Wagners Texte: Erhaben oder lächerlich?

  • Die Übertitelung von Operntexten, ein hilfreicher Service für viele, hat auch ihre Tücken. Ursprünglich erfunden, um originalsprachige Aufführungen mit der Landessprache zu versehen, wurden sie schließlich auch bei deutschen Opern für deutschsprachige Zuhörer eingesetzt, weil es die Sänger nie schaffen, den Text lückenlos verständlich über die Rampe (und über den Graben) zu befördern. So auch beim Bayreuther Parsifal-Mitschnitt auf 3SAT am 30.8.. zum Leidwesen von vielen, besonders aber von Dr.Pingel. Das ist verständlich, denn: Opernlibretti sind keine Literatur, sondern Vehikel des Musikdramas. Der Text soll nicht gelesen, sondern beim Hören verstanden und mit der Musik zusammen als Einheit erlebt werden.


    Das wusste auch der junge Opernkapellmeister Richard Wagner - und litt darunter. Bei seinen eigenen Werken schrieb er deshalb den Text selbst - und hatte dabei auch immer die dazugehörige Musik im Kopf, sodass der Text gleichsam musikalisiert wurde. Er sollte deshalb weder nur gelesen noch nur gesprochen werden. Wagner selbst las zwar in Luzern seinen Freunden den ganzen Ring-Text vor; aber wir dürfen drauf wetten, dass er ihn, zumal in sächselnder Sprachmelodie, schon halb gesungen hat. Jeder, der ihn nur vorgelesen hätte, wäre von ihm mit Mimes Trank vergiftet worden - so auch der Erfinder des Übertitelns. Dies, lieber Dr.Pingel, zu deiner Beruhigung.


    Vielleicht sollten wir diese einleitenden Gedanken erst mal andiskutieren, bevor ich zum Kern des Themas komme: erhaben oder lächerlich?


    Auf denn, ans Werk - und herzhafte Grüße von Klingsor alias Sixtus

  • Zitat

    Zitat von Sixtus: So auch beim Bayreuther Parsifal-Mitschnitt auf 3SAT am 30.8.. zum Leidwesen von viel-en, besonders aber von Dr.Pingel. Das ist verständlich, denn: Opernlibretti sind keine Literatur, sondern Vehikel des Musikdramas. Der Text soll nicht gelesen, sondern beim Hören verstanden und mit der Musik zusammen als Einheit erlebt werden.


    Lieber Sixtus,


    auch ich ärgere mich jedesmal bei solch einer Übertragung über die Untertitel. Sie verdecken nicht nur einen Teil des Bildes (bei Aufnahmen in der Totale oft sogar die singenden Personen). Sie stören mich auch durch das ewige Ins-Bild-Flimmern, sind häufig (vor allem auf hellem Hintergrund) nur schlecht lesbar und lenken nicht nur vom Bild, sondern auch von der Musik ab. Ich habe das hier schon häufig erwähnt und auch an die Sender geschrieben, diese doch auf Texttafeln zum Zuschalten für die, die sie benötigen, zu senden.
    Inzwischen ist es leider auch üblich, sogar deutsche Opern mit deutschen Untertiteln zu versehen. Nun ist es bei Wagner nicht immer leicht, die Texte zu verstehen und nicht jeder wird den Sinn der oft für moderne Ohren schwierigen Formulierungen auf Anhieb zu erfassen. Deswegen habe ich auch immer alle Texte gelesen, bevor ich eine Wagner-Oper das erste Mal gesehen habe. Beim zweiten oder dritten Mal ist das dann nicht mehr nötig.
    Wenn ich Stellung zu den Texten nehmen soll: Für mich sind sie eher erhaben (von lächerlich kann wohl kaum die Rede sein), vor allem, wenn ich an den Ring oder Parsifal denke. Allerdings ist die Sprache wohl nicht mehr jedem jüngeren Opernbesucher verständlich. Aber da nützen auch Untertitel zum Nachlesen sehr wenig.
    Es ist allerdings relativ schwierig, sich zu zwingen, solche Untertitel im Fernsehen oder solche Übertitel im Opernhaus völlig zu ignorieren.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wagners Texte sind Libretti und müssen als solche bewertet werden. Abgelöst von dieser Funktion, als pure Literatur betrachtet, taugen sie wenig. Von erhaben kann ich da nichts feststellen, lächerlich sind insbesondere die verunglückten Stabreime im "Ring", und auch beim "Tristan" hört sich vieles albern an, wenn man den Text bloß liest. Das alles ändert sich erstaunlicherweise, sobald die Texte gesungen werden, dann funktionieren sie, und die Einheit von Text und Musik wird ergreifend und manchmal auch erhaben. Und mehr muss man von einem Libretto nicht verlangen.


    P.S. Ich bin ein großer Befürworter von Ober-/Untertiteln im Opernhaus, und auch beim Anschauen von Opern auf DVD laufen sie immer mit. Aber darum soll es hier ja nicht gehen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Bei aller Verschiedenheit im Detail zeichnet sich schon jetzt eine Übereinstimmung im Grundsätzlichen ab:
    Operntexte sind keine Literatur, sondern, als Libretti, Bestandteile einer Einheit von Dramentext und Musik. Sie sind nicht zum bloßen Sprechen oder Lesen gedacht, sondern zum gemeinsamen Hören mit der dazugehörigen Musik. Textbücher und Übertitelungen sind als Hilfen zum besseren Verstehen der Handlung gedacht, nicht als eigenständige Form.
    Wenn gesungene Operntexte den Hörer irritieren, sind sie entweder misslungen oder unzulänglich interpretiert. Gute Texte erschließen sich in gelungener Interpretation als Text-Musik-Einheit.


    Wagners Musikdramen sind da keine Besonderheit, sondern bilden allenfalls einen besonderen Brennpunkt dieses Sachverhalts. Wagner wollte den Operntext optimal in diesen Zusammenhang einbauen. Ob das immer gelingt, hängt auch von der Qualität der Interpretation durch die Sänger(innen) ab. An manchen Stellen, etwa bei lautmalerischen oder pathetischen (erhabenen) Passagen, gerät der Text beim bloßen Sprechen leicht ins Lächerliche, was dem wohlfeilen Spott Vorschub leistet. Das hält manche Musikfreunde davon ab, sich näher mit Wagner zu befassen. Wer diese Hürde nimmt, hat damit kein Problem, weil er die Defizite mit seiner Fantasie ausfüllt.


    Wenn sich bis hierher ein Minimalkonsens einstellt, können wir ins Einzelne gehen. Ich würde gern aus den einzelnen von Wagner autorisierten zehn Musikdramen einige Beispiele, die das besonders veranschaulichen, näher betrachten und zur Diskussion stellen. Zuvor sollten aber noch etwaige Missverständnisse ausgeräumt werden.
    Darauf freut sich, mit herzlichen Grüßen, Sixtus

  • Das alles ändert sich erstaunlicherweise, sobald die Texte gesungen werden, dann funktionieren sie, und die Einheit von Text und Musik wird ergreifend und manchmal auch erhaben. Und mehr muss man von einem Libretto nicht verlangen.


    Liebe Freunde,


    wie kaum ein anderer Komponist schuf Wagner ein Gesamtkunstwerk bestehend aus Musik, Text, Darstellung und Bild. Deshalb muss eine Diskussion in die Irre führen, die aus dem Gesamtkunstwerk einen Aspekt herausgreift und diesen separat diskutieren will. Wie Bertarido und Sixtus treffend festellen ergibt sich die Größe und Erhabenheit der Wagnerschen Musik-Dramen aus der Text-Musik- Einheit.


    Hezrlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Zitat von Bertarido: Wagners Texte sind Libretti und müssen als solche bewertet werden. Abgelöst von dieser Funktion, als pure Literatur betrachtet, taugen sie wenig.


    Natürlich, lieber Bertarido, kann man die Texte nur im Zusammenhang mit der Musik bewerten. Es war ja auch das Bestreben Wagners, Gesamtkunstwerke zu schaffen. Als reine Literatur mag manches banal oder gar lächerlich erscheinen, aber als reine Literatur waren sie ja auch nicht vorgesehen. Die Wirkung im Zusammenhang mit der Musik ist dagegen eine ganz andere. Ich habe diese Texte in meiner Jugend im Zusammenhang mit Übertragungen seiner Werke im Radio kennengelernt, bei denen ich sie mitlesen konnte. Ich kenne manche Operntexte auswendig oder teilweise auswendig, wie ich viele Gedichte der großen Literatur immer noch beherrsche. Wir mussten damals sehr viel auswendig lernen, was ich im Leben auch nie bereut habe. Beim heutigen Sprachgebrauch haben sicherlich auch viele Jüngere bei wörtlicher Wiedergabe des Textes in Unter- oder Übertiteln Schwierigkeiten, solche Texte zu verstehen und mögen sie daher als lächerlich abtun.
    Was Unter- oder Übertitel betrifft: Für mich lenken sie einfach häufig vom eigentlichen Geschehen ab.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Die Frage ist letztlich doch etwas komplex zu beantworten, finde ich. Aus meinem Studium kenne ich noch die Auseinandersetzung von Wagner-begeisterten und -kritischen Philosophen. Letztere pflegten sich natürlich über die Stabreime (und damit über die Wagner-trunkenen Kollegen) lustig zu machen.


    Die Sache ist deshalb so kompliziert, weil Wagner selbst natürlich einen ungemein hohen Anspruch hatte, was seine Opern-Dichtungen angeht, der weit über die Kolportage-Technik, mit der üblicher Weise Opern-Librettos erstellt werden, hinausgeht. Wenn der selbstgesetzte Anspruch aber so "erhaben" hoch ist, dann wirkt der Abfall der "Realität" eben diesem Anspruch gegenüber allerdings unvermeidlich komisch. Diese Kritik muss Wagner bzw. müssen Wagnerianer also aushalten.


    Andererseits ist die Qualität von Wagners Dichtungen aber so schlecht auch wieder nicht. Wenn ich mir z.B. "Isoldes Liebestod" anschaue, dann ist dieser Text ja bewußt so verfaßt, dass eine wirkliche Einheit zwischen Musik und dichterische Aussage - hier bis zur Verschmelzung gleichsam - tatsächlich zustande kommt. Welches "normale" Opernlibretto erreicht so etwas jemals? - darf man hier andersherum fragen. Das also ist dann letztlich doch große Wagner-Kunst, gerade auch von der Dichtung her, wie sich das "Wort" in Musik gleichsam verwandeln kann, als philosophisch-dichterische-musikalische Aussage in Symbiose.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Gepflanzt sind die Pfähle nach Pfandes Maß; gehäuft füll´es der Hort.
    Das sagt zwar kein Mensch, der auf sich hält; aber Fafner darf es nach Riesenart wuchtig singen. Für uns bedeutet es hier: Fanget an! Also fange ich an, und zwar nach der Merkerregel - von vorn.


    Dalands erste melodische Phrase als Summe seines Frusts über den Klimawandel in Norwegen beginnt mit den Worten "Wer baut auf Wind, baut auf Satens Erbarmen!" Aber das sagt er nicht, sondern singt es, und zwar zweieinhalbmal, wobei er den letzten Halbsatz mit einem Crescendo in einer aufsteigenden Melodie bekräftigt. Wäre er nur Kapitän, dann würde seine Geschwätzigkeit von den Matrosen mit Kopfschütteln quittiert. Aber weil er auch Bass ist und vom Orchester unterstützt wird, stellt der kenntnisreiche Zuhörer befriedigt seine gute Tagesdisposition fest. So ist seine ganze Partie angelegt. Sie gipfelt in seiner kupplerischen Arie. Die ist voller Wiederholungen, die aber, weil sie so schön sind, nicht nerven, sondern (nicht nur Tochter und Gast) erfreuen.
    Der Steuermann hat vor allem zwei Aufgaben: sich testeronstrotzend nach seinem Mädel zu sehnen - und zugleich so schön zu singen, dass er die Zuhörer, die das ja auch kennen, nicht über Gebühr langweilt. Meistens funktioniert das. Gesprochen würde ich den Text lieber nicht auf die Probe stellen. Aber mit lyrischem tenoralem Schmelz - und das Orchester fungiert mit seinen Einwürfen als Sandmännchen!


    Das nächste Dutzend Holländer-Beispiele überlasse ich gern den Mitkombattanden!


    Bis zum Tannhäuser herzliche Grüße von Sixtus

  • Andererseits ist die Qualität von Wagners Dichtungen aber so schlecht auch wieder nicht. Wenn ich mir z.B. "Isoldes Liebestod" anschaue, dann ist dieser Text ja bewußt so verfaßt, dass eine wirkliche Einheit zwischen Musik und dichterische Aussage - hier bis zur Verschmelzung gleichsam - tatsächlich zustande kommt. Welches "normale" Opernlibretto erreicht so etwas jemals? - darf man hier andersherum fragen. Das also ist dann letztlich doch große Wagner-Kunst, gerade auch von der Dichtung her, wie sich das "Wort" in Musik gleichsam verwandeln kann, als philosophisch-dichterische-musikalische Aussage in Symbiose.


    Schöne Grüße
    Holger


    Lieber Holger,


    ausgezeichnet treffen formuliert. Dein ganzer Beitrag hätte es verdient, nochmals zitiert zu werden. Dann hätten mich aber wieder die Puristen kritisiert.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Das Bedürfnis, meine beiden Holländer-Beispiele um einige Dutzend zu erweitern, scheint begrenzt zu sein. Ich mache also meine Drohung wahr und gehe unverdrossen zum Tannhäuser über, weil ich meine, dass die Demonstration an konkreten Beispielen das beste Argument ist.


    Tannhäusers Venus-Hymne "Dir töne Lob" ist als reiner Text eine ziemlich trockene Übung in Reim und Rhythmus. In der musikalisierten Form, von Strophe zu Strophe um einen Halbton erhöht, wächst sie sich zu einem ekstatischen Hohelied auf die sinnliche Liebe aus.
    Das Gegenstück dazu ist Wolframs Lied an den Abendstern: Als reiner Gedichttext geschliffen, aber in abstrakte Transzendenz entschwindend, wird es durch die lyrische Baritonstimme samt chromatisch schimmerndem Orchester zu einem berührend melancholischen Abschied - vom Leben.
    Auch Elisabeths Gebet bekommt durch die verhaltene Singstimme, gestützt durch hilfreiche Akkorde des Orchesters, etwas Jenseitiges, das der bloße gereimte Text schuldig bleiben muss.
    Schließlich: Tannhäusers "Inbrunst im Herzen" mit seiner flammenden Anklage ist ohne die dazugehörigen musikalischen Harmonien und Dissonanzen und die tenoralen Exzesse als dramatische Szene nicht denkbar.


    Im zweiten Akt gibt es noch genug Gelegenheit, die Reihe der eindrucksvollen Beispiele fortzusetzen. Aber unabhängig davon kehre ich gern, nach angemessener Pause, mit dem fernen Gralsritter zur Debatte zurück.


    Bis dahin herzliche Grüße von Sixtus

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  • wie kaum ein anderer Komponist schuf Wagner ein Gesamtkunstwerk bestehend aus Musik, Text, Darstellung und Bild. Deshalb muss eine Diskussion in die Irre führen, die aus dem Gesamtkunstwerk einen Aspekt herausgreift und diesen separat diskutieren will.


    Man muss aber auch ganz ehrlich feststellen, dass seine Werke heute zuallererst wegen der Musik und nicht etwa wegen des Textes aufgeführt werden. Zeitgenosse Hebbel wird heute z.B. kaum mehr gespielt.
    Man hat ja immer wieder Textstellen herausgegriffen und kritisiert (z.B. "Hoch über aller Welt ist Gott und seine Gnade ist kein Spott" usw.) - in seinen Endreimwerken würde man sich manchmal wünschen, er würde auch mal auf den Reim verzichten und stattdessen ein sinnvolleres Wort wählen. In den "Meistersingern", die ich sehr liebe und gerade erst wieder gehört habe, hat er das Problem, dass sich so wenige deutsche Worte auf seinen Haupthelden "Sachs" reimen. Also kommt fast immer "Wachs" und es wird viel zu oft über Pech und Wachs philosophiert, was nun wirklich nicht immer auf Augenhöhe mit der dazu erklingenden Musik ist.
    Also: Auch unter dem Deckmantel des "Gesamtkunstwerkes" ist es erlaubt, den Dichter Richard Wagner zu kritisieren, der dem Musiker Richard Wagner unterlegen ist - vom Schriftsteller Richard Wagner ganz zu schweigen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich kann an der Diskussion noch nicht so recht teilnehmen, weil ich gerade sehr mit Janacek und Schütz befasse, die in der Regel über jede Kritik an Texten erhaben sind. Ich neige übrigens auch sehr zu Holgers Text, der die Sache sehr gut dargestellt hat. Davon möchte ich mir zu eigen machen, dass es trotz der Musik auch absolut lächerliche Texte gibt, die auch die Musik nicht rettet. Dass es daneben auch sehr gute gibt, hat Holger ebenfalls dargestellt. Besonders interessant ist es natürlich, Texte zu prüfen, die Wagner selber für überragend hielt.
    Ich muss überhaupt erst mal sehen, was ich an Texten besitze, daher lese ich hier erstmal mit.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass Wagners Sprache sehr speziell ist und Parodien stellenweise geradezu provoziert. Das gilt zwar teilweise auch für andere Autoren (z.B. wurde Schiller auch schon zu Lebzeiten oder wenig später Parodieopfer, was sowohl mit der besonderen Sprache, aber auch mit den idealistischen Themen vieler der Gedichte und Dramen zusammenhängt), aber Wagner ist ein extremer Fall. Das liegt teils daran, dass er sich zwar an alte Formen anlehnt, aber wenn man sich mittelhochdeutsche Epen oder nordische Stabreimdichtung ansieht, unterscheidet sich das auch recht deutlich von Wagner (wobei ich kein Germanist bin und das nur oberflächlich beurteilen kann). Die Alliterationen wirken häufig gesucht und unfreiwillig komisch, zumal wenn er auch noch sehr ungewöhnliche Ausdrücke wählen muss, um überhaupt Alliterationen hinzukriegen.
    Es ist dann oft nicht mehr klar, ob eine Passage (auch) komisch gemeint ist (wie wohl das folgende) oder nicht.


    Garstig glatter
    glitschiger Glimmer!
    Wie gleit' ich aus!
    Mit Händen und Füssen
    nicht fasse noch halt' ich
    das schlecke Geschlüpfer!


    Feuchtes Nass
    füllt mir die Nase:
    verfluchtes Niesen!


    Aber nicht immer. Ich finde andere Passagen sowohl prägnant als auch sehr poetisch, v.a. natürlich im Zusammenhang mit der Musik.


    Nur wer der Minne
    Macht versagt,
    nur wer der Liebe
    Lust verjagt,
    nur der erzielt sich den Zauber,
    zum Reif zu zwingen das Gold.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Und immer lassen sich diese Texte gut singen, wenn man sie denn als Sänger auch versteht. Ich habe überhaupt nichts gegen diese Reime. Eine von der Musik losgelöste Betrachtung bringt mir nichts.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich glaube, dass die "Meistersinger" eine Ausnahme sind: Das Stück wäre auch ohne Musik als reines Drama recht gelungen.


    Übrigens gibt es ein ähnliches Phänomen, den schmalen Grat zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit, ja durchaus auch zB beim Pathos Schillers.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Und immer lassen sich diese Texte gut singen, wenn man sie denn als Sänger auch versteht. Ich habe überhaupt nichts gegen diese Reime. Eine von der Musik losgelöste Betrachtung bringt mir nichts.


    Genau das trifft es. Allein losgelöst über den Text zu diskutieren bringt wirklich nichts. Bei Wagner sind Musik und Text eine untrennbare Einheit.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Genau das trifft es. Allein losgelöst über den Text zu diskutieren bringt wirklich nichts. Bei Wagner sind Musik und Text eine untrennbare Einheit.


    Herzlichst
    Operus


    Wagner selbst hat sie getrennt, nämlich den Text geschrieben, als die Musik noch gar nicht komponiert war - und den Text öffentlich selbst rezitiert, ganz ohne Musik!!!
    Wenn es noch eines Kronzeugen bedürfte(!), dass man natürlich wie bei jeder anderen Oper auch auch hier den Text sehr wohl separat betrachten und bewerten kann, dann ist dieser Wagner selbst!


    Unabhängig davon, dass man viel Kritisierendwertes an Wagners Texten finden kann, sind sie in ihrer Zeit einzigartig und weit über allen anderen Operntextbücher jener Jahre stehend, das ist ziemlich unzweifelhaft (erst Boito und Hofmannsthal kamen da dran und vielleicht sogar drüber).


    Aber Fakt ist ebenso: Hätte Wagner nur diese Textbücher gedichtet und nicht seine Musik dazu komponiert, würde man ihn heute nicht mehr spielen - oder so "häufig" bzw. selten wie beispielsweise Friedrich Hebbel.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zit.Stimmenliebhaber: "...und den Text öffentlich selbst rezitiert, ganz ohne Musik!!!"
    So ist es, und zwar am 16. Februar 1853 seine ganze Ring-Dichtung an vier Abenden im Züricher Hotel Baur au Lac.
    Er hielt das, was er da öffentlich vortrug für ein dramatisch-sprachlich bedeutsames dichterisches(!) Werk. Und so ganz unrecht hatte er damit nicht. Wagner war ganz ohne Frage auch sprachschöpferisch. Eine genaueres Sich-Einlassen auf seine Texte könnte das aufweisen.


  • Mein erster Gedanke bei diesem Text war: das ist eine Huldigung an Gollum aus "the Lord of the Rings".
    Tut mir leid, das ist nicht nur lächerlich("das schlecke Geschlüpfer"! Da rollen sich mir die Fußnägel auf), sondern auch Unsinn. Keine Musik kann das retten. Tut mir leid, lieber Helmut, auf solche Texte will und muss ich mich nicht einlassen.
    Es trifft sich dummerweise bei mir, dass meine Lieblingskomponisten Janacek, Schütz und Monteverdi immer hervorragend auf gute Texte komponiert haben. Bei Schütz geht das bei mir so weit, dass mir bei vielen Bibelstellen sich sofort mit Schützens Musik verbinden. Das bedeutet, dass wir für Wagner ein Problem diskutieren müssen, was bei großen Musikern gar nicht besteht. Damit kein Missverständnis entsteht: Wagners Musik ist grandios. Das entschuldigt aber seine Texte nicht. Ein anderes Beispiel, das demnächst in meinem Kantaten-Thread auftaucht: eine Huldigungskantate von Haydn an seinen regierenden Fürst, wo man dankbar ist, dass die Musik großartig ist und der Text auf italienisch. Wenn man ihn übersetzt, ist das eine widerwärtige Speichelleckerei, bei der man nur kotzen kann.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Zit. dr. pingel: " Wagners Musik ist grandios. Dass entschuldigt aber seine Texte nicht."
    Das Dumme dabei ist, lieber dr. pingel, dass diese Musik in ihrer "Grandiosität" wesenhaft textgeboren ist.

  • Das glaube ich nicht. Wagner hat sich selbst überschätzt. Er hätte einen Hofmannsthal gebraucht, aber dazu war er zu eigensinnig und zu stolz. Jeder Künstler hat wohl einen blinden Fleck, und das war bei Wagner die Dichtung. Es ist ja auch nicht so, dass ich das dann nicht hören will. Ich meine nur, dass mir erlaubt wird, beim Anhören zu denken: "Was für ein blöder Text" und es trotzdem zu genießen. Aber ich muss es doch nicht rechtfertigen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Jetzt nimmt die Diskussion Fahrt auf, und ich fühle mich bemüßigt, meine Beispielreihe zu unterbrechen, um einem Missverständnis entgegenzutreten:


    Die beiden von Johannes zitierten Rheingold-Stellen sind keine Beispiele für besonders gelungene und misslungene Textstellen, sondern, wie von Stimmenliebhaber scharfsinnig erkannt, mustergültige Beispiele der Charakterisierung; die erste für die plumpe Gier Alberichs, die zweite für die schlichte Weisheit der Rheintöchter. Wagner wollte damit Charaktere portraitieren, und das ist ihm in beiden Fällen gelungen. Ein Typ wie Alberich ist kein Alltagsmensch von nebenan, sondern die Inkarnation von Gier und Geilheit. Und dazu bedarf es manchmal auch skurriler Wortschöpfungen, die nicht der Komik entbehren. Bei dem Schauspieler Wagner darf man getrost davon ausgehen, dass da "eine Absicht im Spiele war".


    Ich will damit nicht Wagners Texte gegen Kritik immunisieren, sondern sie in seine Idee vom Gesamtkunstwerk hineinstellen. Das schließt nicht aus, dass ihm auch einiges misslungen ist, weil ihm gelegentlich der Gaul durchgegangen ist. Aber davon wird sicher später noch die Rede sein.


    Nicht alles, was hier hässlich daherkommt, ist missratene Schönheit. Manchmal ist es auch boshafte Charakterisierung. (Mime, Beckmesser!) -
    meint, mit herzlichen Grüßen, Sixtus

  • Das Dumme dabei ist, lieber dr. pingel, dass diese Musik in ihrer "Grandiosität" wesenhaft textgeboren ist.


    Jein. Natürlich besteht ein großer Zusammenhang zwischen Dichtung und Musik, beides ergänzt sich im Gesamtkunstwerk, beides dient der Handlung und ordnet sich ihr unter, wobei der Bezug vielmehr dieser ist als der direkte Bezug Text - Musik. Das Holländer-Motiv oder das Rheingold-Motiv oder viele andere Grundmotive sind nicht sehr eng mit dem Text verwoben oder aus diesem heraus komponiert, die tauchen auch immer wieder an unterschiedlichen Textstellen auf, oft auch ohne Text, sie übernehmen dann den (nicht vorhandenen) Text bzw. erzählen die Geschichte ohne Text weiter. Wagner hat die Melodie von den Gesangsstimmen weg ins Orchester verlegt, die Musik weiß oft mehr als der auf der Bühne stehende und Text singende (ja beinahe deklamierende) Sänger.
    Lang Rede, kurzer Sinn: diese Musik ist handlungsgeboren, aber nicht unbedingt textgeboren bzw. zumindest nicht immer ganz eng mit diesem verwoben, was an der Emanzipation des Orchesters liegt. Seine Opern/Musikdramen sind sinfonischer als die aller seiner Zeitgenossen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"


  • Ich finde diese Stelle aus dem Rheingold ganz wunderbar. :)


    Da soll es ja auch komisch sein und eben auch das Stolpern und Ausrutschen Alberichs auf der Jagd nach dem schlecken Geschlüpfer darstellen. Ich finde diese Stelle auch gelungen, aber eben an der Grenze zur Selbstparodie und wollte eigentlich noch eine parallele Stelle suchen, bei der mir die Komik eindeutig unfreiwillig scheint, habe aber auf die Schnelle nichts gefunden.


    Ein Blick in Hebbels "Nibelungen"-Dramen zeigt aber, wie schräg Wagners Sprache verglichen mit einem "normalen" Dramatiker in dieser Zeit ist. Dass Wagners Sprachschöpfungen damals nicht ungewöhnlich gewirkt hätten, halte ich für ausgeschlossen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Man muss unterscheiden zwischen Wagner romantischen Opern mit typischem Endreim, das war ganz zeittypisch, und seinem Stabreim im "Ring", das war sicherlich völlig untypisch, ja revolutionär.


    Der Vergleich Hebbel-Wagner hinkt insofern etwas, weil gesungene Sprache in Verbindung mit Musik immer völlig anders wirkt als pure Sprache ohne Musik.


    Und: Wagner wird eben heute überall rauf- und runtergespielt, Hebbel nicht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Eine sehr spannende Diskussion, die mich auch meine Position überdenken lässt. Es ist ein wenig wie bei Mozarts Zauberflöte: die Musik besiegt die Texte!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    dr.pingel: Es ist ein wenig wie bei Mozarts Zauberflöte: die Musik besiegt die Texte!


    Lieber Dottore, die Zauberflöte kenne ich nun doch eingermaßen, desgleichen den hier noch nicht erwähnten Fidelio, und deswegen würde ich mir anmaßen, dich dahingehend zu korrigieren, dass "die Musik nicht die Texte besiegt", sondern, was vor allen Dingen für Wagner gilt, jedenfalls mehr als für Mozart und Beethoven, mit den Texten eine perfekte Synthese bildet, und zwar in jeder adäquaten Vorstellung wieder neu.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Man muss unterscheiden zwischen Wagner romantischen Opern mit typischem Endreim, das war ganz zeittypisch, und seinem Stabreim im "Ring", das war sicherlich völlig untypisch, ja revolutionär.


    Der Vergleich Hebbel-Wagner hinkt insofern etwas, weil gesungene Sprache in Verbindung mit Musik immer völlig anders wirkt als pure Sprache ohne Musik.


    Und: Wagner wird eben heute überall rauf- und runtergespielt, Hebbel nicht.


    Du hast doch mit dem Hebbel angefangen; ich verstehe den Vergleich eh überhaupt nicht. Es wird in solchen Threads nur immer mal wieder angedeutet, dass Wagners Sprache Mitte des 19. Jhds. nicht so auffällig gewesen wäre. Nach ein paar Seiten (ich habe wohl nie etwas von dem gelesen, schon zu meiner Schulzeit vor fast 30 Jahren war Hebbel anscheinend selbst als Schullektüre passé) Hebbel scheint mir das stilistisch völlig anders als Wagner, sprachlich nicht besonders auffällig und auch viel weniger pathetisch. D.h. das Verstauben oder Bestehen von Hebbels Dramen im frühen 21. Jhd. scheint mir schlicht überhaupt keine Schlüsse zuzulassen, was wäre, wenn Wagner seine Stücke als Sprechtheater veröffentlicht hätte. Ich weiß nicht, was es in der Zeit noch an archaisierender Dichtung gegeben hat; entweder nicht viel, oder es ist gründlich vergessen und nur spezialisierten Germanisten bekannt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Als archaisierende Sprache fällt mir als erstes der "Olympische Frühling" des etwas späteren Literaturnobelpreisträgers Carl Spitteler ein. Sehr mühsam und kaum noch lesbar.
    Das "Wonnejauchzen gärender Gedärme" zur Bezeichnung eines, pardon, Furzes wird mir ewig bleiben... :D

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