Oper: “Darstellung mit Stimme und Gesang” und/ oder “Spiel auf der Bühne”?

  • Liebe Taminos,
    leider habe ich mich im Goerne-thread etwas zum schwadronieren hinreißen lassen und es wurde ganz zu recht darauf verwiesen, dass es dort um diesen großartigen Sänger gehen sollte. Nun erging dort aber der Vorschlag, über die dort angeschnittene Thematik doch vielleicht noch einmal ausführlicher zu diskutieren. Also habe ich mir als Zitat zwei Bemerkungen von Caruso41 geliehen (er möge es mir verzeihen) und als Titel für diesen neuen Faden genutzt.


    Oper ist ein Erlebnis mit den Sinnen, insbesondere dem Hören und Sehen. Das Hören wiederum lässt sich in die Teile "Musik" und "Text" unterteilen, die seit Beginn der Oper in einem - meist fruchtbaren, aber mitunter auch kritisch reflektierten - Verhältnis stehen. Ungeachtet dieser Differenzierung ist Oper vor allem "hören" und "sehen". Hier gab es im anderen thread eine Auseinandersetzung über die Frage der Darstellung. Der Begriff der "Darstellung" wurde zum einen im Sinne einer stimmdarstellerischen Auffassung braucht, auf der anderen Seite primär auf das visuelle Erfahrbarkeit bezogen. Zweifellos greifen beide ineinander. Aber wie? Und wie gewichtet Ihr das? Hier soll es nicht um eine theoretische Reflexion gehen (auch wenn ich die nicht ausschließen will), sondern um eigenes, konkretes Erleben. Erinnert Euch doch vielleicht daran, was die ersten oder prägendsten Erlebnisse waren und was davon tendenziell mehr in der Erinnerung geblieben ist (z. B. Stimme oder darstellerische Komponenten). Ist hier vielleicht mit der Zeit eine Veränderung zu beobachten?
    Um es gleich vorweg zu nehmen. Ich verfolge mit diesem Faden keine Fragen, die ich klären will, aber mich interessiert sehr, wie optischer und musikalischer Eindruck im Erleben von Oper ineinandergreifen und wie ihr das erlebt. Ich möchte einfach ein wenig zum Nachdenken darüber anregen, wie Oper erlebt wird. Der Fokus soll der auf den Ländern und Sängerinnen ihrer stimmlichen und darstellerischen Kunst liegen. Die Inszenierung käme als weiterer Faktor dazu, den ich hier aber - obwohl das vielleicht methodisch unzulässig ist - gern ausblenden möchte.
    Ich würde mich freuen, wenn sich jemand fände, der sich auf diesen Austausch einlassen mag.


    Beste Grüße zum vierten Advent
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber JLang,


    ich habe das an verschiedenen Stellen schon erläutert, wie ich Oper sehe. Sie ist für mich eine von ihrem Schöpfer vollendete Komposition aus Text, Musik und Vorschrift zur bildlichen Darstellung. Das Auge hört daher sozusagen mit. Die einzelnen Teile bedeuten für mich eine Einheit, die ich nur insgesamt gewichte. Wenn die Darstellung nicht zu Text und Musik passt, ist das für mich ein Missklang. Daher auch meine Abneigung gegen Darstellungen, die keinen Wert auf die zur Komposition gehörende Handlung und - soweit diese schon vom Titel her zeit- und ortsgebunden ist - auch auf diese Kriterien legt. Wäre sie eine reine Darstellung mit Stimme und Gesang und würde ich nur auf diese Wert legen, dann könnten alle Opern nur noch konzertant aufgeführt werden. Aber das ist für mich nicht der Sinn der Oper.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat Gerhard Wischniewski,

    Zitat

    Das Auge hört daher sozusagen mit.


    Das ist sicher so, aber die Frage, die sich mir stellt, ist, inwiefern dem Auge bei der darstellerischen Darbietung der Vorzug gegeben wird. Bei Dir scheint mir das ganz eindeutig: primär ist die Aufmerksamkeit auf das Visuelle gerichtet. Klar, die darzustellende Handlung in der Regel zeit- und ortsgebunden, aber sie hat ja weit mehr zu bieten, sie hat sehr fundamentale, ganz und gar überzeitliche Gefühle (Hass, Eifersucht, Verzweiflung etc.) zum Inhalt. Das innere Wesen von Opernfiguren in Gestalt und Ton und ihre jeweilige konkrete Umsetzung wären hier für mich also von größerem Interesse. Aber in diese Richtung soll es gar nicht gehen. Um noch einmal deutlich zu werden: eine Inszenierung will ich hier zumindest als Experiment ausblenden. Darstellung auf der Bühne in Gestalt und Ton sollen nach Möglichkeit im Fokus stehen. Für die anderen Fragen existieren hier im forum nun wahrlich hinreichende Anschlussmöglichkeiten ;)


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Keine optische Darstellung der Welt kann eine aufgefeilte und überzeugende stimmliche Interpretation oder Charakter-Gestaltung aufwiegen oder ersetzen.
    Natürlich ist die Oper eine Kombination aus vielen Faktoren. Grundvoraussetzung für mich persönlich ist aber die musikalische Gestaltung. Das Rüstzeug dafür, das Interpretation überhaupt ermöglicht, ist für mich stimmliche Kontrolle und technisches Rüstzeug - das Singen KÖNNEN. Erst mithilfe der Kontrolle über die Stimme kann man dem Gesang Farben und dynamische Nuancen verleihen, einen musikalischen Charakter entwickeln.
    Alles was auf der Bühne über eine der Musik entsprechende glaubhafte Darstellung/Schauspielen hinausgehtauf, ist für mich Draufgabe.


    Mir ist es im Zweifelsfall viel lieber, ein Sänger kann mit seinem Gesang einen Charakter plastisch zeichnen und er bleibt ein durchschnittlicher Darsteller, als er zerreisst sich darstellerisch und hat stimmlich und als musikalischer Interpret wenig zu bieten.

  • Lieber Jörn,


    es gibt einen Opernfilm mit Netrebko und Villazon, wo ich Ausschnitte gesehen habe. Den finde ich einfach schrecklich, weil nämlich klar ist, dass hier Playback gesungen wird. So wie die beiden da vor der Kamera agieren und posieren, kann man das unmöglich zugleich singen. Da geht die Einheit von Singen und Handlung auf der Bühne verloren, die für die Oper konstitutiv ist.


    Die andere Frage ist etwas schwieriger zu beantworten, ob es so etwas wie ein betont "darstellendes" Singen gibt. Da müßte man vielleicht einen Sänger fragen, wie das Agieren auf der Bühne Einfluß auf das Singen bzw. den Gesangs- und Vortragsstil hat.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Kann man also in einem Tondokument Sänger als Darsteller erkennen? Ja, wie ich finde. Es sollte sogar das Ziel sein. Jedoch nicht grundsätzlich, weil es zwischen Oper und Lied oder Oratorium Unterschiede gibt, die auch Unterschiede bleiben sollten. Dazu vielleicht noch später mehr. In jüngster Zeit sehe ich dieses Vermögen oft unterentwickelt und vernachlässigt. Das hängt auch damit zusammen, dass Partien in der Originalsprache oft nur phonetisch gelernt werden. Sieger wissen oft gar nicht, was sie singen. Wo soll sich da der darstellende Ausdruck herleiten?


    Hinzu kommt, dass die Opernsprache oft im Konflikt zur heutigen Sprache steht. Bei der Ausbildung wird dieser Tatsache nicht genügend Rechnung getragen. Gerade bei Wagner fallen einem Sachen auf, die zum Himmel schreien und den jeweiligen dramatisch Moment unfreiwillig ins Lächerliche ziehen, zumindest aber konterkarieren. Im Thread über Matthias Goerne, dem ja JLang dieses Thema entnahm (Danke :hello: ), war mir der Hinweis wichtig, dass dieser Sänger als "Rheingold"-Wotan sprachlich so genau ist, Dinge zum Klingen bringt, die anderswo total untergehen und missverstanden bleiben - wie dieses "hallt mir dein Wort" gegenüber Erda.


    In der Vergangenheit - leider muss man immer wieder darauf zurückkommen - wurde nach meiner Beobachtung auf das gestalterische Vermögen bei Plattenproduktionen viel mehr Wert gelegt als heutzutage. Drei Beispiele möchte ich anführen:



    Alle drei Aufnahme - es könnten noch mehr sein - sind wie Theater. Man sieht wie in einem Panorama vor sich, was geschieht, wird in die Handlung hineingezogen. Die Akteure werden singend zu Fleisch, um es etwas drastisch zu formulieren. Es war wohl auch die Absicht, Bühne zu simulieren und Werke auch in dramatischer Vollendung darzubieten. Am deutlichsten wird das in der "Elektra", wenn Inge Borkh noch ein Atmen, ein Erschrecken oder sonst etwas deutliche machen kann. Dieser Schreck, als ihr klar wird, dass sie ihm - Orest - das Beil nicht habe geben können. Der ist eine Betrachtung für sich wert.


    Alle Sänger in diesen Produktionen erweisen sich dabei als grandiose Darsteller. Zumindest in meinen Ohren. Ich freue mich immer, wenn sich La Gioconda zu Worte meldet, wie jetzt wieder geschehen. Sie hat in ihrem Profil einen Ausspruch von Julius Patzak, der in seiner Zuspitzung sehr viel mit unserem Thema zu tun hat: "Stimm' brauchst kane, SINGEN muasst können!"


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Freilich bin ich der Meinung (ich weiß es nicht genau und lasse mich gerne korrigieren), dass sowohl Frau Callas die Tosca als auch Frau Borkh die Elektra und auch Frau Schwarzkopf die "Capriccio"-Gräfin bereits mehrfach auf der Bühne verkörpert, also dargestellt hatten, bevor sie ins Studio gingen und diese Partien aufnahmen. Für mich macht gerade das bei Studioaufnahmen häufig den Unterschied aus und ich bilde mir sogar ein, das hören zu können, ob ein Sänger im Studio seine Partie quasi erstmalig singt oder ob er über Rollen-, ja Bühnenerfahrung in dieser Partie verfügt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Liebe Taminos,
    habt Dank für Eure Reaktionen. Ich bin auf einige interessante Bemerkungen gestoßen. Die von Rheingold1876 und Stimmenliebhaber schienen mir - obwohl sie verschiedene Aspekte ansprechen - in einer Sache in eine ähnliche Richtung zu verweisen, nämlich den stimmdarstellerischen Aspekt, der natürlich nur über das Verständnis des gesungenen Textes erreicht werden kann. Das finde ich besonders wichtig. Dabei scheint mir das von Rheingold1876 vollkommen zu recht ins Spiel gebrachte fremdsprachliche Moment
    Zitat Rheingold1876

    Zitat

    Das hängt auch damit zusammen, dass Partien in der Originalsprache oft nur phonetisch gelernt werden. Sieger wissen oft gar nicht, was sie singen. Wo soll sich da der darstellende Ausdruck herleiten?


    jedoch nur eines (wenn auch ein wichtiges) zu sein. Denn was nützt es, wenn jemand den Text rein sprachlich versteht, ihm aber der Sinn abhanden kommt? Das heißt, das nicht-Wissen, was man singt, kann unterschiedliche Ursachen haben, oder?


    Auch das Zitat von Stimmenliebhaber ließ mich aufhorchen und ich will es nochmals in Gänze wiedergeben.
    Zitat Stimmenliebhaber

    Zitat

    Freilich bin ich der Meinung (ich weiß es nicht genau und lasse mich gerne korrigieren), dass sowohl Frau Callas die Tosca als auch Frau Borkh die Elektra und auch Frau Schwarzkopf die "Capriccio"-Gräfin bereits mehrfach auf der Bühne verkörpert, also dargestellt hatten, bevor sie ins Studio gingen und diese Partien aufnahmen. Für mich macht gerade das bei Studioaufnahmen häufig den Unterschied aus und ich bilde mir sogar ein, das hören zu können, ob ein Sänger im Studio seine Partie quasi erstmalig singt oder ob er über Rollen-, ja Bühnenerfahrung in dieser Partie verfügt.


    Ich bin kein Stimmenkenner (ich mag hin und wieder urteilen, ob mich eine Phrase, eine Betonung etc. überzeugt oder jemand nun gänzlich unverständlich singt, aber das war es auch schon), aber das leuchtet mir absolut ein. Besonders wichtig finde ich den Hinweis auf Unterschiede, wenn die Rolle bereits auf der Bühne gesungen wurde und man einen Teil der Bühnendarstellungserfahrung "mitnimmt" ins Studio. Hier fände ich besonders interessant, wie diese Erfahrung dann konkret übertragen werden kann. Ein bestimmter Ausdruck ist im Studio auf die Stimme "reduziert", alles Unterstützende fehlt. Wie übersetzt man nun das, was eigentlich im Bereich der körperlichen und mimischen Ausdrucks liegt so in die Stimme, das es nicht gleich aufgesetzt und allzu theatralisch (im negativen Sinne) wirkt? Und gewinnt man aus dem Studio nicht vielleicht umgekehrt Anregungen mit, wie man auf der Bühne noch "stimmdarstellerischer" agiert?
    Ihr seht, meine Fragen sind noch nicht erschöpft und auch wenn diese recht laienhaften Fragen die Experten langweilen mögen, sind sie doch das, was mich an Oper extrem fasziniert und ich bin für jeden Gedanken dankbar.
    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Wie übersetzt man nun das, was eigentlich im Bereich der körperlichen und mimischen Ausdrucks liegt so in die Stimme, das es nicht gleich aufgesetzt und allzu theatralisch (im negativen Sinne) wirkt? Und gewinnt man aus dem Studio nicht vielleicht umgekehrt Anregungen mit, wie man auf der Bühne noch "stimmdarstellerischer" agiert?

    Musikalische Interpretation, die Gestaltung, der Aufbau einer Rolle mit rein musikalischen Mitteln, die der Komponist in der Partitur vorgibt erfordert gleichzeitig musikalische Disziplin und gesangliche Phantase. Plastische Aussprache und fließende Gesangslinie.
    Der Rolle seinen persönlichen Stempel aufzudrücken und gleichzeitig die Vorgaben des Komponisten einzuhalten.
    Zwischen alldem die Balance zu finden und zu halten ist die große Herausforderung. Das unterscheidet einen guten Sänger von einem großen Künstler.


    Nicht immer sind die großen, magischen Interpreten die besten Sänger und auch nicht die Besitzer der schönsten Stimmen. Eine Callas oder eine Muzio waren stimmlich/technisch keineswegs unanfechtbar. Große Gestalter wie ein Vanni Marcoux, Patzak, Pertlie, Gobbi (dessen vulgäres Verfärben der Vokale in späteren Jahren ich persönlich aber nur schwer ertrage) besaßen alle keine großen/schönen Stimmen. Aber sie alle haben ihr ganzes Gewicht als Gestalter in die Waagschale geworfen und damit ein überzeugendes Gesamtbild geschaffen.


    Wie gestaltet man als Sänger mit rein musikalischen Mitteln, wenn auf Tonträger alles wie durch eine Lupe auf den Gesang reduziert ist?
    Man spielt mit der Stimme. Da ist die Palette an Möglichkeiten unendlich größer als nur laut und leise. Man entlockt der Stimme Farben, Schattierungen, man legt, um Dramatik zu erzeugen, das Gewicht nicht auf die Stimmbänder, sondern auf den Text, setzt Akzente. Eindringliche Phrasierung, das Spielen mit den Worten, der Betonung – gesangliche Eloquenz. Technische Kunstgriffe wie Messa di voce, diminuendi, crescendi, kleine portamenti hier und da wo es Sinn macht, kleine ritardandi beleben den Gesang. Röcheln, Seufzen, Stöhnen, Schluchzen sind für mich billige außermusikalische Effekte, mit denen sich Sänger helfen, die entweder zu wenig musikalische Phantasie haben oder zu wenig gesangliches Können zur Verfügung haben. Sehr wohldosiert eingesetzt und klug und dezent gemacht kann es manchmal auch eine gute Wirkung haben. - Aber auch hier gilt: man kann aus der Not eine Tugend machen oder es als klugen Kunstgriff einsetzen.


    Nimmt man die Arie des König Philip. Den kann man auf ganz unterschiedliche Arten anlegen. Immer im Rahmen dessen, was Verdi vorgibt – vorausgesetzt. Aber man kann unterschiedliche Aspekte dieses harten, einsamen Königs betonen oder herausstreichen: Seine Härte, seine Traurigkeit, seine Einsamkeit, seine echte Trauer über den Verlust einer Liebe, die er nie besessen hat. Durch Vergleiche lernt man unendlich viel, wenn man bereit ist, die Ohren zu öffnen und sich nicht auf EINE, die eigene Erwartung oder Vorliebe für die Sichtweise einer Rolle festzulegen.


    [/size]

    Vanni Marcoux klingt als Philip zuerst verstörend. Das helle, für einen Bass fast tenorale Timbre ist weder schön noch üppig. Hat man sich an den leicht schnarrenden Klang einmal gewöhnt bietet er eine riesige Bandbreite an Facetten an. Er zelebriert ohne selbstgefällig zu wirken. Im Rezitativ ist jedes Wort abgewogen, hat seine Bedeutung, sein Gewicht, ohne dass es kalkuliert und steif wirkt. Nehmen Sie sich den Text und lesen Sie bei der Arie mit. Er teilt sie stimmungsmäßig in unterschiedliche Abschnitte. Baut Spannungsbögen auf und setzt sie ab – alles aus der Musik heraus. Er ist kein Boris Christoff oder Furlanetto. Aber diese Arie verlangt nicht nach großem Ton und Röhren. Sie ist ein innerer Monolog, vielleicht einer der wenigen Momente, wo dieser König Zeit und Muße hat, einmal Innezuhalten und sich schmerzhaft bewusst wird, wie einsam und ungeliebt er
    ist. Vielleicht nicht die üppigste oder am makellosesten gesungene Aufnahme, aber eine, in der man enorm viel über den Charakter der Rolle lernt. Und darum geht es meiner Meinung.



    P.S.: Vanni Marcoux soll laut Zeitungskritiken und Aussagen von Sängerkollegen einer der beeindruckendsten SCarpias seiner Zeit sein. - Auch als Bühnendarsteller! Soviel zu musikalischer Wandlungsfähigkeit.

  • Liebe La Gioconda,
    erst einmal muss ich mich sehr entschuldigen, nicht bereits viel früher für die sehr erhellende Antwort und das wunderbare Beispiel gedankt zu haben.


    Zitat

    Zitat

    . Röcheln, Seufzen, Stöhnen, Schluchzen sind für mich billige außermusikalische Effekte, mit denen sich Sänger helfen, die entweder zu wenig musikalische Phantasie haben oder zu wenig gesangliches Können zur Verfügung haben.


    Ebendiese hatte ich im Sinn, als ich meinte, ob es denn nicht die Gefahr einer Übertreibung gäbe. Mir kommen solche Einladung der außermusikalischen Effekte so vor, als wenn sie gern einmal eingesetzt werden, wenn dem Sänger gestalterisch nichts einfällt.


    Zitat

    Zitat

    Durch Vergleiche lernt man unendlich viel, wenn man bereit ist, die Ohren zu öffnen und sich nicht auf EINE, die eigene Erwartung oder Vorliebe für die Sichtweise einer Rolle festzulegen.


    Das sehe ich auch so, man benötigt dazu aber natürlich viele, viele Jahre, um sich diese Vergleiche auf CD’s und in Live-Aufnahmen anzueignen.


    Ich muss über diesen äußerst dichten und aspektreichen Beitrag noch einmal gründlich nachdenken und werde dann versuchen, meine Gedanken ausführlicher zu formulieren.
    Mit herzlichem Gruß und nochmaligem Dank
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo,


    zur Verdeutlichung meiner Einstellung ein Beispiel:


    Ich schätze die "Meistersinger" sehr, besonders die "Schusterstube", die "Prügelszene", die Szene Sachs : Beckmesser und "Wahn, Wahn...", dazu brauche ich keine Optik, sondern ausgefeilte, beste Musik- und Gesangswiedergabe, welche die innere Charakteristik für mich begreifbar und sinnlich hörbar macht.


    Ich frage mich ob Eva und Stolzing tatsächlich ein jugendliches Paar sind, oder ob nicht Evas Vater eine in die Jahre gekommene "Jungfer" unter die Haube bringen will/muss? (als Preis für einen Dichter- und Sängerwettstreit?) Da würden mich Bilder wahrscheinlich stören, weil die optischen Darstellungen recht unterschiedlich ausfallen könnnen.


    Ich habe 2015 "Fausts Verdammnis" als konzertante Aufführung erlebt (oft mit geschlossenen Augen) und war sehr begeistert;
    dieses Jahr sind in der gleichen Art die "Perlenfischer" dran - ich bin neugierig ob das auch so beeindruckend sein wird?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich frage mich ob Eva und Stolzing tatsächlich ein jugendliches Paar sind, oder ob nicht Evas Vater eine in die Jahre gekommene "Jungfer" unter die Haube bringen will/muss? (als Preis für einen Dichter- und Sängerwettstreit?)

    Richard Wagners Text weiß es anders. Am Beginn des 2. Aktes necken die andere Lehrbuben David mit folgendem Lied:


    (Zuordnungen in Klammern von mir)


    Und später am Abend in diesem Aufzug fragt Eva Sachs: "Könnt's einem Witwer nicht gelingen?"
    Und Sachs antwortet: "Mein Kind, der wär zu alt für dich."


    Warum sollte er das antworten, wenn Eva nicht mehr jugendlich, sondern selbst schon in die Jahre gekommen wäre?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Vanni Marcoux klingt als Philip zuerst verstörend. Das helle, für einen Bass fast tenorale Timbre ist weder schön noch üppig. Hat man sich an den leicht schnarrenden Klang einmal gewöhnt bietet er eine riesige Bandbreite an Facetten an. Er zelebriert ohne selbstgefällig zu wirken. Im Rezitativ ist jedes Wort abgewogen, hat seine Bedeutung, sein Gewicht, ohne dass es kalkuliert und steif wirkt. Nehmen Sie sich den Text und lesen Sie bei der Arie mit. Er teilt sie stimmungsmäßig in unterschiedliche Abschnitte. Baut Spannungsbögen auf und setzt sie ab – alles aus der Musik heraus. Er ist kein Boris Christoff oder Furlanetto. Aber diese Arie verlangt nicht nach großem Ton und Röhren. Sie ist ein innerer Monolog, vielleicht einer der wenigen Momente, wo dieser König Zeit und Muße hat, einmal Innezuhalten und sich schmerzhaft bewusst wird, wie einsam und ungeliebt er
    ist. Vielleicht nicht die üppigste oder am makellosesten gesungene Aufnahme, aber eine, in der man enorm viel über den Charakter der Rolle lernt. Und darum geht es meiner Meinung.


    Mir geht es wie JLang. Ich werde mir auch erst jetzt klar, was für einen interessanten Beitrag uns La Gioconda verfasst hat. :) Du solltest uns viel öfter an Deinen Überlegungen, Eindrücken und Einsichten teilhaben lassen, liebe La Gioconda. Ich freue mich immer über Deine Wortmeldungen schon wegen des Zitats von Julius Patzak ("Stimm´ brauchst kane, SINGEN muasst können!!"), das ja auch für Marcoux gilt. Vielleicht hatte der mit seiner gemischten Herkunft, halb Italiener, halb Franzose, die besten Voraussetzungen für einen Sänger mit derlei feinem Darstellungsvermögen. In meinen Ohren aber ist er zunächst und vor allem Franzose. Ein Garant französischer Gesangskultur, bei der es immer - ich bin mal übertrieben - einen Schuss Chanson gibt. Die Stimmen waren vergleichsweise klein. Van Dam steht für mich in dieser Nachfolge. Gelegentlich einer Aufführung von Meyerbeer "Vasco" war das Thema zuletzt kurz angerissen - dass nämlich kaum mehr einer in der Lage ist, so individuell und facettenreich zu singen, wie es die französische Oper gebietet. Auch an der Bastille in Paris nicht. Dort hat einst Jessye Norman alles in Vergessenheit gebracht und die Maßstäbe verdreht. So hart möchte ich das sagen. Was nun Verdis Philip anbelangt, der auf Französisch komponiert ist, haben nicht zuletzt deutsche Sänger mit teutonischen Stimmen Zerrbilder abgeliefert, an die wir uns so sehr gewöhnt haben, dass wir das Original vergaßen. Für Ausdeutungen, wie sie sich aus der Tradition eines Marcoux herleiten sollten, blieb da oft kein Spielraum.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Deshalb besuche ich ja auch sehr gerne halbszenische konzertante Opern Aufführungen. Dort müssen die Sänger mit Darstellung und Gesang arbeiten, und müssen nicht zusätzliche szenische Verrrenkungen machen. Ich kann mich an einen konzertanten Rigoletto in Duisburg erinnern, wo einen die Sänger mitgerissen haben. Neben mir hat ein Ehepaat gesessen, das enttäuscht war , das es kein Bühnbild gab. Am Ende haben sie gesgt, das dieser Abend noch besser war, als mit Bühnenbild. Fast die gleichen Sänger haben dann bei der szenischen Premiere von Rigoletto in Düsseldorf gesungen und wirkten wie gehemmt. Man muss nur mal häufiger im eine Aufführung mit der gleichen Besetzung reingehen, da klingen die selben Stimmen auch nicht jeden Abend gleich. Vieles kommt einfach nur auf die Tagesverfassung der Sänger an.

  • Hallo Stimmenliebhaber,


    Libretti sind interpretationsfähig, weil sie vielschichtig bzw. zweideutig sein können.


    Das ordne ich einem überbordenden Spott zu, was die überhitzt und außer Rand und Band geratene Johannisnacht beweist..



    Und später am Abend in diesem Aufzug fragt Eva Sachs: "Könnt's einem Witwer nicht gelingen?"
    Und Sachs antwortet: "Mein Kind, der wär zu alt für dich."

    Das ist nicht nur die Frage, welchem Lebensalter Sachs zugeordnet wird. Ein lebensklug gewordener z. B. 50-jähriger Witwer ist für eine 30-jährige junge Frau der ungeeignete Ehemann - was für den 50-jährigen nicht gilt, wenn er seinen "Johannistrieb" nicht ausbremst, was Sachs ja tut.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ein lebensklug gewordener z. B. 50-jährigen Witwer ist für eine 30-jährige junge Frau der ungeeignete Ehemann


    Das haben damals aber viele anders gesehen, häufig nahmen sich ältere Männer jüngere Frauen.


    Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du mir keine einzige Textstelle aus Wagners Libretto zu den "Meistersingern" nennen kannst, die deine These von der 30-jährigen Eva belegen würde. Diese würden die Lehrbuben nämlich genauso verspotten, tun sie aber nicht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das haben damals aber viele anders gesehen, häufig nahmen sich ältere Männer jüngere Frauen.

    Genau das habe ich gepostet.



    Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du mir keine einzige Textstelle aus Wagners Libretto zu den "Meistersingern" nennen kannst, die deine These von der 30-jährigen Eva belegen würde. Dies würden die Lehrbuben nämlich genauso verspotten, tun sie aber nicht.


    Tun sie aber doch, siehe "Alter" bis "Juchei! Juchhei! Johannistag!"

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Libretti sind interpretationsfähig, weil sie vielschichtig bzw. zweideutig sein können.


    :jubel:


    Wenn sich diesen nur zu wahren Satz der eine oder andere doch einmal zu Herzen nehmen würde.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Tun sie aber doch, siehe "Alter" bis "Juchei! Juchhei! Johannistag!"

    Nein, sie nnen Eva dort ausdrücklich eine "junge Maid".


    Wenn sich diesen nur zu wahren Satz der eine oder andere doch einmal zu Herzen nehmen würde.

    Sicher sind Texte auf vielerlei Art interpretierbar, aber nicht auf jederlei Art! Das wäre eine Nivellierung, die völliger Willkür und Beliebigkeit Tür und Tor öffnet.


    Oder teilst du "Zweiterbass'" Ansicht, dass Eva nicht mehr jung ist? Richard Wagners Text und Musik sagen mir, dass sie noch sehr jung ist.


    Genauso gut (oder besser schlecht) kann man aus dem Text interpretieren, dass Hans Sachs eine Frau ist. Dafür fehlt zwar jede Grundlage, aber das ist bei der Theorie von Eva als alter Frau ja nicht wirklich anders. Und es wird sich gewiss noch ein Regisseur finden, der Hans Sachs in Frauenkleider auf die Bühne stellt - wenn dies nicht ohnehin schon längst geschehen ist...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Sicher sind Texte auf vielerlei Art interpretierbar, aber nicht auf jederlei Art! Das wäre eine Nivellierung, die völliger Willkür und Beliebigkeit Tür und Tor öffnet.


    Selbstverständlich sind Texte nicht nicht auf jede Art interpretierbar! Interpretationen müssen etwas mit dem Stück zu tun haben, und das ist im Zweifelsfalle zu belegen. Wichtig ist mir dabei allerdings die Vielschichtigkeit eines Textes.


    Aus dem Wikipedia-Artikel zur Textinterpretation: "Ein Ziel der Textinterpretation kann es sein, die verschiedenen Bedeutungsebenen eines Textes aufzuschlüsseln. Ein Roman kann z. B. einerseits die Beschreibung eines exemplarischen Menschenlebens sein, gleichzeitig kann er aber auch weitere Bedeutungsebenen haben: eine kritische Stellungnahme zu politischen Verhältnissen der Zeit, in der er spielt und / oder der Zeit, in der er geschrieben bzw. publiziert wurde; darüber hinaus kann er über Symbole und Allegorien zahlreiche Sachverhalte ansprechen, die im Text ansonsten nicht ausdrücklich zur Sprache kommen. Ein Text kann auf andere Werke reagieren, sie zitieren, parodieren oder sich von ihnen distanzieren usw. (Intertextualität)."


    Wenn also eine Inszenierung zum Beispiel von Wagners "Ring" die Geschichte in der Gründerzeit ansiedelt und die kapitalismuskritischen Elemente betont, dann handelt es sich meiner Meinung nach um eine schlüssige Interpretation, die eine im Text enthaltene Bedeutungsebene herausarbeitet. Der Vorwurf, eine solche Inszenierung sei nicht werkgetreu, weil die Protagonisten nicht als Götter und nordische Helden ausstaffiert sind usw., geht daher fehl.


    Außerdem gibt es auch Interpretationen, die über eine bloße Auslegung des Textes hinausgehen. Ich denke da etwa an die Bayreuther Parsifal-Inszenierung von Stefan Herheim, der die Aufführungsgeschichte des Stückes thematisiert, seinen politischen Gebrauch und Missbrauch. Das geht sicherlich über eine teximmanente Interpretation weit hinaus, kann aber trotzdem schlüssig und legitim sein. (Ich habe die Aufführung nicht gesehen, muss mich also eines Urteils enthalten.)


    Oder teilst du "Zweiterbass'" Ansicht, dass Eva nicht mehr jung ist? Richard Wagners Text und Musik sagen mir, dass sie noch sehr jung ist.


    Das sehe ich zunächst einmal auch so. Dennoch würde ich eine Lesart dieser Oper nicht von vornherein ausschließen, in der Eva eine alte Jungfer ist. Dann müsste mich allerdings der Regisseur davon überzeugen, dass dies eine schlüssige Interpretation ist.



    Und es wird sich gewiss noch ein Regisseur finden, der Hans Sachs in Frauenkleider auf die Bühne stellt - wenn dies nicht ohnehin schon längst geschehen ist...


    Auch das ist meiner Meinung nach nicht a priori absurd.


    Aber wir sind schon wieder beim Thema Regietheater - wer schrieb noch kürzlich, dass früher oder später immer dieses Thema aufkommt, egal worum es ursprünglich einmal ging? Ich bekenne mich schuldig; meine letzten beiden Beiträge können gerne in einen passenderen Thread verschoben werden.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Wenn also eine Inszenierung zum Beispiel von Wagners "Ring" die Geschichte in der Gründerzeit ansiedelt und die kapitalismuskritischen Elemente betont, dann handelt es sich meiner Meinung nach um eine schlüssige Interpretation, die eine im Text enthaltene Bedeutungsebene herausarbeitet. Der Vorwurf, eine solche Inszenierung sei nicht werkgetreu, weil die Protagonisten nicht als Götter und nordische Helden ausstaffiert sind usw., geht daher fehl.

    Das sehe ich genauso.


    Außerdem gibt es auch Interpretationen, die über eine bloße Auslegung des Textes hinausgehen. Ich denke da etwa an die Bayreuther Parsifal-Inszenierung von Stefan Herheim, der die Aufführungsgeschichte des Stückes thematisiert, seinen politischen Gebrauch und Missbrauch.

    Und da beginnen meine Probleme. Die Rezeptionsgeschichte lese ich gerne im Programmheft, will sie aber nicht auf der Bühne sehen, sondern das Stück selbst.



    Und hier habe ich ein großes Problem, weil ihr von der Regietheater-extrem-Fraktion JEDES noch so absurde Beispiel nicht ablehnt und damit ALLES nivelliert. (Hätte ich die Zerlina als alte Frau im Rollstuhl angeführt, die es so tatsächlich schon gegeben hat, wäre deine Reaktion exakt die Gleiche gewesen). Wenn alles möglich ist und nichts unmöglich, dann wird es völlig überflüssig, sich ernsthaft mit Stücken zu beschäftigen und das rauszuarbeiten, was wirklich drin ist, sondern man kann einfach alles x-beliebige reinpacken. Das ist eine Beliebigkeit und Willkür, die das Nachdenken über richtige oder falsche Interpretationen nicht befördert, sondern sich dieser Notwendigkeit einfach entledigt. Das ist jedenfalls nicht meine Opernwelt!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo Stimmenliebhaber,


    ich sprach von einer 30-jährigen jungen Frau (und von keiner alten Frau, wie Du) und eine "junge Maid" ist für mich mit 30 J. immer noch eine junge Frau, aber eben eine in die Jahre gekommene "Jungfer" (= Jungfrau).
    (Genau lesen wäre wünschenswert, noch mehr nichts unterschieben.)

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich muss zugeben das ich es auch immer etwas unglaubwürdig fand, wenn Frau Gruberova auf der Bühne von einem Tenor begehrt wurde, der locker hätte ihr Sohn sein können. Aber dann müsste es doch ein Mindestalter geben, ab wann Tenöre oder Soprane gewisse Rollen nicht mehr singen können. Früher hab ich immer gehört hieß es, das wer als Sänger anfängt zu altern der wechselt ins Charakter Fach. Dann müsste man zum Beispiel bei den Lehrbuben in den Meistersingern nur junge Sänger einsetzen die nicht älter als 20 sind.

  • ich sprach von einer 30-jährigen jungen Frau (und von keiner alten Frau, wie Du)

    (Genau lesen wäre wünschenswert, noch mehr nichts unterschieben.)


    Du sprachest in deinem ersten Beitrag hiervon:


    Zitat

    Ich frage mich ob Eva und Stolzing tatsächlich ein jugendliches Paar sind, oder ob nicht Evas Vater eine in die Jahre gekommene "Jungfer" unter die Haube bringen will/muss?

    "In die Jahre gekommen" hat mit jung wohl nicht zu tun. "In die Jahre gekommene Jungfer" habe ich mir erlaubt, als "alte Jungfer" zu interpretieren. Du weißt ja, Texte sind vieldeutig interpretierbar... (Von "unterschieben" kann man da aber nun wirklich nicht ernsthaft sprechen.)


    und eine "junge Maid" ist für mich mit 30 J. immer noch eine junge Frau, aber eben eine in die Jahre gekommene "Jungfer" (= Jungfrau).

    In der damaligen Zeit war eine Frau mit 30 keineswegs noch eine "junge" Frau (die Lebenserwartung war deutlich geringer alsd heute, viele starben schon in ihren Zwanzigern und Dreißigern deshalb ist Sachs ja auch Witwer)und die Lehrbuben hätten sie nicht als solche besungen. Hingegen besingen sie Magdalene als "alte Jungfer", die etwa dreißig sein wird. Dass du aus Eva eine Magdalene machen möchtest, finde ich abwegig, denn es gibt in Text und Musik keinerlei Hinweis darauf, dass das gemeint sein könnte.


    Da wäre Evas Verhalten: Liebe auf den ersten Blick, "es war ein Müssen, war ein Zwang", einen solches Liebeszwang empfindet man bei der ersten Liebe und nicht mit dreißig, wenn's schon ein paar Mal schief gegangen und die Hoffnungen enttäuscht wurden. Blutjung ist diese Eva, naiv und lebensunerfahren. Das zeigt auch ihre Reaktion am Ende des Duetts mit Sachs im 2. Akt.


    Sachs: "Da hätt ich ein Kind und auch ein Weib." - eine Dreißigjährige, die als "alte Jungfer" wahrgenommen wurde, wurde ganz sicher nicht auch als Kind wahrgenommen.


    Da wäre Pogners Verhalten: Seit Jahren überlegt er, welch tollen, einzigartigen Preis er aussetzen könnte, damit er zeigen kann, wie hoch er die Kunst und die Meisterzunft schätzt. Als seine Tochter endlich ins dafür mögliche Alter kommt, packt er die erste Gegenheit dazu beim Schopfe. Ausgerechnet in dem Moment, wo sich die Tochter erstmals (in einem als Werber eigentlich nicht in Frage kommenden Junker) verliebt...


    Sorry, aber deine Deutung von Eva als 30-jähriger "alter Jungfer" überzeugt mich kein bisschen, viel zu wenig spricht obejektiv dagegen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dann müsste man zum Beispiel bei den Lehrbuben in den Meistersingern nur junge Sänger einsetzen die nicht älter als 20 sind.

    Das ist leider nicht immer so einfach. Die Lehrbuben könnte man natürlich mit 20- oder eher 25-jährigen Studentinnen und Studenten als mit ältern Opernchortenören und -altistinnen besetzen, aber einen Tristan und eine Isolde kann man nunmal nicht mit 20-Jährigen besetzen, auch ein Evchen seriöserweise nicht. Vielleicht hat "Zweiterbass" einfach schon zu viele ältliche Bühnen-Evchen gesehen, deren Spielalter nicht bei 20 oder 25, sondern weit drüber lag, was ihn dann zu seiner (meines Erachtens unhaltbaren) Theorie inspiriert hat...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und da beginnen meine Probleme. Die Rezeptionsgeschichte lese ich gerne im Programmheft, will sie aber nicht auf der Bühne sehen, sondern das Stück selbst.


    Das verstehe ich sehr gut, ich habe oft auch meine Probleme mit solchen Aufführungen. Überhaupt nicht mag ich zum Beispiel viele der aktuellen Inszenierungen im Sprechtheater, die sich der Erzählung und Darstellung eines Stückes verweigern und es stattdessen dekonstruieren und verfremden (ein Stichwort wäre hier das sogenannte postdramatische Theater). Zu Herheim habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis, manches gefällt mir, manches gar nicht. Es hängt bei mir auch stark davon ab, wie ich zu einem Stück stehe. Den "Parsifal" zum Beispiel habe ich früher geliebt, inzwischen habe ich eine ziemliche Distanz dazu entwickelt und mag Aufführungen, die die Geschichte mehr oder weniger wörtlich erzählen, kaum noch sehen.


    Und hier habe ich ein großes Problem, weil ihr von der Regietheater-extrem-Fraktion JEDES noch so absurde Beispiel nicht ablehnt und damit ALLES nivelliert. (Hätte ich die Zerlina als alte Frau im Rollstuhl angeführt, die es so tatsächlich schon gegeben hat, wäre deine Reaktion exakt die Gleiche gewesen). Wenn alles möglich ist und nichts unmöglich, dann wird es völlig überflüssig, sich ernsthaft mit Stücken zu beschäftigen und das rauszuarbeiten, was wirklich drin ist, sondern man kann einfach alles x-beliebige reinpacken. Das ist eine Beliebigkeit und Willkür, die das Nachdenken über richtige oder falsche Interpretationen nicht befördert, sondern sich dieser Notwendigkeit einfach entledigt. Das ist jedenfalls nicht meine Opernwelt!


    Eigentlich sind wir gar nicht so weit auseinander. Beliebigkeit und Willkür liegt mir fern, ich bin auch sehr dafür, auf den konkreten Fall zu schauen und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ob eine Regiearbeit schlüssig ist oder nicht. Genau deswegen wehre ich mich aber dagegen, bestimmte Einfälle schon von vornherein und losgelöst vom konkreten Fall abzulehnen. Wenn man mich fragen würde, ob ich mir hier und jetzt eine sinnvolle Aufführung der "Meistersinger" vorstellen kann, in der Hans Sachs als Frau verkleidet ist, dann würde ich sicherlich nein sagen, aber ich würde auch nicht behaupten wollen, dass eine solche unmöglich ist.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Aber wir sind schon wieder beim Thema Regietheater - wer schrieb noch kürzlich, dass früher oder später immer dieses Thema aufkommt, egal worum es ursprünglich einmal ging?


    So ist es. Und das ist schade, weil JLang ein wirklich spannendes Them angestoßen hatte. :(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • So ist es. Und das ist schade, weil JLang ein wirklich spannendes Them angestoßen hatte. :(


    Ich bitte um Pardon und wiederhole meine Bitte um Verschiebung in den RT-Thread.
    :untertauch:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das ist eine sehr gute Idee. Denn die Diskussion um die "Meistersinger" ist ja auch spannend.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Eigentlich sind wir gar nicht so weit auseinander. Beliebigkeit und Willkür liegt mir fern, ich bin auch sehr dafür, auf den konkreten Fall zu schauen und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ob eine Regiearbeit schlüssig ist oder nicht.

    Siehst du, das sehe ich ganz ähnlich, deshalb würde ich dich auch nicht auf meine Ignorierliste setzen (obwohl wir sehr häufig Meinungsverschiedenheiten haben), weil ich merke, dass du Opernaufführungen besuchst und diese Erlebnisse deine Meinung beeinflussen, also im Fluss halten und noch nicht erstarrt lassen haben. Außerdem interessiert mich, was jemand über eigene Opernerlebnisse zu berichten hat.

    Wenn man mich fragen würde, ob ich mir hier und jetzt eine sinnvolle Aufführung der "Meistersinger" vorstellen kann, in der Hans Sachs als Frau verkleidet ist, dann würde ich sicherlich nein sagen

    Gut.


    aber ich würde auch nicht behaupten wollen, dass eine solche unmöglich ist.

    Ich schon.


    So ist es. Und das ist schade, weil JLang ein wirklich spannendes Them angestoßen hatte. :(

    Das kann ja auch gerne weiterdiskutiert werden. Ich habe mir nur erlaubt, auf die von "Zweiterbass" geäußerte Idee von Eva als alter (Pardon: "in die Jahre gekommene") Jungfer zu antworten.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose