„Meine ursprüngliche Absicht war, die gesamte Symphonie als Flut von Licht und Harmonie hervorquellen zu lassen. Aber das Schicksal wollte es anders. Bereits nach dem ersten Satz verschwindet die Sonne hinter den Wolken, die Dämmerung setzt ein; darauf folgt eine stürmische Nacht in der ich (in übertragenem Sinne) um mein Leben kämpfen mußte, um nicht im Verlauf der inneren Konflikte unterzugehen, die mich damals zu vernichten drohten.“
Die Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 11 von Hugo Alfvén wurde im Jahre 1899 vollendet und war durch Naturereignisse inspiriert. Die ersten drei Sätze entwarf er am Meer, genauer gesagt im Stockholmer Archipel. Anhand dieser Skizzen ersuchte Alfvén um ein Stipendium an der Musikakademie in Stockholm, was indes abgelehnt wurde. Dieser Rückschlag bedingte Selbstzweifel beim Komponisten, der indes keinesfalls aufgab:
„Ich werde diesen Schuften zeigen, daß ich weiß, wie man komponiert. Ich hatte damals das Finale skizziert, das als Präludium und Fuge konzipiert war … Ich schob den Choral 'Jag går mot döden var jag går' (Alle Wege führen zum Tod) ein … Ich machte darauf ein neues Fugenthema, das dritte, und forderte die Akademie in der Frage des regelgemäßen dreifachen Kontrapunkts erneut heraus.“
Die Uraufführung geriet zu einem großen Erfolg und wurde gewissermaßen Alfvéns Durchbruch. Zuvor hatte es in der schwedischen Musik keine Symphonie mit derartigen Dimensionen, solcher Kunstfertigkeit und solchem Gedankenreichtum gegeben.
(Zitiert nach dem Text von Stig Jacobsson im Booklet zu: Hugo Alfvén: The Symphonies & Rhapsodies, Royal Stockholm Philharmonic Orchestra/N. Järvi, BIS-CD-1478/80)
Hugo Alfvén (1872—1960) war gewissermaßen ein Multitalent: Er war nicht nur Komponist, sondern auch Violinist, Orchesterdirigent, Chordirigent, Dozent, Maler und Schriftsteller. Er verkörperte gleichsam das Ideal eines Künstlers des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Die Premiere seiner 2. Symphonie am 2. Mai 1899, dem Tage nach seinem 27. Geburtstag, unterstrich seine Reputation als Komponist. Uraufführungsdirigent war niemand Geringerer als Wilhelm Stenhammar, Aufführungsort war das neu eröffnete Königliche Opernhaus in Stockholm.
Es gibt es einen deutlichen Bezug zu Berlioz‘ Symphonie fantastique. Beide Werke können als musikalisches Drama in vier Akten angesehen werden. Hier wie dort kulminiert es im letzten Satz, wo Variationen von Melodien mit Anspielungen auf den Tod zutage treten. Im Falle von Berlioz ist es das Dies irae, bei Alfvén ein alter deutscher Choral. Die Symphonie fantastique hat ein klares Programm, doch sieht der Alfvén-Biograph Sven E. Svensson ein solches auch in der 2. Symphonie seines Landsmannes: Im 1. Satz erblickt er die heiteren Hoffnungen der Jugend, im 2. Satz den Ernst des Lebens, im 3. Satz die Anstrengungen des jungen Mannes. Dabei kreist stets das Schicksal über ihm, tragische Erfahrungen inbegriffen. Im Finale schließlich den Schlusskampf zwischen Leben und Tod. Diese Einschätzung Svenssons steht durchaus im Einklang mit Alfvéns eigener Aussage im Alter, dass alles, was er geschrieben habe, im Grunde genommen Programmmusik sei.
Neben Berlioz lassen sich auch gewisse Anklänge an Beethoven, Brahms, Franck, Wagner und sogar Mahler ausmachen. Das Werk kann als viersätzige Symphonie in der klassisch-romantischen Tradition aufgefasst werden.
Der erste Satz ist fröhlich bis hin zum Übermut. Er steht für das Gemüt und die Melodien, die Alfvén bei seinen Segelausflügen im Archipel hatte. Es findet sich hier keine Fin-de-siècle-Stimmung wieder, vielmehr eine Ähnlichkeit zur naturalistischen Lyrik von Freilichtmalerei. Insgesamt erinnert gerade das zweite Thema des Satzes an Brahms.
Die Grundstimmung des zweiten Satzes ist dämonisch, hier an Berlioz und auch Beethoven erinnernd. Gegen Ende nimmt er einen skandinavischen Tonfall an. Bewusst oder unbewusst hat das Hauptthema eine deutliche Ähnlichkeit zum Anfang von Bachs „Kunst der Fuge“. Der Marche au supplice aus der Symphonie fantastique mag einen gewissen Einfluss ausgeübt haben.
Der dritte Satz ist durchaus scherzoartig und verfügt über ein Trio, doch ist die Atmosphäre eher grotesk als witzig. Das Hauptmotiv ist dasselbe „Kunst der Fuge“-Thema wie im zweiten Satz, jedoch mit anderem Rhythmus. Die Holzbläser klingen geradezu verzweifelt. Im Trio gibt es eine Stelle, die an Alfvéns Festmusik erinnert.
Am deutlichsten werden die Parallelen zu Berlioz im Finalsatz, der dem Song d’une nuit de Sabat in der Symphonie fantastique ähnelt. Anders als der Held bei Berlioz, der verschiedene Dies-irae-Variationen hört, ist es bei Alfvén der große Choral in der Mitte des Satzes. Nach einem langsamen, majestätischen Präludium im Fugenstil, das gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm repräsentiert, setzt auf dem dramatischen Höhepunkt der Choral ein. Sicherlich handelt es sich hierbei um den Höhepunkt des gesamten Werkes. Die Symphonie wird durch eine affirmative Coda beschlossen, ähnlich einer Beethoven-Symphonie, jedoch in einer Molltonart.
Die 2. Symphonie darf mit einigem Recht als Alfvéns „Sturm-und-Drang-Symphonie“ bezeichnet werden. Der Komponist hat gegenüber seiner 1. Symphonie deutlich an Reife gewonnen. Die Zweite ist mehr zusammengewachsen als die „italienische“ Dritte, nicht so monothematisch wie die berühmtere Vierte und zerfällt nicht in ihre Einzelteile wie die späte Fünfte. Die 2. Symphonie war eines der ersten Werke von Alfvén, welche gedruckt wurden, nämlich 1900 durch Det Nordiske Forlag in Kopenhagen. Bald schon gehörte sie zum Repertoire in Kopenhagen, Göteborg, Kristiania (Oslo), Uppsala (1901) und Montreux (1902). Im Jänner 1903 wurde sie am Königlichen Opernhaus in Stockholm wiederholt (mit Alfvéns Debüt als Dirigent). Weitere Aufführungen erfolgten in Beddingstroke, England (1903), Stockholm (1905), Helsinki und Göteborg (1906). Die letzten drei Aufführungen wurden wiederum von Alfvén selbst geleitet.
(Zitiert nach dem Text von Jan Olof Rudén im Booklet zu: Hugo Alfvén: Symfoni nr 2, Sveriges Radio symfoniorkester/J. Svjetlanov, Musica Sveciae MSCD 627)
Es gibt mindestens vier Aufnahmen dieses Werkes:
- Royal Stockholm PO/Segerstam (1972)
- Royal Stockholm PO/N. Järvi (1987)
- Schwedisches RSO/Swetlanow (1988)
- National SO of Ireland/Willén (2000)
Mir liegen Järvi und Swetlanow vor, wobei ich letzterer Aufnahme eindeutig den Vorzug geben würde. Swetlanow, der Alfvén ganz besonders schätzte und oft aufführte, durchdringt das Werk intensiver und nimmt sich auch mehr Zeit. Vermutlich lässt Järvi im 2. Satz aber irgendetwas aus. Das Orchesterspiel bei Järvi ist im direkten Vergleich etwas lasch und unmotiviert.
Spielzeiten:
1. Satz: 14:41 (Järvi) — 15:31 (Swetlanow)
2. Satz: 12:13 (Järvi) — 18:44 (Swetlanow)
3. Satz: 9:28 (Järvi) — 10:08 (Swetlanow)
4. Satz: 6:16 + 10:12 = 16:29 (Järvi) — 7:13 + 11:01 = 18:14 (Swetlanow)