Rattles Beethoven-Zyklus im Oktober 2015

  • Die SZ von morgen ( Artikel 8 im Feuilleton) überschlägt sich. Der Autor Tönies hält die Wiedergabe für eine neue Dimension der Beethoven-Interpretation. Bei digital hall kann man schon Schnipsel hören. Wenn ich dort den gesamten Zyklus gesehen habe, werde ich mich dazu äußern.


    Momentan nur soviel: der Kritiker meint, er habe die 7te noch nie gewalttätiger gehört. Wenn ich das mit den Schnipseln abgleiche, muß ich vermuten, dass der Kritiker weder die Wiedergabe von Furtwängler von 1943 kennt noch die Version von Kleiber mit den Bayern in Japan.


    Natürlich ist das gut, was Rattle mit seinen Berlinern macht, aber exeptionell, nee das klingt anders.


    Die Gesamtwiedergabe steht aus.

  • hab mir grade auf der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker den ersten Abend des Beethoven Zyklus angeschaut und fand ihn gar nicht so schlecht. Ich hab nur mal eine Frage. Warum ist es bei den Beethoven Zyklen üblich das man mit der 1. und 3. Sinfonie anfängt und nicht nach der ersten mit der 2. Sinfonie? Beim Mahler oder Bruckner Zyklus werden die Sinfonien ja auch der Reihe nach gespielt.

  • hab mir grade auf der Concert Hall der Berliner Philharmoniker den ersten Abend des Beethoven Zyklus angeschaut und fand ihn gar nicht so schlecht. Ich hab nur mal eine Frage. Warum ist es bei den Beethoven Zyklen üblich das man mit der 1. und 3. Sinfonie anfängt und nicht nach der ersten mit der 2. Sinfonie ? Beim Mahler oder Bruckner Zyklus werden die Sinfonien ja auch der Reihe nach gespielt.


    "Üblich" würde ich es nicht nennen, da kenne ich auch Beispiele, wo es genauso geschah. Ich denke, der Grund ist schlicht und ergreifend, dass man ein "großes" Werk, hier die "Eroica", mit einem "kleinen" kombinieren wollte, um das Konzert attraktiver zu machen. Mit den beiden Erstlingen hätte man wohl keinen fulminanten Auftakt abliefern können.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Glaubt eigentlich jemand ernsthaft, dass bei all den vorliegenden Beethoven-Zyklen noch Sensationen möglich sind, die sich auf der Interpretationsebene abspielen und nicht nur vom Marketing akklamiert werden..? Stimmig, frisch, lebendig - das alles ja. Aber eine Sensation kann ein B9-Zyklus heute wohl nicht mehr sein.


    Beste, aber skeptische Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Zitat von rodolfo39

    hab mir grade auf der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker den ersten Abend des Beethoven Zyklus angeschaut und fand ihn gar nicht so schlecht. Ich hab nur mal eine Frage. Warum ist es bei den Beethoven Zyklen üblich das man mit der 1. und 3. Sinfonie anfängt und nicht nach der ersten mit der 2. Sinfonie ? Beim Mahler oder Bruckner Zyklus werden die Sinfonien ja auch der Reihe nach gespielt.


    Außerdem, lieber Rodolfo, wenn er nach der Ersten die Zweite dirigiert, ist das Konzert nach 60 Minuten (mit Pause, sagen wir mal nach 80 Minuten) vorbei. Wenn er aber die Eroica anschließt. dann ist er mit Pause schon bei ca 95 Minuten. Das passt dann. genauso ist es mit dem Aufnehmen. Wenn zum Beispiel mit der Ersten die Dritte kombiniert wird, und mit der Zweiten die Siebte, mit der Vierten die Fünfte, mit der Sechsten einige Ouvertüren, dann könnte er als krönenden Abschluss die Achte und die Neunte spielen. Die könnte dann auf 2 CD's aufgenommen werden. Dann passt das Ganze auf 5 CD's.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wir brauchen gar nicht groß spekulieren, weil das Konzertprogramm natürlich längst feststeht:


    12.10.


    Symphonie Nr. 1 C-Dur op. 21
    Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 "Eroica"


    13.10.


    Leonoren-Ouvertüre Nr. 1 C-Dur op. 138
    Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36
    Symphonie Nr. 5 c-Moll op. 67


    14.10.


    Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93
    Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 "Pastorale"


    15.10.


    Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 60
    Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92


    16.10.


    Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125


    Wieso ausgerechnet Leonore I als einzige Ouverüre gespielt wird, entzieht sich meiner Kenntnis.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Momentan nur soviel:der Kritiker meint, er habe die 7te noch nie gewalttätiger gehört.

    ;) Dieser Kritiker scheint nichts gewöhnt zu sein !


    Wenn ich mir alles vorstellen kann - nein - aber das nicht. :D Jedenfalls werde ich mir diesen :D "Gewaltausbruch" :D anhören.
    Rattle hatte sich selber in Interviews von Karajan abgegerenzt und diesen als viel zu dramatisch beschrieben. Einen solchen Sinneswandel heute aktuell könnte ich kaum nachvollziehen.



    Wieso ausgerechnet Leonore I als einzige Ouverüre gespielt wird, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Man muss doch mal was Anderes bringen - in einem neuen "sensationellen Zyklus" ...
    :huh: wenn ich mir den Artikel "Simon Rattle dirigiert die Philharmoniker im Schongang" gem. Stimmenliebhabers LINK von Beitrag 2 ansehe, dann kann da was mit "sensationell" nicht stimmen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ganz kurz zum Konzertprogramm, das Joseph II. in Beitrag 7 wiedergegeben hat:
    Die Sechste und Achte (morgen Abend) ist hinsichtlich der Tonartenfolge aber langweilig - beide in F.
    Heute Abend dagegen kommt es mir richtig fiesharmonisch vor: C, D, c...
    ...ebenso am 15., also Donnerstag: B und A...


    :baeh01:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Glaubt eigentlich jemand ernsthaft, dass bei all den vorliegenden Beethoven-Zyklen noch Sensationen möglich sind, die sich auf der Interpretationsebene abspielen und nicht nur vom Marketing akklamiert werden..?


    Sehe ich ganz genauso.


    ...


    Wie unterschiedlich die Bewertungen ausfallen ist aus meiner Sicht übrigens ein ganz deutlicher Hinweis darauf, dass hier vielmehr Sympathie/Antipathie für die Person Simon Rattle die Eindrücke wohl nicht ganz unwesentlich leiten dürften. ;)


    Viele Grüße
    Frank

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  • Auch in der FAZ findet sich eine Rezension.


    Warum, frage ich mich, muss die 7. Sinfonie "gewalttätig" klingen? Wagners Beschreibung der "Apotheose des Tanzes" gefällt mir wesentlich besser.


    Okay, wenn hier schon nicht sex "sellen" kann, dann müssen es eben Superlative sein... ;) Schließlich muss sich Rattle am hervorragenden Zyklus mit Claudio Abbado messen lassen, bei dem die Berliner Philharmoniker zu Höchstform aufliefen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich frage mich, ob denn so eine neue, vielversprechende Gesamteinspielung zunächst nocht einmal ein Grund zu großer Freude für Klassikliebhaber sein könnte. Einem nahezu refrexartigem Abwinke-Skeptizismus (sozusagen einer schwachen Form der Vorverurteilung) möchte ich mich nicht lieber nicht anschließen, egal wie oft ich diese Symphonien schon in anderen Interpretationen besitze, kenne und liebe.
    Nachdem, was ich in dieser Hinsicht bisher von Rattle und den Berliner Philharmonikern hörte, traue ich ihm zu, etwas vorzulegen, was eine Neueinspielung einerseits mehr als nur rechtfertigt, aber andererseits sich nicht durch eitles Anders-Machen-Wollen in der Art von Eintagsfliegen versucht hervorzutun.


    Ich warte es ab, freue mich schon, und sollte die Zeit eigentlich zum Sparen nutzen...vielleicht.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Nachdem, was ich in dieser Hinsicht bisher von Rattle und den Berliner Philharmonikern hörte, traue ich ihm zu, etwas vorzulegen, was eine Neueinspielung einerseits mehr als nur rechtfertigt, aber andererseits sich nicht durch eitles Anders-Machen-Wollen in der Art von Eintagsfliegen versucht hervorzutun.


    Lieber Glockenton,


    Ich würde mich aufrichtig freuen, wenn dieses Szenario eintreffen würde! Mir ging es um ein Löcken wider den Stachel der jedes Mal wieder behaupteten Superlative, die mir ehrlich gesagt zum Hals heraushängen und in der Regel jeglicher Substanz entbehren.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Das verstehe ich gut, lieber hasiewicz :)


    Aber das Thema Marketing spielt bei Produktionen, in die auch Geld investiert wurde, natürlich auch immer mit.
    Es gibt so manche Aufnahmen, die ich eigentlich gut finde, die aber so beworben werden, dass man sich eher vom Kauf abgehalten fühlt.
    Das muss man dann versuchen zu übersehen, denn schließlich kommt es ja darauf an, wie es tatsächlich klingt.... ^^


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Einem nahezu refrexartigem Abwinke-Skeptizismus (sozusagen einer schwachen Form der Vorverurteilung) möchte ich mich nicht lieber nicht anschließen, egal wie oft ich diese Symphonien schon in anderen Interpretationen besitze, kenne und liebe.


    Meinem Eindruck nach sind es vielmehr reflexartig die Musik-Fans und Sammler, die - angestachelt durch geschicktes Marketing und geeignete Superlative - bei jeder Neuaufnahme gleich ekstatisch Lüftsprünge vollführen, nur um geraume Zeit nach einem Kauf dann einräumen zu müssen, dass eine Neu-Produktion nun eben doch keine so kaufrechtfertigenden Eigenschaften besitzt... :untertauch: Mancher spricht auch vom "New Toy Syndrome"...


    Ich will - und kann - gar nicht in Abrede stellen, dass das eine tolle Gesamtaufnahme sein könnte. Allein einem Sammler mit vielleicht mehr als zehn Zyklen wird auch sie nix Neues oder Besonderes offenbaren. Würde sie es dennoch, wäre es vielleicht kein Beethoven mehr. ;)


    Mag ja andere Gründe geben, die für einen Kauf sprechen. Allein die Musik und die Interpretation sollte es bei halbwegs rationaler Betrachtung meiner Meinung nach jedenfalls nicht sein.


    Viele Grüße
    Frank

  • Vom New-Toy-Syndrome fühle ich mich nun wirklich nicht angesprochen, Hüb, auch nicht vom Typus des fanatischen Musik-Fana oder Sammlers. Ich kenne die diesbezüglichen Marketing-Sprüche nicht, und sie interessieren mich auch überhaupt nicht.


    Ich kann mich noch gut an einen Dialog mit Willi hier bei Tamino erinnern, in der ich mir wünschte, dass Rattle einen neuen Zyklus einspielen solle. Auslöser war ein Youtube-Video mit einer Ausschnitt aus einer Beethoven-Symphonie, das mir sehr gut gefiel, welches ich es gerade so eben noch nicht gehört hatte. Ich fand das sehr überzeugend. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass es diese Produktion geben wird. Dass der mittlerweile künstlerisch ziemlich gereifte Rattle das jetzt endlich in Angriff nimmt, entspricht einem langgehegten Wunsch von mir.



    Mag ja andere Gründe geben, die für einen Kauf sprechen. Allein die Musik und die Interpretation sollte es bei halbwegs rationaler Betrachtung meiner Meinung nach jedenfalls nicht sein.

    Genau daran und nur daran bin ich interessiert, und nur deshalb kommt ja bei mir aufgrund der angekündigten Veröffentlichungen Vorfreude auf. Rattle ist einer der wenigen, dem ich zutraue, mich nach all den guten Interpretationen dieser Werke noch "hinter dem Ofen hervorholen" zu können. Ich möchte da nicht zu satt werden, weshalb es auch vorkommen kann, dass ich diese Musik ein halbes Jahr lang nicht höre.
    In der Zwischenzeit arbeitet das Unterbewusstsein manchmal an den Stücken weiter, und beim nächsten Hören /Mitlesen fallen einem dann mit "frischen Ohren" wieder neue Dinge auf, selbst wenn man schon Jahrzehnte mit dieser Musik gelebt hat, was ja typisch für große Werke ist. Von daher kann so eine Neueinspielung selbst bei solch bekannten Werken immer noch bereichernd wirken. Dass ich die Einspielungen enttäuschend finden könnte, will ich nicht ganz ausschließen, aber über Youtube oder andere Hörbeispiele im Netz kann man sich ja einen guten Eindruck vor dem Kauf verschaffen.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Okay, wenn hier schon nicht sex "sellen" kann, dann müssen es eben Superlative sein... Schließlich muss sich Rattle am hervorragenden Zyklus mit Claudio Abbado messen lassen, bei dem die Berliner Philharmoniker zu Höchstform aufliefen.


    Gerade den Abbado-Zyklus mit den Berlinern hätte ich als Beispiel für eine belanglose, vollkommen verzichtbare Einspielung angeführt. Wesentlich interessanter waren die Aufnahmen, die Barenboim mit der Staatskapelle Berlin vorgelegt hat. Daher ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass wieder einmal eine wirklich gelungene Gesamtaufnahme der Berliner Philharmoniker den Schallplattenkatalog bereichert. Schon allein deswegen, um der Thielemann-Aufnahme der Wiener etwas entgegensetzen zu können. Man sollte dabei nicht vergessen, dass die Berliner Philharmoniker eine internationale Marke sind und die Konzerte bei Berlin-Besuchern aus dem In- und Ausland extrem nachgefragt (Konzerte mit Rattle sind direkt nach Beginn des Kartenverkaufs regelmäßig ausverkauft). Da ist es schon gut, ein paar aktuelle Aufnahmen des Standardrepertoires mit den derzeitigen Pult-Heroen anbieten zu können, um die Nachfrage nach Mitbringseln bedienen zu können. Und auch den weltweiten Abonnenten der Digital Concert Hall muss man etwas Bleibendes für das CD-Regal anbieten können. Ich weiß, das sind keine künstlerischen Gründe, aber dennoch sind es welche.


    Superlative sind Werbesprache, die man doch nicht ernst nehmen muss, und erst Recht sollte man sich davon nicht gleich negativ beeinflussen lassen, bevor es überhaupt losgegangen ist. Ich traue Rattle durchaus einen eigenen Blick auf die Beethovenschen Symphonien zu. Das Ergebnis wird sicher keine Sensation sein, aber im besten Fall eine überzeugende individuelle Handschrift aufweisen und ein paar neue Facetten dieser immer wieder zur Auseinandersetzung reizenden Meisterwerke aufzeigen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Vom New-Toy-Syndrome fühle ich mich nun wirklich nicht angesprochen, Hüb, auch nicht vom Typus des fanatischen Musik-Fana oder Sammlers. Ich kenne die diesbezüglichen Marketing-Sprüche nicht, und sie interessieren mich auch überhaupt nicht.

    Hallo Glockenton,


    das war gar nicht auf Dich persönlich gemünzt, sondern vielmehr ganz allgemein gesprochen.


    Auch ich höre vieles durchaus nur in größeren Abständen und dann in verschiedenen Interpretationen, um mir bestimmte Werke nicht zu sehr abzunutzen. So z. B. immer wieder die Beethoven-Sinfonien (zuletzt unter Leitung von Carl Schuricht). Und in der Tat: ich entdecke immer wieder (vermeintlich?) Neues bzw. Aspekte der Musik treten mal mehr, mal weniger in den Vordergrund. Ich führe das in erster Linie jedoch auf die Musik an sich zurück, die so reich und gehaltvoll ist, dass sie eben immer neue Dinge zu offenbaren vermag. Natürlich spielt die Interpretationen da hinein, lässt manches klarer werden oder anders erscheinen, als noch in einer zuvor gehörten Einspielung. Die Bedeutung verschiedener Interpretationen wird für meinen Geschmack dann aber doch ein wenig überhöht. Zumindest beim "Kern des Kernrepertoires", wie den Beethoven-Sinfonien. Die riesige Anzahl der Einspielungen ist zumindest nicht allein durch "Deutungsnotwendigkeiten" zu rechtfertigen.


    Viele Grüße
    Frank

  • Gerade den Abbado-Zyklus mit den Berlinern hätte ich als Beispiel für eine belanglose, vollkommen verzichtbare Einspielung angeführt. Wesentlich interessanter waren die Aufnahmen, die Barenboim mit der Staatskapelle Berlin vorgelegt hat. Daher ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass wieder einmal eine wirklich gelungene Gesamtaufnahme der Berliner Philharmoniker den Schallplattenkatalog bereichert. Schon allein deswegen, um der Thielemann-Aufnahme der Wiener etwas entgegensetzen zu können.

    Es tut mir als Abbado-Fan fast leid, dem mehr oder weniger zustimmen zu müssen. Viel besser gefallen mir die Beethoven -Symphonien unter Abbado, die er früher mit den Wiener Philharmonikern einspielte, gerade die 6. und die 7.
    Abbado versuchte dann später - so wie ich es höre- mit den Berlinern, die durch Harnoncourt etc. angestoßenen HIP-Erkenntnisse in seine Interpretationen einfließen zu lassen. So wie ich es höre und mit den älteren Wiener DG-Aufnahmen vergleiche, hätte er darauf besser verzichtet.


    Ausgerechnet Thielemann ist es dann aber gelungen, eben diese Dinge wie klangrednerische Gestik und Artikulation aus der HIP-Richtung in sein eigentlich nicht HIP-verdächtiges Konzept einfließen zu lassen und dabei dennoch sowohl einen warm-dunklen Wohlklang beizubehalten, als auch sich der Interpretationsgeschichte (die durch alte Dirigenten wie z.B. Furtwängler geprägt wurde) hinsichtlich Wucht und agogischer Freiheit immer hörbar bewusst zu sein. Herausgekommen ist eine hochmusikalische Beethovensicht, die m.E. Vergangenheit und Gegenwart verbindet und so in die Zukunft weisen kann.
    Eine dementsprechende gewichtige Antwort aus Berlin steht auf Tonträgern bislang in der Tat noch aus. Ob es Rattle mit den Berlinern das gelingt? Ich bin mir jedenfalls sicher, dass er gegenüber seiner früheren Einspielung mit den Wienern interpretatorisch deutlich hinzugewonnen hat, jedenfalls nachdem, was ich bisher bei Youtube vernehmen konnte.



    Superlative sind Werbesprache, die man doch nicht ernst nehmen muss, und erst Recht sollte man sich davon nicht gleich negativ beeinflussen lassen, bevor es überhaupt losgegangen ist. Ich traue Rattle durchaus einen eigenen Blick auf die Beethovenschen Symphonien zu. Das Ergebnis wird sicher keine Sensation sein, aber im besten Fall eine überzeugende individuelle Handschrift aufweisen und ein paar neue Facetten dieser immer wieder zur Auseinandersetzung reizenden Meisterwerke aufzeigen.

    Ja, volle Zustimmung. Man kann das nicht besser sagen.


    @Hüb: Ich stimme Deinem Beitrag zu. Die Existenz der Deutungsnotwendigkeiten will ich auch nicht bestreiten, denn jede Generation sollte sich immer wieder neu damit beschäftigen. Diese Kunstwerke werden ja immer wieder neu von verschiedenen Seiten beleuchtet, wobei dann immer auch ein gewisser Teil im Dunkeln bleibt. In den verschiedenen Sichtweisen steckt oft etwas Richtiges, manchmal auch etwas Falsches oder auch Einseitigkeiten oder Übertreibungen. Der Reiz der neuen Interpretation ist ja, auf die Werke selbst immer wieder neu zu reagieren. Als Interpret muss man sich in einen Zustand versetzen, bei dem einem einerseits all diese Errungenschaften der Interpretationsgeschichte bewusst sind, aber bei dem man andererseits auch einen ganz neuen und eigenen Zugang zu den Werken finden muss.
    Wenn wirklich gute Dirigenten wie Rattle sich an daranbegeben, dann hoffe ich zuversichtlich darauf, dass sich bei ihm das Zuhören lohnt.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Werden diese Konzerte eigentlich irgendwo live im Rundfunk übertragen?


    Bisher können wir hier ja im Grunde nur Mutmaßungen anstellen, weil es keine Tonbeispiele gibt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Sagitt meint:


    ich weiß es nicht, aber der Kritiker der SZ erweckt den Einruck, er habe den kompletten Zyklus in Berlin bereits gehört. Ob er mehrfach gespielt wird?
    Die Schnipsel in der digital hall sind ebenfalls verwirrend. Einerseits Rattle im Frack (steht ihm gar nicht), andererseits im gewohnten Schwarz-coat, aber nicht als Probendress, sondern als Ausschnitt von einem Konzert.


    Jedenfalls habe ich nachgefragt: wer im November die digital hall sieht, wird den kompletten Zyklus hören und sehen können.


    und ein weiteres zu Abbado: es gibt ja die Rom-Version mit den Berlinern, die sind großartig und ich habe sehr den Eindruck, sie wollen ihrem ehemaligen, inzwischen kranken Chef ein Geschenk machen.

  • Gerade den Abbado-Zyklus mit den Berlinern hätte ich als Beispiel für eine belanglose, vollkommen verzichtbare Einspielung angeführt.

    Okay, zumindest muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, nicht präzise genug gewesen zu sein, denn es gibt zwei Zyklen Abbados, von denen der erste für mich auch verzichtbar ist:



    Gut ein Jahr später nach den obigen Studioaufnahmen legte die DGG in 2001 die Live-Mitschnitte der Sinfonien 1-8 aus Rom auf und versah die Box mit einer Studioaufnahme der 9.



    Die Live-Aufnahmen sprühen schier vor Temperament und Spielfreude. Abbado wählt rasche, aber nicht zu schnelle Tempi, vernachlässigt aber für mich nicht die "Größe" und die Radikalität der "Eroica" oder die verschiedenen, "naturnahen" Stimmungen der "Pastoralen", den rustikalen Humor der 8. Sinfonie oder die Leichtigkeit der 4.



    Zitat

    Wesentlich interessanter waren die Aufnahmen, die Barenboim mit der Staatskapelle Berlin vorgelegt hat.

    Ja, Barenboims Aufnahmen sind "interessant" und individuell, aber leider in der Qualität der Interpretation für mich uneinheitlich. Die 9. Sinfonie z.B. ist für mich komplett "zerdehnt", aber die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.



    Zitat

    Daher ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass wieder einmal eine wirklich gelungene Gesamtaufnahme der Berliner Philharmoniker den Schallplattenkatalog bereichert. Schon allein deswegen, um der Thielemann-Aufnahme der Wiener etwas entgegensetzen zu können. Man sollte dabei nicht vergessen, dass die Berliner Philharmoniker eine internationale Marke sind und die Konzerte bei Berlin-Besuchern aus dem In- und Ausland extrem nachgefragt (Konzerte mit Rattle sind direkt nach Beginn des Kartenverkaufs regelmäßig ausverkauft). Da ist es schon gut, ein paar aktuelle Aufnahmen des Standardrepertoires mit den derzeitigen Pult-Heroen anbieten zu können, um die Nachfrage nach Mitbringseln bedienen zu können. Und auch den weltweiten Abonnenten der Digital Concert Hall muss man etwas Bleibendes für das CD-Regal anbieten können. Ich weiß, das sind keine künstlerischen Gründe, aber dennoch sind es welche.


    Superlative sind Werbesprache, die man doch nicht ernst nehmen muss, und erst Recht sollte man sich davon nicht gleich negativ beeinflussen lassen, bevor es überhaupt losgegangen ist. Ich traue Rattle durchaus einen eigenen Blick auf die Beethovenschen Symphonien zu. Das Ergebnis wird sicher keine Sensation sein, aber im besten Fall eine überzeugende individuelle Handschrift aufweisen und ein paar neue Facetten dieser immer wieder zur Auseinandersetzung reizenden Meisterwerke aufzeigen.

    Auch ich freue mich über jeden individuellen Beethoven, bei dem ich etwas "neues" entdecken kann. Wenn Rattle damit aufwarten können sollte, hätte er bei mir eine Chance auf den Kauf der Gesamtaufnahme.


    Die Argumentation mit der "internationalen Marke" überzeugt mich nicht wirklich. Vom Concertgebouworchester z.B. gab es nach Sawallisch auch keinen Beethoven Zyklus mehr auf CD (der unter Ivan Fischer 2013/14 ist leider nur auf DVD erschienen), ohne dass die Musikwelt etwas existenziell wichtiges vermisst hätte.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Okay, zumindest muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, nicht präzise genug gewesen zu sein, denn es gibt zwei Zyklen Abbados, von denen der erste für mich auch verzichtbar ist:


    Gut ein Jahr später nach den obigen Studioaufnahmen legte die DGG in 2001 die Live-Mitschnitte der Sinfonien 1-8 aus Rom auf und versah die Box mit einer Studioaufnahme der 9.


    Ich bezog mich auf die Studioaufnahmen - schön, dass wir die ähnlich bewerten. Die Live-Aufnahmen aus Rom kenne ich nicht, aber nachdem Du und auch Sagitt sie so loben, werde ich mal schauen, ob ich sie mir besorge - um sie dann auf den Stapel der vielen anderen Beethoven-Zyklen zu legen, die noch des Hörens harren ;(

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Gut, dass das Missverständnis aufgeklärt wurde.
    Die Studioaufnahmen sind für mich "nur schnell". Das ist zu wenig, um gegen die übergroße Konkurrenz bestehen zu können.
    In den Live-Aufnahmen überzeugt mich Abbado mit seinem Gespür für "Kantabilität". Es wirkt nichts verhetzt, die Musik "atmet".
    Ich denke, Du wirst den Kauf nicht bereuen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Gut ein Jahr später nach den obigen Studioaufnahmen legte die DGG in 2001 die Live-Mitschnitte der Sinfonien 1-8 aus Rom auf und versah die Box mit einer Studioaufnahme der 9.


    Sag, mal Norbert, welche der beiden Aufnahmen ist dann hier drin:



    :hello:


    Mit bestem Dank und schönen Grüßen
    Holger

  • Eine gute Frage, lieber Holger, denn beide Werbepartner schweigen sich über die Aufnahmedaten aus.
    Aber der Vergleich der Spielzeiten bei der Deutschen Grammophon und der Live-Aufnahmen aus Rom lässt mich zu dem Schluss kommen, dass es sich um diese handeln müsste.


    Die früheren Studioaufnahmen weichen in dem Tempi zu weit ab (z.B. 1. Satz "Eroica" 16.04 im Vergleich zu 16.56 der Abbado-Beethoven Box)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Besten Dank, Norbert und Liebesbestraum! Dazu passen auch die Angaben der Aufnahmedaten bei jpc 1991 (das werden die kaliverkonzerte mit Pollini sein) und 2001. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hab mir heute abend den Zyklus zuende angeschaut und das beste am heutigen Abend von Beethovens 9 war das Kleid von Frau Dasch :) . Sehr gut hat mir die die 6. 8. Sinfonie gefallen. Aber das es jetzt ein Zyklus war der neue Maßstäbe setzen würde, kann ich nicht so sehen. Welcher Witzbold hat sich denn am gestrigen Abend als Kommentator versucht der die Einleitung moderiert hat ?

  • Sagitt meint:


    heute den Zugang erworben. Mit der 9ten begonnen.Eins ist sicher: es ist KEIN Ereignis.
    Natürlich hochkarätig musiziert, aber ich langweilte mich. Leider.

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