Festliches Präludium für großes Orchester und Orgel, op. 61
Uraufführung: 19. Oktober 1913 zur Eröffnung des Wiener Konzerthauses
Das Shakespeare'sche "Viel Lärm um nichts" bezieht sich keineswegs auf eine mangelhafte Qualität dieser Schöpfung, sondern um den Wirbel, den ein bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstandenes Werk noch im 21. Jahrhundert anrichten kann. Doch von vorne.
Zur Einweihung des Wiener Konzerthauses im Jahre 1913 komponierte Richard Strauss, damals vermutlich der berühmteste lebende deutsche Tondichter, dieses Werk. Es bot den feierlichen Rahmen für diesen Anlass, mit welchem dem altehrwürdigen Wiener Musikverein ebenbürtige Konkurrenz erwuchs. Freilich, das Festliche Präludium ist ein Kind seiner Zeit. Aus ihm atmet gewissermaßen der Geist des Wilhelminismus zu seiner Hochblüte, kurz vor dem abrupten Niedergang. Gigantomanisch wird man op. 61 durchaus nennen dürfen: Neben einem gewaltigen Orchester von 150 Musikern setzte Strauss eine Orgel höchst effektvoll ein und verwies damit die zur Eröffnung ebenfalls aufgeführten 9. Symphonie von Beethoven durch pompöse Klangmalerei durchaus auf die Ränge.
Das Werk entstand also zur Eröffnung des bürgerlichen Pedants zum Musikverein in der Musikstadt Wien. Wieso also die ganze Aufregung? Nun, das hat wiederum historische Gründe, die indes deutlich nach der Entstehungszeit liegen. Leider Gottes erklang das besagte Festliche Präludium nämlich ziemlich häufig im Dritten Reich. Nicht nur, dass ein Video existiert, das den Komponisten auch als Dirigenten seines eigenen Werkes in typischer Nazi-Filmästhetik zeigt, auch erklang das Werk zur Feierstunde anlässlich des 54. Geburtstages des "Führers" am 18. April 1943 mit dem Berliner Philharmonischen Orchester unter der Stabführung von Hans Knappertsbusch. Dass letzterer einer der schärfsten Kritiker Hitlers war, interessierte die Aufschreier, um die es im Folgenden gehen wird, natürlich mitnichten.
Als nämlich Christian Thielemann dieses Werk (zusammen mit weiteren Kompositionen von Richard Strauss) im Mai 2011 bei einem Gastspiel mit den Berliner Philharmonikern aufs Programm setzte, ging ein Raunen durch die deutsche Presselandschaft. Geradezu skandalös sei das Ganze, noch dazu handle es sich um einen "eher unverdaulichen Brocken", der in seiner Mittelmäßigkeit nicht "in ein teures Konzert eines deutschen Spitzenorchesters" gehöre (oper-aktuell.info).
Noch weiter ging Manuel Brug in der "Welt": Es handle sich um "politisch äußerst anrüchige Kompositionen", "Nazi-Musik", einen "orgelumtoste[n] C-Dur-Lärm", ein "Machwerk". Dann kommen noch (obligatorische) Verweise auf den "einst dem 'Kampfbund für deutsche Kultur' angehörenden Karl Böhm" und auf das "einstige[...] NSDAP-Mitglied Herbert von Karajan", die sie erdreistet hätten, das Werk mit den Berliner Philharmonikern ebenfalls aufgeführt zu haben. Böhm habe das Ganze sogar 1966 eingespielt.
Nun: Wenn man schon solch schweres Geschütz auffährt, sollte man wenigstens genauer recherchieren: Böhm nahm das Werk bereits im April 1963 für die Deutsche Grammophon auf. Und auch die Behauptung, es habe "Buhs am Ende der Konzerte" gegeben, geht aus den Mitschnitten nicht hervor. Die Verleumdung des Großteils des Publikums, das offenbar sehrwohl Gefallen an dem Werk fand, als "Siegelringträgerfraktion", ist dann freilich der Gipfel der Entgleisung.
Doch widmen wir uns wieder dem Festlichen Präludium selbst. Entgegen meiner ersten Befürchtung, gibt es durchaus etliche Aufnahmen. Sogar der Jude Eugene Ormandy führte es 1964 mit seinem Philadelphia Orchestra auf.
Die Referenzaufnahme scheint m. E. die bereits genannte von Karl Böhm zu sein, die von der Überlegenheit der Berliner Philharmoniker profitiert und noch dazu klangtechnisch trotz des hohen Alters überzeugen kann:
Eine neuere Einspielung gibt es vom Tonhalle-Orchester Zürich unter David Zinman (der übrigens auch jüdische Wurzeln hat):
Es bleibt dabei: Viel Lärm um nichts.
Abschließend noch zwei Aufnahmen zum Reinhören. Einmal das bereits erwähnte Video mit Richard Strauss selbst:
Und hier noch das komplette Werk unter Neeme Järvi mit dem NHK Symphony Orchestra: