Schostakowitschs Symphonien unter Vasily Petrenko — moderne Referenz?


  • Es gibt vergleichbare Threads zu den Gesamtaufnahmen unter Kirill Kondraschin und Maxim Schostakowitsch. Nun also Vasily Petrenko. Zwischen 2008 und 2013 spielte der russische Dirigent sämtliche Symphonien von Dmitri Schostakowitsch mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra für Naxos ein. Die Einzel-CDs zierte plakativ das für sich einnehmende Portrait des charismatischen Dirigenten (oben beispielhaft die CD mit der 5. und 9. Symphonie). Die Covergestaltung bei Naxos wirkt definitiv nicht mehr so "billig" wie früher. Bei der nun erhältlichen Box prangt der Komponist selbst auf dem Titelbild:



    Soviel zu den Äußerlichkeiten. Was uns hier vorrangig interessiert, ist natürlich der Inhalt. Der als überkritisch bekannte und gefürchtete David Hurwitz von "Classics Today" rang erging sich reihenweise in Lobpreisungen. Hohe und höchste Bewertungen von 9 bis 10 von 10 möglichen Punkten waren die Folge. Die übrigen Kritiken, etwa auf "MusicWeb International" und beim "Guardian", waren auch ganz überwiegend positiv und priesen den Zyklus als die Gesamtaufnahme für das 21. Jahrhundert an.


    Was ist dran?


    Alle Symphonien habe ich noch nicht angehört, doch zumindest die 11. und 12. komplett sowie die 2., 3., 5., 6. und 7. in Auszügen. Das ist alles sehr gut und für sich allein genommen auch ohne Fehl und Tadel. Petrenkos Dirigat ist energisch und er weiß genau, was er will. Das ist bei einem so jungen Dirigenten nicht unbedingt selbstverständlich. Er setzt auch eigene Akzente und manches klingt ganz anders, als man es gewohnt ist. Ganz ohne Frage eines der größten Talente unter den Dirigenten seiner Generation.


    Würde nur das Orchester genauso mitziehen. Teilweise fühlte ich mich seltsam unberührt (so besonders in der von mir so geliebten 7.). Die Liverpooler strengen sich sichtlich an, einen russischen Tonfall zu erzielen, was aber letztlich nur sehr bedingt gelingt (interessanterweise noch am besten in den zwei Chorsymphonien Nr. 2 und 3, wo der Chor zumindest für mich als Nichtrussen überzeugt). Gleichwohl wird nicht die Siedehitze erzielt, die (und ich muss mich leider wiederholen) die vier großen sowjetischen Dirigenten Kondraschin, Mrawinksy, Roschdestwensky und Swetlanow zustande brachten. Langsam glaube ich, dass das auch ein Generationenproblem ist. Abgesehen von Roschdestwensky gibt es keinen Schostakowitsch-Dirigenten von Weltrang mehr, der noch selbst als Zeitzeuge dabei war. Und natürlich gibt es den rauen sowjetischen Orchesterklang nicht mehr.


    All das kann man Petrenko nicht anlasten. Er holt gewissermaßen das Bestmögliche heraus, was ihm mit diesem West-Orchester möglich war. Vielleicht wäre das Ergebnis mit dem alten Swetlanow- oder Roschdestwensky-Orchester ganz anders. Immerhin ist, soweit ich es bisher feststellen konnte, nichts Belangloses dabei. Dies trifft leider auf einige der neuen Gergiev-Aufnahmen auf dem Mariinsky-Label zu. Dagegen sind dessen alte Philips-Aufnahmen viel gelungener.


    Fazit: Sehr gut, der Orchesterklang aber etwas in Watte gehüllt. Meines Erachtens also eher mit älteren westlichen Zyklen wie Haitink, Jansons und Rostropowitsch vergleichbar als mit den sowjetischen. Dafür ist die Tontechnik überragend.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe zuwenig von Schostakowitsch gehört, als dass ich hier ein pauschales Urteil abgeben könnte. Das wäre nur bei der erst neulich gehörten Sinfonie Nr 15 unter Barschai möglich (übrigens auch ein West-Orchester) Die müsste ich erst bestellen - so dachte ich. ABER HALT - da lag sie ja unter all den noch ungehörten CDs. Bevor ich näher darauf zurückkomme, eine Berichtigung: Die Naxos Cover sind in diesem Falle unverändert. Das "Coverbild" mit dem Portrait Petrenkos ist lediglich ein Kartonschuber der nachträglich über die Jewelcase-Verpackung geschoben wurde. Scheinbar hat man bei Naxos die WIRKLICHE Bedeutung des Dirigenten erst relativ spät erkannt - und dann reagiert.



    Aber das nur zur Erläuterung.
    Zur CD: Die Einschränkungen von Joseph II würde ich nicht so sehen, die Aufnahme (gehört wurde die Nr 15) ist superb.
    Die Spielzeiten weichen von der Barschai Aufnahme ERHEBLICH ab, speziell die langsamen Sätze sind besonders lang, ohne auf mich allerdings zerdehnt zu wirken. Das Orchester ist Spitze - ich war keinen Takt lang unbeteiligt, statt des geplanten "nur Hineinhören" habe ich das gesamte Werk gehört. Ohne "geglättet" zu wirken ist hier eine gewisse Klangschönheit zu registrieren, die aber der Aufnahm IMO nichts von ihrer Dynamik oder Dramatik nimmt. Diese Klangschönjeit wird manchem Mravinsky-Verehrer als fehl am Platze erscheinen - ich sehe das indes anders.
    REFERENZ? Wie schon in einem anderen Thread von einigen Mitgliedern heute festgestellt, bedarf es heutzutage eher keiner "Referenzen" - Aber man kann die Aufnahme IMO getrost auf Augenhöhe mit einigen anderen Spitzenaufnahmen dieses Werkes sehen - dies betrifft die Sinfonie Nr 15. Vielleicht schreibt ein anderes Mitglied zu anderen Sinfonien dieser Serie....
    Und hier noch der Link zu den Hörproben.....



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gibt es jetzt preisreduziert.


    Mehr als die 29Euro hatte ich aber bereits im September 2016 auch nicht gelöhnt ... und auch dafür nicht mehr ausgeben wollen ... ;) mein "Vorurteil" hat mir Recht gegeben, zumal die grossen russischen Aufnahmen dann doch, bei allem Wohlwollen, der Anerkennung für V.Petrenko und der hier wirklich guten Naxos-Klangqualität --- aber die sind dann doch auch anderem Holz geschnitzt, was mich ungleich mehr packen kann.


    Mit der manchmal recht langsamen Tempowahl bei V.Petrenko bin ich auch nicht immer zufrieden.
    :!: Hingegen erreichen die Aufnahmen der Klavierkonzerte (mit Giltburg/Petrenko) ein so hohes Niveau, dass selbst die russischen Aufnahmen nicht mehr viel besser sind.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang