Opern des achzehnten und neunzehnten Jahrhunderts als Mittel der politischen Propaganda

  • Die Idee kam natürlich aus einem Thread der Opern der Moderne wo darüber geschrieben wurde, inwieweit und welche Opern zur politischen Propaganda mißbraucht wurden. Es kam der IMO berechtigte Einwand, daß Opern (und nicht nur die) schon seit Menschengedenken dazu eingesetzt wurden politische Ziele zu erreichen, sei es jetzt die Aufrechterhaltung eines politischen Systems oder aber auch dessen Demontage. Ich habe den Thread BEWUSST zeitlich beschränkt, denn letztlich soll die hier postulierte Behauptung bestätigt und durch Beispiele gestützt werden. Über derlei im 20. Jahrhundert wird schon ausreichend in anderen Threads diskutiert.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als klassisches Beispiel kann hier Wagners Werk gelten.
    Ich habe in einem anderen Thead auf die neueste Wagner-Biografie vin Drüner hingewiesen, wo der Autor in den Werken Wagners auch die zugrundeliegenden gesellschaftpolitischen Ideen aufzeigt.
    Natürlich kann man das komplexe Werk eines Genies wie Wagner nicht nur auf die politische Ebene herunterbrechen, aber schon den zeitgenössischen Kritikern waren die kapitalismuskritischen Elemente des Rings deutlch bewusst ("Walhall ist Wall Street"), ebenso die kunst- und kulturpolitischen Vorstellungen und Unterströmungen, die in den Meistersingern vorhanden sind.


    Letztendlich sind alle Opern ein Kind ihrer Zeit, und selbst eine Ikone der Romantik wie der Freischütz kann als politisches Statement gelesen und gedeutet werden, wenn man die Uraufführungszeit 1821 bedenkt (Biedermeier, Vormärz, heilige Allianz etc.), da kein Komponist die Einflüsse seiner Umgebung bei seinem Werk ausblenden kann.
    Man kann sich doch z.B. fragen (hier nur eine off-topic-Bemerkung), ob nicht gerade die apokalyptischen Elemente in Mahlers Werk für die Mahler-Renaissance gerade in unserer Zeit mitverantwortlich sind.


    Viele Grüße


    Joachim

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Mir fällt spontan "Regina" ein: Nicht nur unterschwellig sondern ganz konkret in der Handlung hat die Oper ein politisches Programm, deutschnational und demokratisch.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Misha dachte spontan an Lortzing, ich ebenso spontan an Aubers "La muette de Portici": Die Aufführung der Oper in Brüssel am 25. August 1830 (anlässlich des 58. Geburtstages von König Wilhelm I. der Niederlande) hatte die Folge, dass der König, der nach dem Wiener Kongress über die katholischen, ehemaligen Habsburgischen Niederlande herrschte, mit Unruhen fertig werden musste. Als Auslöser wurde das Duett "Amour sacré de la patrie" (Die heilige Liebe zum Vaterland) ausgemacht: Die Zuschauer waren so sehr erregt, als Masaniello im dritten Akt mit einer Axt in der Hand sang: „Laufet zur Rache! Die Waffen, das Feuer! Auf dass unsere Wachsamkeit unserem Leid ein Ende bereite!“, dass sie "Zu den Waffen! Zu den Waffen!" riefen. Die Unruhen gegen die ungeliebte niederländische Herrschaft führten schließlich zur Unabhängigkeit Belgiens.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Händels Julius Cäsar und andere Seria-Opern kann man als eine Art "Fürstenspiegel" verstehen. Cäsar wird hier als weise, mutig, großzügig dem rachsüchtigen und dekadenten Tolomeo (dem Bruder Cleopatras) gegenübergestellt. Und so ähnlich ist das in vielen anderen Seria-Opern. Typischerweise wird ein Monarch als positiv, ein anderer als Usurpator, Intrigant usw. dargestellt. Bei den vielen Opern, die aus dem Umkreis Kreuzzug/Gerusalemme liberata/Rolandslied stammen, kommt oft noch ein Aspekt Christentum vs. Islam/Heiden dazu.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ist zwar 17. Jahrhundert, passt aber auch hier hinein: Lullys Opern dienen allesamt der Verherrlichung des Sonnenkönigs, wozu sie einen länglichen Prolog haben, der typischerweise einen Bezug zwischen dem Herrscher und positiv besetzten mythologischen Gestalten herstellt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Oft ist die politische Aussage so versteckt, daß man sie heutzutage gar nicht mehr entdeckt - einfach weil das Problem in unserer Zeit gar nicht mehr existiert. Ich denke hier unter anderem an "Figaros Hochzeit". Einst ein politisches Stück, das beinahe verboten worden wäre. Heute frage man einen durchschnittlichen opernbesucher ober der das Kernproblem dieser Oper in einem Satz definieren könne. Auch wenn jetzt sofort ein Aufschrei im Forum und bei einigen Lesern erfolgt, so wage ich zu behaupten, daß die Mehrheit dazu nicht in der Lage ist.....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei Monteverdi (alle 3 Opern) und bei Cavalli (etwa Calisto) werden die Götter als z.T. lächerliche Schufte dargestellt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Komponisten und Textdichter damit die aktuelle Oberschicht treffen wollten.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Und keiner von euch hat dabei auch an Verdi gedacht?


    Es kommt natürlich auch darauf an, wie man das Thema versteht. Propaganda (ein böses Wort) seitens des Komponisten oder Instrumentalisierung des Werks durch Andere. Soweit ich mich an die Verdi Biografien erinnere, die ich gelesen habe, hatte er in seinem Werk keine politischen Ambitionen und wurde selbst in die Ämter, die er kurzzeitig und eher widerwillig ausübte, eher von der öffentlichen Erwartung gedrängt. Als prägender Komponist nationaler kultureller Identität (man stelle sich so etwas mal heute vor....)mag er im Risorgimento eine wichtige Rolle gespielt haben, ob er das beabsichtigte, halte ich für zweifelhaft.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha


  • Es kommt natürlich auch darauf an, wie man das Thema versteht. Propaganda (ein böses Wort) seitens des Komponisten oder Instrumentalisierung des Werks durch Andere. Soweit ich mich an die Verdi Biografien erinnere, die ich gelesen habe, hatte er in seinem Werk keine politischen Ambitionen und wurde selbst in die Ämter, die er kurzzeitig und eher widerwillig ausübte, eher von der öffentlichen Erwartung gedrängt. Als prägender Komponist nationaler kultureller Identität (man stelle sich so etwas mal heute vor....)mag er im Risorgimento eine wichtige Rolle gespielt haben, ob er das beabsichtigte, halte ich für zweifelhaft.

    Verdi und das Politische ist ein heikles Thema! In den letzten Jahren hat sich der durch neue Publikationen zu Ausdruck gekommene Forschungsstand dahingehend verändert, dass die Bedeutung Verdis für das Risogimento jahrzehntelang überbetont und stilisiert worden sei, während er mit Adligen verkehrte und auch in habsburgnahen Salons herumreichen ließ. Dennoch halte ich nicht für zweifelhaft, dass er in seiner Zeit eine wichtige Rolle spielen wollte, für jede Aufmerksamkeit dankbar war und diese später mit "Geschichten" wie die besondere Bedeutung des Gefangenenchores bei der Entstehung des "Nabucco" (angebich gab es anfangs bei den Aufführungen dieser Oper noch gar keine Publikumsreaktionen in der Hinsicht, wie sie später zur Legende wurden) selbst beförderte.
    Nun ja, offensichtlich war es als Künstler und Musiker schon im 19. Jahrhundert schon nicht so leicht, nach allen Seiten "integer" zu bleiben....


    Beethoven war ja auch ein Liebling und Zögling des Adels. Das ändert aber nichts am Ideengehalt, der in seinen Werken zum Ausdruck kommt. Aber es ist nicht so, dass Komponisten vor den schlimmen Diktatur des 20. Jahrhunderts kein Problem mit "Verstrickungen" gehabt hätten...
    Komponisten waren zu allen Zeiten keine Heiligen, zu denen viele in Biografien oft verklärt wurden, sondern Menschen wie alle anderen auch, mit Stärken UND Schwächen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Im Zusammenhang mit diesem Thema empfehle ich das Buch "Parsifals Mission" von Verena Naegele (Dittrich-Verlag, ISBN 3-920862-09-0), in dem dargestellt wird, wie Richard Wagner versuchte, nicht nur seine musiktheoretischen Vorstellungen unter Zuhilfenahme von König Ludwig durchzusetzen, sondern auch dessen Politik beeinflusste.


    Viele Grüße


    Joachim

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Aus meiner Sicht war Verdi ein hervorragender Opernkomponist, der genau wusste, welche Effekte er beim Publikum erreichen wollte und konnte. Sein politisches Engagiment, das seinen Opern nachgesagt wurde halte ich (und damit stehe ich nicht alleine da) eher für eine Projektion seiner Bewunderer. Allerdings war er stets mit den Zensurbehörden auf Kriegsfuß, welche einige seiner seiner vertonten Libretti gerne geändert sehen wollten.....
    Wenn das jemand anders sieht, dann kann er das gerne hier mitteilen...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred, ich gehe da einen Schritt weiter. Verdi wurde durch die habsburgische Zensur oft genug geärgert, so dass er politische Aussagen versteckt sehr gerne unterbrachte. Ich denke da nur an "Attila", wo Ezio zu Attila sagt: "Du sollst das Universum haben, doch Italien lasse mir." Natürlich wird das alles hochstilisiert, doch die Politik der kleinen Stiche lässt sich nicht ableugnen. Und in der Verklärung wirkt alles noch ein bisschen grösser.

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