Zahlreiche Opernsänger pflegen bzw. pflegten eine Neigung zur so genannten leichten Muse. In der Vergangenheit ist das noch deutlicher hervorgetreten als heutzutage. Neulich wurde im Forum die langjährige TV-Unterhaltungsshow des Hessischen Rundfunks „Zum Blauen Bock" erwähnt – was zur Folge hatte, dass dieser Hinweis, der in dem betreffenden Thread thematisch nicht ganz passend war, wieder getilgt wurde. Man konnte den Eindruck gewinnen, als sei die Nennung dieser Sendung in einem Klassikforum unanständig. Ich kann mich irren, was mir das liebste wäre. Beschäftigt man sich mit Opernsängern, kommt man um diese Sendereihe allerdings nicht herum. Ob einem das nun passt oder nicht. Mich selbst kann man mit solchen Sendungen jagen. Doch in viele Biografien hat sich der „Blaue Bock" eingetragen. Im Laufe der Jahre sind unter anderen diese Sänger dort aufgetreten
– teilweise mehrfach:
Wolfgang Anheisser, Kurt Böhme, Gloria Davy, Lisa della Casa, William Dooley, Sylvia Geszty, Rudolf Gonszar, Donald Grobe, Ingeborg Hallstein, Renate Holm, Rene Kollo, Erika Köth, Sandor Konya, Wilma Lipp, Jutta Meyfarth, Anna Moffo, Edda Moser, Anneliese Rothenberger, Lotte Schädle, Gerda Scheyrer, Georg Schnapka, Willy Schneider, Rudolf Schock, Sonja Schöner, Jeanette Scovotti, Elisabeth Steiner, Georg Stern, Rita Streich, Hertha Töpper, Josef Traxel, Gerhard Unger, Astrid Varnay, Günter Wewel, Felicia Weathers, Bernd Weikl, Horst Wilhelm, Rüdiger Wohlers, Fritz Wunderlich.
Mir ist keine andere Show im deutschsprachigen Raum bekannt, zu der sich so viele Sänger, die bei TAMINO oft einen eigenen Thread haben und sehr verehrt werden, hingezogen fühlten. Von einigen würde man das auf Anhieb gar nicht erwarten. Also haben wir es mit einer Art Phänomen zu tun. Sänger ziehen die Grenze zwischen Oper, Lied oder Oratorium auf der einen und flotter Unterhaltung auf der anderen Seite oft gar nicht so eng wie Teile des Publikums, Feuilletons oder Fans unterschiedlichster Couleurs. Dieses Grenzgängertum ist tief verwurzelt in der Musikgeschichte. Die Gästeliste des „Blauen Bock", die nicht mal vollständig ist, lässt sich als Thema beliebig erweitern. Helen Traubel, die legendäre Hochdramatische der Met, bekam es mit der Intendanz zu tun, weil sie auch in Shows auftrat. Ihr wurde noch abverlangt, sich zu entscheiden. Martha Mödl hatte kein Problem damit, beispielsweise in „Bios Bahnhof" einzukehren. Julius Patzak legte mit Wiener Liedern womöglich seine besten sängerischen Leistungen vor. Der Tenor Gert Lutze, berühmt durch seine Mitwirkung in Bachs Chorwerken, löste das Problem dahingehend, dass er sich bei seinem Auftritten im unterhaltenden Fach Charles Geerd nannte. Selbst der jetzt wieder bei TAMINO ins Gespräch gekommene Ernst Kozub hat Schlager aufgenommen. Peter Anders ebenso. Und Neuerdings versucht sich auch Jonas Kaufmann mit leichter Kost.
Wer kennt andere Grenzgänger – auch am Pult von Orchestern? Und was ist von ihnen zu halten?
Gruß Rheingold