Das Leben raubt uns mehr als der Tod - Lamento

  • Auf dieses Thema bin gekommen durch eine Bemerkung im Booklet der Pluhar-Cavalli-CD, wo der Biograph Cavallis, Olivier Lexa, zitiert wird: "Seine (Cavallis) atemberaubenden Lamenti über ostinatem Bass...inspirierten zahlreiche Komponisten..."
    Cavalli ist der ungekrönte König des Lamento, deswegen zitiere ich nicht einzelne Arien, weil die in jeder Oper vorkommen, sondern empfehle mal wieder die CD/DVD von Christina Pluhar, wo insbesondere Nuria Rial und Hana Blazikova den Lamentoton wunderbar treffen (unbedingt die Luxusversion mit der DVD bestellen, da kann man auch sehen, wie beseelt die beiden Soprane das singen)



    Die klassischen Lamenti sind natürlich die beiden von Monteverdi (Lamento d´Arianna, 1608, - ich vermute mal, Jordi Savall hat seine Tochter danach benannt, - und Lamento della Ninfa, 1638).
    Der Orfeo-Stoff war immer Anlass für ein Lamento, so findet es sich in der großen Szene des Orfeo bei Monteverdi und in der berühmten Arie bei Gluck.
    Beweint wird so gut wie immer der Verlust eines geliebten Menschen. Bis in die Moderne hinein kommt das Lamento vor. Ohne groß nachzusehen, fallen mir diese Werke ein:
    Janacek, Jenufa, 2. Akt: Jenufa erfährt vom Tod ihres Kindes: "Gestorben...gestorben...mein süßes Herzenskind..."
    Pfitzner, Palestrina, 1. Akt: "Lucrezia, als du mir noch im Leben..."
    Mahler, "Nicht wiedersehn"; hierhin gehören sicher auch die Kindertotenlieder und die Lieder eines fahrenden Gesellen.
    Humperdinck, Königskinder, 3. Akt: Spielmann "Wohin bist du gegangen, o Königstochter mein?" "Gestorben, verdorben..."
    Es gibt aber auch Verluste des Sinnes, so z.B. im ersten Akt Palestrina, im Duett von Silla und Ighino: "Man geht und weint, weil man geboren ist...Lass jetzt das Leid der Welt..." Auch Palestrinas große Arie im ersten Akt gehört hierhin.
    Mahler: "Ich bin der Welt abhanden gekommen."

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • In der Alten Musik ist das Lamento nicht auf die Oper beschränkt, als "Lamentatio" hat sie ihren festen Platz in der Liturgie. Dazu werden bestimmte biblische Texte immer wieder neu komponiert. Dazu gehört das "Stabat Mater" mit vielen berühmten Kompositionen (z.B. von Palestrina und Scarlatti), das "Miserere" (z.B. von Allegri). Sehr beliebt war auch die Absalom-Geschichte. David hatte Befehl gegeben, seinen aufrührerischen Sohn Absalom nicht zu töten. Sein Feldherr Joab handelte wider diesen Befehl. Davids Klage "Absalom" wurde oft vertont, etwa von Josquin, Thomas Weelkes, Thomas Tomkins und Heinrich Schütz. Ein anderer Topos war die Verwüstung von Jerusalem im Jahre 589 vor Chr. durch Nebukadnezar. Hier haben wir Werke von Tallis (Lamentationes Jeremiae), Byrd (Ne, irascaris, Domine). Die Oberschicht wurde nach Babylon weggeführt; von in ihrem Schicksal berichtet Psalm 137 ("An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten...). Praktisch jeder Komponist hat die lateinische Fassung ("Super flumina Babylonis") komponiert, besonders eindrucksvoll Tomás Luis de Victoria.
    Eine weitere Gattung der Lamentos kann ich mir hier ersparen, es handelt sich um die Klage auf verstorbene Komponisten. Diese Beispiele finden sich in meinem thread "Tombeaux".

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Den Lamentationes Jeremiae von Thomas Tallis (1505-1585) bin ich in einem Konzert der King's Singers vor vielen Jahren erstmals begegnet. Es war eine meiner beeindruckendsten musikalischen Erfahrungen. Jahre später brachte dieses Ensemble diese CD heraus. Auf der vorliegenden Einspielung sind es die Hörschnipsel Track 8 bis 16.



    Aus YouTube findet man verschiedene Beispiele des gesamten Werkes. Das estnische Ensemble Heinavanker singt, wie ich meine, vorzüglich.



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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber moderato, klick mal bei YouTube Byrd "Ne irascaris Domine" mit Stile Antico (nicht Sile, wie dort steht) an. Viele von den lamenti, die ich erwähnt habe, habe ich selber gesungen, herausragend dabei dieser Tallis und dieser Byrd. Du kannst dir vielleicht vorstellen, was für eine tolle Erfahrung es ist, diese Musik nicht nur zu hören, sondern selbst zu singen, und dabei ganz tief in das Stück einzudringen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Lieber dr. pingel


    Chorgesang zählt für mich zu den tiefsten musikalischen Erfahrungen, die man erleben kann. Ich singe als Tenor über 35 Jahre im gleichen Chor und kann nur jedem und jeder raten, sich aktiv mit Gesang auseinanderzusetzen. Es ist nie zu spät damit zu beginnen.


    Ich habe eine grosse Leidenschaft für mehrstimmige Gedänge der Tudor-Zeit. Stile Antico singt diesen kunstvollen polyphonen Satz "Ne irascaris Domine" von William Byrd (1543-1623). Ich erlaube mir, den YouTube Beitrag hier zu setzen.



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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Ich wage den Sprung in die (fast) Gegenwart und nenne hier Lears Lamento über seine tote Tochter Cordelia. Leider findet sich auf youtube nur ein technisch unzulänglicher Mitschnitt der damaligen 3-sat-Übertragung:



    Trotzdem, läßt man sich auf diese Totenklage ein, ist es nur schwer, sich nicht von der tiefen Trauer überwältigen zu lassen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Danke, lieber Michael für diesen Beitrag. Wirklich eindrucksvolle Musik. Ich habe den Lear damals in Düsseldorf gesehen; das war eine tolle Musik und eine tolle Aufführung.
    Von mir noch eine weitere Empfehlung. Dietrich Buxtehude, ein Lamento auf seinen Vater, gesungen von Andreas Scholl:
    "Muss der Tod denn auch entbinden..." (findet sich bei YouTube).

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