Am 24. November 1800 erlebte die Oper "Das Waldmädchen" am Stadttheater in Freiberg seine Uraufführung. Gewidmet hatte sie der junge Komponist der sächsischen Kurfürstin Maria Amalia Auguste. Im Archiv des Mariinsky-Theaters war vor 15 Jahren ein Manuskript der Oper aufgetaucht, die Carl Maria von Weber 1800 komponierte. Ein Notenexemplar wanderte 1806 auch in den Bücherbestand der zentralen Musikbibliothek der Direktion der kaiserlichen Theater Sankt Petersburg, des heutigen Mariinsky Theaters. Dieses Exemplar verhilft nun zur Wiederaufführung am Ursprungsort in Deutschland, denn alle anderen Partituren gelten als verschollen. Erst im Jahr 2000 entdeckte die Wissenschaftlerin Natalia Gubkina, die über das deutsche Musiktheater in Russland geforscht hatte, die Noten von Webers Erstlingsoper in St. Petersburg wieder. Nun bringt das Mittelsächsische Theater Freiberg das Werk für Orchester, Chor und Solisten erstmals wieder auf die Bühne. 2010 hatte Dirigent Valery Gergiev im Mariinsky-Theater nur Ausschnitte aus der Oper in einem Konzert vorgestellt. Für die Wiederaufführung wurde nun ein entsprechender Vertrag mit dem Mariinsky-Theater St. Petersburg geschlossen. Für eine szenische Umsetzung gebe es jedoch keine Erlaubnis.
Ein ehrgeiziger Vater, ein hochbegabter Teenager und ein singender Prinzipal, der unbedingt eine neue Oper herausbringen wollte - das war der Humus, auf dem Carl Maria von Webers "Waldmädchen" gedieh. Es handelt sich um die erste Oper des Komponisten, die im Stadttheater von Freiberg auch aufgeführt wurde.
Freiberg war um 1800 mit 25.000 Einwohnern eine prosperierende Stadt (das war damals mehr als die Hälfte von München!), reich geworden durch den Bergbau. Dorthin war die Familie Weber gezogen, um Geld zu verdienen, wobei Carl Maria als musikalisches "Wunderkind" gleich mit vermarktet wurde. Der Prinzipal der Freiberger Theatertruppe - ein gewisser Karl Ritter von Steinsberg, Sänger und Schauspieler aus Böhmen - schrieb ein Libretto, das so ziemlich alles beinhaltete, wovon man sich damals Erfolg versprach: Ritter und Knappen auf Bärenjagd, ein adliges Fräulein, das nicht den Mann lieben darf, den es wirklich liebt und deshalb vom Vater drangsaliert wird, inklusive eines Happy End, denn es ist ja eine komisch-romantische Oper!
Dem 14-jährigen Weber bot diese Vorlage Gelegenheit, sein Ausnahmetalent unter Beweis zu stellen. Natürlich klingt so manches nach Mozart und (Michael) Haydn, der Webers Lehrer war. Zugleich aber zeichnet sich punktuell etwas von der musikalisch-romantischen Aufbruchsstimmung jener Zeit ab, indem Weber zum Beispiel mit reichlich "Hörnerschall" arbeitete, schon einen Jägerchor schrieb und sich mitunter die harmonisch-düstere Stimmung einer Wolfsschlucht-Szene im "Freischütz" abzeichnet.
"Als Zeichen des tiefen Respekts vor den langen Traditionen der kulturellen und historischen Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland sowie in dem Bemühen, die weitere Entwicklung dieser so wichtigen Traditionen zu unterstützen, überlässt die Direktion des Mariinsky Theaters dem deutschen Partner die einzigartigen Aufführungsmaterialien der Weber-Oper "Das (stumme) Waldmädchen" für die Aufführung dieses Werkes am historischen Ort, auf der Bühne des Freiberger Stadttheaters." (Grußwort der Direktion des Mariinsky-Theaters St. Petersburg).
Quelle: MDR.de
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Seit 1952 ist an Deutschlands ältestem Stadttheater, dem Theater in Freiberg, eine Tafel angebracht, dass hier am 24. November 1800 die erste Oper Carl Maria von Webers uraufgeführt wurde. Der Titel der Oper des Vierzehnjährigen steht nicht mit auf der Tafel, und wer sie kennenlernen wollte, war auf Mutmaßungen der Exegeten und Biografen des „Freischütz“-Komponisten angewiesen. Denn „Das stumme Waldmädchen“ war, nach weiteren Aufführungen in Chemnitz, St. Petersburg, Wien und Prag, bereits zu Webers Lebzeiten verschollen.
Mit einer stummen, nur pantomimisch und tanzend agierenden Titelrolle in der Oper war der junge Weber der 1828 in Paris uraufgeführten Revolutionsoper „La Muette de Portici“ von Daniel-François-Esprit Auber um mehr als ein Vierteljahrhundert vorausgeeilt.
Erstaunlicherweise machte sich der Komponist, den das Thema des weiblichen Kaspar Hauser-Falles offenbar nicht losließ, zehn Jahre später auf ein neues Libretto (von Franz Carl Hiemer) an eine Neukomposition dieses Stoffes. Der Uraufführung der „Silvana“, 1810 in Frankfurt am Main, folgte zwei Jahre später in Berlin eine nochmalige Neufassung, u. a. mit zwei zusätzlichen, umfangreichen Arien.
Vom Librettisten der Urversion, Karl Guolfinger Ritter von Steinsberg, hatten sich nach seiner Tätigkeit am Theater in der Leopoldstadt in Wien die Spuren verloren. Der Theater-Impresario hatte aber eine Partitur von Webers Opernerstling mit nach St. Petersburg genommen. In der Zentralen Musikbibliothek der Direktion der kaiserlichen Theater, der nachmaligen Bibliothek des Mariinsky Theaters, lagerte diese, von der musikliebenden Öffentlichkeit unbeachtet, seit 1806 im historischen Bücherbestand. Vor fünf Jahren wurden im Mariinsky Theater Ausschnitte der Oper „Das Waldmädchen“, die 21 Nummern plus Ouvertüre umfasst, in einem Konzert vorgestellt. Das Jubiläum des 250-jährigen Bestehens der TU Bergakademie Freiberg und das 225-jährige Jubiläum des Theaters boten den Rahmen für die Wiederaufführung der hier kreierten Oper.
Ansprachen vor Beginn der Premiere, Intendant Ralf-Peter Schulze und ein in russischer Sprache und in deutscher Übersetzung verlesenes Grußwort von Valery Gergiev, jubelten das Ereignis entsprechend empor: „Das Auftauchen dieser Oper in Sankt Petersburg, ihre Erstaufführung im Jahre 1804 und die Aufbewahrung in den Archiven unserer Bibliothek spiegelt eine der grundlegenden Besonderheiten der russischen Theatergeschichte wider, nämlich die ständige Präsenz verschiedener deutscher Theatertruppen und Theaterunternehmen im russischen Hoftheatersystem“, heißt es beim russischen Dirigenten korrekt. Aber dessen Begründung, warum das Aufführungsmaterial Freiberg überlassen wurde, erscheint fragwürdig: „als Zeichen des tiefen Respekts vor den langen Traditionen der kulturellen und historischen Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland sowie in dem Bemühen, die weitere Entwicklung dieser so wichtigen Traditionen zu unterstützen, überlässt die Direktion des Mariinsky Theaters dem deutschen Partner die einzigartigen Aufführungsmaterialien der Weber-Oper ‚Das (stumme) Waldmädchen’ für die Aufführung dieses Werkes am historischen Ort, auf der Bühne des Freiberger Stadttheaters“.
In Webers Partitur verblüfft die sichere Beherrschung der klassischen Stilmittel und die gekonnt wirkungsvolle Instrumentation, insbesondere in den Szenen des Waldmädchens.
Quelle: NMZ.de
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Konkrete Vorlage für die "Waldmädchen"-Oper, die ihrerseits Vorlage für Webers 1810 in Frankfurt aufgeführte Oper "Silvana" wurde, war wahrscheinlich ein gleichnamiges Ballett das in Wien mit der Musik von Paul Wranitzky sehr populär war und das Steinbergs Theater-Ensemble zeitweilig im Spielplan hatte. Im Zentrum des amourösen Ritterstücks steht das Auffinden eines stummen Waldmädchens, das sich zuguterletzt als totgeglaugbte Schwester einer Fürstentochter entpuppt, auf wunderbare Weise die Sprache wiederfindet und ein Happyend dreier Paare ermöglicht. Das Thema im Wald aufgefundener "wilder" und anderer Findelkinder, zur Erörterung der Frage über angeborene oder erworbene Sprache und Zivilisation war seit der Aufklärung bis hin zum "Kaspar Hauser"-Roman Jakob Wassermanns äußerst populär.
Nur wenige Quellen gibt es zur Aufführungsgeschichte der nachweislich ersten aufgeführten Oper Carl Maria von Webers. Auch haben sich im St. Petersburger Material offenkundige Schreibfehler eingeschlichen. Bei der Freiburger Ausgrabung hat man sie korrigiert. Dialoge und Regieanweisungen gingen verloren. Der Freiberger Intendant Ralf-Peter Schulze hat deshalb die 21 Musiknummern mit neuen, launigen Zwischentexten versehen, die vom Schauspieler Oliver Niemeyer gesprochen werden.
Quelle: dieterdavidscholz.de
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http://www.swr.de/swr2/program…0748564/ooi9vs/index.html
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Ich habe die (vorerst) letzten beiden konzertanten Aufführungen am 18. und 19. Dezember 2015 in Freiberg besucht und werde demnächst über meine Eindrücke berichten.
LT