Thornton Wilder: Demagogen sind die Asthmatiker der Argumentation.

  • Am 7. Dezember 1975, vor vierzig Jahren also, starb in Hamden/Connecticut der am 17. April 1897 in Madison/Wisconsin als Sohn eines US-amerikanischen Diplomaten geborene Thornton Wilder. Beigesetzt ist er in Madison auf dem Mount Carmel Cemetery. Er verbrachte einen Teil seiner Kindheit, durch den Beruf des Vaters bedingt, in China. Als Schüler an der Thacher School, einer 1889 gegründeten Knaben-Schule in Ojai, Kalifornien, begann er mit dem Schreiben von Theaterstücken. Einer der damaligen Klassenkameraden erinnerte sich später, dass Wilder von Mitschülern als überintellektuell verspottet wurde, und er sich oft in die Bibliothek zurückzog, um sich Demütigungen zu entziehen.
    Während des Ersten Weltkriegs diente Wilder drei Monate bei einer Artillerieeinheit der amerikanischen Küstenwache in Fort Adams und erreichte den Rang eines Korporals. 1916 und 1917 absolvierte er das Oberlin College und bekam 1920 in Yale den Bachelor of Arts. 1920/21 besuchte er die American Academy in Rome und machte seinen Master in Französisch. Zwischen 1930 und 1937 lehrte er an der Chicagoer Universität; während des Zweiten Weltkriegs hat man Wilder zum Lieutenant Colonel in den U.S. Army Air Forces Intelligence befördert. 1945 schied er aus der Armee aus, und war 1950/51 Professor of Poetry in Harvad.
    Seinen ersten Roman „The Cabala“ veröffentlichte Wilder 1926. Kommerziell erfolgreich und weithin bekannt wurde er 1927 mit dem Roman „The Bridge of San Luis Rey“, für den er 1928 seinen ersten Pulitzer-Preis erhielt. Zehn Jahre später bekam er den zweiten für den Dreiakter „Our Town“ (Unsere kleine Stadt), der auch verfilmt wurde, und als ein bekanntes Beispiel für seine dramatische Technik, einen Erzähler, den so genannten „Spielleiter“, einzusetzen, der „sozusagen die Rolle des antiken Chores übernimmt und durch eine minimale Bühnenausstattung die Universalität menschlicher Erfahrungen zu unterstreichen versucht“.



    Den dritten Pulitzer-Preis erhielt Wilder für sein Stück „The Skin of Our Teeth“ (Wir sind noch einmal davongekommen), das mit Fredric March und Tallulah Bankhead in den Hauptrollen 1943 uraufgeführt wurde. 1957 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1959 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst sowie die Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main. Auch als Übersetzer hat Wilder gearbeitet, so z.B. Werke von André Obey und Jean-Paul Sartre.


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    MUSIKWANDERER

  • Thornton Wilder ist der Held meiner Jugendzeit. Nach dem Krieg wurde er viel gespielt, besonders "Unsre kleine Stadt" ("OurTown"). Dieses Stück eignet sich hervorragend für das Schultheater, weil Schüler gut Erwachsene darstellen können, das umgekehrt aber nicht gilt. Unsere Aufführung am Schlossgymnasium Benrath in Düsseldorf (Holger und ich hatten den gleichen Kunstlehrer, allerdings zu verschiedenen Zeiten!) war in den 50ern ein großer Erfolg. Wir haben dann die Profi-Aufführung in Köln gesehen und waren reichlich enttäuscht. Aber das ist normal, dass man sich selbst immer am besten findet. An der Schule, an der ich Lehrer war, hatte ich immer zwei Theatergruppen, eine für die Kleinen, eine für die Oberstufe. Diesen habe ich "Our Town" vorgeschlagen, was sie zu meiner eigenen Verblüffung unbedingt spielen wollten. Es wurde eine sehr bewegende Aufführung mit einer Neuerung, die ich bis dahin nicht kannte und seitdem nicht mehr gesehen habe. Jeder Theaterlehrer weiß, dass er bei den Mädchen immer eine gute Auswahl hat, bei den Jungs aber nicht. Weil bei mir alle Jungs schon für die Männer "verbraucht" waren, musste ein Mädchen den Spielleiter spielen. Sie war der beste Spielleiter, den ich je gesehen habe, und das schließt Charles Regnier, den großartigen Schauspieler, mit ein.
    Neben den Stücken und "The Bridge of San Luis Rey", die musikwanderer erwähnt hat, empfehle ich auch die anderen Romane von Thornton Wilder, "The Cabala", "The Ides of March", "The Woman of Andros", "The Eighth Day", "Heaven´s My Destination", "Theophilus North". Sein Stück "The Matchmaker" war die Vorlage für das Musical "Hello, Dolly".

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Der aktuellen Nummer des NEW YORKER entnehme ich, dass in New York um diese Zeit wieder zwei seiner legendären Einakter aufgeführt werden. Einmal "The Long Christmas Dinner" (Das lange Weihnachtsmahl). Hier werden hintereinander ein paar Generationen im Schnelldurchlauf zu Weihnachten gezeigt. Auf den beiden Seiten der Bühne steht jeweils ein Tor, eins steht für Geburt, das andere für Tod. Dieses Stück ist tatsächlich ein wenig episches Theater, aber es ist nicht didaktisch. Paul Hindemith hat es vertont.
    Das andere Stück ist "Pullmancar Hiawatha", auf deutsch "Schlafwagen Pegasus". Hier werden menschliche Schicksale gezeigt, die sich auf einer nächtlichen Fahrt nach Chicago abspielen. Die Sitze und Betten werden durch einfach Stühle vorgestellt. Auch hier ein epischer Ansatz ohne Didaktik.
    Beide Stücke haben wir in meiner Schulzeit gespielt; wir und unsere Zuschauer waren sehr beeindruckt von diesen Stücken. Ich glaube, das Geheimnis von Thornton Wilder ist, dass er europäische Bildung und amerikanische Nonchalance glücklich mit einander verbindet.


    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)