Die Oper - eine Schöne, die erobert sein will!

  • Beim Schmökern in alten Forum-Texten stoße ich immer wieder auf interessante Erkenntnisse, die ich an dieser Stelle nicht vermutet hätte. Diesmal war es bei einem Bericht von den Salzburgerfestspielen 2014. Die Aufführung hatte ich sogar selber in der Fernseh-Übertragung verfolgt und mich gewundert, dass sie mich enttäuscht hatte. Den Grund lieferte mir jetzt, mehr als zwei Jahre danach - Rheingold!
    Es handelte sich um die damals neue Produktion von Arabella. Als Grund für die matte Aufführung, trotz Starbesetzung, machte Rheingold in der Verschiebung der Handlungszeit aus, wodurch viele wichtige Textstellen im luftleeren Raum hängen blieben. Er untermauerte das mit einer stattlichen Liste von Textstellen, die eng an die Originalzeit gebunden sind - und die sich den meisten Zuschauern nur erschließen, wenn sie das Stück gut kennen.
    Letzteres wurde mir beim Lesen schlagartig klar, denn das Stück gehört auch zu meinen Favoriten im Repertoire. Ähnlich erging es mir bei Rheingolds Beurteilung der Protagonisten, die mit Renée Fleming und Thomas Hampson zwar prominent, aber nicht rollendeckend besetzt waren. Auch dem kann ich nur zustimmen. Wenn ich heute die Stelle höre "Das ist ein Engel, der vom Himmel niedersteigt!" - und den prosaischen Zusatz von Waldner "Immer eine holbe Stunde zu spät!", dann sehe ich immer nur vor mir: Lisa Della Casa, George London und Otto Edelmann. Obwohl ich die letzteren beiden nie in diesen Rollen erlebt habe -nur auf Platten gehört!


    Mit diesen Phänomenen lohnt es sich, damit auseinanderzusetzen: Es gibt Opern, die mehr als andere davon abhängen, dass sie in der richtigen Zeit, am richtigen Ort gespielt und in adäquater Besetzung gespielt werden. Dazu gehören etwa Figaro, Freischütz, Meistersinger, Jenufa, Boris, Verkaufte Braut... Auch die äußere Erscheinung ist, besonders bei Liebesszenen, manchmal sehr wichtig, wie das damals Dr.Pingel berechtigterweise forderte.


    Auf eine fruchtbare Diskussion um die Annäherung an eine optimale Aufführung (und damit um die Eroberung der schönen Dame Oper!) freut sich, mit herzlichen Grüßen, Sixtus

  • Es handelte sich um die damals neue Produktion von Arabella. Als Grund für die matte Aufführung, trotz Starbesetzung, machte Rheingold in der Verschiebung der Handlungszeit aus, wodurch viele wichtige Textstellen im luftleeren Raum hängen blieben. Er untermauerte das mit einer stattlichen Liste von Textstellen, die eng an die Originalzeit gebunden sind - und die sich den meisten Zuschauern nur erschließen, wenn sie das Stück gut kennen.


    Eventuell wäre eine direkte Verlinkung auf Rheingolds Text bzw. den zugehörigen Thread der Sache dienlich ... et voilà: ARABELLA bei den Osterfestspielen 2014 in Salzburg. - Interessant an der nachfolgenden Diskussion fand ich übrigens, dass den Verfechtern der werkgerechten Inszenierung in deisem Fall die Zeitverschiebung, welche auch ich zur Diskussion gestellt habe (siehe hier), recht egal gewesen zu sein scheint. Hauptsache, es war schön anzuschauen! - Nicht das erste Mal übrigens, dass ich den Eindruck hatte, da werde - bewußt oder unbewußt - mit zweierlei Maß gemessen!?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Michael,


    danke für deine technische Hilfe. Mich überfordern solche Operationen sehr leicht, weshalb ich ihnen gern aus dem Wege gehe.


    Zum Verfahren:
    Es wäre mir sehr daran gelegen, dass wir hier nicht nochmal die alten Gräben aufreißen, sondern versuchen, unbefangen an das Problem heranzugehen. ich selbst werde versuchen, jenseits von Pro und Kontra eine differenzierte, sachbezogene Haltung zu vertreten, die nach allen Seiten offen ist. Es wäre schön, wenn das allen Beteiligten gelänge und wir ein Stück mehr Sachlichkeit erreichen würden.


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Oper - eine Schöne, die erobert sein will. Das ist so raffiniert formuliert, dass zumindest ich, lieber Sixtus, dieser (Deiner) Verführung nicht widerstehen kann. Die Oper ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem alle Bedingungen, wie Musik, Gesang, Darstellung,
    Bühnenbild, Kostüme, Licht, Sängerbesetzung usw. zusammenpassen müssen, wenn das Werk gelingen soll. Je mehr die Oper einen historischen oder geschichtlichen Hintergrund hat, um so schwieriger wird es, diese in eine andere Zeit zu versetzen. Um bei Deiner Schönen zu bleiben, wenn eine reifere Dame in Teenager-Klamotten herumläuft, dann ist die Grenze vom Erhabenen zum Lächerlichen sehr schnell erreicht. Wenn ein Tannhäuser in einer Biogasanlage und ein Ring im amerikanischen Süden spielt, dann helfen alle dialektisch gescheiten Erklärungen des Regisseurs und der nach Motiverklärungen suchenden Journaille nichts, ein solcher Sprung kann kaum gelingen. Eventuell können zeitlose stlisierte Auslegungen, wie der sogenannte Neubayreuther Stil von Wieland und Wolfgang Wagner, das Problem "Echtzeit" überwinden. Ansonsten ist die Verlegung einer Opernhandlung in eine völlig andere Zeit ein Versuch, der noch selten befriedigend gelungen ist. Lass' die Schöne ihren Stil wahren und präsentiere sie im ihr gerechtwerdenden Ambiente und ihre wahre Schönheit wird zum vollen verführerischen Blühen kommen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Auch die äußere Erscheinung ist, besonders bei Liebesszenen, manchmal sehr wichtig, wie das damals Dr.Pingel berechtigterweise forderte.


    Tatsächlich - und das mag an meiner Gesamtschulsozialisation liegen - ist mir die äußere Erscheinung ziemlich schnuppe. Ich bin ja nicht derjenige, der sich in Pamina, Mimi oder Brünnhilde verlieben muss. Mir reicht es ziemlich, wenn die Besetzung gut singt und möglichst nicht gar zu hölzern agiert. Die Sache mit dem Aussehen halte ich zum größten Teil um ein Phänomen des Fernseh- und inzwischen zunehmend Internet-Zeitalters; da wird den Sängern mit der Kamera im wahrsten Sinne des Wortes so auf den Leib gerückt, dass man als Zuseher jeden Pickel erkennen kann. Das mag für einen Redaktuer der Gala interessant sein, für mich ist es das nicht! Im Opernhaus habe ich das "Problem" nicht, da eine natürliche Distanz gegeben ist, die über manches hinwegsehen läßt.


    Klar, es gab auch schon früher Sängerinnen und Sänger die (auch) ob ihres Aussehens bewundert wurden - man denkt ja sofort an die Callas - aber die Prioritäten schienen mir doch andere. Es könnte vielleicht ganz spannend sein, zu erfahren, wo die Netrebko heute stünde, würde sie genauso singen, aber dabei "häßlich wie die Nacht" sein!?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zum Verfahren: Es wäre mir sehr daran gelegen, dass wir hier nicht nochmal die alten Gräben aufreißen, sondern versuchen, unbefangen an das Problem heranzugehen. ich selbst werde versuchen, jenseits von Pro und Kontra eine differenzierte, sachbezogene Haltung zu vertreten, die nach allen Seiten offen ist. Es wäre schön, wenn das allen Beteiligten gelänge und wir ein Stück mehr Sachlichkeit erreichen würden.


    Bin ich sofort dabei! - Vergessen wir also meinen Nachsatz bzgl. des zweierlei Maßes. Trotzdem würde mich eine für mich nachvollziehbare Begründung, warum die Inszenierung trotz Zeitversatz als werkgerecht angesehen werden kann, interessieren.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Liebe Freunde,


    eigentlich dürfte keine Oper zeitlich und örtlich versetzt werden, weil es immer wieder Diskrepanzen mit den Geschehnissen geben wird, speziell bei Opern, die in ein historisches, mythisches oder märchenhaftes Umfeld eingebettet sind. Insofern hatte Rheingold völlig Recht, dass manches auch bei Arabella aus Salzburg nicht passte. Dennoch gibt es in den letzten Jahren weit Schlimmeres, wo die Handlung so unverschämt verfälscht wird, dass ein wahrer Freund der Oper sich mit Schaudern abwendet, Operus hat einige von den vielen hundert Beispielen genannt.
    Eigentlich sollte man doch meinen, dass ein Regisseur, der die Verantwortung für die Aufführung trägt. sich noch weit intensiver mit den Einzelheiten der Handlung auseinandersetzen müsste als der Zuschauer und auch diese Diskrepanzen erkennen müsste, die in der Oper bewanderten Leuten - wie Rheingold, der sich mit dieser Oper weit intensiver als ich auseinander gesetzt hat, obwohl er nicht der Regisseur ist - auffallen. Aber wir wissen ja auch von Regisseuren, die ausdrücklich ausgesagt haben, dass sie das Werk eigentlich überhaupt nicht interessiert, sie es aber ausnutzen, um ihr "Süppchen zu kochen" bzw. das Publikum mit dem Originaltitel anlocken wollen, sich aber ihrer Verantwortung gegenüber dem Werk absolut nicht bewusst sind.
    Für mich bleiben sie schlechte Handwerker, aber nicht, wie einige hier sie hochstilisieren wollen "eigenständige Künstler"! Aber sie werden von verbohrten Intendanten immer noch engagiert, weil es so "Mode" ist. Wir können nur hoffen, dass diese Mode endlich als überholt betrachtet wird. Die Anzeichen mehren sich und die Hoffnung stirbt zuletzt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich halte zeitliche Verschiebungen fast immer für problematisch. Es gibt da nur wenige Ausnahmen wie z.B. den "Werther" aus Wien.


    Wenn ich an die "Manon Lescaut" denke, die kürzlich im TV lief und als gut befunden wurde, muss ich anmerken, dass ich anmerken, dass ein Mädel auf dem Weg ins Kloster, in das sie eigentlich gar nicht will, im 20. Jahrhundert nicht recht glaubhaft ist. Auch die "Poststation" mit Bar passt nicht ganz ins Bild. Etc, ....

  • Es gibt Opern, die mehr als andere davon abhängen, dass sie in der richtigen Zeit, am richtigen Ort gespielt und in adäquater Besetzung gespielt werden.


    Zwar bin ich soeben und einmal mehr aus dem Verein Wahre Freunde der Oper™ hinauskomplementiert worden, frage aber doch, welche Oper nicht mindestens von einer adäquaten Besetzung abhängt?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich halte zeitliche Verschiebungen fast immer für problematisch. Es gibt da nur wenige Ausnahmen wie z.B. den "Werther" aus Wien.


    Ich würde da sogar noch weiter gehen und behaupten, die Verschiebung in Zeit oder Raum bzw. Ort ist immer problematisch. Allerdings denke ich dieses "problematsich" weniger im Sinne von "Problem", als im Sinne von "Aufgabe": Der Regisseur stellt sich mit der Idee, das Werk in einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort spielen zu lassen, selbst eine Aufgabe, dies er zu lösen hat! Eine Lösung ist gut, wenn es ihm gelingt, den Zuschauer mitzunehmen, ihm sein Gedankenexperiment glaubhaft zu machen, als Beispiel sei der "Jahrhundert"-Ring genannt. Bei einer schlechten Lösung gelingt dies nicht bzw. nur unzureichend, da wäre dann vielleicht die fragliche Arabella aus Salzburg zu nennen.


    Um beim Titel des Threads zu bleiben, könnte man vielleicht auch von einer gelungenen oder einer mißlungenen Eroberung des Werkes durch die Regie sprechen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zum Phänomen der künstlich erzeugten Nähe ein weiterer Gedanke, der mir beim Ansehen der Verona-Aida (siehe hier, ff) gekommen ist: Eine solche quasi historisch-informierte Inszenierung mag als Zuschauer im Rund der Arena, d.h. insbesondere auf eine Entfernung von mindestens 20 Metern durchaus imposant und vielleicht sogar glaubwürdig wirken. Aus der Nähe der Kamera jedoch bleibt von diesem Eindruck zumindest bei mir lediglich Pappmaché und Sperrholz bzw. heutzutage auch Plaste und Elaste. Interessanterweise habe ich dieses Gefühl bei modernen Inszenierungen weit weniger häufig, was vielleicht daran liegt, dass mir vielleicht unterbewußt klar ist, dass all der Pomp und Stuck nicht echt sein kann, während z.B. ein Auto auf der Bühne mit größter Wahrscheinlichkeit echt ist - oder eine Nummer kleiner: Der Kaiserthron ist mit Sicherheit falsch, während der Le Corbusier-Sessel sicher echt ist.


