Falls mich die Suchfunktion nicht (wieder einmal) im Stich gelassen hat, gibt es noch keinen Thread zu Mendelssohns Streichersymphonien. Das ist umso erstaunlicher, als es sich hier nicht nur um einen quantitativ gewichtigen Teil seines Oeuvres handelt, sondern meiner Meinung nach auch einige seiner schönsten Werke darunter sind.
Die zwölf Streichersymphonien, auch Jugendsymphonien genannt, komponierte Mendelssohn zwischen 1821 und 1823, also im zarten Alter von 12 bis 14 Jahren. Sie wurden für private Aufführungen im Hause seines Vaters geschrieben, der regelmäßig Musiker der Berliner Hofkapelle zu Hausmusikveranstaltungen einlud. An Drucklegungen dieser Werke hat Mendelssohn wohl nie gedacht, dennoch wurden die Manuskripte aufbewahrt und ab 1959 im Rahmen der Leipziger Mendelssohnausgabe veröffentlicht. Mit Ausnahme der Nummer 11, die auch Schlagzeug einbezieht, sind die Symphonien für reines Streichorchester geschrieben. Ein Sonderfall ist die Nummer 8, für die Mendelssohn auch eine Fassung mit um Bläser erweitertes Orchester schrieb, offenbar in der Hoffnung einer öffentlichen Aufführung.
Innerhalb der zwölf Symphonien lässt sich eine deutliche Entwicklung erkennen. Die Nummern 1 bis 6 sind noch recht einfach gehaltene, jeweils nur um die zehn Minuten dauernde dreisätzige Stücke, bei denen dennoch eine stete Erweiterung der kompositorischen Mittel erkennbar ist und das Genie Mendelssohns bereits an vielen Stellen aufblitzt. Mit der 7. Streichersymphonie tritt ein Entwicklungssprung ein, die Werke werden nicht nur deutlich länger (bis zu 5 Sätze, 20-40 Minuten Dauer), sondern nehmen auch an Reife, Tiefe und Gedankenreichtum immer weiter zu. Von der 10. Symphonie ist leider nur der erste Satz überliefert, ob sie vollendet wurde, ist unklar. Ebenfalls dem Kontext der Streichersymphonien zuzurechnen ist ein Symphoniesatz in c-moll, der wahrscheinlich Ende 1923 entstand.
Die Streichersymphonien als bloße jugendliche kompositorische Fingerübungen abzutun, verbietet sich bei einem Wunderkind wie Mendelssohn von selbst. Im März 1824 vollendete Mendelssohn bereits die erste „reguläre“ Symphonie Op. 11, die im Charakter noch viele Gemeinsamkeiten mit den Streichersymphonien aufweist. Und 1826, immer noch erst 17 Jahre alt, schrieb er bereits sein vielleicht genialstes Werk, die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“.
Ich persönlich mag die Streichersymphonien sehr und halte zumindest die Nummern 7 bis 12 für vollgültige Werke, die den Namen Symphonie zu recht tragen und mir mehr am Herzen liegen als manch späteres Werk (einige der späteren Symphonien eingeschlossen). Sie verbinden jugendlichen Esprit mit einer schon erstaunlichen kompositorischen Meisterschaft, und die für erweitertes Orchester geschriebene Nr. 8 hätte es ebenso verdient, als reguläre Symphonie in die Zählung einzugehen, wie das Opus 11.