Anlass für diesen Thread ist jener von Joseph II:
Schostakowitschs Symphonien unter Vasily Petrenko — moderne Referenz?
Er fragt dort, ob sich die Aufnahme aller Sinfonien unter Vassili Petrenko als "Moderne Referenz" am Markt etablieren könnte - und bringt bereits selbts einige Einwände die dagegen sprechen, beispielsweise, das Orchester aus Liverpool keinen typisch Russischen Sound erzeugt. Dann wiederum sei das Orchester "in Watte gepackt" - die Tonqualität indes sei "überragend".
Eine weitere Aussage: "Teilweise fühlte ich mich seltsam unberührt" scheint mir auch kein guter Weg zur Referenz zu sein.
Aber- und das betone ich ausdrücklich - handelt es sich HIER nicht um eine Einschätzung von Petrenkos Aufnahmen , sondern um ganz allgemeine Betrachtungen.
Diese Aufnahme tritt gegen einige Konkurrenzaufnahmen an, die trotz ihres Alters dennoch (oder gerade deshalb ) mit einer superben Tontechnik aufwarten können.
Und endlich komme ich vom Speziellen ins Allgemeine: Referenzaufnahmen etablieren sich, wenn gewisse Parameter gegeben sind
a) der Dirigent oder Interpret wird von Publikum UND Kritik über alle Maßen bewundert, geliebt und als Meilenstein gesehen (Mravinsky - Karajan - Böhm - Brendel)
b) Bekannte "Kritikerpäpste haben eine Aufnahme gelobt, bzw begeistert rezensiert
c) Die Aufnahmetechnik ist überragend
d) Es handelt sich um ein Alpha Orchester mit Weltruhm (z. b Wiener und Berliner Philharmoniker)
e) Es gibt keine vergleichbar gute Aufnahme aus Vergangenheit und Gegenwart.
f) Die "Klassikgemeinde" betrachtet die Aufnahme kollektiv als eine Sternstunde der Schallplattengeschichte...
Um Protesten im voraus zu begegnen:
Selbstverständlich gibt es auch andere Gründe Referenzstatus zu erreichen - und ebenso selbstverständlich ist, daß es nicht erforderlich ist, ALLE angeführten Bedingungen zu erfüllen.
Ich postuliere, daß es heute schwierig ist, neue Aufnahmen (Ersteinspielungen natürlich ausgeschlossen) in den Referenzstatus zu bringen weil es eben auch Parameter gibt, die dagegen sprechen:
a) der Dirigent ist jung und kein "shooting star"
b) das Orchester spielt nicht in der A Liga
c) Die angepeilte Zielgruppe interessiert sich nicht für Neueinspielungen, da bestens mit äteren Referenzen versorgt.
C ist die eigentliche Crux, denn es funktioniert wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Die Aufnahme ist noch unbekannt, wird kaum verkauft, und bleibt unbekannt.
Oder sie wird verkauft - weil billig, was dem Image der Einspielung nicht nützt und ausserdem nicht die Zielgruppe der Opinion-Leader unter den Klassikkennern erreicht.
Als Trost sei heutigen Interpreten/Produzenten gesagt, daß manche Aufnahme quasi ZUFÄLLIG zur "Referenz" erkoren wird.
mfg aus Wien
Alfred