    p.s. Wirklich grauenvoll in dieser Inszenierung waren die Ballett-Choreographien, aber das nur nebenbei bemerkt :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Oh ! da gibt se sooo viel zu sagen zu diesem Thread- ich werde mir hin und wieder einStatement herauspichen und darauf antworten.


    MSchenk Beitrag Nr 5


    Zitat

    Klar, es gab auch schon früher Sängerinnen und Sänger die (auch) ob ihres Aussehens bewundert wurden - man denkt ja sofort an die Callas - aber die Prioritäten schienen mir doch andere.


    Ich denke hierbei nicht sofort an die Callas, denn die Callas war ursprünglich ein hässliches Entlein - dick und unansehnlich. Ich weiß nicht mehr genau ob sie selber es war oder ihr Management - auf jedenfalls gestaltete sie die Kunstfigur "Callas" mit viel Disziplin zu jenem "Ideal" das bis heute viele anbeten.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Halt, Meister, nicht so geeilt!"


    Bevor wir uns wieder in unsere Schützengräben verschanzen, lasst uns doch mal die These prüfen, ob die Einhaltung von Ort und Zeit der Handlung in den einzelnen Opern nicht einen unterschiedlichen Stellenwert einnimmt.


    Ein Freischütz ohne Wald und in einer heutigen Industrielandschaft ist doch mit Sicherheit befremdlicher als ein Tristan ohne mythisches Cornwall und in einer zeitlosen Umgebung - einfach weil Tristan eine abstraktere Atmosphäre und mehr Stilisierung verträgt. So viel Ehrlichkeit darf sein. Und ich möchte Jenufa nicht im Berlin der wilden Zwanziger angesiedelt sehen, während Orpheus (bei Monteverdi wie bei Gluck) ein neutraleres Umfeld durchaus verträgt. Insofern gibt der Stoff - und auch die Musik - schon einen mehr oder weniger strengen Rahmen vor. Und vollends der Text (siehe Arabella).


    Und was die äußere Erscheinung anbetrifft: D´accord, man muss das nehmen, was man hat. Aber wenn ein großes Opernhaus die Wahl hat zwischen zwei guten Sängern für einen Liebhaber, ist es schon eine Überlegung wert, ob man den kleinen Dicken nimmt, nur weil er eine Spur besser phrasiert als der große Schlanke. (Bei Einspielungen im Studio fällt das weniger ins Gewicht.) Damit will ich keineswegs dem aktuellen Star-Unwesen das Wort reden; ich spreche von Extremen, die manchmal die Grenzen des Peinlichen überschreiten.


    Bleiben wir also möglichst auf dem Teppich und unterstellen Andersdenkenden nicht gleich immer das Äußerste!


    Das meint, mit herzlichen Grüßen nach allen Seiten, ein milde gestimmter Sixtus

  • Um noch einmal auf die Zeit, die ja ein sonderbar Ding ist, zurückzukommen:
    Mir fällt eben der ge/miß- lungene Salzburger (oder war's der aus Baden-Baden?) "Rosenkavalier" ein, der sehr heutig daherkommt. Da nimmt sich der Degen des Oktavian eher lächerlich aus, wenn der junge Mann gegen den Ochs blank zieht.

  • Zitat

    Da nimmt sich der Degen des Oktavian eher lächerlich aus, wenn der junge Mann gegen den Ochs blank zieht.


