https://de.wikipedia.org/wiki/Daniil_Olegowitsch_Trifonow
Die erste Begegnung mit dem Pianisten Vladimir Ashkenazy in meiner Jugendzeit war eine Radiosendung, wo seine Aufnahme einer Auswahl aus den „transzendentalen“ Etüden von Franz Liszt wiedergegeben wurde. Dies hat mich damals wie man so schön sagt „vom Stuhl gehauen“ und ab diesem Zeitpunkt kaufte ich zuerst diese und dann eine Ashkenazy-Platte nach der anderen. Ashkenazy spielt nicht nur virtuos, er hat diesen frischen, unverbrauchten Gestus revolutionärer Aufbruchstimmung gepaart mit unfehlbarer Pianistik. Liszt von allem Pomp entschlackt und trotzdem mit romantischer „Größe“ und „transzendentaler“ Weite. Dazu kommt Ashkenazys unfehlbare Technik und große Spielkultur, die Fähigkeit, auf dem Klavier Geschichten erzählen zu können. In Bezug auf Trifonov gibt es nun Parallelen zu meinem Ashkenazy-Liszt-Erlebnis von damals, denn diese CD ist schließlich die erste, die ich von diesem jungen Pianisten überhaupt erworben habe. Erfüllt sie also die Erwartungen wie der Titel verspricht? Verschafft mir das ein „transzendentales“ Hörerlebnisses? Ich muss es ganz eindeutig sagen: Nein!
Aber beginnen wir mit dem Positiven. Trifonov hat offenbar diese gewisse agogische Verkrampfung, die sich in seiner früheren u.a. bei Youtube zugänglichen Bild- und Tondokumenten zeigt, abgelegt. Er ist eindeutig reif geworden. Seine Haltung am Klavier ist sehr viel entspannter, sein Spiel deutlich natürlicher geworden. Und es ist nicht zu bestreiten, dass er sich mit diesem kolossalen Werk Liszts geistig auseinandergesetzt hat. So überzeugt „Chasse neige“, dass er bruchlos an „Harmonie du soir“ anschließt, als ein resignativer Rückblick. Trifonov versteht Lizts Etüdenwerk nämlich als eine reflektierte Lebensgeschichte des Reifens und Altwerdens. Es liegen ihm zweifellos die Etüden 8 und 10 ganz besonders, wo kompromisslos subjektive, leidenschaftliche Expressivität zum Ausdruck kommt. Das ist mitreißend „mit Feuer“ gespielt. Doch insgesamt fehlt diesem Zyklus die Geschlossenheit eines einheitlichen, „großen Wurfs“, der einen von Anfang bis Ende den Atem rauben könnte. Schon der Auftakt vermag mich als Hörer nicht vom Stuhl zu reißen. Da fehlt der zusammenhängende große Bogen und letztlich auch die „transzendentale“ Virtuosität des „Darüberstehens“, die manuelle Alles-über-Alles-Souveränität. Da wirkt doch so vieles einfach angestrengt bemüht, wo ein Ashkenazy, ein Cziffra, ein Berman oder Svjatoslav Richter mit göttlicher Mühelosigkeit pianistisch zu Werke gehen. Trifonov ist, was das rein Pianistische angeht, letztlich doch weder ein Pogorelich, noch ein Zimerman, noch ein Kissin. Und leider habe und behalte ich beim wunderbaren Klangstück „Paysage“ Vladimir Ashkenazy im Ohr. Besonders diese Etüde gelingt dem russischen Altmeister phänomenal mit überragendem Legato-Spiel, idiomatischer Treffsicherheit, was den romantischen „Ton“ angeht, nämlich Sinn für den choralhaften Ton romantischen „Glockengeläutes“ zu haben und den hymnischen großen Bogen im dynamischen Aufbau so zu zelebrieren, wie es sein soll. All das bringt Trifonov einfach nicht zustande. Was man statt dessen vernimmt sind sensualistische Klangsäuseleien mit zudem wenig organischen, störenden Tempowechseln und völlig altmodischem, überflüssigem „Geklapper“ – Melodiestimme und Bass werden zeitversetzt gespielt. Und Mazeppa? Das wirkt letztlich einfach undämonisch. Keine große Erschütterung, kein Entsetzen über eine Welt, die durch die entfesselten Gewalten aus den Fugen gerät, wie dies ein Lazar Berman vermitteln kann und vor allem: kein großer Atem eines die Welt ergreifenden Geistes. Statt dessen gibt es doch sehr aufgesetzt demonstrativ wirkende Rhetorik am Schluss mit zerdehnten Pausen. Die „Irrlichter“ sind ordentlich aber eben nicht aufregend präziös gespielt, wie es ein Ashkenazy einfach klaviertechnisch besser kann. Da ist nichts Romantisch-Gespenstisches zu vernehmen. „Vision“ – Liszts Eindrücke beim Anblick des Grabmals von Napoleon – gelingt Trifonov dagegen mit am besten, denn ein Stimmungsbild entwerfen kann er. Enttäuschend dagegen „Eroica“; da fehlt schlicht die Begeisterung und Ambivalenz, die romantisch große Geste, wo Erhabenheit und Größe sich auf der Grenze zum Größenwahn bewegt. Und „Ricordanza“, jenes Stück, welches Busoni an „vergilbte Liebesbriefe“ erinnerte, ist leider einfach schwach. Gerade dieses Stück ist vielleicht das „Gefährlichste“ des Zyklus, denn der Interpret kann hier allzu leicht in die „Kitschfalle“ tappen. Bei Cziffra wird es geradezu durchglüht von berstender Leidenschaft, so dass auch der letzte Kitschanflug im leidenschaftlichen Fegefeuer regelrecht verbrennt. Trifonov dagegen bietet dem Hörer betuhlich-biedermeierliche „Impressionismen“ an – zudem droht das Stück in seine Einzelteile zu zerfallen. „Harmonie du soir“ hat wiederum Vladimir Ashkenazy so überragend gespielt, dass man im Prinzip keine andere Aufnahme mehr zu hören braucht. Auch Trifonov nicht, der wiederum Lyrismus an Lyrismus reiht. Da fehlt ihm der „lange Atem“, der große dynamische Bogen, oder anders ausgedrückt: die Dramaturgie.
Das Fazit: Trifonov ist sicher eine Persönlichkeit, der eine durchdachte, geistvolle Auseinandersetzung mit Liszts transzendentalem Etüdenwerk zu bieten hat auf pianistisch sehr hohem Niveau. Da sind andere Aufnahmen von jüngeren und älteren Pianistenkollegen auch mit gutem Namen eindeutig schwächer. Aber die große Offenbarung, gar eine „transzendentale“ Referenz, ist das wahrlich nicht!
Schöne Grüße
Holger
APUT