Oper und Regietheater

  • Ich fände es auch schön, wenn der schon einige Male gemachte Vorschlag umgesetzt würde, hier zumindest zeitweise einen Schlussstrich zu ziehen. Wollen wir nicht alle einfach jetzt aufhören, diesen Thread mit weiteren Beiträgen zu füllen, die doch immer nur zu gegenseitigen Vorwürfen führen? [...] Ich würde mir ja wünschen, dass wir die Liebe zur Oper als eine uns allen gemeinsame Basis akzeptieren, aber das hat bislang nicht funktioniert.


    Ich habe beim Lesen dieser Diskussion in den letzten Tagen das ständige Jucken der Finger auf der Tastatur ignoriert. Wenn ich dem Jucken jetzt trotzdem nachgebe, dann bemühe ich mich, alles das, was ich eigentlich zum momentanen Streit zu sagen hätte, außen vor zu lassen und nur über meine Beziehung zur Oper (denn Liebe kann man das (noch?) nicht nennen), zu schreiben. Vielleicht motiviert das ja zu einem neuen Anfang.
    Ich habe zu einer Zeit, als ich nur wenig klassische Musik gehört und schon gar keine Opern angesehen habe, Wagners Parsifal lieben gelernt. Auslöser war die Opern-Verfilmung von Syberberg, und in der Folge bin ich auch einmal nach Frankfurt gefahren und habe dort die Parsifal-Inszenierung von Ruth Berghaus gesehen. Damals kannte ich den Begriff Regietheater nicht. Ich weiß nur, dass ich fasziniert war, vor allem von der Musik, die mich jahrelang nicht losgelassen hat, dann aber auch von der Art, wie das jeweils, freilich auf völlig unterschiedliche Weise, von Berghaus und Syberberg ins Bild gesetzt worden war. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dabei irgendetwas als nicht werkgerecht anzusehen. Ich empfand das jeweils als in sich stimmig. Es waren für mich große und intensive Erlebnisse.
    Freilich gab es damals keine Untertitel, keine Texteinblendungen, keine Erklärungen, es gab auch noch kein Internet, das es mir ermöglicht hätte, mich näher zu informieren, und ich kann mich auch nicht erinnern, ob es in Frankfurt ein Programmheft gab (vermutlich schon) oder was darin stand. Jahre später, als ich mir meine erste halbwegs vernünftige Anlage zum häuslichen Musikhören leisten konnte, war die allererste CD, die ich mir gekauft habe (neben Wiesels Ripped My Flesh von Frank Zappa) die Boulez-Aufnahme des Parsifal. Und da habe ich dann erstmals, beim Lesen des Booklets, den Text verstanden (was mir die Oper aber dann so verleidet hat, dass ich sie bis heute nicht mehr gesehen oder gehört habe, aber dazu unten mehr).
    Wieder Jahre später (2009?) habe eine Gluck-Oper (Iphigene in Aulis) in Ulm gesehen. Auch damals war mir der Begriff Regietheater noch nicht geläufig, aber die Aufführung, in die ich von Bekannten geschleppt worden war, hatte mich immerhin so angesprochen, dass ich kurz danach wieder eine Gluck-Oper (Iphigenie auf Tauris ?) in Nürnberg besucht habe. Auch das war wohl, wie ich heute annehme, Regietheater. Aber auch da fand ich, in Unkenntnis des Librettos wohlgemerkt, nichts Anstößiges oder Unpassendes. Nein, es war einfach nur faszinierend und spannend.
    Ich weiß natürlich nicht, was ich heute dazu sagen würde, wenn ich neben der Aufführung das Libretto verfolgen könnte. Ich kann aber mit einiger Sicherheit sagen, dass ich weder für den Parsifal noch für Gluck noch einmal in ein Operhaus gegangen wäre, wenn das erste Kennenlernen durch eine herkömmliche Inszenierung erfolgt wäre. Nach wie vor habe ich Zweifel, ob ich mich wirklich für Opern interessieren könnte, wenn sie so inszeniert wären wie ich das hier am 31.1.2105 zu einer Wolfgang-Wagner-Aufführung geschrieben habe, dass nämlich die Art und Weise der Personen, sich zu bewegen, mir zu großen Teilen statisch vorkommt mit den kurzen »Bewegungsausbrüchen«, die auf mich überhaupt nicht echt oder lebendig wirken und die den ganzen Zauber von Musik und Bühnenbild kaputtmachen. Das, was man hier Regietheater nennt, könnte mich auf lange Sicht für die Oper gerettet haben. Und erst seit ich bei Tamino bin und hier viele gescheite Sachen gelesen habe, beginne ich allmählich zu verstehen (oder, vielleicht besser formuliert, eine Bereitschaft dafür zu entwickeln), dass Opernhandlungen mit ihren Dialogen kein unfreiwillig lustiger Schwachsinn sein müssen (Georg Kreisler überzeichnet das ja in seinem Opernboogie). Ich habe vor, wenn ich in einigen Monaten im Ruhestand sein und dann hoffentlich mehr Zeit haben werde, mich auch mehr damit zu beschäftigen. Dann möchte ich mich hier auch über konkrete Inszenierungen austauschen. Anders als in diesem Thread hier, wo es ja oft um allgemeine oder grundsätzliche Aspekte geht, die oft spannend und erhellend sind und zu denen man sich auch als Nicht-Kenner äußern kann, muss man dann die Inszenierungen natürlich gesehen haben. Warten wir ab, wie sich das bei mir entwickelt. Immerhin bezog sich ja schon mein erstes eigentliches Anliegen hier bei Tamino (nachzulesen in Beitrag Nr. 52 vom 7. Oktober letzten Jahres unter Regietheater und künstlerische Freiheit) auf die Art der Inszenierung von Opern und auf meine Rezeptionshaltung.

  • Lieber Dieter Stockert,


    Dein Beitrag ist das Vernünftigste, was ich seit Tagen hier lesen konnte.
    Mir schliesst sich eine Frage an: Was stört dich beim Parsifal-Text so sehr, bzw. was ist für Dich die zentrale Aussage?
    Ich sehe es so, wie einst Wieland Wagner, dass jede reine Männergesellschaft ohne das weibliche Element zum Untergang verurteilt ist. (Speer und Gral gehören zusammen.)
    Ich möchte dies aber hier jetzt nicht näher ausführen und gebe Dir das Wort.


    MfG

  • Zit.m.joho: "Dein Beitrag ist das Vernünftigste, was ich seit Tagen hier lesen konnte."


    Es ist nicht nur "das Vernünftigste", überdies ist es ein wirklich substantiell Wesentliches, mitten in die zentrale Fragestellung dieses Threads Hineinführendes. Und das ist es, weil dieser Beitrag von Dieter Stockert aus der unmittelbaren Erfahrung von Opern-Inszenierung hervorgegangen ist und alle theoretischen Fragen, die sich für ihn daraus ergeben, in eben dieser unmittelbar sinnlichen Erfahrung von Opernmusik gründen und von daher erst ihre Relevanz im Hinblick auf die grundsätzlichen Fragen des Regie-Konzepts beziehen.
    Man möchte sich - als Außenstehender, gleichwohl an der Fragestellung dieses Threads Hochinteressierter - wünschen, dass in dieser Weise hier diskursiv weiterverfahren würde. Es gab ja schon so viele Ansätze dazu, sie wurden nur immer wieder durch abstrakt-musikästhetische Einwürfe in ihrer weiteren diskursiven Entfaltung behindert, gar kaputtgemacht.
    Möge das ein Ansatz für einen Neuanfang in diesem Thread sein. Bedenkenswert ist ja doch das Geständnis von Dieter Stockert:


    "Und erst seit ich bei Tamino bin und hier viele gescheite Sachen gelesen habe, beginne ich allmählich zu verstehen (oder, vielleicht besser formuliert, eine Bereitschaft dafür zu entwickeln), dass Opernhandlungen mit ihren Dialogen kein unfreiwillig lustiger Schwachsinn sein müssen."

    Das in Alfred Schmidts Ohr.
    So es denn noch offen ist für sein - auch wenn er das in diesem Augenblick abstreiten würde - im Grunde ja doch geliebtes Forum.

  • Es gab ja schon so viele Ansätze dazu, sie wurden nur immer wieder durch abstrakt-musikästhetische Einwürfe in ihrer weiteren diskursiven Entfaltung behindert, gar kaputtgemacht.


    Und gerade die sind von mir mit gemeint, wenn ich von gescheiten Sachen, die ich hier gelesen habe, spreche.

  • Hallo miteinander,


    wie angekündigt darf hier gerne sachbezogen weiter diskutiert werden.


    Dieter Stockerts Beitrag erschien mir dafür ein guter Einstieg zu sein.


    Der Threadtitel kann gerne geändert werden, falls gewünscht.


    Viele Grüße


    Norbert als Moderator

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich weiß natürlich nicht, was ich heute dazu sagen würde, wenn ich neben der Aufführung das Libretto verfolgen könnte. Ich kann aber mit einiger Sicherheit sagen, dass ich weder für den Parsifal noch für Gluck noch einmal in ein Operhaus gegangen wäre, wenn das erste Kennenlernen durch eine herkömmliche Inszenierung erfolgt wäre.


    Es scheint mir, dass Du Dich eben mehr für das Drama als für die Musik interessierst, was eigentlich leicht zu testen wäre. Du brauchst Dich nur zu fragen, was Dir die Musik bedeutet, wenn Du sie nur auf Platte oder CD hört.
    Da scheiden sich eben die Geister. Ich bin schon als Jugendlicher stundenlang mit dem Ohr am Mittelwellensender gehangen und jeder, der das selbst noch erlebt hat, wird wissen, was das nach heutigen Begriffen bedeutet.
    Hört man die frühen Verdi-Opern, denke jedenfalls ich, dass seine Arien dort oft beliebig vertauscht werden könnten, ohne dass es einem, der die betreffende Oper nicht kennt, auffallen würde.
    Bei einer Strauss- oder Korngold-Oper kann man das gewöhnlich nicht.
    Es dürfte wohl so sein, dass auch große Komponisten bisweilen die Handlung eines Stückes nicht ernst nehmen - bei Mozart wäre die Entführung zu nennen, bei Verdi der Troubadour - und dass es ihnen trotzdem gelingt, ein Meisterwerk daraus zu schaffen.
    Wer wird denn die Handlung der genannten Opern heute noch ernst nehmen? Selbst der beste Regisseur wird mich da nicht überzeugen können.
    Die Musik jedoch hat auch auf sich selbst gestellt einen Eigenwert.
    Das ist bei sinfonischer Musik ja auch nicht anders. Niemand braucht sich ein Erwachen auf dem Lande bildlich vorzustellen, um Gefallen an der Pastorale zu finden.


    Wie ich es sehe, ist bei vielen modernen Regisseuren, nicht die Musik, sondern die Handlung in den Vordergrund gerückt, was aber oft dazu führt, dass diese künstlich beatmet wird, um gewisse Effekte zu erzielen. Manche brauchen das, andere nicht. Wichtig sollte nur sein, nicht an der Partitur vorbei zu regissieren.

  • Es scheint mir, dass Du Dich eben mehr für das Drama als für die Musik interessierst, was eigentlich leicht zu testen wäre. Du brauchst Dich nur zu fragen, was Dir die Musik bedeutet, wenn Du sie nur auf Platte oder CD hört.

    Ich weiß nicht, wie Dieter die Frage beantwortet, aber bei mir ist die Sache klar: Oper ohne die szenische Darstellung, und sei es nur auf dem Bildschirm, ist für mich bestenfalls eine halbe Sache und interessiert mich nicht sehr. Das heißt nicht, dass mir die Musik gleichgültig wäre, aber sie wird eben erst durch die Handlung auf der Bühne zum Musikdrama, und dieses Drama ist es, was mich an der Oper fasziniert. Dementsprechend höre ich mir so gut wie nie Opern auf CD an, und ich würde auch nur in Ausnahmefällen eine konzertante Aufführung einer Oper besuchen.



    Wie ich es sehe, ist bei vielen modernen Regisseuren, nicht die Musik, sondern die Handlung in den Vordergrund gerückt,

    Das ist wahrscheinlich richtig.



    Wichtig sollte nur sein, nicht an der Partitur vorbei zu regissieren.

    Auch da kann ich zustimmen. Wenn man Regisseure eine Oper inszenieren lässt, die von Musik nichts verstehen, geht das daher oft ins Auge.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Jetzt bin ich wieder mal wieder so richtig fies:


    Man kann schon in ein Glas teuren Chablis einen Eßlöffel Zucker schütten, wenn er einem zu "sauer" ist.
    Nur ist es halt dann kein edler Wein mehr.

  • Man kann schon in ein Glas teuren Chablis einen Eßlöffel Zucker schütten, wenn er einem zu "sauer" ist.
    Nur ist es halt dann kein edler Wein mehr.


    Die Analogie verstehe ich nicht - wofür steht der Wein, wofür der Zucker?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • wofür steht der Wein, wofür der Zucker?


    Der Wein steht für die Musik mit dem des musikalische Geschehens gerecht werdenden Regiekonzepts, der Zucker für die "Verbesserungen" der Regie. Was natürlich selektiv zu betrachten ist. Manchmal ist der Zucker ja notwendig.

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  • Ich kann das Beispiel nicht nachvollziehen. Der Wein, der verkauft wird (nur darum und nicht um die Herstellung kann es ja für mich gehen), ist sozusagen als trinkfertig deklariert (auch wenn er mir nicht unbedingt schmecken muss). Bei der Oper reden wir auch vom fertigen Gesamtkunstwerk, sie ist gedacht zur Aufführung, ohne Inszenierung wäre sie unvollständig. Auch hier geht es also nur darum, ob uns das fertige Ergebnis schmeckt (sprich gefällt). Beim Wein können wir nachzuckern (ich würde das aber nicht machen und lieber ganz darauf verzichten). Bei der Opernaufführung haben wir, wenn wir schon drin sind und nicht aufstehen wollen, eigentlich nur die Möglichkeit, die Ohren auf- und die Augen zuzumachen.


  • Der Wein steht für die Musik mit dem des musikalische Geschehens gerecht werdenden Regiekonzepts, der Zucker für die "Verbesserungen" der Regie. Was natürlich selektiv zu betrachten ist. Manchmal ist der Zucker ja notwendig.


    Wenn es so gemeint war, dann trifft diese Analogie mein Verhältnis zur Oper aber nicht. Zunächst sprach ich nicht von Regiekonzepten, sondern von dem szenischen Element, der Darstellung einer Handlung auf der Bühne durch miteinander singend sprechende Personen. Ohne dieses Element fehlt mir ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtkunstwerks Oper. Dass die szenische Umsetzung dann eine Regie benötigt, hinter der ein Konzept stehen muss, ist klar. Das gilt übrigens auch für "werktreue" Inszenierungen, denn auch dahinter steht ein Konzept, und die Regie ist auch wesentlich mehr als die Auswahl von Kulissen und Kostümen. Außerdem empfinde ich die Musik bei einer Oper nicht als sauer. Wenn man schon eine Analogie aus dem kulinarischen Bereich nehmen will, dann könnte man Musik und Bühne als Zutaten zu einem köstlichen Gericht betrachten. Die einen Zutaten kann man auch alleine genießen (Musik), andere nicht (Bühne), aber erst zusammen ergeben sie ein vollendetes Mahl. Und das Regiekonzept ist dann das Gewürz, welches ein Gericht vervollkommnen und auch auf ungewohnte Weise interessant machen kann, womit man es aber auch ruinieren kann, und seien die anderen Zutaten auch noch so gut.


    Die relativ starke Betonung des Dramas beim Musikdrama ist wohl ein Grund dafür, dass bei mir und sicher auch bei vielen Regisseuren der Wunsch besteht, eine Oper immer wieder neu zu interpretieren und neue Aspekte sichtbar zu machen. Wenn man die Bühne nur als einen Rahmen versteht, in dem Sänger auf- und abtreten und ihre Arien singen, dann wird man sicherlich andere Erwartungen an eine Regie haben.


    Interessant ist hier auch der Unterschied zwischen Oper und anderen Formen des Gesangs, die ohne eine Szene auskommen. Ich liebe auch Lieder sehr und sitze gefesselt 70 Minuten beim Hören einer "Winterreise" vor dem CD-Player. Aber Lieder sind eben auch Lyrik-Vertonungen, und als solche sind sie monologisch und stellen keine (äußeren) Handlungen dar. Sicher gibt es solche Monologe, in der die Figuren ihre Seelenzustände reflektieren, auch in einer Oper, und solche Arien kann ich auch rein musikalisch genießen. Aber als Ganzes ist die Oper eben doch auf Dialoge und die Darstellung einer Handlung angelegt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Die relativ starke Betonung des Dramas beim Musikdrama ist wohl ein Grund dafür, dass bei mir und sicher auch bei vielen Regisseuren der Wunsch besteht, eine Oper immer wieder neu zu interpretieren und neue Aspekte sichtbar zu machen. Wenn man die Bühne nur als einen Rahmen versteht, in dem Sänger auf- und abtreten und ihre Arien singen, dann wird man sicherlich andere Erwartungen an eine Regie haben.
    [...]
    Sicher gibt es solche Monologe, in der die Figuren ihre Seelenzustände reflektieren, auch in einer Oper, und solche Arien kann ich auch rein musikalisch genießen. Aber als Ganzes ist die Oper eben doch auf Dialoge und die Darstellung einer Handlung angelegt.


    Eine sogenannte werktreue Inszenierung muss und soll auch gar nicht so statisch sein, zumindest stellenweise, wenn ohnehin sich in der Handlung laut Textbuch etwas tut. Andererseits, wenn die Figuren ihre Seelenzustände reflektieren, ist Statik wohl in Ordnung. Und das Regietheater hat auch viel Statik auf die Bühnen gebracht, glaube ich. Interessant in dem Zusammenhang sind Barockopern. Ich habe HIP-Inszenierungen gesehen, in denen die barocke Gestik "nachgebaut" wurde - das ist auch nicht statisch, auch beim Beschreiben der Seelenzustände.
    :hello:

  • Würdet ihr dann überhaupt konzertante Opern Aufführungen besuchen ? Ich habe schon vor einiger Zeit aufgegeben die Oper als Gesamrkunstwerk zu sehen. In den Jahren in denen ich in die Oper gehe kann ich an zwei Händen abzählen wann ich solle magische Momente erlebt habe, wo alles gestimmt hat, heisst dass die Inszenierung gepasst hat und die Sänger hervorragend waren. Deshalb ist für mich der Gesang wichtiger ist als die Inszenierung, ansonsten würde ich auch kein Opernhaus mehr besuchen. Ausserdem heisst ja auch Musiktheater und nicht Theater Musik.

  • Aber als Ganzes ist die Oper eben doch auf Dialoge und die Darstellung einer Handlung angelegt.


    Richtig. Und wenn ich zum Beispiel an Lulu oder Die tote Stadt denke, habe ich selbst auch keine Regie-Präferenzen.
    Beim Troubadour ist das wieder anders. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine eine zeitverschobene Handlung irgendeinen Gewinn brächte.
    Das würde ein etwas unglaubwürdiges Stück noch unglaubwürdiger machen.

  • Eine sogenannte werktreue Inszenierung muss und soll auch gar nicht so statisch sein, zumindest stellenweise, wenn ohnehin sich in der Handlung laut Textbuch etwas tut. Andererseits, wenn die Figuren ihre Seelenzustände reflektieren, ist Statik wohl in Ordnung. Und das Regietheater hat auch viel Statik auf die Bühnen gebracht, glaube ich. Interessant in dem Zusammenhang sind Barockopern. Ich habe HIP-Inszenierungen gesehen, in denen die barocke Gestik "nachgebaut" wurde - das ist auch nicht statisch, auch beim Beschreiben der Seelenzustände.
    :hello:

    Da bin ich ganz einverstanden, eine "werktreue" Inszenierung muss nicht statisch sein, insofern war meine Formulierung da verkürzt. Und dass auch die monologische Darstellung von Seelenzuständen durch Gestik und Mimik sehr ausdrucksvoll gestaltet werden kann und darf, finde ich auch, was nochmals die Bedeutung des Sehens bei der Oper betont. Es ist dann zumindest ein Vorteil von konzertanten Aufführungen gegenüber dem CD-Player, dass die Sänger begrenzte Möglichkeiten haben, Mimik und Gestik einzusetzen. Trotzdem:



    Würdet ihr dann überhaupt konzertante Opern Aufführungen besuchen ?

    Nur in Ausnahmenfällen, wenn es z.B. ein sehr seltenes, szenisch gar nicht aufgeführtes Werk ist.


    P.S.
    Ich setze übrigens "werktreu" immer in Anführungsstriche, weil ich diesen Begriff sehr fragwürdig finde. Man müsste erst einmal Einigkeit darüber erzielen, was das Werk ist, um dann zu entscheiden, wie man es getreu auf die Bühne bringt. Genau da dürften die Ansichten schon weit auseinander gehen. Ist der "Ring" eine mythologische Story um Götter und Helden oder eine Kritik am Kapitalismus etc.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Nein, wenn schon ohne Szene, dann gleich CD.


    Das ist von der Unmittelbarkeit her gar nicht vergleichbar, im Saal lauscht man der Musik viel konzentrierter als zu Hause der CD. Nach der Logik, dass man statt konzertanter Aufführungen gleich CD hören könne, bräuchte man ja auch keine Sinfoniekonzerte mehr spielen.


    Bei starken Werken, die ich zudem gut kenne, genieße ich konzertante Aufführungen durchaus (etwa "Holländer" oder "Tristan", beides habe ich 2012 bzw. 2013 konzertant in der Berliner Philharmonie erlebt), zumal ich durchaus in der Lage bin, die fehlende Szene vor meinem geistigen Auge zu ergänzen (das geht natürlich beim CD-Hören auch). Nur bei meines Erachtens dramaturgisch schwachen Opern etwa aus dem Belcanto, wo die schwache Handlung nur den Vorwand zu virtuosem Gesang bietet, habe ich mich bei konzertanten Aufführungen schon zu Tode gelangweilt. Kann bei szenischen freilich auch passieren. ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das ist von der Unmittelbarkeit her gar nicht vergleichbar, im Saal lauscht man der Musik viel konzentrierter als zu Hause der CD.

    Das kommt darauf an. Es stimmt, dass die Ablenkungsgefahr zu Haus größer ist. Andererseits kann es im Konzert passieren, dass man müde ist, gerade einen stressigen Arbeitstag hinter sich hatte und den Ärger nicht aus dem Kopf bekommt etc. Zu Hause würde ich dann gar keine Musik hören, ins Konzert geht man trotzdem, weil man schon eine Karte hat oder verabredet ist.



    Nur bei meines Erachtens dramaturgisch schwachen Opern etwa aus dem Belcanto, wo die schwache Handlung nur den Vorwand zu virtuosem Gesang bietet, habe ich mich bei konzertanten Aufführungen schon zu Tode gelangweilt.

    Das verstehe ich nun nicht - gerade wenn die Opern dramaturgisch schwach sind und der virtuose Gesang im Vordergrund steht, sollte es doch keinen allzu großen Unterschied machen, wenn man sie nur konzertant hört.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Bei mir war das genau umgekehrt. Bei einem konzertanten Tristan habe ich mich tödlich gelangweilt und Zeit ging gar nicht rum, wohin ich dagegen konzertante Belcanto Aufführungen mit Frau Gruberova sehr genossen habe. Ich kann mich im Opernhaus oder Konzertsaal wesentlich besser auf die Musik konzentrieren, da ich zu Hause zu häufig abgelenkt werde. Ich habe es schon häufig erlebt das wenn ich Freitags abends nach der Arbeit in die Oper gegangen bin, das sobald die Aufführung angefangen hat, dann war ich nicht mehr müde und gestresst.

  • Das verstehe ich nun nicht - gerade wenn die Opern dramaturgisch schwach sind und der virtuose Gesang im Vordergrund steht, sollte es doch keinen allzu großen Unterschied machen, wenn man sie nur konzertant hört.


    Bei mir muss immer ein Werkerlebnis vorhanden sein, und wenn ich bei einem mir wenig bekannten und dramaturgisch schwachen Stück nicht immer der Lage bin, bei einer konzertanten Aufführung die fehlende szenische Seite vor meinem geistigen Auge zu ergänzen, dann ist das für mich eben kein Werk-Erlebnis und ich langweile mich.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es dürfte wohl so sein, dass auch große Komponisten bisweilen die Handlung eines Stückes nicht ernst nehmen - bei Mozart wäre die Entführung zu nennen, [...] - und dass es ihnen trotzdem gelingt, ein Meisterwerk daraus zu schaffen. Wer wird denn die Handlung der genannten Opern heute noch ernst nehmen? Selbst der beste Regisseur wird mich da nicht überzeugen können.

    Es mag wohl sein, dass der Komponist einer Oper dass zu vertonende Libretto bzw. die zugrunde liegende Handlung nicht ernst nimmt, jedoch scheint mir Mozarts Entführung hierfür kein gutes Beispiel. Hat er nicht bei Stephanie (dem Jüngeren) recht konkret Änderungen und Anpassungen eingefordert? Gibt es umgekehrt Belege dafür, dass Mozart in der Entführung nur ein banales, nicht ernstzunehmendes Sujet sah, eine eigentlich gegenstandslose Folie für seine (großartige) Musik?
    Und was das Ernstnehmen angeht, so möchte ich darauf hinweisen, dass auch in der Entführung letztlich die großen Themen, wie etwa Liebe, Treue, Eifersucht, Hass und Großmut verhandelt werden - und zwar ganz von selbst und ohne Regietheater. Kommt letzteres hinzu, scheint mir eine Übertragung auf heutige Verhältnisse, d.h. die Projektion der Handlung auf das aktuelle Verhältnis zwischen Orient und Okzident - ob für Dich überzeugend oder nicht - zumindest möglich.



    Die Musik jedoch hat auch auf sich selbst gestellt einen Eigenwert.

    Was meinst Du damit? - Worin besteht, um bei dem einen Beispiel zu bleiben, der Eigenwert der Entführung ohne Text oder meinethalben mit gesungenen Vokalisen? Zwar schreibt Mozart selber in einem seiner Briefe: "bey einer opera muß schlechterdings die Poesie der Musick gehorsame Tochter seyn"; zugegeben "nur" die Tochter, aber nichts davon, dass die Poesie verzichtbar wäre. Ein anderer, nämlich Wagner hat sich sogar die Mühe gemacht, seine Libretti selber zu verfassen und diese zum Teil sogar für würdig befunden, sie separat bzw. als eigenständige Texte zu veröffentlichen. Es wäre mithin interessant zu erfahren, was er von den diversen Ring ohne Worte-Zusammenstellungen gehalten hätte.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das ist von der Unmittelbarkeit her gar nicht vergleichbar, im Saal lauscht man der Musik viel konzentrierter als zu Hause der CD. Nach der Logik, dass man statt konzertanter Aufführungen gleich CD hören könne, bräuchte man ja auch keine Sinfoniekonzerte mehr spielen.

    Das sehe ich im Wesentlichen genauso, wobei ich die immer wieder geäußerten Vorbehalte gegen konzertante Aufführungen tatsächlich auch nicht verstehe: Sicher, eine Oper ist grundsätzlich szenisch gedacht, so daß bei einer konzertanten Aufführung ein wesentlicher Aspekt ersteinmal verloren geht - was im Übrigen auf das interessante Gegengleis des szenisch dargebotenen Oratoriums führt. Aber wenn hami1799 weiter oben damit recht hat, dass die Musik auf sich selbst gestellt ihren Eigenwert hat, so sollte dies doch umso mehr für eine konzertante Aufführung gelten?! Oder doch nicht:



    Geht mir genau so. Konzertante Opernaufführungen wirken auf mich etwas steril und eigenartigerweise statischer als CD.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • jedoch scheint mir Mozarts Entführung hierfür kein gutes Beispiel.

    Im Licht Deiner Erläuterung, muss ich Dir Recht geben.



    Es wäre mithin interessant zu erfahren, was er (Wagner) von den diversen Ring ohne Worte-Zusammenstellungen gehalten hätte

    Ganz sicher gar nichts.
    Mit meiner Äußerung wollte ich das "trotz" betonen. Ich habe schon an anderer Stelle mehrmals zur Sprache gebracht, wie ich als Zwölfjähriger den ganzen Lohengrin auf einem Mittelwellensender gehört hatte. Damals wusste ich nichts über den Komponisten, den Text (der oft nicht hörbar war) oder irgend etwas über musikalische Stilarten.
    Dagegen hatten die Wörter: "Romantische Oper", wie es in der Ankündigung stand, damal eine ungeheure Wirkung auf mich. Es war damals eine Flucht in die Sagenwelt,
    getragen von den wundervollsten Streichertönen.


    Es mag eine intellektuelle Fehlleistung bedeuten, aber ich kann Oper auch heute noch ohne jegliche handlungs- oder textmäßige Orientierung genießen.

  • Ich bin zur Zeit in Budapest 3 Wochen zur Kur. Bis jetzt habe ich in dieser Zeit Karten für 5 Vorstellungen in der Staatsoper und im Erkel-Theater bekommen, darunter so eine Seltenheit wie die "Königin von Saba". Also Opernvorfreude pur.
    Eine weitere Freude ist, wie sachlich und konstruktiv in einem Regietheater-Thread plötzlich diskutiert wird. Das beweist, es geht doch. Anerkennung für alle die sich so im Dienste des Forumsfriedens diszipliniert und in diesem Stil mit Beiträgen eingebracht haben. Nun müssen wir nur ein paar Erschreckten und Verärgerten beweisen, dass es auch anders geht und sie zum weiteren Mitmachen animieren und Alfred aus seinem Teilrückzug zurückholen. Ich meine, dann ist die Basis für eine Fortführung und einen Wiederaufbau unseres Tamino-Klassik-Forums gegeben.
    Empfinde ich da richtig?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Es mag eine intellektuelle Fehlleistung bedeuten, aber ich kann Oper auch heute noch ohne jegliche handlungs-oder textmäßige Orientierung genießen.


    Dann sind wir wieder zusammen: Auch ich höre je nach Laune, Zeit und genereller Verfassung Opern auf durchaus unterschiedliche Arten. Mal intensiv an Text und Handlung orientiert, wenn es etwa darum geht, mich auf einen Opernbesuch vorzubereiten. Mal einfach um der Musik und des Klanges der menschlichen Stimme willen. Im übrigen reichen meine Sprachkenntnisse ohnehin kaum aus, fremdsprachigen Opern ohne "Hilfe" zu folgen ;)

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Momentan läuft die Generalprobe der Neuinszenierung von "Hänsel und Gretel" in Wien unter der Stabführung von Christan Thielemann". Nach einem eben erhaltenen ersten Zwischenbericht scheint dies für alle Freunde des traditionellen Operntheaters eine erfreuliche Sache zu sein. Für alle die nicht in Wien wohnen ist auf Arte am 24.12 eine Übertragung geplant. :jubel: :jubel: :jubel:

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