    Das ist der springende Punkt. Viele Opern, wenn nicht sogar die meisten - sind mit der Zeit verbunden in der sie spielen.
    Nehmen wir Beispielsweise "Cosi fan tutte" Diese durch und durch unglaubwürdige Handlung soll der Legende nach, auf einer wahren Begebenheit beruhen, die sich am Kaiserhof abgespielt haben soll. Seis drum !
    Tatsächlich spielt sie aber nun mal in der zweiten Häfte des 18. Jahrhunderts, was natürlich in Sachen Kostümierung und Szenenbild eine reizhafte Sache ist. Der abgeklärte Philosoph der das Wesen der Menschen - genauer gesagt in diesem Fall der Frauen - erklärt und zugleich ein Experiment anregt um seine These zu beweisen ist eigentlich eine typische Schablone dieser Zeit, allenfalls vereinzelt schon im 17. Jahrhundert existent. Despina ist ebenfalls eine "Enkelin" von Toinette aus Molieres "Eingebildetem Kranken" BTW: Die Rolle der Despina gewinnt ihren Reiz auch durch die Frechheit und die "sexuelle Aufgekärtheit" "Schon ein Mädchen von 15 Jahren"..........
    Ich kann mir eine derartige Bühnenfigur im prüden ausgehenden 19. jahrhundert - also etwa 100 Jahre später - gar nicht vorstellen, abgesehen davon, daß sich am Endes des Stückes die beiden Kavaliere schon allein aus Gründen der Ehre hätten duellieren müssen.....
    Im späten 20. Jahrhundert hingegen hätte man ganz offen Partnertausch betrieben und - ein besonders progressiver Autor hätte dann die Paare neu geformt: Ein schwules und ein Lesbisches.
    Kommen wir zurück zum Original: Hier ist etwas eingewoben, das ganz unkorrigierbar die Zeit vorschreibt, wann sich die ganze Geschichte zu ereignen hat, nämlich eine Parodie auf die Heilmethoden des Dr Franz Anton Mesmer (1734-1815) mit Magnetismus. Es ist schwer zu differenzieren inwieweit es sich wirklich und eine Parodie oder aber eine Hommage handelte, denn Mesmer verkehrte bei Mozart und Haydn und war ein großer Freund der Musik, Wie auch immer - Mesmer wurde hier ein literarisches Denkmal gesetzt, das im Text festgeschrieben steht und eine Verschiebung in ein anderes Zeitalter unmöglich macht ohne daß wesentlich Substanzielles am Text geändert wird.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und was die äußere Erscheinung anbetrifft: D´accord, man muss das nehmen, was man hat. Aber wenn ein großes Opernhaus die Wahl hat zwischen zwei guten Sängern für einen Liebhaber, ist es schon eine Überlegung wert, ob man den kleinen Dicken nimmt, nur weil er eine Spur besser phrasiert als der große Schlanke. (Bei Einspielungen im Studio fällt das weniger ins Gewicht.) Damit will ich keineswegs dem aktuellen Star-Unwesen das Wort reden; ich spreche von Extremen, die manchmal die Grenzen des Peinlichen überschreiten.


    Na, mein lieber Sixtus, war z. B. Benjamino Gigli nicht einer er der größten Tenöre, den jedes Opernhaus in seinen Glanzeiten liebend gerne in jeder seiner Partien gerne besetzt hätte? Die Reihe der Beispiele könnte fortgesetzt werden. Ich muss aus persönlichen Gründen energisch gegen diese Pauschalverurteilung im Namen aller Pykniker protestieren. Wobei bei mir nur die Figur zutrifft, als Tenor würde ich wahrscheinlich nie besetzt, egal wie ich aussehe. :hahahaha:

    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat von Sixtus

    Ein Freischütz ohne Wald und in einer heutigen Industrielandschaft ist doch mit Sicherheit befremdlicher als ein Tristan ohne mythisches Cornwall und in einer zeitlosen Umgebung - einfach weil Tristan eine abstraktere Atmosphäre und mehr Stilisierung verträgt.


    Lieber Sixtus,


    genau so ist es. Was gerade den Tristan betrifft, hat mich - wie ich hier schon mehrmals geschrieben habe - die Lösung von Patrice Chereau in der Scala durchaus in ihrer zeitlosen Darstellung begeistert, ohne dass mir dabei der Gedanke gekommen ist, dass Tristans so nicht sein dürfte. Wenn ich aber dagegen an die Inszenierungen der verschiedenen Wagner-Opern in Bayreuth in den letzten Jahren denke: da passte für mich gar nichts.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Jaja, dieZeit...


    Lieber Alfred, mein bremsendes "Halt!" bezog sich natürlich nicht auf deinen Beitrag, der sich wieder mal chronologisch dazwischengeschoben hatte, sondern auf die von verschiedenen Seiten eingegangenen emotional geladenen Einwürfe davor.
    Mir geht es hier um ein differenziertes Bild: Gibt es in den Vorgaben der Autoren (auch der Komponisten) Unterschiede in der Verbindlichkeit ihrer Anweisungen an die Regie? Und wo ist eine Abweichung davon marginal, wann dagegen destruktiv, weil das Ganze dadurch nicht erhellt, sondern verdunkelt wird?


    Besonders gut gefällt mir deine Formulierung "Hier ist etwas eingewoben...", bezogen auf den Mesmerismus der Mozart-Zeit. Dabei ist das, was hier eingewoben ist, noch nicht mal so gravierend wie andere Details in anderen Opern (es kann schlimmstenfalls als verstaubter Aberglaube abgetan werden). Das ganze Stück wird dabei nicht ernsthaft beschädigt. Aber nehmen wir beim Figaro das gräfliche Schloss weg - und die Neulinge im Publikum bleiben ratlos zurück.


    Es sollte uns mehr oder weniger alten Füchsen doch gelingen, den jeweiligen Stellenwert solcher eingearbeiteten Zeit- und Orts-Eigentümlichkeiten zu erkennen und differenziert einzuordnen.


    Was die "Echtheit" von Requisiten angeht, lieber Michael, so glaube ich, dass es bei Vorgängen auf der Bühne nicht darum geht, ob ein echtes Auto oder eine Säule aus Pappe gezeigt wird, sondern ob die Requisite echt wirkt - und ob sie ins Geschehen passt. Bei der "historisierenden" Aida in Verona muss man berücksichtigen, dass sie nicht fürs Fernsehen gemacht wurde. So haben mich nicht die Bilder von der Bühnen-Totale gestört, vielmehr die Großaufnahmen von den Gesichtern mancher Rampensänger. Da hat sich der Regisseur aufs Arrangieren beschränkt.


    Der langen Rede kurzer Sinn: Jedes Stück, jede Aufführung muss als Einzelfall betrachtet werden. Dann brauchen wir uns nicht, nach Uniformen sortiert, in altbewährte Schützengräben zu verschanzen - oder als Heckenschützen auf gegnerische Fehler zu lauern.


    Aber die Diskussion braucht Futter. Die Opernliteratur ist voll von Unikaten, von denen keines dem anderen gleicht. Diese Damen wollen sich alle in ihrer Individualität gewürdigt sehen. Tun wir also als Werber unser Bestes!


    Das wünscht uns, zuversichtlich über den Ausgang,
    Sixtus

  • Lieber Alfred,


    deine Formulierung "Hier ist etwas eingewoben" drückt genau aus, was ich meine: In die Stücke sind, in unterschiedlicher Deutlichkeit, zeitbedingte Details eingewoben, die dem Stück seine Farbe, seinen Charme geben. Manchmal nur einen Tupfer wie der Mesmerismus in Cosi, manchmal sogar ein durchgehendes Timbre, wie das feudale Schloss im Figaro oder gar das spätmittelalterliche Nürnberg in den Meistersingern. Wer so etwas übersieht oder leugnet, kann nur ein verzerrtes Bild des Stückes abliefern.


    Was die "Echtheit" von Requisiten betrifft, lieber Michael: Ob ein echtes Auto auf die Bühne rollt oder Säulen aus Pappe dastehen, ist meiner Ansicht nach unerheblich. Entscheidend ist doch, dass es echt wirkt - und dass es zum Geschehen passt. Was die Aida in Verona angeht, so ist die Produktion ja nicht fürs Fernsehen gemacht. Mich haben nicht die Bilder der Bühnen-Totale gestört, sondern die fehlende Personenführung. Wenn man Glück hatte, hat es der Sänger selbst übernommen (Maestri). Wenn nicht, konnte man dem Gesicht des Sängers nur entnehmen, wo der Dirigent steht (Berti). So verkümmert Regie zu Arrangement.


    Ich denke, wenn wir weiter kommen wollen, sollten wir den einzelnen Opern gezielt zuleibe rücken. Sie wollen, wie jede Schöne, in ihrer jeweiligen Einmaligkeit gewürdigt werden. Kämpfen wir also nicht gegeneinander als Grabenkämpfer und Heckenschützen, sondern um den Preis der Werbung. Es muss ja nicht immer so ausgehen wie auf der Wartburg!


    Das meint, mit herzlichen Grüßen, Sixtus

  • Es ist zum Verzweifeln!


