ist, ein deutlicher Gewinn gegenüber der Stereo-CD.


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Das Label tacet bietet einige SACD-Aufnahmen mit Real Surround Sound an. Man sitzt als Hörer inmitten des musikalischen Geschehens. Im Booklets ist bei jeder Aufnahme angegeben, wie die Musiker aufgestellt sind.


    So gibt es alle neun Sinfonien von Ludwig van Beethoven in diesem Format. Es spielt jeweils das Polish Chamber Philharmonic Orchestra mit Wojciech Rauski am Dirigentenpult.



    Eine meiner liebsten SACD-Aufnahmen ist den Motetten von Guillaume Bouzignac (1592-1641) gewidmet. Für jedes Werk wurde eine passende Aufstellung im Raum gewählt. Matthias Jung leitet das Sächsisches Vokalensemble.



    Für die unterschiedlichen Instrumentengruppen in den 6 Brandenburgischen Konzerten von Johann Sebastian Bach eignet sich dieses Aufnahmeformat ebenso.Es spielt das Stuttgarter Kammerorchester.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber moderato,


    vielen Dank, dass Du auf die Real-Surround-Aufnahmen aus dem Hause Tacet aufmerksam gemacht hast, die ich auch ich ganz besonders schätze. Sie sind übrigens größtenteils nicht auf SACD, sondern auf DVD-Audio erschienen, weil Tacet diesem Format den Vorzug gab und selbst dann noch daran festhielt, als es fast schon ausgestorben war. Inzwischen ist man zu Bluray-Audio übergegangen, worauf auch einige der alten Aufnahmen wiederveröffentlicht wurden. Aber mit einem Multi-Format-Player spielt das ohnehin keine große Rolle.


    Die Tacet-Aufnahmen sind natürlich "künstlich" in dem Sinne, dass einem diese Hörsituation niemals im Konzert begegnen wird: Man sitzt normalerweise nicht mitten zwischen den Musikern. Ich kann verstehen, dass man diesem Konzept skeptisch gegenüber steht. Für mich war es aber eine akustische Offenbarung: nie habe ich Musik so eindringlich gehört. Und die Verteilung der Instrumente auf vier Kanäle befördert auch die Durchhörbarkeit, man kann den einzelnen Stimmen viel besser folgen als bei einer Stereo-Aufnahme. Am meisten hat mich dies bei Kammermusik überzeugt, z.B. bei Streichquartetten, wo mit dem Auryn-Quartett auch ein hochklassiges Ensemble für Tacet aufnimmt, oder bei Mendelssohns Oktett:




    Hier ist jedem der vier Kanäle - vorne links und rechts, hinten links und rechts - ein Instrument zugeordnet.



    Und hier die Verteilung der Instrumente beim Oktett:


    (Die Graphik stammt von Tacets Homepage. Da ich hier Werbung für die Aufnahmen mache, wird die Verwendung sicher unproblematisch sein.)


    Damit diese Aufnahmen richtig zur Geltung kommen, sollte man im Idealfall vier gleiche Lautsprecher haben, denn alle vier kommen ja gleichermaßen zum Einsatz. Da sich die wenigsten zwei große Standboxen auch noch in die hinteren Ecken ihres Wohnzimmers stellen werden, sollten es dann aber zumindest Vollbereichslautsprecher mit einer ähnlichen Klangcharakteristik wie die vorderen sein.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ein Problem bei der Sache ist, dass es ja nicht nur darauf ankommt, dass man vier Lautsprecher hat. Viel wichtiger ist die Qualität der Anlage. Wenn man nun weiß, dass auch bei nur zwei Lautsprechern der Effekt entstehen kann, die Töne kämen ausschließlich von hinten (es gibt solche Testplatten), und wenn man einmal gehört hat, was eine gute Anlage reproduzieren bzw. was bei einer mittelmäßigen Anlage an musikalischer Information unterschlagen werden kann, und wenn man gleichzeitig bedenkt, dass für die gleiche Wiedergabequalität bei Surround naturgemäß erheblich mehr Geld ausgegeben werden muss als für Stereo, dann würde ich das vermutlich zunächst in Stereo investieren, bevor ich mich auf Kompromisse wie »zumindest Vollbereichslautsprecher mit einer ähnlichen Klangcharakteristik« einlassen würde.

  • Lieber Dieter, ich will hier keine Diskussionen über Surround-Technik führen, sondern interessante Aufnahmen vorstellen. Für Technik-Diskussionen gibt es das HiFi-Forum. Ich werde dort auf Deinen Beitrag antworten.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • moderato: Was ich noch vergessen habe zu sagen: Die SACD mit den Brandenburgischen Konzerten gefällt mir auch sehr gut. Die Aufnahme der Motetten von Bouzignac kenne ich nicht, habe sie aber nach Deiner Empfehlung gleich auf meinen Wunschzettel gesetzt. :hello:

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