Die menschliche Stimme - Fingerabdruck der Seele

  • Solange es die Oper gibt, also mehr als vier Jahrhunderte, steht die menschliche Stimme im Fokus der Gattung. Orfeo erweicht die Götter und die Furien mit seinem Gesang, Don Giovanni verführt die Frauen reihenweise mit dem Schmelz seiner Kantilene, der Herzog von Mantua erobert unschuldige Mädchen wie abgebrühte Lockvögel mit tenoraler Sinnlichkeit. Carmen und Dalila unterwerfen sich ihre Opfer mit erotischen Klängen, Marina stachelt Dimitrij mit üppigem Melos zur Usurpation des Zarenthrones auf.


    Doch damit nicht genug: Ariadne und Bacchus singen aneinander vorbei, und nur ihr Gesang verwandelt den Unsinn ihrer Worte in einen neuen, gesungenen Sinn, den nur die wissende Zerbinetta versteht: Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir - stumm... Die menschliche Stimme umgibt ein Geheimnis, das Hass und Fremdheit in Liebe verwandelt. Selbst rebellische Freigeister wie Mozart, Verdi und Wagner haben sich ihrer Macht bedient, wenn sie ihre Zuhörer erschüttern wollten.


    Kenner und Betroffene bestätigen immer wieder, dass dieses Instrument unter allen das ist, das am schwersten zu erlernen und zu beherrschen ist - wie die Karrieren vieler Shootingstars bezeugen, die raketenhaft aufstiegen - und plötzlich verpufften.


    Dieses hymnische Vorwort war nötig, um die Bedeutung der anstehenden Fragen zu umreißen.


    Wir sollten damit beginnen, wie künftige Sänger die ersten wichtigen Entscheidungen treffen: Welche Stimme schlummert in mir? Wie finde ich den richtigen Lehrer? Wie baue ich meine Karriere auf?


    Wer an solchen Fragen interessiert ist, den lade ich ein, an diesem Gespräch teilzunehmen.


    Morgen können wir anfangen - meint Sixtus

  • Es trifft sich gut, dass noch niemand den nächtlich entstandenen Prolog samt Tippfehler im Titel entdeckt zu haben scheint. (Die erste Fassung war plötzlich weg, und ich musste sie, genervt, aus dem Gedächtnis um Mitternacht nochmal schreiben! Dieser Dr. Pingel bringt mich ganz schön auf Trab...) Jetzt, nach dem Frühstück, kann ich alles in Ruhe abrunden, und dann kann die erste Runde beginnen.


    Sängerkarrieren haben oft seltsame Anfänge: Eltern, die selber Sänger sind, schleusen ihr eigenes Kind hinter die Bühne, lassen es im 3.Tosca-Akt den Hirten aus dem Off trällern - und setzen damit dem Kind einen gefährlichen Floh ins Ohr: den Wunschberuf Sänger. Alles, was man zu diesem Zeitpunkt sagen kann, ist, ob es musikalisch ist. Alles andere entscheidet sich in der Pubertät.


    Andere beginnen in einem Kinderchor. Auch hier sit die Prognose nicht viel aussagekräftiger. Nur das Gehör wird trainiert, und das ist nicht wenig. Aber nicht jeder Chorknabe wird ein Adam oder ein Schreier. Und außerdem gibt es schönere Stimmen. Die Papes aber sind dünn gesät.
    Mit einem Grundirrtum ist aufzuräumen: Chorgesang und Sologesang haben wenig miteinander zu tun. Während im Chor die Einzelstimme nicht herauszuhören sein darf, wird vom Solisten grade das verlangt.


    Vielleicht stehen hier schon (unbeabsichtigt!) die ersten Sätze mit Zündstoff; aber das wird nicht das letztemal vorkommen. Ich übergebe jetzt das Wort denen, die nicht länger warten wollen. Bis bald!


    Besten Gruß von Sixtus


  • Mit einem Grundirrtum ist aufzuräumen: Chorgesang und Sologesang haben wenig miteinander zu tun. Während im Chor die Einzelstimme nicht herauszuhören sein darf, wird vom Solisten grade das verlangt.


    Besten Gruß von Sixtus


    Das ist grundsätzlich richtig, es gibt aber Ausnahmen. Die eine kann keiner kennen, denn das war mein altes "Vokalensemble Fulerum" aus Essen. Wir haben z.B. die "Exequien" von Schütz ohne fremde Solisten bestritten, sondern die kamen aus dem Chor. Das gab dem Stück eine besondere Geschlossenheit. Wir waren natürlich Laien, daher zählt es nicht so richtig.
    Meine Lieblingsaufnahme der "Matthäuspassion" ist die von Herreweghe, und da singen die Solisten auch die Chöre. So werden die beiden Chöre angeführt von den Sopranistinnen Dorothee Mields und Hana Blazikova (mit Nuria Rial ohnehin eine meiner Favoritinnen). Und Stephen McLeod singt als Bass sowohl die Soli als auch im Chor mit. Das gibt dieser Matthäuspassion eine ungeheure Geschlossenheit. Aber es ist die Ausnahme.
    Übrigens, lieber Sixtus, meine Aufforderung, loszuschreiben, war gar nicht so gemeint, dich zeitlich unter Druck zu setzen, sondern war so gemeint, dass wir wieder zum eigentlichen Auftrag dieses Forums zurückkehren müssen, der Musik.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Lieber Dr.Pingel,
    unter Druck habe ich mich selber gesetzt. Ich hätte ja sagen können: Langsam, Wozzeck, langsam! Lass mir ein paar Tage Zeit!
    Aber Spontaneität kann ja auch ein positiver Aspekt sein.
    Danke für deinen ersten Beitrag, dem ich nichts hinzufügen kann - außer: Keine Regel ohne Ausnahme.


    Ich selbst hatte mit Chorgesang nur in meinen Zwanzigern zu tun, als die Stuttgarter Staatsoper die Gesangsschulen der Stadt abgraste, um Nachwuchs für ihren Sonderchor zu rekrutieren, der bei den großen Choropern eingesetzt wurde. Bei den Meistersingern (Beginn 18 Uhr) waren wir erst auf der Festwiese dran (gegen halb elf). Ich war der einzige vom Sonderchor, der schon während der Ouvertüre (verbotenerweise!) in der Gasse stand, um die Vorstellung zu verfolgen. Ich wollte das Stück erleben! Kein Wunder, dass ich auf meine alten Tage immer noch so ein Opernnarr bin.


    Beste Grüße von Sixtus

  • Ohne wieder in die alte Falle zu rennen, möchte ich für die Diskussion noch eines zu bedenken geben: Sänger und Dirigent sind natürliche Freunde und wollen möglichst auf kürzeste Distanz gehen: von Pult zu Rampe. Sänger und Regisseur dagegen sind eher natürliche Feinde, weil die Tonproduktion den kürzesten Weg zum Publikum sucht, und der führt nicht vom Kopfstand über den Rundhorizont. Dem Regisseur dagegen ist weniger am Ton gelegen als an der Gruppendynamik. Wenn diese Gegensätze versöhnt werden, spricht man von einer guten Aufführung. Oder?


    Wer dem zustimmen - oder widersprechen will, der trete vor!


    Das wünscht sich Sixtus

  • Noch habe ich keine Erklärung dafür, dass niemand an diesem Thema interessiert zu sein scheint. Die beiden Möglichkeiten, die sich mir als Erklärung anbieten, sind beide nicht sehr ermutigend:


    Entweder ich habe einige von euch vor den Kopf gestoßen und bin von ihnen auf "Ignorierlisten" gesetzt worden. Das täte mir leid - weniger für mich als für die Sache; denn mit pickiertem Schweigeboykott ist ja niemandem gedient. Und Missverständnisse kann man auch ausräumen.
    Oder - die andere Möglichkeit: Es herrscht bei vielen bei dieser Materie eine zu große Unsicherheit mangels Fachkenntnis oder eigener Erfahrung. Aber da kann ich die Betroffenen beruhigen: Es ist keine Schande, über das Instrument Stimme mangelnde Kenntnisse zu haben. Schlimmer wäre es, wenn jeder, der in der Badewanne singt, glaubt, Experte in Belcanto zu sein.


    Hier soll es um Fragen gehen, die den Opernalltag betreffen: Erkennen einer stimmlichen Begabung, Aufbau und Entwicklung einer Karriere, Besetzung der Solopartien mit geeigneten Sängern, Wahl des geeigneten Stimmfachs bzw. Fachwechsel. Timing einer Karriere (einschließlich des richtigen Zeitpunkts ihrer Beendigung); Möglichkeiten des Publikums, auf die Besetzung Einfluss zu nehmen etc.


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass an solchen Fragen kein Interesse besteht. Deshalb bitte ich um Signale, ob es sinnvol ist, diesen Thread zu beenden - oder in eine womöglich fruchtbare Diskussion einzutreten.


    Ich stehe jedenfalls bei diesem Thema weiterhin zur Verfügung und lade alle Interessierten zur Teilnahme ein.


    In diesem Sinne - beste Grüße von Sixtus!

  • Schon wieder muss ich mir selber antworten. Aber ich habe gestern zu nachtschlafender Zeit etwas vergessen:
    Das Allerwichtigste bei einer Stimme (neben Umfang und Volumen) ist doch das persönliche TIMBRE, die Klangfarbe, an der man nicht nur die Stimmlagen unterscheiden kann, sondern im Grunde jede einzelne Stimme von jeder anderen.


    Und daran scheint es derzeit zu hapern. Es gibt zwar massenweise Sänger, die ihre Stimmlage abdecken, aber wenige, die sie wirklich beglaubigen. (Viele klingen zum Verwechseln ähnlich.) Denn dafür bürgt nur der Klang, der nicht nur bei jeder Stimmlage einen typischen Charakter hat, sondern darüber hinaus bei jedem Sänger andere Nuancen aufweist - oder aufweisen sollte. Und das tut es nur, wenn der Sänger schon bei der Ausbildung das Zentrum seiner Stimme gefunden hat.


    Idealtypisch für das, was ich meine, scheinen mir die Stimmen der wieder im Forum aufgetauchten Jubilarinnen Jurinac und Güden zu sein, aber auch Männerstimmen wie Wunderlich, Bastianini, Bruson oder Siepi. Und heute, gibts sowas überhaupt noch?


    Jetzt gib es zwei Möglichkeiten: Entweder es hagelt Beiträge mit Beispielen (oder auch Gegenbeispielen) - oder ich geb´s auf mit dem Thema...


    In Wartestellung grüßt freundlich einladend


    Sixtus

  • Lieber Sixtus,


    im Grunde sind es eine ganze Reihe von interessanten Themen, die Du anschneidest: Geht es darum, was die Qualität einer Stimme ausmacht? Sind es die Fragen, wie finden Sänger am Anfang den richtigen Lehrer und die passende Gesangsausbildung? Ist der richtige Aufbau der Karriere gemeint, die Wahl des adäquaten Stimmfachs, die Wahl der richtigen Besetzung und einer für diesen Sängertyp passenden Partie und, und, und? Ich bin von der Fülle der Fragen überfordert. Auf welche soll ich halbwegs substanzreich eingehen und antworten? Es könnte anderen Diskussionsteilnehmern ähnlich gehen wie mir und hier könnte auch die Antwort liegen warum es bei durchaus die Diskussion lohnenden Themen keine Beiträge gibt. Bitte teile die Fragenkomplexe in verdaulichere Portionen auf und sie werden sicherlich "gefressen " und beantwortet. Vielleicht hier schon der Hinweis: Beim diesjährigen Künstlertreffen der Gottlob-Frick-Gesellschaft am 15./ 16. Oktober wird in der Matinee "Die Gesangsausbildung in Deutschschland" das Thema sein. Da Du hoffentlich wieder eine Rezension schreiben wirst kannst Du dann sicherlich auch auf dieses Diskussionsergebnis Bezug nehmen. Aber Deine Fragen sollten in vereinfachter Form bis dahin bereits diskutiert werden, also stelle sie bitte in beantwortungsfreundlicher Form.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Noch habe ich keine Erklärung dafür, dass niemand an diesem Thema interessiert zu sein scheint.


    Lieber Sixtes, ich antworte jetzt mal, weil mich Dein Engagement und Deine Hartnäckigkeit beeindrucken.


    Was das Thema angeht, so bin ich mir nicht ganz sicher, was genau die Frage sein sollte, auf die zu antworten wäre.
    Als ich den Threadtitel las, war ich natürlich neugierig. Mir fielen da spontan Namen wie Grümmer, Jurinac, Seefried, Crespin oder Lorengar ein.
    Nur war mir nicht ganz klar, was ich dazu denn beisteuern könnte. Ich habe ja beispielsweise gerade in dem von Rheingold eröffneten Thread über Netania Davraths etwas über ihre Stimme und darüber, was sie ausdrückt, zu schreiben versucht. Das ist so einfach nicht, man muss dann schon intensiv hören und um Worte ringen, um angemessen beschreiben zu können, wie die Stimme da etwas trägt, das aus der Seele kommt.
    Das - so scheint mir - geht eigentlich nur an ganz konkreten Beispielen.



    Aber Du willst ja denn doch auf etwas ganz anderes raus:


    Wir sollten damit beginnen, wie künftige Sänger die ersten wichtigen Entscheidungen treffen: Welche Stimme schlummert in mir? Wie finde ich den richtigen Lehrer? Wie baue ich meine Karriere auf?


    Das wäre eher nicht mein Thema. Da wüsste ich nichts beizutragen. Zwar habe ich einige Jahre lang junge Sängerinnen und Sänger bei der Einstudierung neuer Partien unterstützt, aber da ging es eher um die Frage, wie die Figur zu verstehen ist und singend dargestellt werden kann.


    Das Allerwichtigste bei einer Stimme (neben Umfang und Volumen) ist doch das persönliche TIMBRE, die Klangfarbe, an der man nicht nur die Stimmlagen unterscheiden kann, sondern im Grunde jede einzelne Stimme von jeder anderen.


    Ja natürlich. Aber darüber kann doch am besten in den einzelnen Sängerthreads gesprochen werden.
    Die von Dir auch angerissene Frage, warum heute so viele Stimmen keinen unverwechselbaren Klang mehr haben, interessiert mich auch. Da würden mich Antworten schon mal interessieren. Aber ich habe selber keine. Sicher spielt dabei die Ausbildung eine wichtige Rolle. Und die erlernte Technik? Aber welche? Und wie?
    Wenn dazu jemand etwas beitragen könnte, würde ich mich freuen. Vielleicht Gesangspädagogen? Oder Gesangsphysiologen?


    Aber vielleicht hilft auch erst mal eine Gedicht von Georg Richard Kruse :


    “Ja, ja, der Singer Meisterschlag
    Gewinnt sich nicht in einem Tag.”
    Ich ging zu vielen grossen Meistern
    Und zahlte gern im voraus bar,
    Weil mich ihr Singen tat begeistern,
    In blankem Gold mein Honorar.
    Man lobte auch allüberall
    Mein “wahrhaft gl
    änzendes Metall”.


    Atemgymnastik, Glottisschlag
    War nun mein Studium jeden Tag.
    Lautsymbolik, Tonphysiologie
    Prägt’ ich mir ein mit heisser Müh’,
    Und ich wär’ sicher schon längst am Ziel,
    Gäb’s der Methoden nicht gar so viel.
    Denn was der eine mich heute gelehrt,
    Hat morgen der andre, für Unsinn erklärt.


    Und so fragt man sich stets aufs neu’:
    Singst du nach Stockhausen, singst du nach Hey?
    Wäre Lamperti wohl das Ideal?
    Oder versuchst du’s mit Iffert einmal?
    Weisst du etwas vom primären Ton?
    Übst du die alte Solmisation?
    Stellst du den Mund schief, hoch oder breit?
    Ist die Zungenlage in Richtigkeit?
    Singst du auch nicht mehr guttural?
    Ist der Ton jetzt nicht allzu nasal?


    Tag für Tag macht man sich Gedanken:
    Atmest du Bauch oder atmest du Flanken?
    Bist du dir auch im klaren ganz
    Über Brust-, Kopf- und Kehlkopfresonanz?
    Hast die Register du gut verbunden?
    Und ist der richtige Ansatz gefunden?
    Hast du erlangt durch tücht’ge Trainierung
    Endlich die richtige Atemführung?


    Knödelst du nicht und singst du im Hals?
    Hast du begriffen die Lehre des Schalls?
    Kennst du die Anwendung der voix mixte?
    Bist du gewiss, dass der Ton nicht kickst?
    Ist im Textsprechen dein Können gewachsen,
    Dass man nicht merkt, du stammst aus Sachsen?


    So vielerlei tut sich nicht leicht,
    Aber jetzt endlich ist es erreicht
    Die Methoden hab’ ich nun alle kapiert,
    Nur leider dabei meine Stimme ruiniert,
    Doch gelte ich jetzt zum Gesangsphysiologen,
    Zum Halsspezialisten und Laryngologen.
    Und wenn ich erst nicht mehr tremoliere,
    Nicht mehr forciere und detoniere,
    Dann kann, ich getrost in die Welt mich wagen,
    Zum Schauspiel gehn und der Oper entsagen.



    Mal sehen, ob das anregt.


    Ganz liebe Grüße


    Caruso41



    PS:: vielleicht weiss nicht jeder, wer Georg Richard Kruse war:


    Georg Richard Kruse (17. Januar 1856 bis 23. Februar 1944) war Dirigent, der in Europa und den USA gearbeitet hat, Musikforscher, Autor vieler Bänder in der Musikreihe des Reclam-Verlages. Er hat Opern bearbeitet und Komponisten-Biografien geschrieben. Sein Grab kann man heute noch auf dem Parkfriedhof Lichterfelde besuchen.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Die von Dir auch angerissene Frage, warum heute so viele Stimmen keinen unverwechselbaren Klang mehr haben, interessiert mich auch. Da würden mich Antworten schon mal interessieren. Aber ich habe selber keine.


    Das kann doch gar nicht sein, dass unser Caruso bei einer Gesangsfrage keine Antwort hat. Ich möchte ganz kurz auf die Frage antworten, warum heute so viele Stimmen keinen unverwechselbaren Klang mehr haben: Ganz einfach: Weil diese starke persönliche Färbung heute nicht mehr gewünscht ist. Man will keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen, sondern austauschbare Sängerschauspieler, die auch noch äußerlich toll, fotogen aussehen und Gardemaße haben. Die Stimmen sollen einem allgemein ankommenden Klangideal entsprechen. Alles wohlklingend, technisch gut durchgebildet und gleichmäßig schön klingend. Durch diese Gleichmacherei sind Sänger viel leichter austauschbar. Ausserdem wird in starkem Maß für Tonaufnahmen ausgebildet und da sollen die Stimmen ja nicht zu groß sein. Zwei Beispiele mögen die heutige Auffassung charakterisieren: Eine junge schlanke, gut aussehende Sopranistin hatten meine Frau und ich bei uns zum Essen geladen. Sie aß wie ein Spatz. Sebstverständlich fragte die Hausfrau besorgt. "Schmeckt es Ihnen nicht?" O, es schmeckt wunderbar" - Ich muss nur wahnsinnig aufpassen, 2 - 3 Kilos zu viel und ich habe beim Probesingen keine Chance mehr. Das zweite Beispiel: In einer Diskussion um Stimmtypen traf ein junger, heute bekannter Bassist die Aussage: Kurt Moll und Gottlob Frick würden heute nicht mehr engagiert, solche persönlich gefärbten Stimmen sind nicht mehr gefragt!!! Sturm der Entrüstung im Publikum. Ich fürchte das Statement ist leider nahe der Realität.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Jetzt sage ich erst mal ganz frech: Na also, geht doch!
    Ich sehe alles ein. Wir müssen das Themenbündel (denn das ist es!) entflechten. Aber wenn man im Ruhestand ist, vergisst man schon mal zu bedenken, dass andere nicht so viel Zeit haben wie man selber. Und mir hätte es auch nichts ausgemacht, von einem Aspekt zum anderen zu hüpfen - und wieder zurück. Schließlich sind diese Themen alle miteinander verquickt.


    Aber wenn du dir schon die Mühe machst, lieber Caruso, ein so schönes langes Gedicht zu präsentieren, dann können wir ja mal mit der Stimmtechnik anfangen. Dein einzig echter Namensvetter Enrico sagt das alles etwas prosaischer und kürzer. Auf die Frage eines Laien, wie man richtig singen müsse, antwortete er lapidar: "Unten Stahl, in der Mitte Butter, oben Stahl!"


    Was er damit meinte? Unten, das Zwerchfell, muss gut stützen. In der Mitte, der Kehlkopf, muss weich und locker sein. Und oben, im Gaumenbereich, muss die Tonsäule ihre Resonanz entfalten können. Ein anderer Italiener sagte einmal ungehalten zu seinem (deutschen!) Schüler: "Man singt nicht MIT dem Hals, sondern DURCH den Hals! " (Was aufs Gleiche hinausläuft) Das hätten viele deutsche Gesangsschüler hören sollen...


    Ich habe selber eine kleine Abhandlung über diesen Vorgang zu Papier gebracht. Den werde ich suchen und in meinem nächsten Beitrag zitieren.
    Bis dahin viele Grüße!


    Sixtus


  • Ich möchte ganz kurz auf die Frage antworten, warum heute so viele Stimmen keinen unverwechselbaren Klang mehr haben: Ganz einfach: Weil diese starke persönliche Färbung heute nicht mehr gewünscht ist. Man will keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen, sondern austauschbare Sängerschauspieler, die auch noch äußerlich toll, fotogen aussehen und Gardemaße haben. Die Stimmen sollen einem allgemein ankommenden Klangideal entsprechen. Alles wohlklingend, technisch gut durchgebildet und gleichmäßig schön klingend. Durch diese Gleichmacherei sind Sänger viel leichter austauschbar. Ausserdem wird in starkem Maß für Tonaufnahmen ausgebildet und da sollen die Stimmen ja nicht zu groß sein. Zwei Beispiele mögen die heutige Auffassung charakterisieren: Eine junge schlanke, gut aussehende Sopranistin hatten meine Frau und ich bei uns zum Essen geladen. Sie aß wie ein Spatz. Sebstverständlich fragte die Hausfrau besorgt. "Schmeckt es Ihnen nicht?" O, es schmeckt wunderbar" - Ich muss nur wahnsinnig aufpassen, 2 - 3 Kilos zu viel und ich habe beim Probesingen keine Chance mehr. Das zweite Beispiel: In einer Diskussion um Stimmtypen traf ein junger, heute bekannter Bassist die Aussage: Kurt Moll und Gottlob Frick würden heute nicht mehr engagiert, solche persönlich gefärbten Stimmen sind nicht mehr gefragt!!! Sturm der Entrüstung im Publikum. Ich fürchte das Statement ist leider nahe der Realität.


    Lieber operus, ich bin bei dieser Frage völlig unwissend, finde sie aber sehr interessant. Wenn Du schreibst, heute seien keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen mehr gefragt, dann frage ich mich, warum das so ist. Dass nicht nur die Zuschauer, sondern offenbar auch die für die Besetzungen Verantwortlichen in den Opernhäusern heute sehr aufs Aussehen achten, glaube ich gerne, es passt einfach in die Zeit, und ich bekenne mich da selber schuldig, weil ich auch nur ungerne einen kugelförmigen Rodolfo oder eine allzu üppige Carmen auf der Bühne sehe. Allerdings hat auch ein Johan Botha Karriere gemacht, und Torsten Kerl sieht auch nicht so aus, wie man sich einen Wagner-Helden vorstellen würde. Es gibt also auch Ausnahmen vom Primat der Optik. Und eine Fixierung auf das Aussehen erklärt auch nicht, warum man keine individuellen Stimmen mehr schätzt. Deine Antwort ahne ich voraus: Du wirst wahrscheinlich auf die starke Bedeutung verweisen, die heute die Regie hat, die Forderung, dass Sänger auch gute Schauspieler sind, die flexibel auf die unterschiedlichen Vorstellungen der Regisseure einzugehen vermögen. Aber auch das spricht doch nicht gegen persönlich gefärbte Stimmen. Ich erbitte also weitere Aufklärung.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das kann doch gar nicht sein, dass unser Caruso bei einer Gesangsfrage keine Antwort hat. Ich möchte ganz kurz auf die Frage antworten, warum heute so viele Stimmen keinen unverwechselbaren Klang mehr haben: Ganz einfach: Weil diese starke persönliche Färbung heute nicht mehr gewünscht ist. Man will keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen, sondern austauschbare Sängerschauspieler, die auch noch äußerlich toll, fotogen aussehen und Gardemaße haben. Die Stimmen sollen einem allgemein ankommenden Klangideal entsprechen. Alles wohlklingend, technisch gut durchgebildet und gleichmäßig schön klingend. Durch diese Gleichmacherei sind Sänger viel leichter austauschbar. Ausserdem wird in starkem Maß für Tonaufnahmen ausgebildet und da sollen die Stimmen ja nicht zu groß sein. Zwei Beispiele mögen die heutige Auffassung charakterisieren: Eine junge schlanke, gut aussehende Sopranistin hatten meine Frau und ich bei uns zum Essen geladen. Sie aß wie ein Spatz.

    Hat damit nicht Karajan angefangen, die "dicken" Sänger(innen) von der Bühne verbannt gegen die Auffassung, eine große Stimme brauche auch das entsprechende leibliche Volumen? :D


    Ist das nicht eine allgemeine Zeiterscheinung besonders bei der Star-Oper, die zum Entertainment wird? Netrebko und Partner singen im Video Playback (so wie die das machen kann man nicht zugleich sich bewegen und singen) nicht anders als beim Pop-Konzert. Wie ist es aber bei den vielen örtlichen Theatern mit festen Ensembles?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ohne Operus in seiner Reaktion abwürgen zu wollen, lieber Bertarido, hier meine Erklärung zu deiner Frage:
    Das ist die Globalisierung, die auch hier zuschlägt. Sänger, die einander ähneln wie ein Ei dem anderen, sind leichter zu ersetzen und damit "benützerfreundlicher" als individuelle Künstler. Nur sehr starke Begabungen können dieses Schema durchbrechen.


    Nun aber die versprochene Lektion über Belcanto aus meinem (anfechtbaren, aber immerhin von Operus über den grünen Klee gelobten Opernbrevier "STIRB UND - SINGE!" (stark gekürzt):


    "Belcanto - das ist mehr als Schöngesang, den der Name verspricht. Es ist Kunst, und die findet statt zwischen dem Zwerchfell und der Schädeldecke. Das sind Grenzpfähle der Atemsäule, auf der gesungen wird. Singen auf einer Säule - wie geht das?
    Schauen wir uns einen schlafenden Säugling an! (Erwachsene haben das natürliche Atmen längst verlernt.) Die Bauchdecke hebt und senkt sich im im Wechsel des Ein- und Ausatmens.
    Beim lockeren Einatmen füllt sich die Lunge mit Luft und dehnt sich dabei aus: nach unten, weil da keine Knochen im Wege sind, sondern nur das Zwerchfell, und das ist nur ein Lappen. Der gibt nach unten nach, in Richtung Magen. Der gibt ebenfalls nach, kann das aber nur nach vorn. Die Bauchdecke des Babys hebt sich.


    (Wenn Sie sich auf den Rücken legen, merken Sie, dass sich vor allem der Brustkorb weitet - das beste Indiz dafür, dass Sie etwas falsch machen. Uns hat man eingetrichtert: Brust raus, Bauch rein! Das gilt als männlich stramme Haltung, bei Frauen betont es die Figur, ist also sexy. Fürs Singen ist es aber kontraproduktiv.)


    Jetzt kommt der entscheidende Moment für die Tonproduktion: das Ausatmen. Wir spannen das Zwerchfell an und drücken die verbrauchte Luft in Richtung Welt. Dabei passiert sie den OFFENEN Kehlkopf und versetzt seine Stimmbänder in Schwingungen. Das dabei entstehende Geräusch hat im Mundhöhlenbereich noch die Chance, zu einem Ton veredelt zu werden. Die Lautstärke regulieren Sie durch die Stärke des Ausatmens, den Klang durch die Veränderung der Mundstellung und das typisch dümmliche Sängergrinsen. Dass die Stimme nicht überschnappt, erreichen Sie durch verstärktes Stützen mit dem gespannten Zwerchfell.


    Jetzt können Sie, mit etwas Glück, singen. Der große Rest ist Übung, Versuch und Irrtum. Alles klar?


    Bonne chance - wünscht Sixtus

  • Jetzt können Sie, mit etwas Glück, singen. Der große Rest ist Übung, Versuch und Irrtum. Alles klar?


    Ahaaaa!
    Und wenn es nicht klappt, bleibt noch der Weg, von dem Georg Richard Kruse sprach! Oder Musical


    Ganz einfach: Weil diese starke persönliche Färbung heute nicht mehr gewünscht ist. Man will keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen, sondern austauschbare Sängerschauspieler, die auch noch äußerlich toll, fotogen aussehen und Gardemaße haben. Die Stimmen sollen einem allgemein ankommenden Klangideal entsprechen. Alles wohlklingend, technisch gut durchgebildet und gleichmäßig schön klingend. Durch diese Gleichmacherei sind Sänger viel leichter austauschbar.


    Bei allem Respekt, lieber Operus, aber mit der Behauptung kann ich wenig anfangen. Mir fehlt das Subjekt. Wenn Du schreibst, persönliche Färbung sei nicht gewünscht: wer wünscht? Warum? Wer will keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen?


    Wozu brauchen die, die das Deiner Meinung nach wünschen, austauschbare Sängerschauspieler?


    In dem hier im Forum ebenso wild wie durch eigene Erfahrung und Kenntnis unbeleckt diskutierten "Freischütz" in Hannover habe ich zwei verschiedene Tenöre als Max gehört, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Es war spannend zu erleben, wie sich dadurch Perspektiven und Deutungen verschoben, manches eine andere Bedeutung bekam, einen anderen Sinn. Wer, bitte, sollte soetwas nicht wünschen? Die Intendanten? Die Dirigenten? Die Regisseure? Die Besucher? Die Kritiker?


    Könnte es nicht sein, dass die Behauptung, viele Stimmen hätten keinen individuellen Klang mehr, einer empirischen Überprüfung letztlich gar nicht standhalten kann? Ich gehe wirklich sehr viel in Live-Aufführungen - an großen, an mittleren aber auch an kleinen Bühnen. Dabei begegnen mir schon sehr unterschiedliche Stimmcharaktere. Vielleicht entsteht ja der Eindruck eines uniformen Klangideals dadurch, dass nicht über Stimmen gesprochen wird sondern über die Wiedergabe von Stimmen, die ein Mikrophon eingefangen hat?


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Zu den vielen Fragen vermag ich substanziell nichts beizutragen. Ich bin so ein Naturmensch, der sich an einer Stimme entweder erfreut oder sie grauslich findet. Das wird mit der Meinung anderer nie deckungsgleich sein. Ich wollte auch nie Gesang studieren und habe mich demzufolge auch mit den notwendigen Techniken nie befasst.
    Ich habe mich nur nach dem Durchlesen der Postings hier - vor allen Dingen des Beitrages von Operus - gefragt, warum mir sofort TTIP ins Gehirn schoss?


    ;(:(:whistling:

    .


    MUSIKWANDERER

  • In den 80 Jahren waren es vor allem die drei Tenöre , die man sofort am Klang ihrer Stimme erkannt hat. Ich hab da mal sogar im Radio ein Quiz gewonnen . Heute erkenne ich bei den Damen sofort Frau Gruberova, Frau Radvanosky, Cecilia Bartoli, Anna Nebtreko um nur ein paar zu nennen. Bei den Herren sind es Jonas Kaufmann, KFV, Johann Botha , Hans Peter König , Juan Diego Florez . Diese Stimmen haben alle einen individuellen Klang den man sofort wiedererkennt. Außerdem gab es früher ja auch nicht die Masse an bekannten Opernsängern wie heute. Und wie Caruso schon geschrieben hat, man muss sich nur mal die Mühe man in die Oper zu gehen und sich vielleicht auch mal die zweit Besetzungen anschauen . Habe vor einigen Wochen aus dem Teatro San Carlo Felice mir Andrea Chenier per Livestream angeschaut und dort gibt es immer zwei Übertragungen mit unterschiedlichen Besetzungen der gleichen Oper. Es ist dann immer interessant genau die Sachen zu beobachten die Caruso vorher beschrieben hat.

  • Ja, lieber Rodolfo, die Beobachtungen von Operus und auch von mir, dass sich die Stimmen immer mehr angleichen, treffen sicher nicht lückenlos zu. Vor allem an kleineren Bühnen und im Repertoirebetrieb des Opernalltags halten sich die individuellen Stimmen (und die nicht so stromlinienförmigen Sänger/innen) auch heute noch.


    Aber ich glaube, die zunehmende "Eventisierung" des Musik- und Theaterbetriebs macht es ihnen immer schwerer, nach ganz oben zu kommen. Da greift man dann im Zweifelsfall lieber auf die optisch und akustisch "attraktiveren" Kollegen zurück, schon wegen der Kasse und der Quote. Denn bei den Großveranstaltungen wollen viele Opernunkundige vor allem den schönen Schein genießen und wissen die Qualität kaum zu schätzen.


    Und, lieber Musikwanderer, deine These mit TTiIP ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Globalisierung bis in solche Nischen durchsetzt.


    Aber noch ist Polen nicht ganz verloren. Genießen wir die Reste des Bestehenden!


    Herzlich grüßt Sixtus

  • Außerdem gab es früher ja auch nicht die Masse an bekannten Opernsängern wie heute.


    Lieber Rodolfo,


    dass es heute mehr Opernsänger gab als früher, hast Du ja wohl nicht gemeint. So schreibst Du ja auch "mehr bekannte"!
    Worauf verweist das? Eine große Zahl von Opernsängern ist fast ubiquitär präsent. Die hochdotiertesten binden sich sowieso nicht an ein oder zwei Opernhäusern sondern lassen sich überall hören und bejubeln, wo man Ihren Gagenvorstellungen gerecht wird.
    Aber das gilt auch für Sänger aus der zweiten und dritten Reihe. Nur dass die dann nicht mehr in London, New York, Barcelona oder Berlin singen sondern in Oslo, Düsseldorf, Catania und Lyon beziehungsweise in Mannheim, Bern, Graz und Liège.


    Und da dann in der Championsleague mal ein Ersatz für einen schwächelnden Star gebraucht wird, kommt ein Sänger aus der Zweiten Liga auch mal an eines der sogenannten renommierten Häuser. Es wird Dir nicht schwer fallen, dieses Wechseln zwischen den Ligen selber weiter auszumalen.


    Früher war das weitgehend anders.
    Da hatte Kassel seinen Heldentenor, und Köln hatte einen, Mannheim sowieso, und Kiel natürlich ebenso wie Essen oder Nürnberg. (Ähnliches gilt natürlich auch für die anderen Fächer.) An der Städtischen Oper Berlin, an der ich in den 50er Jahren als Opernfan sozialisiert wurde, hatte man Suthaus und Beirer. Wollte man zum Beispiel Windgassen hören, musste man nach Stuttgart fahren, für Feiersinger nach Nürnberg, für Lustig nach Aachen und für Liebl nach Wiesbaden. Sie alle gaben Gastspiele an anderen deutschen und ausländischen Bühnen - aber nur hin und wieder. Sie waren damals in der Szene der Opernfans und Melomanen allesamt durchaus bekannt - zum Beispiel durch Übertragungen aus Bayreuth oder Plattenaufnahmen. Aber ihr Wirkungsort war klar das Haus, an das sie verpflichtet waren.
    Da heute die Sänger alle ständig unterwegs sind, mag es scheinen, als gäbe es eine "Masse an bekannten Opernsängern ". Ich glaube, dass es früher bestimmt nicht weniger gab. Im Falle des angespielten Beispiels der Heldentenöre könnte man sogar auf die Idee kommen: es gab mehr, die den Partien wirklich gewachsen waren. Aber das ist ein anderes Feld.


    Soviel nur ganz knapp zu Deiner Bemerkung.
    Es passt nicht ganz zu Sixtus Frage, scheint aber für unsere Diskussion gleichwohl von Belang.


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Bei allem Respekt, lieber Operus, aber mit der Behauptung kann ich wenig anfangen. Mir fehlt das Subjekt. Wenn Du schreibst, persönliche Färbung sei nicht gewünscht: wer wünscht? Warum? Wer will keine unverwechselbaren Stimmen und Sängertypen?


    Wozu brauchen die, die das Deiner Meinung nach wünschen, austauschbare Sängerschauspieler?

    Lieber Caruso,


    ich dachte die Antwort wäre inplizit schon gegeben. Wünschen tun dies die Verantwortlichen, das sind also diejenigen die für Sängerengagements zuständig sind.

    Das ist die Globalisierung, die auch hier zuschlägt. Sänger, die einander ähneln wie ein Ei dem anderen, sind leichter zu ersetzen und damit "benützerfreundlicher" als individuelle Künstler. Nur sehr starke Begabungen können dieses Schema durchbrechen.

    Hier argumentiert Sixtus völlig im Sinne meiner eigenen Erkenntnisse. Der leicht austauschbare Sänger ist gefragt, weil er den modernen Opernbetrieb enorm erleichtert.Machiavelli lässt grüßen. Teile und herrsche.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Der leicht austauschbare Sänger ist gefragt, weil er den modernen Opernbetrieb enorm erleichtert.Machiavelli lässt grüßen. Teile und herrsche.


    Was ich immer noch nicht verstehe: Warum erfordert Austauschbarkeit eine unifome Stimme? Was wäre denn das Problem, wenn eine Partie gesanglich von verschiedenen Sängern unterschiedlich ausgefüllt wird, so wie Caruso oder Rodolfo es für verschiedene Besetzungen in der gleichen Produktion beschrieben haben? Von der szenischen Seite könnte ich es noch verstehen, wenn da ein Sänger auf der Bühne ganz anders agiert als der andere, aber das hat doch nichts mit der Stimme zu tun.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Deine Frage, Bertarido, ist sehr berechtigt.
    Was bei der Optik unmittelbar einleuchtet, liegt bei der Stimme nicht im selben Maße auf der Hand und ist etwas komplexer.


    Für einen gleichsam standardisierten Opernbetrieb ist es nicht nur leichter, Sänger von ähnlicher Attraktivität zu "verkaufen". Durch den flächendeckenden Zugriff auf Tonträger gewöhnt sich das Publikum auch an bestimmte Stimmtypen, die in den Medien besonders präsent sind. Wer als Sänger/in aus diesem Rahmen fällt, wird eher mit Befremden aufgenommen (wobei es kaum eine Rolle spielt, ob die Abweichung qualitativ positiv oder negativ ist).


    Der Grund ist vor allem darin zu suchen, dass der Anteil der kenntnisreichen Opernfreunde im Publikum rückläufig ist, weil diese Kunstgattung immer weniger Bedeutung in unserem Kulturbetrieb hat. Die Gründe sind vielfältig:
    In den Lehrplänen der Schulen ist die Popkultur auf dem Vormarsch, was dem Nachwuchs des Opernpublikums nicht grade förderlich ist. Entsprechend haben die Musicals in den Spielplänen der Theater Hochkonjunktur, weil sie Jugendliche anlocken und volle Häuser bringen. Und in den Feuilletons schreiben die Kritiker mehr über die Regie als über Gesang (weil sie, gelinde gesagt, oft nicht viel davon verstehen).


    Wie sollen in einem solchen Umfeld individuelle Künstler, in unserem Fall Sänger mit persönlich gefärbten Stimmen, heranwachsen - und wenn, auch noch vom Publikum erkannt und gewürdigt werden? Deshalb sind sie seltener geworden. Aber es kann ja auch wieder besser werden, wer weiß...


    Eine gute Nacht wünscht Sixtus

  • Lieber Sixtus,
    Jetzt möchte ich aber doch mal etwas positives zum Musical schreiben. Musical ist nicht nur etwas für die Jugend, sondern es gehen selbst in die Rock Horror Picture Show sehr viele Erwachsene hin, die begeistert mitmachen. Und viele Sänger des Musicals Les Miserables sind teilweise ausgebildete Opernsänger. Und in den Musical Schulen wird den Absolventen genauso viel beigebracht und abverlangt wie in einem Opernstudio, nur halt in einem ganz anderen Bereich. Aber singen können müssen sie alle. Nebenbei höre ich auch Pop und Soul Musik, wobei bei mir der Schwerpunkt bei der Popmusik in den 80 Jahren liegt.

  • Ja, lieber Rodolfo, da kann ich nun leider sehr wenig dazu sagen. Die Erfahrungen, die ich mit Musicals habe, sind sehr bescheiden, und das überwiegend negativ. Aber das ist vielleicht auch, biographisch gesehen, Zufall.


    Die letzten Beiträge signalisieren mir, dass es jetzt an der Zeit wäre, einen anderen Schwerpunkt zu setzen. Kein ganz neues Thema, weil ich glaube, dass die eingangs angesprochenen Fragen miteinander verquickt sind - Facetten eines großen Bereichs. Ein paar anekdotische Beispiele sollen das verdeutlichen.


    Bayreuth um 1960, Tannhäuser-Schluss: Fischer-Dieskau als Wolfram, Beirer als Heinrich - Kontrastprogramm. FiDi , in zartem pp, lyrisch flehend: "Denk an Eliiii-sabeeeth!" Beirer, in gewohntem Einheitsforte von ganz tief unten, unterhalb des Zwerchfells, nach oben schleifend: "Ääiisiisabeth!" Der Abend war verdorben. So weit muss man den Kontrast nicht treiben - das Besetzungsbüro hatte versagt.


    Stuttgart ca. 1970: Maskenball, auf deutsch, abwechselnd mit 3 Tenören, die verschiedener nicht sein konnten: Traxel, Windgassen und Konya. Traxel schwelgte mozartisch lyrisch, aber bei Bedarf auch temperamentvoll und voluminös. Windgassen schonte sich für den nächsten Tristan, sang routiniert und zerkaute die Töne. Konya (Caruso, aufgemerkt!) sang, wenn auch mit vielen Schluchzern, echten Verdi und zeigte, dass er diese Paraderolle vom lirico bis zum spinto drauf hatte. Wer das Stück nicht kannte, hörte vielleicht 3 verschiedene Stücke.


    Saarbrücken 2013, Verdi-Wagner-Gala, 1.Teil: Torsten Kerl, im Otello-Liebesduett, sang vom Blatt, schaute seine Partnerin nicht an. Die Stimme klang indifferent. 2.Teil: Tannhäuser, Romerzählung. T.Kerl verwandelt: auswendig, ausdrucksvoll, mitreißend. (Er hatte die Partie kurz vorher in Bayreuth mit einem Regisseur erarbeitet.) Aus dem langweiligen Stimmbesitzer war ein gebrochener Mensch geworden.


    Vielleicht können diese Beispiele, ergänzt durch andere (um die ich bitte!), uns die Frage beantworten helfen, warum persönliches Profil und Timbre wichtig sind - und wo man es auch übertreiben kann, zum Schaden des Stücks.


    Auf sprechende Beispiele freut sich


    Sixtus

  • Die sprechenden Beispiele, zu denen ich am späten Abend aufgerufen habe, liegen natürlich nicht immer abrufbereit vor einem. So bleibt mir noch Gelegenheit, meine eigenen zu ergänzen und auf unser Thema hin zuzuspitzen:


    Das Nächstliegende fällt einem meistens zuletzt ein. Aber wenn ein Sänger hierher gehört, dann Fritz WUNDERLICH!
    Seinen legendären Rang verdankt er doch vor allem seinem leuchtenden, vor Lebensfreude strotzenden Timbre (Bildnis-Arie, Lehar-Aufnahmen), das aber auch eine zu Herzen gehende Traurigkeit ausstrahlen konnte (Lensky, Schöne Müllerin!).


    Dabei fällt auf, dass die Stimme nicht in allen Lagen so üppig anspricht. Die tiefere Lage klingt "auffällig unauffällig", während er in der oberen Mittellage und im Übergang zur Höhe jene Klangfülle entfaltet, die seine Stimme so unwiderstehlich macht. Man denke an Stellen wie "und ewig wäre sie dann mein!" oder die Explosion von Klang bei "Freunde, das Leben..." Da hatte er das, was ich das Zentrum der Stimme nenne, und da konnte er alle Klang- und Ausdrucksnuancen realisieren, und zwar aus dem Stand.


    Aber wir brauchen nicht immer nur Tenöre zu bemühen, um dieses Phänomen zu veranschaulichen. Denken wir an George LONDON, für mich der Inbegriff des echten Bassbaritons mit durchgängig dunkel-virilem Klang bis in die baritonale Höhe. Mir klingt immer zuerst sein Mandryka im Ohr: "...dass mein Herr Onkel, der ein ganzer Mann gewesen ist und in den besten Jahren..." und dann "Mein sind die Wälder..." Und dazu der Kontrast: "Das ist ein Fall von andrer Art..." So geht es durch die ganze Partie, und er war in ihr, soweit ich weiß, ziemlich konkurrenzlos.
    Eine Stimme, deren "Zentrum" sich über ihren ganzen Umfang erstreckte (während Wunderlich sich die Tiefe und die extreme Höhe erst erarbeiten musste - aber davon vielleicht später).


    Das dürfte als Anregung zum Disput über den stimmlichen Fingerabdruck der Seele fürs Erste genügen - bevor ich ins vollends ins Schwadronieren komme.


    Bis bald! Sixtus

  • Das Nächstliegende fällt einem meistens zuletzt ein. Aber wenn ein Sänger hierher gehört, dann Fritz WUNDERLICH!
    Seinen legendären Rang verdankt er doch vor allem seinem leuchtenden, vor Lebensfreude strotzenden Timbre (Bildnis-Arie, Lehar-Aufnahmen), das aber auch eine zu Herzen gehende Traurigkeit ausstrahlen konnte (Lensky, Schöne Müllerin!).

    Ich bin ein großer Bewunderer von Fritz Wunderlich. Das "Lied von der Erde" von ihm ist für mich der Maßstab schlechthin.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die älteren Taminos hatten halt das Glück die großen Sänger von früher live zu erleben. Ich für meinen Teil mit 45 bin froh in einem Konzert der 3 Tenöre gewesen zu sein ,oder Frau Gruberova und Frau Bartoli live erlebt zu haben.. Und die heutige Jugend ist halt nichts anderes mehr gewohnt als das austauschbare und kurzlebige. Das ist in der Popmusik nicht anders als in der Klassik. Früher hab ich fast jedes Lied im Radio sofort erkannt oder hab bei SWF 3 meine Schwarzwaldelch Sammlung vervollständigt indem ich u.a. Stücke erraten habe die am Plattenspieler mit der falschen Drehzahl gespielt worden sind. Heute klingen für mich alle Stücke in den Charts gleich.

  • Über den Rang von Wunderlich brauchen wir ja nicht zu diskutieren. Doch über seine stimmliche Entwicklung auch außerhalb des Internets könnten ein paar Impressionen von Interesse sein.


    Ich habe ihn in seiner Anfangszeit in Stuttgart mehrmals erlebt. Er war schon ein respektabler Mozartsänger. Aber die Stimme war noch etwas schmal; nur in der höheren Lage horchte man auf. Er sang in der 2.Reihe hinter Traxel Belmonte und Tamino. Dann die deutschen Spielopern (besonders schön der Fenton mit herrlichen hohen Phrasen). Irgendwann kam sein erster Alfredo, der noch eine Nummer zu groß für ihn war, aber mit viel Gesangskultur vorgetragen.


    Ich erinnere mich an eine Lucia-Vorstellung: Traxel sang den Edgardo und verstrahlte üppige Lyrik. Dann trat Wunderlich als Arturo auf: sehr gepflegt. Danach Traxel mit dem spektakulären Auftritt im berühmten Sextett (das wiederholt werden müsste). Wir schauten uns an mit einem Blick, der sagte: Das ist doch ein anderes Kaliber!


    Als Wunderlich seinen Durchbruch hatte, war er dann sehr schnell in München, wo er sich das große lyrische Tenorfach eroberte, weil er seiner Stimme mit Klugheit, Musikalität und Fleiß zu größerer Stablität und Ausgeglichenheit verhalf. Aus der Zeit stammt die Aufnahme des Barbier v.S. mit Köth, Prey und Hotter - und zunehmend seriöses italienisches Repertoire. Leider wurde diese Entwicklung durch seinen tödlichen Unfall im Hause Frick brutal beendet.


    Zu Wunderlichs Fixsternen-Aufnahmen gehören zweifellos, neben dem Lied von der Erde mit Ludwig, seine Mozart-Partien und die vielen Aufnahmen mit Liedern - und, nicht zu vergessen: herrliche Operettenlieder, Wiener und Pfälzer Schmankerln. Sein Markenzeichen aber blieb (aus meiner Sicht) der sonnige Strahl seiner hohen Phrasen (seines Stimmzentrums), die erahnen ließen, was noch hätte kommen können (Puccini, Massenet, Lohengrin...). Bäume wachsen selten in den Himmel.


    Auf weitere Beiträge zu Wunderlich und angrenzenden Themen (einschließlich Widerspruch!) freut sich


    Stxtus

  • Fritz Wunderlich hatte auch eine Paraderolle, die alle Tschechen bis heute ärgern (oder freuen) muss. In der legendären deutschen Fassung der "Ausflüge des Herrn Broucek", dirigiert von Joseph Keilberth, singt er die Dreifach-Partie des Liebhabers. Mit Lorenz Fehenberger als Broucek und Wilma Lipp als weibliche Dreifach-Hauptrolle liegt hier ein Broucek vor, dem die Tschechen bisher noch nichts entgegengesetzt haben.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Danke, lieber Dr.Pingel, für den Hinweis!


    Und der bringt mich auch auf eine andere Partie, die noch viel populärer ist: Er war ein phänominaler Jenik (Hans) in der Verkauften Braut. das Duett mit dem Kezal von Frick besitzt unter Opernkennern Kultstatus - mit Recht. Die Partie bringt die heitere Seite des Künstlers (und des Menschen!) Wunderlich zum Klingen, besonders in der Stelle "Einen Engel nenn ich mein..." - und in der Arie "Es muss gelingen!" mit der herrlichen Schlussphrase. Da scheint die Sonne bis ins Studio...


    Herzliche Grüße von Sistus

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