Während sich die Threads zu Bernstein und Karajan häufen und auch die Frage nach der Bedeutung von Solti immer wieder einmal gestellt wurde, ist es in diesem Forum erstaunlich ruhig um Bernard Haitink. Einen einzigen Thread habe ich gefunden, den Alfred 2005 eröffnet hatte, allerdings fokussiert auf Haitinks Bedeutung als Mahler-Vorkämpfer, so dass sich dort auch bald Spezialdiskussionen darüber entwickelten, wer denn nun die wahren Pioniere in Sachen Mahler gewesen seien… Das Thema ist dann auch bald eingeschlafen und hat sich in der letzten Zeit auf Geburtstagsglückwünsche beschränkt. (Zum Nachlesen: Bernard Haitink - Pionier in Sachen Gustav Mahler) Vielleicht ist es an der Zeit, sich noch einmal diesem Dirigenten zuzuwenden, da auch die Mitglieder dieses Forums teils gewechselt haben. Immerhin hat Haitink an der Spitze einiger der bedeutendsten Institutionen der Musikwelt gestanden: Von 1957 bis 1988 – und damit immerhin 31 Jahre! – war er Chefdirigent des Königlichen Concertgebouworkest in Amsterdam, welches als eines der besten Orchester der Welt anerkannt ist. Daneben war er von 1967 bis 1979 Principal Conductor des London Philharmonic Orchestra. Weitere Posten bei erstrangigen Klangkörpern schließen sich an: 1995 bis 2004 erster Gastdirigent des Boston Symphony Orchestra, 2006 bis 2010 Principal Conductor des Chicago Symphony Orchestra und von nur 2002 bis 2004 Chefdirigent der Staatskapelle Dresden. Dazu vermeldet Wikipedia, dass Haitink aufgrund eines Disputs mit dem Intendanten vorzeitig von diesem Posten zurückgetreten sei – vielleicht kann jemand dazu mehr sagen. Auch als Operndirigent ist er hervorgetreten: Musikdirektor der Glyndebourne Opera 1978 bis 1988 und Musikdirektor des Royal Opera House, Covent Garden für immerhin 15 Jahre von 1987 bis 2002.
Bei dieser langen Karriere verwundert es nicht, dass die Diskographie umfangreich ist. Haitink hat mit dem Concertgebouw Orchester zunächst für Philips aufgenommen, aber auch bei EMI und Decca und weiteren Labeln wie LSO Live (dem Haus-Label des London Symphony Orchestra) finden sich zahlreiche Aufnahmen. Dazu zählen teils gleich mehrere Zyklen von Beethoven, Brahms, Schumann, Tschaikowski, Bruckner und Mahler mit unterschiedlichen Orchestern, aber auch Gesamtaufnahmen der Symphonien von Schostakowitsch und Vaughan-Williams. Im Opernbereich habe ich angesichts seines langen Wirkens in Covent Garden erstaunlich wenig gefunden: ein „Rosenkavalier“, ein „Ring“, ein „Don Carlo“, die „Zauberflöte“, „Don Giovanni“, „Cosi fan tutte“ – gibt es noch mehr?
Trotz dieser umfangreichen Hinterlassenschaft vor allem im symphonischen Repertoire kommt Haitink in diesem Forum nach meinem Eindruck kaum vor – daher der Titel. Gibt es Einspielungen von ihm, die als Referenz dienen können? Kennt jemand seine Beethoven-Zyklen oder seine Einspielung der Klavierkonzerte mit Perahia? Welches Gewicht haben seine Interpretationen von Brahms und Schumann? Welchen Rang hat er als Dirigent von Bruckner, Mahler, Tschaikowski, Schostakowitsch und als Operndirigent?
Ich selbst habe nur sehr wenige Aufnahmen mit Haitink. Als ich zu sammeln begann, war er vor allem bei Philips vertreten, ein Label das ich nach einigen Reinfällen mit aufnahmetechnisch miserablen CDs gemieden habe. Und später waren es dann andere Namen, die für mich im Vordergrund standen. Ich kenne seine Gesamtaufnahmen von Schostakowitsch und Vaughan-Williams, die durchaus ihre Meriten haben. In beiden Fällen sind aber andere Zyklen meine Referenz-Einspielungen. Aus seiner Befassung mit Bruckner und Mahler habe ich einige einzelne Aufnahmen, und auch hier gilt: gut, aber es gibt bessere. Um am Ende dann aber doch noch eine persönliche Referenz zu nennen: Seine Aufnahmen der Klavierkonzerte von Rachmaninoff mit Ashkenazy haben mich von Anfang an begeistert und sind bis heute meine liebsten, zumal sie - Decca sei Dank - auch aufnahmetechnisch top sind: