"Und nun ade, mein herzallerliebster Schatz,
Jetzt muß ich wohl scheiden von dir, von dir,
Bis auf den andern Sommer,
Dann komm´ ich wieder zu dir!
Ade! Ade!, mein herzallerliebster Schatz,
mein herzallerliebster Schatz!
Und als der junge Knab´ heimkam,
Von seiner Liebsten fing er an:
"Wo ist meine Herzallerliebste,
Die ich verlassen hab´? "
„Auf dem Kirchhof liegt sie begraben,
Heut´ ist´s der dritte Tag!
Das Trauern und das Weinen
Hat sie zum Tod gebracht!“
Ade, ade, mein herzallerliebster Schatz,
Mein herzallerliebster Achatz!
"Jetzt will ich auf den Kirchhof geh´n,
Will suchen meiner Liebsten Grab,
Will ihr all´ weile rufen, ja rufen,
Bis daß sie mir Antwort gab.
Ei du, mein herzallerliebster Schatz,
Mach´ auf dein tiefes Grab!
Du hörst kein Glöcklein läuten,
Du hörst kein Vöglein pfeifen,
Du siehst weder Sonne noch Mond!
Ade, ade, mein herzallerliebster Schatz,
mein herzallerliebster Schatz! Ade!“
Das Thema „Abschied“ war für Mahler ganz offensichtlich eines, von dem er sich bei seiner Auswahl aus den Texten von „Des Knaben Wunderhorn“ leiten ließ. Er hat ihm, wie die Lieder „Aus! Aus!“ und „Scheiden und Meiden“ gezeigt haben, ganz unterschiedliche musikalische Akzente verliehen. Hier, bei diesem Lied, ist es der einer so tief anrührenden Schmerzlichkeit, dass man wohl von einer starken Betroffenheit Mahlers durch die Aussage des lyrischen Textes sprechen darf. Das den Hörer so Anrührende, ihn betroffen Machende ist bei diesem Lied, dass es die Schmerzlichkeit der Lebenserfahrung, die sein zentraler Gegenstand ist, in einer stufenweisen Steigerung der Expressivität zum Ausdruck bringt, wobei diese einen Grad erreicht, den man bei der piano einsetzenden und „schwermüthig“ vorzutragenden melodischen Linie gar nicht erwartet.
Mit einem leisen, wie verloren wirkenden Rufton, einem zweimaligen, in eine Dehnung mündenden Sekundsprung und –fall setzt das Lied ein. Die melodische Linie bewegt sich ruhig in tiefer und mittlerer Lage, zunächst in Fis-Dur harmonisiert, dann aber bei dem Wort „Schatz“ in die Grundtonart h-Moll übergehend. Bei den Worten „bis auf den anderen Sommer“ gipfelt sie in Gestalt eines Sextsprungs zu einem hohen „D“ erstmals auf, das Gewicht der Aussage – Trennung auf ein ganzes Jahr – reflektierend. Und eine solche Aufgipfelung ereignet sich dann noch einmal, und das in deutlich expressiverer Form, bei den Worten „zu dir“, am Ende der ersten Gedichtstrophe also. Die Worte „Ade, mein herzallerliebster Schatz“ sind Hinzufügungen Mahlers. Zwar ereignet sich hier wieder ein Sextsprung in der Melodik, der mündet aber in eine mezzoforte deklamierte Dehnung, die in cis-Moll harmonisiert ist. Sie geht mit einem Sekundfall unmittelbar in das erste „Ade“ über, das auf einem in h-Moll stehenden Quartfall deklamiert wird.
Mahler hat die mit dem Ade-Ruf eingeleitete Passage nicht aus Gründen einer vordergründigen klanglichen Bereicherung des Liedes hinzugefügt, sie hat vielmehr einen tiefen kompositorischen Sinn: Sie ist gleichsam die Quelle der musikalischen Aussage. Wie eine Art Refrain erklingt sie am Ende der ersten, der dritten und der letzten Strophe. Und obwohl die Struktur der melodischen Linie im wesentlichen identisch ist, weist sie kleine, aber bedeutsame Modifikationen auf, die zusammen mit dem anders angelegten Klaviersatz den an den „Herzallerliebsten Schatz“ gerichteten Ade-Ruf in seiner klanglichen Schmerzlichkeit deutlich steigern. Dieser Refrain reflektiert in seinem klanglichen Charakter die gemachte Erfahrung: Auf den Abschied mit der Hoffnung auf Wiederkehr, auf die Nachricht vom Tode der Geliebten und auf die imaginative Begegnung mit ihr am Grab. Und er entfaltet eine so starke Wirkung gerade weil die die Expressivität steigernden Modifikationen seiner Faktur auf der Grundlage einer strukturell identischen Melodik erfolgen. Es ist die im wesentlichen immer gleiche, zwei Mal in Sekunden aus mittlerer in tiefe Lage erfolgende Fallbewegung, durchweg in Moll harmonisiert, im ersten Fall aber in einen Aufstieg (Terzsprung bei „Schatz“) mündend, und erst im zweiten über eine ganze Oktave in die Tiefe sinkend.
Höchst beeindruckend und ein Beleg dafür, wie großartig Mahler lyrische Sprache in ihrem Gehalt und ihrer Gestalt in Musik umzusetzen vermag, ist das, was nun liedmusikalisch geschieht. Gerade ist die melodische Linie bei dem zweiten „herzallerliebster Schatz“ in die Tiefe eines „D“ der h-Moll-Harmonik versunken, da rafft sie sich mit dem „Und“ am Anfang des ersten Verses der zweiten Strophe neu auf. Sie setzt zwar auf dem gleichen Ton an, geht aber von da aus in eine Aufwärtsbewegung über, und das auch noch verbunden mit einer harmonischen Rückung von h-Moll nach Fis-Dur.
Und nun kommt es sowohl melodisch, wie auch harmonisch zu einem Steigerungseffekt, der hinführt zu der Frage, die im Zentrum der Strophe steht: „Wo ist meine Herzallerliebste?“ Die in Fis-Dur harmonisierte Aufstiegsbewegung der melodischen Linie des ersten Verses wird von der melodischen Linie auf dem zweiten Vers („von seiner Liebsten fing er an“) fortgesetzt, allerdings um eine Terz angehoben und nun in A-Dur harmonisiert. Das C-Dur, in dem die Melodik der so wichtigen Frage einsetzt, wirkt hier wie das Ziel, auf das sich die harmonische Modulation der vorangehenden Melodiezeilen hinbewegt. Bei den Worten „die ich verlassen hab´“ geht die Vokallinie dann allerdings wieder in eine in b-Moll gebettete Fallbewegung in Sekundschritten über, die in tiefer Lage endet. Das Klavier vollzieht sie im kurzen Zwischenspiel noch einmal.
„Wie fernes Glockenläuten“ (Vortragsanweisung) klingt das Auf und Ab der Klavierbass-Oktaven, die die melodische Linie auf den Worten „Auf dem Kirchhof liegt sie begraben“ begleiten. Auch sie bewegt sich, zwischen h-Moll und e-Moll-Harmonisierung pendelnd, zunächst in tiefer Lage, geht dann aber bei den Worten „das Trauern“, um ihnen einen Akzent zu verleihen, mit einem Sextsprung in höhere Lage über, das aber nur, um sich danach wieder einer Fallbewegung zu überlassen, - schließlich geht es um „Trauern“, Weinen“ und den „Tod“.
Hier nun, bei dem Wort „gebracht“, kommt es zu dem melodisch und harmonisch expressiven Sextsprung, den man schon vom Ende der ersten Strophe her kennt: Er ist mit einer Rückung nach cis-Moll verbunden und leitet zum zweiten Auftritt des Ade-Refrains über. Die Todeserfahrung, die das lyrische Ich gerade machte, hat zur Folge, dass nun die erste Fallbewegung mit einem verminderten Sekundfall einsetzt und schmerzerfüllte Klage in die melodische Linie tritt. Das Klavier lässt hier im Bass ein dumpfes Auf und Ab von tiefen Oktaven erklingen. Die vierte Strophe ist in ihrer melodischen Struktur und ihrer Harmonisierung mit der zweiten weitgehend identisch, bis auf die Wiederholung der Fallbewegung auf dem Wort „rufen“ mit einem vorgeschalteten „ja“. Der Klaviersatz weicht durch die dumpfen Oktav-Glockentöne von dem der zweiten ab. +++
Mit der fünften Strophe kommt ein klanglich lieblicher ton in das Lied, der auf dem Hintergrund der zuvor so dominanten Moll-Harmonik geradezu überrascht. Das lyrische Ich spricht in einer imaginativen Vergegenwärtigung der Toten seine Geliebte an, und das in einem melodisch überaus zärtlichen Gestus. Die melodische Linie bewegt sich, einem reinem H-Dur harmonisiert, sehr ruhig. Die Worte „dein tiefes Grab“ werden durch eine Aufgipfelung mit nachfolgendem Quartfall klanglich hervorgehoben. Da die Verse drei und vier jeweils mit den Worten „du hörst“ eingeleitet werden, liegt auf beiden die gleiche, leicht wehmütig anmutende Fallbewegung in Sekundschritten. Aber der schmerzliche Klageton bleibt fern: Auch hier keine Moll-Harmonik, vielmehr eine Rückung in die Dominante. Diese Passage des Liedes ist auch deshalb klanglich so eingängig, weil das Klavier der Bewegung der melodischen Linie mit Terzen im Diskant folgt und im Bass anfänglich bogenförmig auf und ab steigende Staccato-Viertel erklingen lässt.
Der letzte Ade-Refrain wirkt mit seinem Ausbruch der Liedmusik in leidenschaftliche Expressivität wie ein starker Kontrast zum zärtlich Ton gerade davor. Forte setzt die Singstimme mit der Deklamation der Worte „Ade! Ade!“ ein, - in der bekannten Fallbewegung. Das Klavier folgt ihr mit forte angeschlagenen vierstimmigen Akkorden im Diskant über den Oktav-Glockenschlägen im Bass. Bei den Worten „mein herzallerliebster Schatz“ steigt die melodische Linie nun – abweichend von den beiden Fällen davor – mit einem Quartsprung in hohe Lage auf und geht von dort in eine Fallbewegung über. Bei der Wiederholung beschreibt sie erneut eine Sprungbewegung, nun aber eine Terz tiefer ansetzend. Und dann wird jedem Ton auf dem Wort „herzallerliebster“ mit einem Portato großes Gewicht verliehen, - auch dadurch, dass das Klavier das melodische Auf und Ab in Sekundschritten in akzentuierter Weise mitvollzieht.
In den beiden letzten Takten steigert sich das Lied in seiner schmerzlichen Expressivität auf den Höhepunkt. Bei der langen, forte vorgetragenen Dehnung auf dem Wort „Schatz“ lässt das Klavier im Bass ein zweifaches Tremolo erklingen, über dem im Diskant e-Moll-Terzen eine Fallbewegung beschreiben. Und während dieses Tremolo noch anhält, deklamiert die Singstimme fortissimo, jeden einzelnen Ton mit einem Portato versehend, das letzte „Ade“ auf einem in eine lange Dehnung mündenden doppelten Sekundfall. Diese Dehnung, die das Klavier mit einem in einem Tremolo verklingenden h-Moll-Akkord begleitet, liegt nicht auf dem Grundton „H“, vielmehr auf der Quinte „Fis“.
Das ist ein gleichsam offener Schluss in der Melodik des Liedes, der den Schmerz des lyrischen Ichs kein Ende finden lassen will.