    Jetzt habe ich meinen Beitrag 18 schon im Orkus vermutet. Er war plötzlich weg, mein Computer will vermutlich das Zeitliche (!) segnen. Also habe ich einen 2.Aufguss (19) geschrieben und abgeschickt. Bei der Kontrolle finde ich plötzlich BEIDE vor!!


    Ich bitte um Nachsicht.


    Sixtus

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • "Halt, Meister, nicht so geeilt!" Bevor wir uns wieder in unsere Schützengräben verschanzen, [...] Bleiben wir also möglichst auf dem Teppich und unterstellen Andersdenkenden nicht gleich immer das Äußerste!


    Nur interessehalber: Wo wurde sich bisher in Schützengräben verschanzt, wo wurde der Teppich verlassen und wo unterstellt? Ich frage auch, da ich selbst bis zu Deiner Ermahnung doch schon einige Beiträge geschrieben hatte und gerne wissen würde, ob ich mich persönlich angesprochen fühlen sollte?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ein neues Tamino-Gefühl: ein Regietheaterthread in Mönchskluft! Die heilige Cäcilia wird ihre Freude daran haben!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Aber nehmen wir beim Figaro das gräfliche Schloss weg - und die Neulinge im Publikum bleiben ratlos zurück.


    Ist das wirklich so? - Natürlich gebe ich zu, dass ich persönlich bereit bin, sehr viel von den Dingen, die im Libretto "gefordert" werden, zur Disposition zu stellen; allerdings zähle ich vermutlich so wenig zu den Neulingen, wie die meisten anderen hier im Forum. Andererseits ist Oper ja auch nicht nur für Neulinge gemacht, eventuell ist es sogar so, dass gerade die Kunstform der Oper schon seit langem als Zielgruppe wesentlich dezidierter auf den "Kenner", als auf den "Neuling" ausgerichtet ist. So wird es ja beispielsweise auch gerne immer wieder von Alfred dargestellt, der hier eine explizit elitäre Kunstform für Eliten sehen möchte - ein Ansatz, den ich so auch nicht mitgehe. Aber zurück zum Figaro: In der aktuellen Inszenierung an der Hamburger Staatsoper von Stefan Herheim ist ebenfalls weit und breit kein Schloß zu sehen, dafür ein Raum, der mit nichts anderem, als Partiturseiten tapeziert ist (siehe hier). Abgesehen vom rein optisch durchaus beeindruckenden Effekt, der m.E. auch einen Neuling begeistern kann, steckt hier sicher auch eine Idee dahinter, die einer meiner Bekannten mit dem für mich treffenden Satz "Wow, wir sind in Mozarts Kopf!" charakterisierte. Und eine solche Idee finde ich ungleich spannender, als das von Dir vermutlich als konstitutiv angesehene Schloß.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Was die "Echtheit" von Requisiten angeht, lieber Michael, so glaube ich, dass es bei Vorgängen auf der Bühne nicht darum geht, ob ein echtes Auto oder eine Säule aus Pappe gezeigt wird, sondern ob die Requisite echt wirkt - und ob sie ins Geschehen passt. Bei der "historisierenden" Aida in Verona muss man berücksichtigen, dass sie nicht fürs Fernsehen gemacht wurde.


    Vollkommen richtig! - Trotzdem sind auch wir hier im Forum immer wieder gerne bereit, eine Inszenierung anhand von Fernseh- oder gar unbewegten Bildern abschließend zu beurteilen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ein weiterer Gedanke zum Figaro, bevor ich ins Bett muß: Es wird der Regie gerade bei diesem Stück immer wieder gerne vorgeworfen, dass eine Verschiebung in der Zeit dazu führt, dass der Konflikt zwischen Herrn und Diener überhaupt keinen Sinn mir ergäbe. Aber niemand würde auf die Idee kommen, Mozart und seinem Librettisten da Ponte vorzuwerfen, dass sie ihrer literarischen Basis im Grunde jegliche politische Dimension (weswegen das Stück de Beaumarchais jahrelang der Zensur unterlag), genommen haben.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Mozart und seinem Librettisten da Ponte vorzuwerfen, dass sie ihrer literarischen Basis im Grunde jegliche politische Dimension (weswegen das Stück de Beaumarchais jahrelang der Zensur unterlag), genommen haben.


    Doch, diesen Vorwurf gab es durchaus, aber Mozart hat alles, was da Ponte in seinem Text entschärfte, über die Musik wieder reingebracht.
    Freilich mit anderen Akzenten: Figaro wird in seiner Kavatine im 1. Akt nicht als Revolutionär sondern als tänzelnder lavierender Intrigant gezeichnet (seine "Pläne" werden auf diese Art und Weise alle ins Leere laufen, wie wir wissen). Das ist gewiss nicht die ursprüngliche Aussage von Beaumarchais, schon gar nicht eins zu eins, aber es eben auch eine, und zwar auch eine politische. Der schon vor der Verhandlung entschiedene Prozess auch. Und der Graf, der am Ende öffentlich vor seinen Untertanen um Verzeihung winseln muss, sowieso.


    P.S.: "Figaro" in Mozarts Kopf - theoretisch kann man jede Oper als "Kopfgeburt" ihres Komponisten in dessen fiktivem Schädel inszenieren, so wie man alles in Clownskostümen inszenieren kann - interessiert mich beides zugegebenermaßen nicht besonders...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die Idee mit den Partituren bei Bühnenbild und Kostümen, wie sie im Bild gezeigt werden, ist auf den ersten Blick überraschend. Aber nur auf den ersten! Es handelt sich um einen Gag; das Fatale an Gags ist, dass sie sich so schnell abnutzen. Bei einem running gag ist das nicht so. Wir hatten diese Diskussion hier schon einmal. Es ging um John Cages "Klavierstück" 4' 33''. Da war und bin ich nach wie vor der Meinung, dass das ein Gag und kein Kunstwerk ist.
    Auch das Werk von Mauricio Kagel bewegt sich überwiegend in diesem Bereich.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Die Idee mit den Partituren bei Bühnenbild und Kostümen, wie sie im Bild gezeigt werden, ist auf den ersten Blick überraschend. Aber nur auf den ersten! Es handelt sich um einen Gag; das Fatale an Gags ist, dass sie sich so schnell abnutzen.


    Was führt Dich zu der Beurteilung, es handle sich lediglich um einen Gag? - Immerhin wird in der fraglichen Inszenierung dieses Bild konsequent vom Beginn (zur Ouvertüre wird der Autograph auf den Bühnenvorhang projiziert und im Verlauf verwandeln sich dann einige Noten in Strichmänchen, die sich verfolgen und miteinander spielen; leider gibt konnte ich das Video dazu nicht mehr im Netz finden) bis zu dem Moment verfolgt, als in der größten Verwirrung der Figuren schließlich sämtliche Notenblätter zu Boden fallen (in dem Video, welches auf der oben verlinkten Seite der Staatsoper zu sehen ist, findet sich diese Szene ziemlich zum Ende hin). Man kann dies als den Moment größtmöglicher Ver-Rücktheit der Figuren aus ihrer natürlichen Rolle heraus deuten.
    Der Gag, den es natürlich auch gibt, besteht darin, dass irgendwann Almaviva (es mag auch Figaro gewesen sein) ein Notenblatt aufhebt, es dabei offenbar verkehrt herum hält und eben auch die Musik (Cembalo-Rezitativ) verkehrt herum ertönt; aber auch dies ist eben nicht nur ein Gag, sondern konsequent inszeniert.


    Man mag nun wie Stimmenliebhaber einwenden, dass im Prinzip jede Oper so bzw. als Kopfgeburt des Komponisten inszeniert werden könnte. Dem will ich nicht grundsätzlich wiedersprechen; trotzdem muß man es erstmal tun und das Ergebnis kann gut oder schlecht sein. Schlecht wäre es wohl, wenn es sich tatsächlich nur um einen einfachen Gag handeln würde. Im vorliegenden Fall jedoch halte ich sowohl Idee, als auch Ausführung für gelungen. Ob einen persönlich eine solche Inszenierung interessiert oder nicht, ist für mich eine Frage, die schwerlich zu diskutieren ist. Das Ganze jedoch a priori als Gag abzutun finde ich etwas zu billig.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Kann man vielleicht erst einmal tun, aber müssen muss man wenig...


    Klar, man muß auch keine 16-stündige Oper in vier Teilen mit bisweilen bombastischer Musik auf einen stellenweise fragwürdigen Text komponieren; so what?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose