Mozarts „Zauberflöte“ in Münster, letzte Aufführung am 29.12.2016

  • Die Sprecherin des Theaters verkündet vor Beginn der Vorführung, dass dieser Opernabend nicht nur die letzte des Ensembles zum Jahresende sei, sondern diese wiederum ausverkaufte „Zauberflöte“ nun nach 4 Jahren mit 36 Aufführungen und insgesamt 32000 Zuschauern – der Intendant sei „unzufrieden“ gewesen, wenn mal nur 98% der Karten verkauft wurden – „begraben“ und Platz für Neues geschaffen werde.


    Die Beliebtheit von Mozarts Stück sowieso aber gerade auch den Erfolg dieser Inszenierung, man kann sie wirklich verstehen. Regisseur Kobie van Rensburg erzählt Schikaneders unterhaltsamen humanistischen Aufklärungs-Mythos als Episode aus der Star Wars Serie – interpretiert so die Wiener Zauberoper des 18. Jhd. mit viel Video-Projektion durch das Fantasy-Kino des 20. und 21. Jhd. So sieht man während der Ouvertüre die bekannte Szene aus dem Kinofilm, ein außer Gefecht gesetztes Raumschiff, das verfolgt wird und in seiner Not durch ein Asteroidenfeld zu entkommen sucht. Auf der Bühne findet sich Tamino ein, der mit dem Fallschirm auf einem fremden Planeten abgesprungen ist, während das Raumschiff zerschellt. Requisiten aus dem Film – zur Erheiterung besonders der zahlreichen Kinder unter den Zuschauern – erscheinen auf der Bühne immer wieder: der kleine fahrende Star Wars Droide, Jedi-Schwerter, die „Soldaten“ mit Helm der dunklen Macht, die Königin der Nacht hat einen Auftritt in der Maske von Lord Vader. Videoprojektionen, Bühnenbilder und Kostüme sind fantasievoll und sehr ansprechend, zudem ist das alles mit viel Augenzwinkern und humoriger Leichtigkeit gestaltet, wenn etwa die „Übersetzungsmaschine“ koreanisch-deutsch aktiviert ist für Tamino Youn-Seong Shim. Dazu kommen im Sinne von Star Wars abgewandelte Sprechdialoge, die in der Tradition des Stehgreiftheaters auch witzige Aktualisierungen bringen. So fängt Papageno nicht nur Fantasie-Vögel, die während der Aufführung im Zuschauerraum auftauchen, sondern auch passend zum Fest, wie er prahlt, die Weihnachtsgänse. Der Sängerstolz wird auf die Schippe genommen: Zweiter Auftritt, Erste Szene, der Sprecher formuliert seine Zweifel Sarastro gegenüber, ob Tamino den Prüfungen gewachsen sein werde und ergänzt das Libretto: „Er ist Prinz!“ – „und Tenor!“ Selbstironie der singenden und schauspielenden Truppe gehört mit zum Spiel wie auch das Publikum durch das Spielen vor dem Orchestergraben mit einbezogen wird.


    Was diese Inszenierung einmal mehr vermitteln kann wie schon die anderen, die ich in Münster erleben konnte, ist vor allem eines: Man merkt es den Ausführenden an, dass sie großen, geradezu leidenschaftlichen Spaß am Theater-Spielen haben und ihre überschäumende Spielfreude auf das Publikum übertragen wollen und das auch können. Musiktheater als Spiel, als Spiel im Spiel, hier: Oper als Fantasy-Kino, was fesselt und neugierig macht, das es gerade auch den jungen und ganz jungen Zuschauern erlaubt, von ihrer Fantasie-Welt in die des historischen Stückes zu schlüpfen. So trägt der erste Priester (gesungen von Gregor Dalal) das Gewand von Mr. Spock aus „Raumschiff Enterprise“ und sagt an einer Stelle sein berühmtes „interessant“ – was prompt spontanes Kinder-Lachen provoziert (und meines auch :D ). Ebenso für große Heiterkeit sorgt die Wirkung der Zauberflöte auf den „Bösewicht“ Monostratus, der unfreiwillig komisch-tänzerische Bewegungen vollführt. Was die Münsteraner Zauberflöte auf diese Weise schafft ist Opernspaß ohne jede esoterische Hemmschwelle. Dabei bleibt die gespielte Oper immer was sie ist – Schikaneders und Mozarts Stück – eben das eigentliche Spiel im Fantasy-Kino Spiel. Die „Zauberflöte“ beweist damit, dass ihr ewige Jugend auf der Opernbühne beschieden ist, sie zeigt sich unverbraucht, jung und frisch, inszeniert als fröhlich-lebendiges Musiktheater von heute. Hier eine finster-ernste Regietheater-Werktreue-Debatte anzuzetteln, käme nur polizeilichen Opern-Spießern in Uniform in den Sinn, griesgrämigen Moralinsauerbonbonlutschern von der dunklen Seite der Macht. Unter den Zuschauern und Zuhörern wurden solche jedenfalls nicht gesichtet – das Publikum war nur hellauf begeistert.


    Musikalisch wurde das Ganze sehr umsichtig und kompetent von Fabrizio Ventura geleitet. Besonders beeindruckt von den sängerischen Darbietungen hat mich Henrike Jacob als Pamina mit ihrem schönen und volltönenden, ungemein flexiblen, warmfühlenden und dramatisch eindringlichen Sopran. Auch Antje Bitterlich als Königin der Nacht bot eine überragende Partie. Den Bassisten Sebastian Campione als Sarastro plagte eine schwere Erkältung, auch mit diesem Malheur spielte und sang er seine Rolle sehr beachtlich. Papageno Gabriel Urrutia brillierte durch sein komödiantisches Spiel und Tamino Youn-Seong Shim steigerte sich mehr und mehr in seine Partie hinein – ein sehr intensiver, überzeugend gesungener Tamino. Komödiantische Qualitäten hatten auch die drei Damen der Königin der Nacht, gesungen von Sara Rossi Daldoss, Lisa Wedekind und Suzanne McLeod. Als verkleidete hässliche Baba Yaga mit Besen erntete Papagena Eva Baumüller für ihre sängerisch-schauspielerische Leistung verdiente Lachsalven. Die komödiantische Krönung war zweifellos besonders gelungen, wo Papageno und Papagena keine Zeit mehr verlieren, sondern gleich irdisch-sinnenfroh „zur Sache“ gehen und einen Strip auf der Bühne veranstalten, bevor er mit ihr im Negligee auf dem Arm von brausendem Beifall des Publikums begleitet der Bühne entschwindet. Wirklich sehr überzeugend sowohl im Gesang als auch im Spiel Boris Leisenheimer als Monostratus. Natürlich dürfen auch die drei Knabenstimmen nicht unerwähnt bleiben, die ihre Sache vorzüglich machten und zudem sehr bühnenwirksam inszeniert wurden, mit einem Zeppelin-Bühnenfahrad durch die Luft fuhren, wie auch nicht zuletzt der gut einstudierte Chor zum Gelingen des Abends beitrug. Alles in allem war das einfach ein wunderschöner, rundum glücklich machender opernmusikalischer Jahresabschluss. :) :) :)


    Schöne Grüße
    Holger