Die Wende 1989/90 - auch in der zeitgenössischen Musik?

  • Am 9. November 1989 fielt die Mauer zwischen der BRD und der DDR. Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten wurde für jedermann geöffnet.
    Am 3. Oktober 2015 jährt sich die deutsche Wiedervereinigung.
    Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass das mit Abstand wichtigste Ereignis der jüngeren deutschen, vielleicht sogar europäischen Geschichte nach dem 2. Weltkrieg sich gewaltfrei ereignet hat.


    Haben die Ereignisse und Umwälzungen Komponisten in beiden Teilen Deutschlands zu neuen Werken inspiriert? Hat nach Jahren der Zensur und Einschränkung in den östlichen Teilen die Freiheit den musikalischen Ausdruck gefördert? Haben die Komponisten der Bundesrepublik auf die veränderte politische Lage ebenfalls reagiert? Kam es zum künstlerischen Austausch? Hat seit dem Mauerfall sich die subversive Funktion des Künstlers im internationalen Pluralismus des westlichen Kulturbetriebs in Beliebigkeit aufgelöst.

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Also mir ist bisher nicht aufgefallen, dass die Wende sich in irgendeiner Form in der Musik niedergeschlagen hätte. Ich kenne allerdings auch die Situation der DDR Komponisten vor dem Mauerfall nicht wirklich. Die Dominanz der westlich geprägten 50er und 60er Jahre "Avantgarde" hatte sich zu dem Zeitpunkt der Wende IMO schon zugunsten eines Stilpluralismus aufgelöst, der bis heute anhält. Und z.B. die dominanten Komponisten der SU (Schnittke, Pärt, Gubaidulina etc) hatten spätestens mit dem Beginn der Präsidentschaft von Gorbatschow keinerlei Restriktionen mehr zu befürchten. Und ob es wirklich eine subversive Funktion des Künstlers im Bereich des Warschauer Paktes gegeben hat, oder ob die Komponisten nicht einfach nur ihre Musik schreiben wollten und die "Subversivität" nicht eher eine westliche Projektion ist, wäre auch noch zu hinterfragen.

  • Es ist mir kein einziges Werk der Neuen Musik des vergangenen Vierteljahrhunderts seit der Wiedervereinigung im Bewusstsein, dass sich mit diesem geschichtlichen Ereignis auseinandersetzt.


    In der Pop-Kultur gibt es einige Liedtext-Beispiele, welche die Spannung "von der Mauer zum Markt" thematisieren. Die in Anführungszeichen gesetzten Worte bilden den Titel eines Artikels der Neuen Musikzeitung, den Anna Schürer im Jahr 2013 für die Nummer 11/62. Jahrgang verfasst hat. Er ist im Internet nachzulesen.


    Warum die Komponisten der Neuen Musik die mit der Wiedervereinigung verbundenen Probleme nicht thematisiert haben, irritiert mich. Wenn davon ausgegangen wird, dass neben der innenpersonellen Verarbeitung auch eine Auseinandersetzung mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Kunst (Literatur, Bildende Kunst, Film) stattfindet, befremdet mich das Fehlen solcher Zeugnisse in der zeitgenössischen Neuen Musik.


    Es gibt sie vielleicht. Für Informationen wäre ich dankbar.
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Haben die Ereignisse und Umwälzungen Komponisten in beiden Teilen Deutschlands zu neuen Werken inspiriert?

    Weiß ich leider nicht.

    Zitat

    Hat nach Jahren der Zensur und Einschränkung in den östlichen Teilen die Freiheit den musikalischen Ausdruck gefördert? Haben die Komponisten der Bundesrepublik auf die veränderte politische Lage ebenfalls reagiert? Kam es zum künstlerischen Austausch? Hat seit dem Mauerfall sich die subversive Funktion des Künstlers im internationalen Pluralismus des westlichen Kulturbetriebs in Beliebigkeit aufgelöst.

    Es gab in den 70er und vor allem 80er Jahren in der DDR einiges an Avantgarde-Musik, die auch im Westen gespielt wurde, z.B. Bredemeyer, Dittrich, Katzer, Goldmann, Schenker, Herchet, Richter de Vroe, Ullmann. Es ist einigermaßen schwierig, deren Stile von der westlichen Avantgarde als "typisch DDR" abzugrenzen, wahrscheinlich geht es auch gar nicht. Der väterliche Förderer war, glaube ich, Dessau (wenn's nicht Eisler war). In Dessaus Spätwerk wird man auch nicht viel ästhetische Zensur bemerken, das zwölftönt genauso daher wie im Westen. Wann gab's denn in der DDR eine gröbere künstlerische Einschränkung? In den 50ern?