Opern unter der Lupe -010 - Georges Bizet: Carmen

  • Carmen war vor kurzem wieder in den Schlagzeilen von Tamino, und natürlich ging es um die Inszenierung. Dies hat mich veranlasst die Serie "Opern unter der Lupe" nach längerer Pause um einen weiteren Beitrag zu erweitern. "Carmen" vom Georges Bizet: Carmen. Es handelt sich hierbei um ein Auftragswerk der "Opera Comique", welches 1872 an Bizet vergeben wurde. Das Thema stammt aus einer Novelle von Prosper Merimee, angeblich beruht die Geschicte auf einer wahren Begebenheit, Merimée hat einen zum Tode verurteilten Mörder vor dessen Hinrichtung mehrfach im Gefängnis besucht und von ihm dessen Lebensgeschichte erfahren. Die Geschichte wurde dann von den Librettisten Henri Meilhac und Ludovi Halévy gestrafft und umgearbeitet, durch einige publikumswirksame Details ergänzt. Die Uraufführung fand am 3. März 1875 in Paris statt, der große Erfolg stellte sich indes erst nach der deutsschprachigen Wiener Uraufführung ein. Die Zustimmung zu diesem Werk war nicht ungeteilt: Vielfach wurde das als "unmoralisch" geltende Textbuch beanstandet und angegriffen....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist eine gute Idee, der ich mich anschliesse. Hier können dann - so gewünscht - Unterschiede zwischen der literarischen Vorlage und dem Libretto aufgezeigt werden. Aber vielleicht ist im Vorwort des Buches auch einen Hinweis ob es sich in der Tat um eine Novelle nach einer wahren Begebenheit handelt, oder ob dies eine gern gehörte Sage ist. Sollte ersteres zutreffen, dann wird ja auch Merimée der literarischen Ausschmückung bedient haben.


    Ich selbst setze das Büchlein auf meine März Bestelliste. Hier der Link zu jpc (lutgra hat zu amazon verlinkt, wo ich nicht Kunde bin)



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nachdem ich bei Fidelio auf den beballten Protest der Gralshüter gestoßen bin und mein Heil in der Flucht suchen musste, hoffe ich bei Carmen offene Arme vorzufinden - oder zumindest weniger vermintes Gelände.


    Als Nietzsche seine Wagner-Wunden leckte, stieß er auf Carmen und fand die Musik mediterran, sonnig. Und: "Sie schwitzt nicht!" Da ist was dran. Doch der Welterfolg ließ auf sich warten. Die Opéra comique fiel durch, fand erst posthum als Fast-GrandOpéra mit Rezitativen den Weg um die Welt. Auch dieser Triumphzug verdankte sich teilweise dem Stoff, diesmal nicht hehrer Humaität, sondern, ein paar Nummern kleiner: der Femme fatale. Ohne sie hätte sich das Stück zumindest langsamer durchgesetzt.


    Im Stück selbst finde ich nur einen einzigen Schönheitsfehler: Gleich zu Anfang, nach dem Schicksalsmotiv, mit dem das Vorspiel endet, wird der Beginn der Handlung durch die Wachablösung samt Kinderchor-Parodie um etwa zwölf Minuten hinausgezögert, ohne dass ein nennenswerter musikalischer Ertrag dafür entschädigt. (Nur dramaturgisch wird klar, dass Micaela auf Don José wartet.) Ein Verzicht auf diese Kasernenfolklore ließe die Oper mit dem Doppelchor der lüsternen Männer und der lockenden Frauen beginnen - und der lange 1.Akt wäre deutlich straffer.


    Ab hier gibt es nur noch Grund zum Jubeln: Das lastende Schicksalsmotiv lässt keinen Zweifel, dass wir in einer Tragödie sind. (Daher der Name Opéra comique!) Von da an steigt der Spannungsbogen steil an, bis zur Katastrophe. (Lyrische Inseln wie das Duett Micaela/José sorgen für die nötigen Kontraste.) Bevor ich vollends ins Schwärmen gerate, unterbreche ich mich und hoffe auf enthusiastische Fortsetzung von anderer Seite.
    Vorerst beste Grüße von
    Sixtus

  • Der Andrang hält sich noch in Grenzen, also setze ich meine Laudatio noch ein wenig fort:
    Bei der Besetzung der Protagonisten tun sich einige Klippen auf. Am klarsten ist es bei Micaela: ein lyrischer Sopran reinsten Wassers.
    Carmen selbst verlangt einen beweglichen, aber voluminösen Mezzo, unbedingt mit sinnlichem Timbre, aber auch zu dramatischer Expansion fähig. Auch dramatische Soprane mit satter Tiefe können bestehen. (Callas!)


    Problematischer ist es bei den Männern. Escamillo sollte über einen gut sitzenden, metallisch glänzenden Bassbariton verfügen - und gut aussehen! Aber das allein genügt nicht, wie ich in der Berliner Komischen Oper erfahren habe. Der Torero sah blendend aus, sang aber mit gepflegter Sprechstimme sein Macho-Auftrittslied - und wurde (von Damen!) beklatscht. Bei seinem Solovorhang wollte ich zu erkennen geben, dass ich seine Defizite bemerkt habe - und erschreckte die zufriedenen Abonnenten mit einem deutlichen "Buh!". Ein Herr neben mir hatte sich verhört und kommentierte es mit den Worten "Ein Ochse in der Oper!"


    Don José braucht im Grunde zwei Tenöre: im 1. und 2.Akt einen lyrischen, danach einen Spinto. Aber die Gesangslinie ist äußerst sängerfreundlich und deshalb zu bewältigen. Gute Sänger schaffen das beides: Sie singen sich 2 Akte lang ein und machen danach ein richtiges Fass auf. Sehr gute singen sogar das hohe B in der Blumenarie im piano.


    Stilistisch ist die Oper ein Übergang zwischen der Clarté et Élégance der Opéra lyrique und dem spritzigen Chanconstil der Opéra comique - mit einem vorweggenommenen Schuss Verismo (Schlussduett!). Und das alles in perfekter Synthese: ein Meisterwerk! Das jedenfalls findet
    Sixtus

  • Ich finde das in Carmen meistens der Sänger des Escamilo der Schwachpunkt ist. Meistens wird ein gutaussehnde Bariton genommen, der wie Sixtus schrieb aber nicht singen kann. Wir hatten an der Rheinoper eine Carmen Inszenierung da schleppte am Ende Don José vollkommen blutbeschmiert Stierkadava über die Bühne.

  • Im Stück selbst finde ich nur einen einzigen Schönheitsfehler: Gleich zu Anfang, nach dem Schicksalsmotiv, mit dem das Vorspiel endet, wird der Beginn der Handlung durch die Wachablösung samt Kinderchor-Parodie um etwa zwölf Minuten hinausgezögert, ohne dass ein nennenswerter musikalischer Ertrag dafür entschädigt.

    Das finde ich gar nicht, es ist eine sehr atmosphärische Musik, die die Welt außerhalb der Zigarettenfabrik beschreibt.


    Harry Kupfer hat in seiner "Version" an der Komischen Oper berlin (Premiere 1991) genau so begonnen wie von dir vorgeschlagen, aber das hat sich Gott sei Dank nicht durchgesetzt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • die zufriedenen Abonnenten

    In der Komischen Oper gibt es meines Wissens keine Abonnenten...


    Welches Jahr war denn das? War das Felsenstein, Kupfer oder Bieito? Vielleicht bekommt man den betreffenden Sänger noch raus.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Beginn der Handlung? Gefühlt dauert das Tableau (oder sind es eher drei: Passanten - Gassenbuben - Zigarettendreherinnen) beinahe den ganzen ersten Akt. :untertauch: Eine halbe Stunde "Stimmung", eine Viertelstunde Handlung. (Und im zweiten Akt auch nicht viel besser)
    Da "Carmen" ja angeblich die weltweit am häufigsten gespielte Oper ist, scheint das im Theater gut zu funktionieren. Auf Konserve finde ich das eher eine Geduldsprobe, obwohl der "Schlager" Habanera dabei ist.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Auf Konserve finde ich das eher eine Geduldsprobe, obwohl der "Schlager" Habanera dabei ist.


    ...der in Wirklichkeit nicht mal von Bizet ist........


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Lieber Stimmenliebhaber!
    Das war tatsächlich die Kupfer-Inszenierung, die auch sonst noch einige Striche enthielt und, so weit ich mich erinnere, als Kurzfassung (Kupfer nannte es "eine Version") ohne Pause durchgespielt wurde.


    Lieber Johannes,
    da kann ich dir teilweise zustimmen: Wenn ich Carmen nur höre, überspringe ich auch gern das eine oder andere Zigeunerlied. Ich glaube, es ist weitgehend "Musik zum Schauen". Aber auf der Bühne - und gut besetzt, kann es schon mitreißen.


    Beste Grüße von
    Sixtus

  • Bekanntlich ist „Carmen“ meine Lieblingsoper, weil sich hier eine zündende Melodie an die andere reiht. Allerdings erlebt man die authentische Bizetsche Carmen nur, wenn man die Version mit den Dialogen kennt (also als opera comique, was ja nicht heißt, dass diese nicht dramatisch sein kann)
    Wenn man „Carmen“ mit ihrer Quelle, der hier schon erwähnten weit brutaleren Novelle von Prosper Mérimée vergleicht, so gibt es zwar einige Entsprechungen, besonders im 2. Akt, aber vom Charakter her sind die beiden Hauptfiguren entschieden anders. Bei Mérimée ist Carmen eine verheiratete Prostituierte, die Männer ausraubt. Don José ist bereits ein Mörder, ehe er Carmen umbringt, denn vorher hat er ihren Mann, einen Schmuggler getötet. Als Carmen ihn dann für einen Picador verlassen will, bringt er sie in den Bergen um.
    Die Carmen von Bizet mit dem Text von Henri Meilac und Ludovic Halévy entschärft die Novelle. Aus Carmen wird ein völlig anderer Charakter. Sie ist eine freie Zigeunerin, eine Frau, die sich die Männer, die sie umschwärmen, von Halse hält. Nur Don José, der sie zunächst nicht beachtet, zieht sie an. Für sie ist Liebe „un oiseau rebelle“, ein widerspenstiger Vogel und es ist „ganz vergeblich, wenn man ihn ruft und er ablehnt“. Die Habanera, die übrigens Bizet selbst geschrieben haben soll, sagt vieles über sie aus: „Der Eine spricht gut, der Andere schweigt, und es ist der Andere, den ich vorziehe“. Und schließlich „ Si tu ne m’aimes pas, je t’aime; si je t’aime, prend garde a toi! (Wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich,; aber wenn ich dich liebe, nimm dich in acht!). Insgesamt ist sie aber eher eine tragische Figur, die Ihren Tod voraussieht und schließlich auch selbst sucht.
    Der Don José ist, anders als der von Mérimée geschilderte, hitzige Mörder hier eher das zaudernde Muttersöhnchen.
    Andere Figuren sind teilweise hinzuerfunden. Die Textdichter stellen der Carmen als Kontrast das schüchterne Landmädchen Micaëla entgegen, das den verirrten José zur Mutter zurückzuziehen versucht. Der glänzende Torero ist kaum mit dem plumpen Picador aus Mérimées Novelle zu vergleichen. Auch für den Kinderchor im ersten Akt wird man in der Novelle keine Entsprechung finden, aber er belebt das Ganze und gibt ihm neben anderen Zutaten den Anstrich des Alltäglichen.
    Die Tragödie bahnt sich schon im zweiten Akt an, als José erst eine längere Zeit nach seiner Entlassung bei Carmen erscheint, die sich diesmal aus dem Schmugglergeschäft ausgeklinkt hat und auf ihn wartet, und er sie schließlich beim Zapfenstreich sofort verlassen will. Als er sich dann zwangsläufig den Schmugglern anschließen muss, kehrt er im dritten Akt den „Macho“ heraus, woran die Beziehung zu der freiheitsliebenden Carmen scheitern muss. Den Mord, den Carmen voraussieht, nimmt sie im vierten Akt bewusst in Kauf.
    Für mich ist immer noch die treffendste Inszenierung die von Karajan mit Grace Bumbry als verführerische Carmen, die alle Facetten dieser vielschichtigen Gestalt großartig verkörpert, aber auch Jon Vickers, der sehr gut den charakterschwachen José darzustellen weiß.

    Wenn ich hingegen die letzte Inszenierung der Carmen aus Lyon betrachte, lotet diese die Gestalt der Bizetschen Carmen in keiner Weise aus und entspricht bei weitem nicht dem Inhalt und Gehalt dieser Oper.

    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat

    Die Habanera, die übrigens Bizet selbst geschrieben haben soll.....


    Sagen wir mal - er hat sie selbst ABgeschrieben - oder bearbeitet ,nach dem Lied El Arreglito von Sebastián Yradier (1809-1865) Es befand sich einer Liedersammlung. Ein Zyniker hat mal gesagt, hätte Bizet damals eine andere Seite aufgeschlagen, dann wäre "La Paloma" heuter der Schlager der Oper.....



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gerhard hat sehr wichtige Dinge angeschnitten, die ich auch für unerlässlich halte, um die Oper "Carmen" zu verstehen. Sein Beitrag gefällt mir sehr gut. Die Umarbeitung nach der missverstandenen Uraufführung hat dem Werk letztlich nicht gut getan. Seinen Siegeszug um die Welt hat es als Stückwerk angetreten. Oft als Folklore missverstanden und gerade deshalb so beliebt. An die Stelle der Dialoge der opéra comique waren die derb gekürzten Rezitative getreten. Damit gingen entscheidende Informationen verloren. Ich kann sie hier nicht alle aufzählen. Auf eines aber will ich genauer eingehen. Carmen und José stammen aus der gleichen Gegend, nämlich aus Navarra. Ihre Heimatorte liiegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Theoretisch hätten sie sich sogar kennen können. Für beider Beziehung spielt das eine wichtige Rolle wie überhaupt solche Verortungen und Herkünfte in Spanien höchst sensibel wahrgenommen werden. Bis heute.


    Sie sind fast erschrocken, als sie das mehr zufällig erkennen. José auch deshalb, weil ihn ein Vorfall in der Heimat, der ihn nicht ganz freiwillig zum Militär nach Sevilla verschlug, schwer anhängt. Es wird auch in den Dialogen nicht ganz klar, ob er jemanden getötet hat wie es Gerhard aus der Novelle referierte. Es heißt, er sei beim Peloto-Spiel von einem Gegner, den er besiegt habe, angegangen worden und habe dabei "nochmals gewonnen". Ausdrücklich bezeichnet sich José als gläubigen Christen, der ursprünglich habe Prister werden wollen. Seine Mutter zoig gemeinsam mit dem Waisenmädchen Michaela in die Nähe von Sevilla, um dem Sohn in seiner Garnison gefühlt nahe zu sein. In Wirklichkeit aber dürfte es mehr eine Flucht vor der familiären Schande gewesen sein. Carmen nun wurde auch in Navarra geboren und erst viel später von Zigeunern nach Sevilla "gebracht", was offenbar milde ausgedrückt ist. Sie arbeitet in der Tabakfabrik, um "das zu verdienen, womit ich nach Navarra zurükkehren kann, zu meiner armen Mutter, die nur mich als Stütze hat", sagt sie in den Dialogen des hier wegen seiner Länge etwas verpönten ersten Aktes. Sie sieht sich als eine Unterdrückte, die beleidigt worden sein. Hier treffen sich Carmen und José. Beide sind ausgestoßen, leben am Rand. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass beider Schicksal eine hoch aktuelle Konstellation ist, bis hinein in die Firmulierungen der Dialoge


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Irgendwie habe ich momentan Zitierprobleme, also so zu "Sixtus": In der Premiere der Kupfer-Inszenierung sang ein farbiger Sänger namens David Arnold den Escamillo, wohl nicht besonders gut, der war ganz schnell wieder verschwunden. Danach sangen zumeist Roger Smeets oder Andrzej Dobber in dieser Inszenierung den Escamillo. Sollte es also nicht die Premierenbesetzung David Arnold gewesen sein, tippe ich mal ganz stark auf Smeets und ganz sicher nicht auf Dobber.


    Hier mal zwei Videos mit Roger Smeets, vielleicht erinnerst du dich, ob er es war oder nicht:


    "Figaro"-Graf



    und Petrus in "Der gewaltige Hahnrei"


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    das kann nur der Herr Smeets gewesen sein. Aber meine Erinnerung ist sehr unscharf, und so wichtig sind mir Dinge nicht, die mir schon vor zwanzig Jahren missfallen haben.


    Zum Thema Original oder Bearbeitung:
    Natürlich hat das Original Vorrang. Im Fall Carmen sehe ich das aber etwas differenzierter. Auf französischen Bühnen ist es keine Frage, dass man die Dialogfassung spielen sollte. Aber wenn etwa im deutschen Sprachraum ein international gemischtes Ensemble französisch parlieren muss, kann das das manchmal sehr bemüht klingen. Manchmal ist es gut, dass es mehrere Fassungen gibt. Und von Zeit zu Zeit hör ich die andre gern...


    Beste Grüße von Sixtus

  • Zitat

    Zitat von Alfred Schmidt: Sagen wir mal - er hat sie selbst ABgeschrieben - oder bearbeitet ,nach dem Lied El Arreglito von Sebastián Yradier (1809-1865)

    Lieber Alfred,


    das ist richtig, er hat diese populäre Habanera melodisch ein wenig umgearbeitet. Warum sollte Carmen bei ihrem Auftritt nicht ein spanisches Volklied singen? Die Verwendung verstärkt natürlich den Anstrich des Alltäglichen und sollte wohl auch dem spanischen Flair der Oper dienen. Mein Hinweis, dass er sie selbst geschrieben hat, bezog sich eher auf den Text, aus dem ich auch zitiert habe, um den Charakter der Bizetschen Carmen damit herauszustellen. Leider reicht mein Spanisch nicht aus, um den Text der Habanera von Yradier zu verstehen und zu vergleichen, wieweit auch Textteile daraus verwertet wurden. Vielleicht kann da jemand helfen, der besser Spanisch versteht. Meine Kenntnisse, die ich mir in den letzten beiden Jahren erarbeitet habe, reichen nur für ein paar Alltäglichkeiten, die ich im Urlaub verwenden wollte (Wir waren die letzten beiden Jahre in Spanien).
    Man muss aber die Geschichte der Bizetschen Habanera kennen, um besser zu verstehen, warum Bizet zumindest die Melodie verwendete: Seine Starsängerin Céline Galli Marié war mit dem Auftrittslied der Carmen nicht einverstanden. Sie wünschte etwas mehr Spanisches. Bizet hat angeblich 12 Versuche unternommen, die sie ablehnte. Erst den 13. Versuch, in dem er diese Habanera verwendete, stellte sie zufrieden. Es ist ja häufiger in der Oper so, dass für bestimmte Sänger auf Verlangen noch etwas hinzukomponiert werden musste.
    Da ich auch die spanische Zarzuela liebe (ich habe einige CDs davon und auch eine DVD-Aufnahme der Louisa Fernada), begeistert mich die Habanera immer wieder.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Aber wenn etwa im deutschen Sprachraum ein international gemischtes Ensemble französisch parlieren muss, kann das das manchmal sehr bemüht klingen.


    Wer sagt denn, dass das Ensemble im deutschen Sprachraum französisch parlieren MUSS? So wie Bizet die Sprache der Oper (Gesangstexte und Dialoge) so gewählt hat, dass sein Publikum ihn versteht (also französisch und nicht etwa als lokalkoloristischen oder idiomatischen oder sonstwelchen Gründen spanisch) ist es meines Erachtens das Selbstverständlichste von der Welt, diese Oper im deutschen Sprachraum so zu spielen, dass das Publikum den Text versteht, also Oper in der Landessprache bzw. in der Sprache des Publikums.


    In der Einschätzung das 4-Minuten-Dialoge zwischen den Musiknummern in französischer Sprache ziemlich unerträglich sein können (so erlebt noch 2009 an der Deutschen Oper Berlin), stimme ich ja gerne zu...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    nur davon bin ich ausgegangen, dass auch bei Dialogfassungen inzwischen weltweit die Originalsprache Standard ist. Und dann kommt außerhalb der Sprachgrenzen des Ursprungslandes eher die Fassung mit Rezitativen infrage. Und wenn Dialogfassung, dann diese in der jeweiligen Landessprache.


    Man könnte natürlich entgegnen, es gebe ja auch noch die Übertitelung. Ja, aber wenn das Publikum nur noch kopfnickend die Aufführung verfolgt, ist das auch keine ideale Lösung.


    Die Frage der Fassungen treibt anderswo noch buntere Blüten: Ich denke an Boris Godunow, der in vier Fassungen existiert - und aufgeführt wird: Ur-, Original-, Rimsky- und Schostakowitsch-Fassung! Ich kenne sie alle und höre sie alle gern mal wieder. Denn auch der Purismus des Originals ist eine anfechtbare Haltung, weil alle Fassungen irgendwann ihre Gründe hatten.


    Lassen wir also die Dirigenten die jeweilige Entscheidung treffen! Wenn sie hinter ihrer Wahl stehen, wird es am ehesten gut...
    Das meint zumindest
    Sixtus

  • Zitat

    Sie wünschte etwas mehr Spanisches. Bizet hat angeblich 12 Versuche unternommen, die sie ablehnte. Erst den 13. Versuch, in dem er diese Habanera verwendete, stellte sie zufrieden.


    Jetzt verstehe ich endlich - durch den Zusammenhang - den überlieferten Kommentar Bizets zu dieser Arie:
    "Die Leute wollen Dreck haben - Eh bien, sollen sie ihn haben" !!!!


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Zitat von Alfred Schmidt: Jetzt verstehe ich endlich - durch den Zusammenhang - den überlieferten Kommentar Bizets zu dieser Arie: "Die Leute wollen Dreck haben - Eh bien, sollen sie ihn haben" !!!!

    Lieber Alfred,


    es fragt sich nur, ob er das auf den Text oder die Musik bezieht. Es wäre interessant (was ich leider nicht kann, denn ich habe nur das Video gesehen, aber keinen Text des Liedes gefunden, den Text könnte ich - schwarz auf weiß - vielleicht mit meinen geringen Spanischkenntnissen und einem Lexikon noch verstehen), zu wissen, welchen Inhalt das Lied von Yradier hat. Der Text von Bizets Habanera aber charakterisiert für mich schon ein wenig die ganz andere Person, die Bizet aus der Carmen Mérimées gemacht hat. Vielleicht hat ja ein Tamino bessere Spanischkenntnisse, dass er uns den Inhalt von Yradiers Habanera vermitteln kann.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • nur davon bin ich ausgegangen, dass auch bei Dialogfassungen inzwischen weltweit die Originalsprache Standard ist.

    Nun finde ich, dass das in diesem Falle eine falsche Ausgangsbsis war: die Gründe dafür habe ich weiter oben bereits genannt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nun finde ich, dass das in diesem Falle eine falsche Ausgangsbsis war: die Gründe dafür habe ich weiter oben bereits genannt.


    Die Gründe überzeugen mich, wenn es um gesprochenen Dialog geht. Da leuchtet mir auch nicht ein, warum überwiegend Nicht-Franzosen vor nicht-französischem Publikum auf Französisch miteinander parlieren müssen. Beim Gesang bin ich allerdings kompromisslos: Originalsprache und sonst nichts, was ja zum Glück heutzutage der Standard ist. Selbst die Komische Oper Berlin hat ihre Fixierung auf deutschsprachige Aufführungen inzwischen aufgegeben. Dass dann bei einer Aufführung der Carmen zwischen französischem Gesang und deutschem Sprechtext gewechselt würde, finde ich nicht weiter tragisch.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Originalsprache und sonst nichts, was ja zum Glück heutzutage der Standard ist. Selbst die Komische Oper Berlin hat ihre Fixierung auf deutschsprachige Aufführungen inzwischen aufgegeben.

    Das ist mitnichten überall "Standard", an kleineren Häusern sowieso nicht, an mittleren auch nicht selbstverständlich und auch an der Komischen Oper nicht, wo immer noch viele Aufführungen nicht in Originalsprache, sondern in deutscher Sprache gespielt werden, wenn auch nicht alle.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Zitat von Bertarido: Dass dann bei einer Aufführung der Carmen zwischen französischem Gesang und deutschem Sprechtext gewechselt würde, finde ich nicht weiter tragisch.

    Das fände ich auch nicht schlimm. Es ist ja auch im Musicalfilmen so, dass sie deutsch synchronisiert sind, aber die Songs in englischer Sprache gesungen werden, was mich überhaupt nicht stört, weil das Wesentliche - und das ist auch bei vielen komischen Opern so - in den Dialogen gesagt wird. Allerdings fragt es sich, wie es klingen würde, wenn deutschsprachige oder andere, nicht französischsprachige Sänger auch noch französischen Text sprechen müssten und ob man das alles verstehen würde, wenn man die Sprache einigermaßen beherrscht. Und Über- oder Untertitel habe ich schon bei musikalischen Darbietungen nicht gerne, geschweige denn bei den wesentlich schneller gesprochenen Dialogen. Der tiefere Gehalt der Carmen wird aber erst richtig durch die gesprochenen Dialoge deutlich.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Das ist mitnichten überall "Standard", an kleineren Häusern sowieso nicht, an mittleren auch nicht selbstverständlich und auch an der Komischen Oper nicht, wo immer noch viele Aufführungen nicht in Originalsprache, sondern in deutscher Sprache gespielt werden, wenn auch nicht alle.


    Dann waren wohl all die Opernhäuser in Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Niederlande, Belgien, Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Ungarn und der Tschechischen Republik, die ich bisher besucht habe, keine kleinen oder mittleren Häuser.


    Dass es an der Komischen Oper nur noch Aufführungen in der Originalsprache gibt, habe ich auch nicht behauptet. Aber das Dogma, ausschließlich auf Deutsch zu spielen, das mir manche Aufführung dort verleidet hat, gilt nicht mehr.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ach, wir haben dieses Thema Originalsprachlichkeit vs. Landessprache oft genug diskutiert. Den Komponisten war erstaunlicherweise das Verstandenwerden, zumeist viel wichtiger als die Idiomatik der Originalsprache, aber die waren natürlich auch nicht so borniert wie manche Opernfans...


    Gerade in der tschechischen Hauptstadt Prag habe ich noch einen "Fidelio" in tschechischer Sprache gesehen und an der MET lief die "Fledermaus" noch vor wenigen Jahren in Englisch - wie es jetzt ist, weiß ich nicht genau, aber die Radikalität, mit der gewisse "Kenner" so etwas ablehnen, finde ich schon erschreckend...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Keine Angst, ich reite nicht länger auf der Originalsprache herum. Aber im Zusammenhang damit steht ja auch der Gesangsstil.
    Die Opéra comique (auch wenn es sich in Wahrheit um eine Tragödie handelt wie hier) hat einen Gesangsstil, der nicht nur der französischen Sprache Reverenz erweist, sondern sich stellenweise dem Chanson annähert.


    Bizet hat hier wohl deutlich machen wollen, dass er sich stilistisch weniger dem spanischen Stoff verpflichtet fühlt als seiner Nation. Und man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man Carmen (neben Gounods Faust) als französische Nationaloper einstuft. Deshalb nehmen sich allzu opulente Besetzungen manchmal unfreiwillig komisch aus (wie einst Corelli oder Vickers unter Karajan, während etwa Gedda und Angeles den Ton, wie ich glaube, recht gut treffen. Auch der Escamillo muss kein Kraftprotz sein (Gjaurov!), sondern eher ein schlanker, aber durchschlagskräftiger Bariton, dessen Stimme in allen Lagen gut anspricht (Tézier!).


    Weil aber kleinere Bühnen in ihren Besetzungen nicht so aus dem Vollen schöpfen können, wird Carmen wohl immer problematisch zu besetzen sein. Am einfachsten geht es bei der Micaela - einen passablen lyrischen Sopran hat jedes Haus.
    Das Filetstück hat hier ohnehin der Dirigent. Der kann, mit etwas Temperament, nicht viel falsch machen.
    Sind wir uns da untereinander einigermapen einig?


    Das fragt, mit besten Grüßen, Sixtus

  • Diese Diskussion gehört zwar nicht hierher, aber meines Wissens dominierte seit dem frühen 19. Jhd. bis Mitte des 20. Jhds. die Aufführung in der Landessprache (jedenfalls im Falle von deutsch, französisch, italienisch, englisch, wie das die slawischen und skandinavischen Länder gemacht haben, weiß ich nicht).
    Schon Mozarts italienische Opern wurden sehr zügig übersetzt. "Historisch korrekt" wäre daher vermutlich für die meisten Repertoire-Opern von Mozart bis Puccini eine Aufführung in Übersetzung...
    Es gibt jedenfalls keinen Grund, diese Praxis als staubiges Relikt der deutschen Provinz der 1950er rundheraus abzulehnen. Die Übersetzungen sind natürlich teilweise furchtbar, aber das lässt sich ja durch Neubearbeitungen ändern.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Weil aber kleinere Bühnen in ihren Besetzungen nicht so aus dem Vollen schöpfen können, wird Carmen wohl immer problematisch zu besetzen sein. Am einfachsten geht es bei der Micaela - einen passablen lyrischen Sopran hat jedes Haus.

    Sind wir uns da untereinander einigermapen einig?


    NEIN! :D


    Nein, wirklich, auch diese Diskussion wurde hier in diesem Forum vor nicht allzu langer Zeit geführt und ich habe darauf hingewiesen, dass die Micaela verdammt hoch liegt und keineswegs so einfach zu bewältigen ist, wie man sich das aufgrund ihres relativ geringen Rollenumfangs vielleicht vorstellen könnte. Ich habe jedenfalls schon weit mehr Micaelas in stimmlicher Not erlebt als etwa Carmen-Sängerinnen.


    Und dass jedes Haus einen "passablen" lyrischen Sopran hätte - nun ja... (Definiere "passabel"!)


    Soubretten könne die Rolle ganz sicher nicht singen und alles, was im lyrischen Fach wirklich "passabel" ist, geht an ein größeres Haus (nicht mal die ganz großen Häuser haben wirklich alle einen richtig tollen lyrischen Sopran (nicht selten eine scharfe Russin und "scharf" bezieht sich jetzt nichts aufs Aussehen...) oder strebt (mindestens) ins jugendlich-dramatische Fach (wo die Micaela in ihrer Arie auch hingeht).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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