Alexander Borodin: AUS MITTELASIEN. Ein sinfonisches Bild für Orchester

  • Der gebräuchlichste Name dieses kurzen Stückes, das nicht viel länger als sieben Minuten dauert, dürfte "Steppenskizze aus Mittelasien" sein. Korrekt ist er nicht. Aus dem russischen Original übersetzt müsste er "In Mittelasien" oder "Aus Mittelasien" lauten. Oft ist von einer sinfonischen Dichtung die Rede. Das scheint angesichts der bescheidenen Ausmaße übertrieben. "Ein sinfonisches Bild", wie Borodin sein Werk bezeichnet wissen wollte, scheint angemessener zu sein. Es entstand 1880. Zar Alexander II. war seit 25 Jahren an der Macht. Dieses Jubiläum war denn auch der Anlass für die Komposition. Alexander hatte große Teile von Turkestan, das sich südlich von Russland erstreckt, seinem Reich einverleibt. Unter Intellektuellen und Künstlern gab es die weit verbreitete illusionistische Auffassung, die sagenhaften und faszinierenden Traditionen des steppenreichen Mittelasiens aufzugreifen und in der russischen Kultur aufgehen zu lassen. Entsprechend ist auch das Programm, das Borodin seiner Komposition voranstellte:


    "In der einförmigen sandigen Steppe Mittelasiens erklingen die bisher fremden Töne eines friedlichen russischen Liedes. Aus der Ferne vernimmt man das Getrampel von Pferden und Kamelen sowie den eigentümlichen Klang einer morgenländischen Weise. Eine einheimische Karawane nähert sich. Unter dem Schutz der russischen Waffen zieht sie sicher und sorglos ihren weiten Weg durch die unermessliche Wüste. Weiter und weiter entfernt sie sich. Das Lied der Russen und die Weise der Asiaten verbinden sich zu einer gemeinsamen Harmonie, deren Widerhall sich nach und nach in den Lüften der Steppe verliert."


    Den Beginn finde ich faszinierend und ohne Beispiel. Auf dem anhaltend hohen Ton der Violinen, der fast unerträglich ist in menschlichen Ohren, hebt eine alte russische Weise an. Ein faszinierendes musikalisches Bild! Und genau dem nachempfunden, was einen ergreift, wenn man Steppe um sich sieht. Zumindest hatte ich vor Jahren einmal diese Erfahrung. Nicht immer finde ich den Auftakt dieses Werkes so extrem herausgearbeitet wie in der Decca-Einspielung von Vladimir Ashkenazy, die mein Favorit ist:



    Im Thread "Diebstähle in der Musik" hat Zweiterbass am 16. Juni 2011 eine höchst interessante Beobachtung gemacht. Er stellte fest, dass Nikolai Miaskowski in seiner bizarren 19. Sinfonie für Blasorchester ebenfalls jene Volksliedmelodie verwendet wie schon Borodin in "Aus Mittelasien". Und er lag mit seiner Vermutung richtig, dass hier nicht "abgekupfert" sondern tatsächlich aus der derselben Quelle geschöpft wurde.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Diesen schönen Anfangsbeitrag zu diesem nicht zu vernachlässigendem Werk habe ich erst heute entdeckt, lieber Rheingold.


    Meine favorisierte Aufnahme, die den Charakter des Werkes fabelhaft getroffen hatte, war Ansermet / Orchestre de la Suisse Romande (Decca).
    Diese Aufnahme hatte ich ganz zuzsammen mit den Polowetzer Tänzen früher auf einer Decca-LP mit Ansermet und weiteren Kurz-Werken von Borodin und Rimsky-Korsakow. Später als die CD ihren Einzug nahm, habe ich dann gar nicht gemerkt, dass mir dieses Stück fehlte.


    Um diese Lücke bei Borodin auch mit der Fürst Igor - Ouvertüre zu schliessen, kaufte ich mir erst vor ein paar Jahren die ZYX-CD mit Melodiya-Aufnahmen die von Swetlanow und Fedossejew geleitet werden.
    Auch von der Steppenskizze ist das eine herausragend gute Aufnahme mit Vladimir Fedossejew; und die Fürst-Igor - Ouvertüre und die Polowetzer Tänze werden von Jewgenij Swetlanow geleitet:


    - CD leider nicht mehr verfügbar -
    ZYX (Melodiya), 1987, DDD


    Eigendlich Schade, dass das Interesse für Borodin so minimal ausfällt.
    Die Threads zu Alexander Borodin und Wer war eigendlich dieser Borodin ? fallen recht spärlich aus. Dafür ist der Sinfonien-Thread wenigstens von den Taminos in den Jahren "gut bearbeitet" worden.




    OT: Wie fällt die Sinfonie Nr.2 mit Ashkenazy auf deiner Decca-CD aus?
    Kann sie mit den grossen Aufnahmen von Swetlanow (Melodiya), Martinon (Decca), Ansermet (Decca), Roshdestwensky aus Moskau (Melodiya) aus Stockholm (Brillant) mithalten?
    Zeigt Ashkenatzy gleich zu Beginn den nötigen Biss? :thumbup: Klanglich habe ich natürlich keine Zweifel bei Ashkenazy mit dem RPO auf Decca!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang