Wassili Kalinnikow: Orchesterwerke

  • Neben seinen zwei Symphonien, die als die Hauptwerke gelten dürfen, hinterließ der jung verstorbene russische Komponist Wassili Sergejewitsch Kalinnikow (1866—1901) eine Reihe von Orchesterwerken, die durchaus von Interesse sind. Die wichtigsten, von denen auch Einspielungen vorliegen, sind folgende:


    - „Die Nymphen“, Symphonisches Bild nach Iwan Sergejewitsch Turgenew (1889)
    - Serenade in g-Moll für Streichorchester (1891)
    - Suite in h-Moll (1891/92)
    - Ouvertüre „Bylina“, Epische Tondichtung (um 1892)
    - Intermezzo Nr. 1 in A-Dur (1896)
    - Intermezzo Nr. 2 in G-Dur (1897)
    - „Die Zeder und die Palme“, Symphonisches Bild nach Heinrich Heine (1897/98)
    - „Zar Boris“, Bühnenmusik zur Tragödie von Alexej Konstantinowitsch Tolstoi (1898)


    Interessant sind insbesondere die drei Tondichtungen.



    „Die Nymphen“, das früheste der Werke, beeindruckt durch einfallsreiche und farbenprächtige Orchestrierung und einen stetig aufrechterhaltenen Spannungsbogen. Trotz nicht abzustreitender Dramatik wird es von einer heiteren Grundstimmung beherrscht. Es gibt sehr melodiöse lyrische Passagen, die sich mit kraftvollen, von Paukenschlägen unterstützten abwechseln. Am Ende wird es regelrecht mysteriös, ein geheimnisvoller Gong kommt zum Einsatz, bevor das Werk effektvoll ausklingt.



    Bei „Bylina“ (ein mittelalterliches russisches Helden- oder Volkslied) konnte sich der Komponist nicht so recht entscheiden, ob es nun eine Ouvertüre oder doch eine Tondichtung sein soll. Das ist letzten Endes aber auch einerlei. Das Werk ist deutlich introvertierter als „Die Nymphen“ und in einem melancholischen Tonfall gehalten. Nach bedrohlichen Ausbrüchen des Orchesters wird die Stimmung etwas lichter. Es kommt bereits der typische, ungemein ins Ohr gehende Kalinnikow-Ton durch, der die später entstandene erste Symphonie bestimmen wird. Mit einer gehörigen Portion Theatralik wird das Werk beschlossen.



    „Die Zeder und die Palme“ schließlich ist die letzte und ambitionierteste symphonische Dichtung Kalinnikows. Mit einer beinahe ein klein wenig an Schuberts „Unvollendete“ erinnernden bedeutungsschweren Einleitung beginnt das Werk, um bald von einem zweiten, deutlich helleren Motiv ergänzt zu werden, das wiederum vom ersten Thema abgelöst wird. Sicherlich sollen diese beiden Motive die zwei verschiedenartigen namensgebenden Bäume symbolisieren, die nordische Zeder und die südliche Palme. Gekonnt versteht es Kalinnikow, dies miteinander organisch zu verweben. Vielleicht ist hier die Sibirische Zirbelkiefer, die im Russischen als „kedr“ (Zeder) bekannt ist, gemeint. Zumindest deutet der Originaltitel des Werkes darauf hin („Кедр и пальма“). Im weiteren Verlauf behält mal die Zeder, mal die Palme die Oberhand, wobei die Dramatik zeitweise deutlich zunimmt. Ruhig verklingen die letzten Takte am Ende allmählich.



    Sehr hörenswert ist auch die Bühnenmusik „Zar Boris“, die sich auf den berühmten Boris Godunow (Zar 1598—1605) bezieht. Hier bedient Kalinnikow den heroischen, triumphalen Gestus und liefert eine gute halbe Stunde spektakulärer russischer Orchestermusik der Spätromantik ab.


    Die Referenz dürften bis heute die zwischen 1987 und 1989 eingespielten Aufnahmen des Staatlichen Symphonieorchesters der Sowjetunion unter Jewgeni Swetlanow sein. Es gibt auch noch eine Veröffentlichung bei Marco Polo, die allerdings schwerlich die astreinen Darbietungen übertrumpfen wird, aufgrund der schlechten Verfügbarkeit der Swetlanow-Aufnahmen aber zum Kennenlernen ausreichend sein dürfte.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões