Wenn ein Schiff in Schieflage gerät, ist es ratsam, nach den Gründen zu forschen. Das ist zwar noch keine Lösung, aber es hilft bei den Bemühunngen auf der Suche nach ihr. Da ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass diese Schieflage besteht, stelle ich dieses Thema zur Diskussion.
Vonseiten der betroffenen Theater wie auch der Presse wird das zwar gern in Abrede gestellt und mit Statistiken zu widerlegen versucht. Doch das halte ich für wohlfeilen Zweckoptimismus, der leicht zu durchschauen ist, wenn man einige Einblicke in den Betrieb hat: wenn man z.B. mit Leuten Umgang hat, die die Branche kennen - und zudem seit Jahren Neuproduktionen zu rezensieren hat, um sie in einem Blatt zu veröffentlichen, dessen Ziel nicht Hofberichterstattung ist, sondern größtmögliche faire Beurteilung nach künstlerischen Gesichtspunkten, wie es im Wiener Merker Standard ist.
Neben fragwürdigen Praktiken bei der szenischen Umsetzung, die hier schon seit langem Thema der Diskussion sind, halte ich die Stellung der Sänger, den Umgang mit ihnen und die Gleichgültigkeit ihrer Karriere gegenüber für dringend einer kritischen Prüfung bedürftig. Die Kriterien, nach denen Partien besetzt werden, sind mit beliebig oft milde beschrieben. Die Frage stellt sich, ob es Unwissenheit und Ahnungslosigkeit in Sachen Gesang - oder einfach Gleichgültigkeit den Sängern gegenüber zugunsten von sachfremden Auswahlkriterien ist.
Wie wollen wir den Verfall der Urteilfähigkeit seitens des Publikums aufhalten, wenn an verantwortlichen Stellen in den Theatern und bei der Presse ein eklatanter Mangel an diesbezüglichem Sachverstand herrscht? Beim Publikum können immer weniger Kenntnisse von elementaren Voraussetzungen (Stimmfächer, Stimmlagen, Belcanto etc.) vorausgesetzt werden. Sänger sind austauschbar geworden, ohne dass dagegen protestiert wird. In den Pausen sieht man bei simplen Aussagen wie "zu lyrisch" oder "fehlende Tiefe" in fragende Augen, die damit nichts anfangen können.
Bei Einführungsvorträgen wird vor allem die Handlung ausgebreitet und das Regiekonzept (vorsorglich) erklärt, anstatt die Stimmcharaktere und ihre dramaturgische Bedeutung zu erläutern.
Ich würde mich freuen, wenn wir über solche Fragen diskutieren könnten. Denn ich bin erstaunt, wie viele kenntnisreiche Experten unter uns sind. Deren Urteile zu hören und auszutauschen, darauf freut sich
Sixtus