Thomas Daniel Schlee - Musik wie Glut

  • Der österreichische Komponist Thomas Daniel Schlee wurde am 26. Oktober 1957 in Wien als Sohn eines der wichtigsten Musikverleger, Alfred Schlee, geboren. Er hat diese Verwandtschaft nie ausgenützt.


    Thomas Daniel Schlee erhält eine musikalische Ausbildung als Organist (bei Michael Radulescu) und Komponist: Sein erster Lehrer ist Francis Burt in Wien, seine prägenden Erfahrungen sammelt er indessen in Paris in Olivier Messiaens letzter Kompositionsklasse und bei Jean Langlais, von dem er zahlreiche Werke herausgeben wird. Außerdem absolviert Schlee ein Musikwissenschaftsstudium.


    Er schlägt sodann eine dreifache Laufbahn ein: Komponist, Organist, Musikmanager.


    Seine Stationen als Musikmanager: Musikdramaturg am Salzburger Landestheater, Musikdirektor des Brucknerhauses in Linz, Stellvertretender Intendant des Beethovenfestes in Bonn (das im fraglichen Zeitraum, 1999–2003, sehr deutlich seine Handschrift trägt), 2004–2015 Intendant des Carinthischen Sommers. Schlees grundlegende Idee ist stets die gleiche: Ein Programm braucht einen roten Faden. Nur dann fühlt sich der Zuhörer eingeladen, mehrere Veranstaltungen zu besuchen. Schlee gelingen vor allem in Linz beispielhaft gestaltete Brucknerfeste und Komponistenporträts; den Carinthischen Sommer hebt er, trotz zahlreicher Widerstände und absonderlicher Begehrlichkeiten, auf ein denkbar hohes Niveau.


    Als Organist entwickelt sich Schlee zu einem der führenden Interpreten französischer Orgelmusik, deren raffiniertes Registerfarbenspiel er auch dafür scheinbar weniger geeigneten Instrumenten abtrotzt. Natürliches Atmen und ein unfehlbares Ohr für klangliche Nuancen sind die Grundlagen seiner Interpretationen.


    Vor allem aber will ich den Komponisten Thomas Daniel Schlee rühmen. Seine Musik ist traditionell, aber nicht konservativ. In der Regel bleibt sie auf Grundtöne bezogen, über denen Schlee leuchtende Harmonien aufbaut, durch die Dur- und Moll-Beziehungen schimmern, ohne deutlich ausgesprochen zu werden. Ausgangsmaterial sind oft gregorianische Melodien, die schon bei ihrer Vorstellung durch das Prisma der Grundharmonie gebrochen sein können.


    Sein Ziel als Komponist formuliert Schlee so: Mit meiner Musik suche ich die Spuren von Schönheit und Ausdruckstiefe, die aus den Tonkonstellationen hervorleuchten. Das ist nicht neu, aber eine stets wunderbare Herausforderung. Eine Ästhetik der Verbote ist mir ebenso fremd wie die Wahllosigkeit der Stilmittel. Jede Komposition hat ihre Bestimmung und leitet aus dieser ihre Gestalt, den Ablauf der harmonischen Farben, die Beschaffenheit des melodischen und formalen Gefüges ab. Das sogenannte Material wird von der ersten Idee, der Inspiration, in Bewegung gebracht, um sodann in das Wechselspiel von Eigendynamik und Kontrolle zu münden: Dies ist die für den Komponisten aufregendste Phase seiner Arbeit. Wenn das Material gerundet ist, das Ohr als höchste Instanz sein Urteil über die Folge der Klänge gefällt hat, dann entsteht, vielleicht, jener Zauber einer sprechenden Kunst, in der Erinnerung und Phantasie zum Werk verschmelzen.


    Schlee nimmt dabei immer wieder auf religiöse Themen Bezug, die er auf verblüffend originelle Weise umsetzt. So ist beispielsweise das Orchesterwerk "...und mit einer Stimme rufen" eine konsequente Monodie, also eine einstimmige Linie, der jedoch nach und nach parallel geführte Stimmen in der Art von Orgelmixturen zugeschaltet werden, die der zentralen Melodie Farbe geben und sie gleichsam mit einer Gloriole krönen.


    Zu den wichtigsten Werken Schlees gehören zwei Symphonien (deren erste einen berückend schönen, langsamen Finalsatz hat: Schlee nennt ihn eine Vorstellung von persönlichem Glück und Geborgenheit); das großräumige vierte Streichquartett, das zu den bedeutendsten einschlägigen Werken nach Bartók, Schostakowitsch und Britten gehört; "Rufe zu mir", ein gewaltiges, farbenintensives Werk für Orgel und Orchester; "Missa" für Bariton, Chor, Blechbläser, Orgel und Schlagzeug.


    Zwei Werke will ich gesondert hervorheben: Das Oratorium "Der Baum des Heils" und die Kirchenoper "Ich, Hiob". Die Werke sind durch rund 12 Jahre voneinander getrennt und doch verwandt. Insoferne nämlich, als Schlee mit ganz bewußt sparsamsten Mitteln arbeitet. "Der Baum des Heils" (1993/94) begnügt sich mit Sopran-, Altsolo, gemischtem Chor, Englischhorn, Violine, Claves und Orgel, "Ich, Hiob" (nach einem Essay von C. G. Jung zu dem biblischen Thema) mit Tenor, Sopran, Violoncello solo, Trompete solo, 4 Flöten und Violine. Man sieht gleich: Schlee betont helle Farben, das Leuchten der Musik, in der bohrend intensiv ausgeführt Melodien im Mittelpunkt stehen, ist unbeschreiblich. Beide Werke sind Triumphe der in sich vollendeten Melodien, die einstimmig oder einander kontrapunktierend ausgeführt werden. Der Zuhörer bzw. Zuschauer verliert dabei nahezu das Zeitgefühl und gerät in einen Zustand einer wachen Meditation. Das verbindet Schlee mit Messiaen, während der Klang seiner Musik völlig eigenständig ist und, wenn schon Parallelen als Orientierungshilfe genannt seien, viel mehr an Claude Vivier gemahnt als an Schlees Lehrmeister.


    Der große Vorteil von Schlees Musik ist, dass sie sozusagen spricht, sie ist gestisch und dermaßen plastisch, daß man meint, man könne sie mit Händen greifen. Dadurch wird sie erfahrbar und erlebbar auch für Zuhörer, die sich weniger mit Neuer Musik befassen.

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  • Vielen Dank, lieber Edwin, für diesen interessanten Beitrag über einen Komponisten, dessen Name mir bis heute nichts sagte. Deine Beschreibungen machen mich aber neugierig, vor allem:


    das großräumige vierte Streichquartett, das zu den bedeutendsten einschlägigen Werken nach Bartók, Schostakowitsch und Britten gehört


    Leider finde ich davon keine Einspielung. Lediglich das 2. Quartett scheint verfügbar zu sein.


    Und auch von meiner Seite
    Herzlich Willkommen zurück im Forum
    Liebe Grüße
    lutgra

  • Ein herzliches Willkommen Edwin Baumgartner.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler