15.10.2015 (Musikhalle Hamburg) Esa-Pekka Salonen dirigiert Werke von Hillborg, Sibelius, Ravel und Debussy

  • Einmal mehr ist der finnische Dirigent und Komponist Esa-Pekka Salonen zu Gast in Hamburg (und Lübeck) um an drei Abenden das NDR-Sinfonieorchester in einem skandinavisch-französischen Programm zu leiten.


    I


    Der erste, skandinavische Teil des gestrigen Konzertes begann mit dem Werk Eleven Gates (2005/06) des Schweden Anders Hillborg (*1954). Hillborg gilt als einer der führenden skandinavischen Komponisten unserer Zeit und ist in dieser Saison der erste Composer in Residence, den das NDR-Sinfonieorchester berufen hat; und so war er nicht nur während des Konzertes anwesend, sondern auch Interview-Partner in der vorhergehenden Einführungsveranstaltung. Mit E-P.Salonen verbindet Hillborg nicht nur eine langjährige Freundschaft, der Dirigent war auch Auftraggeber und ist Widmungsträger der Eleven Gates.
    Wie der Titel bereits andeutet, besteht das Werk aus elf relativ kurzen (zwischen 30 Sekunden und knapp vier Minuten) Teilen, die jeweils direkt ineinander übergehen. Für die Aufführung ist ein recht großer Orchesterapparat inkl. Klavier, Vibraphon und Glasharmonika notwendig. Musikalisch bewegen wir uns natürlich um 20ten Jahrhundert, jedoch werden die Höhrgewohnten eines einigermaßen regelmäßigen Konzertbesuchers auf keine allzu große Probe gestellt. Man wird sich z.B. gut zurecht finden, wenn man beispielsweise mit den Werken eines Jörg Widmann vertraut ist.
    In dem Stück selber gibt es viel zu entdecken bzw. erhören: So erinnert der Beginn I. Drifting into D major etwa an das Rheingold-Vorspiel, es werden Melodien aus Hollywood-Filmen, Elemente des Jazz, aber auch Teile aus Weberns Sechs Orchesterstücken op.6 verarbeitet. Strukturell ist die Komposition bogenförmig auf einen inneren Höhepunkt VI. Into the Great Wide Open in vollem Orchesterklang angelegt um anschließend z.B. in IX. String Quartet spiralling to the Seafloor kammermusikalische Ideen aufzugreifen.


    Insgesamt legte das NDR-Sinfonieorchester unter Salonen hier ein überzeugende Interpretation vor, die mir etwas zügiger gespielt vorkam, als die Referenz ebenfalls unter Salonen mit dem Kungliga Filharmoniska Orkestern Stockholm


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    welche sich der interessierte Leser auch bei spotify anhören kann.


    Als zweites Stück vor der Pause hatte sich der Dirigent für die Symphonie Nr.7 C-Dur des finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius entschieden. Ein Werk, welches hier kaum vorgestellt zu werden braucht, dessen musikalischer Inhalt und Aufbau ("Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit", Hinarbeiten auf einen musikalischen Höhepunkt) jedoch ganz ausgezeichnet mit den Eleven Gates zusammenwirkte. Salonen führte das zu Beginn etwas nervöse Orchester präzise, aber für meinen Geschmack etwas zu volltönend (vulgo laut). Ausgezeichnet einmal mehr die Bläsergruppen des NDR-Sinfonieorchesters.


    II


    Nach der Reise in die nördlichen Teile unseres Kontinentes standen in der zweiten Konzerthälfte die beiden (französischen) Hauptvertreter des musikalischen Impressionismus im Mittelpunkt:


    Für Maurice Ravels Lieder-Zyklus Shéhérazade auf Texte des Dichters Tristan Klingsor hatte man die amerikanische Mezzosopranistin J'nai Bridges engagiert, die die Zuhörer mit einer warmen, dunkel timbrierten Stimme (und einem atemberaubenden blass-rotem Kleid) in den Orient entführte. Auf der Heimfahrt in der U-Bahn hörte ich einen anderen Besucher sagen, er hätte gerne mehr, als "nur" die drei Lieder gehört - und dem ist nichts hinzuzufügen.


    Beschlossen wurde der Abend mit einer sehr ausdrucksstarken Interpretation der Symphonischen Skizzen La Mer von Claude Debussy. Es war für mich tatsächlich das erste Mal, daß ich dieses wunderbare Werk live in einem Konzert gehört und gesehen habe und auch hier beeindruckte neben der Musik die Orchesterbesetzung mit Tamtam, Glockenspiel, Becken und zwei Harfen. Von der anfänglichen Nervosität in der Sibelius-Symphonie war nun nichts mehr zu spüren, so dass Orchester und Dirigent ein wahrhaft lebhaftes und stürmisches Finale boten.


    Das Publikum dankte es den Mitwirkenden mit einem, für hamburger Verhältnisse lang andauernden, jubelnden Applaus.



    Übrigens, das Matinee-Konzert am Sonntag überträgt NDRkultur live aus der Hamburger Musikhalle.

    mfG Michael


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