Neues aus der Mozartforschung

  • Liebe Musikfreunde,


    die Forschung geht immer weiter, und ich dachte, dass es vielleicht sinnvoll sein könnte, einen Thread zu schaffen, der all die Neuigkeiten, Meldungen und bisher unbekannten Aspekte über Mozart, die auch heute immer wieder zu Tage gefödert werden, bündelt und an dieser Stelle sammelt.


    Beginnen möchte ich mit dieser Meldung:


    http://magazin.klassik.com/new…r%20Wolfgang%20Amadeus%3F


    In dem Artikel kommt ein australischer Forscher, Prof. Martin Jarvis nach der Analyse von Handschriften zu dem Schluss, dass anscheinend Mozarts Schwester "Nannerl" (also eigentlich Maria Anna Mozart), die eine europaweit anerkannte Pianistin war, Übungsstücke für ihren Bruder komponiert hat. Zur damaligen Zeit fungierten Frauen als Pianistinnen und Klavierlehrerinnen, jedoch nicht als Komponistinnen, so dass es möglich sein könnte, dass die vermeintlichen, von Anna Maria Mozart komponierten Stücke nicht offiziell unter ihrem Namen veröffentlich werden konnten:


    "Australischer Wissenschaftler will Handschrift von Maria Anna Mozart identifiziert haben
    Komponierte Mozarts Schwester Übungsstücke für Wolfgang Amadeus?


    Darwin, 08.09.2015. Der australische Wissenschaftler Prof. Martin Jarvis hat eigenen Angaben zufolge die Handschrift von Mozarts älterer Schwester Maria Anna Mozart identifiziert. Handschriftlich überlieferte Übungsstücke für Klavier, die in der Familie Mozart zur Klavierausbildung verwendet wurden, enthielten Stücke in der Handschrift von Maria Anna, genannt Nannerl. Dies will Jarvis in fünfjähriger Forschungsarbeit an historischen Dokumenten (darunter Briefe und Notenmaterial) der Familie Mozart in Zusammenarbeit mit Forensikern der East Tennessee State University und dem leitenden Forensiker der Ermittlungsbehörden in Victoria herausgefunden haben. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre Jarvis eine musikwissenschaftlich bedeutsame Entdeckung geglückt. Die Mozartforschung geht seit langem davon aus, dass die pianistisch virtuose große Schwester Wolfang Amadeus Mozarts eigene Stücke komponiert haben könnte, aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch nicht als eigene Werke ausgegeben habe. Jarvis geht davon aus, dass Nannerl die Übungsstücke, die in ihrer Handschrift überliefert sind, für den etwa vier- bis fünfjährigen Wolfang Amadeus komponiert haben könnte. "


    Der gesamte Artikel findet sich unter obigem Link.

  • Das seltsame hierbei ist, dass Jahre später Mozart anscheinend für seine Schwester "Eingänge" und Kadenzen für (seine) Klavierkonzerte komponiert (und ihr brieflich übersendet) hat bzw. sie ihn um solche Kadenzen gebeten hat. (Leider hat er ja von dem geplanten Doppelkonzert für Klavier (Nannerl) und Violine (Wolfgang) nur einen Satz beendet.)
    Wenn Nannerl als zehnjähriges Kind Übungsstücke komponiert hat, warum verließ sie sich als Erwachsene auf ihren Bruder? Zumal die quasi-improvisatorischen Kadenzen u.ä. bei Konzerten ja nicht veröffentlicht worden wären, also keine Schwierigkeiten mit mutmaßlichen Vorurteilen ggü. komponierenden Frauen zu erwarten gewesen wären.


    Ich habe jetzt nur den kurzen verlinkten Text gelesen, aber Übungsstücke von 10jährigen für 5jährige hat man damals natürlich auch nicht veröffentlicht. - Wo sind die richtigen Kompositionen der erwachsenen Maria Anna geb. Mozart?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ein Paukenschlag für alle Musikfreunde! Laut Mozarteum hat ein Forscher eine kleine Vokalkomposition durch Zufall in einem Prager Archiv entdeckt, die als verschollen galt, als er eigentlich auf der Suche nach Salieri war. Es handelt sich wohl um eine Gemeinschaftskomposition von Salieri, Mozart und einem Komponisten mit Namen Cornetti anlässlich der Wiedergenesung der damals berühmten Sängerin Nancy Storace. Wenn auch relativ kurz, so soll dieses Werk nicht ganz unwichtig sein:


    "Der Klavierauszug im Textdruck gibt einen ersten Eindruck von der Gelegenheitskomposition, die ursprünglich offenbar als eine kleine Kantate für Singstimme und Instrumente konzipiert war. Eine Ausgabe des Werkes wird zur Frankfurter Musikmesse 2016 beim Friedrich Hofmeister Verlag Leipzig erscheinen. Mozarts Beitrag zur Komposition beginnt mit dem Vers „Quell’ agnelletto candido“ und umfasst 36 Takte. Eine erste Präsentation der Komposition in ihrer durch den Druck von 1785 überlieferten Gestalt und in einer behutsamen Rekonstruktion durch den Finder soll Ende Februar in Zusammenarbeit mit dem Verlag Friedrich Hofmeister in der Stiftung Mozarteum Salzburg erfolgen. Die kleine Komposition bildet einen wichtigen Mosaikstein für das Verständnis von Mozarts Wiener Zeit, belegt sie doch deutlich, dass er mit Antonio Salieri in einem freundschaftlichen Verhältnis stand. Salieri steht durch die durch die im Wahn ausgesprochene, später mehrfach widerrufene Behauptung, er habe Mozart vergiftet, bis heute in Verruf. "


    -Fettung durch mich-



    Na, da werden doch alle Mozart und Salieri-Freunde mit der Zunge schnalzen! Der gesamte Artikel findet sich hier:


    http://www.mozarteum.at/start/meldung/276


    Man darf gespannt sein! Hoffentlich gibt es dieses Werk bald auch in einer schönen Einspielung oder zumindest im Radio zu hören.

  • Zitat

    belegt sie doch deutlich, dass er mit Antonio Salieri in einem freundschaftlichen Verhältnis stand.......

    Da hätte es des Fundes - so erfreulich er ist - allerdings nicht bedurft. Man hätte lediglich einige meiner Beiträge zum Thema Mozart-Salieri lesen müssen :baeh01: (zur Not hätte es die existierende einschlägige Fachliteratur auch getan)


    Wikipedia schreibt beispielsweise:

    Zitat

    Immer wieder begegneten sich die beiden Komponisten eher kollegial als feindlich gesinnt; man weiß z. B., dass es ein gemeinsames Werk der beiden gab: die Kantate Per la ricuperata salute di Ofelia KV 477a (1785) auf einen Text von da Ponte, die zur Genesung der Sängerin Nancy Storace von Salieri, Mozart und einem gewissen Cornetti komponiert worden war. Leider ist das bei Artaria im Druck erschienene Stück bis heute verschollen

    Zitat

    Salieri steht durch die durch die im Wahn ausgesprochene, später mehrfach widerrufene Behauptung, er habe Mozart vergiftet, bis heute in Verruf


    Salieri hat NIE eine derartige Behauptung gemacht


    Wieder berufe ich mich auf Wikipedia. Die folgenden Texte sind als neutral zu bewerten, da Wikipedia selbst aus alten Quellen zitiert:


    Zitat

    Als sich Salieris Gesundheitszustand im hohen Alter verschlechterte und man ihn in ein Krankenhaus bringen musste, kam das absurde Gerücht auf, der verwirrte Greis habe sich zu einem Mord an Mozart bekannt. So schrieb beispielsweise der Beethoven-Biograph Anton Felix Schindler 1824 in einem Konversationsheft: „Mit Salieri geht es wieder sehr schlecht. Er ist ganz zerrüttet. Er phantasiert stark, daß er an dem Tode Mozarts schuld sey und ihn mit Gift vergeben habe. Dies ist Wahrheit – denn er will dieß als solche beichten.“ Die beiden Pfleger Salieris, Gottlieb Parsko und Georg Rosenberg, wie auch sein behandelnder Arzt Dr. Joseph Röhrig bezeugten jedoch schriftlich, dass er nichts dergleichen geäußert habe und mindestens einer von ihnen während dieser Zeit immer in seiner Nähe gewesen sei. Salieris früherer Schüler Ignaz Moscheles, der den Sterbenden noch kurz vor seinem Tod besucht hatte, berichtet in seiner Autobiographie gar von einer entschiedenen Zurückweisung dieses Vorwurfs durch den zu Unrecht Beschuldigten: „Sie wissen ja – Mozart, ich soll ihn vergiftet haben. Aber nein, Bosheit, lauter Bosheit, sagen Sie es der Welt, lieber Moscheles; der alte Salieri, der bald stirbt, hat es Ihnen gesagt.“


    Indes die Geschichte vom "Giftmörder" Salieri war gar zu publikumswirksam, so daß sie immer wieder in zahlreichen Varianten erzählt wurde, Zuletzt in einem Theaterstück, auf den ein historisch verzerrender Film folgte, der in dieser Beziehung unsägliches Unheil angerichtet hat, denn dumme Leute glauben stets was ihnen in Film oder Fernsehen vorgegaukelt wird - und die Mehrheit der Weltbevölkerung besteht eben mal leider aus dummen Leuten.... (Resignationsemoticon bitte hier in Gedanken einsetzen)


    Zurück zum Kern des Threads:


    Es ist zu erwarten, daß bald eine Aufzeichnung des Werkes auf CD verfügbar sein wird...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nachtrag aus gegebenem Anlass:


    Bei meiner Recherche im Salieri -Thread fand ich heraus, daß die verloren geglaubte und nun wiederentdeckte, auf einen Text von Lorenzo da Ponte komponierte Kantate "Per la ricuperata salute di Ofelia" (1785) sogar schon eine Köchlverzeichnis. Nummer hat. Sie lautet: KV 477a


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    das ist korrekt, wie auch der von mir verlinkte Artikel ausführt, soll dieser Fund bei der Neuauflage des Köchelverzeichnisses, an der gerade gearbeitet wird, entsprechend mit eingearbeitet werden:


    Im Köchel-Verzeichnis, dem Verzeichnis der Kompositionen von Wolfgang Amadé Mozart, ist das Werk seit der dritten Auflage von 1937 als KV 477a geführt – bislang noch als ein verschollenes Werk. Die Neuerkenntnisse, die sich aus diesem unerwarteten Quellenfund ergeben, werden bei der Neuausgabe des Köchel-Verzeichnisses, dessen Druckfassung derzeit an der Stiftung Mozarteum Salzburg vorbereitet wird, berücksichtigt. Mozart hat mehr als 600 Werke komponiert, von denen die meisten erhalten geblieben sind. Allerdings sind selbst aus seinen Wiener Jahren fast ein Dutzend Werke, überwiegend Lieder und andere Gelegenheitskompositionen, nachgewiesen, deren Musik heute nicht mehr greifbar ist.


    Interessant auch, dass es wohl noch mehr Werke gibt, die als verschollen gelten, somit wäre es ja nicht auszuschließen, dass es noch mehr solcher Entdeckungen geben kann, was ja sehr erfreulich wäre.

  • (Leider hat er ja von dem geplanten Doppelkonzert für Klavier (Nannerl) und Violine (Wolfgang) nur einen Satz beendet.)

    Du meinst wahrscheinlich KV Anh.56/315f? Das hat er nicht speziell für Nannerl komponiert sondern anlässlich seines Mannheimer Aufenthaltes 1778 bei dem Wolfgang das Fortepiano und Ignaz Fränzl (der dortige Konzertmeister) die Violine übernehmen sollte. Die 120 Take (von denen 74 Takte komplett instrumentiert wurden) wurden von Wilby mit Hilfe der Violinsonate KV 306 (welche man dann sozusagen als Orchesterfassung transkripiert hat) vervollständigt (und es gibt davon auch zum. eine Aufnahme unter der Acadamy of St.Martin in the Fields).



    Zitat

    Wenn Nannerl als zehnjähriges Kind Übungsstücke komponiert hat, warum verließ sie sich als Erwachsene auf ihren Bruder? Zumal die quasi-improvisatorischen Kadenzen u.ä. bei Konzerten ja nicht veröffentlicht worden wären, also keine Schwierigkeiten mit mutmaßlichen Vorurteilen ggü. komponierenden Frauen zu erwarten gewesen wären.

    Ich bin kein Nannerl-Spezialist aber es mag ja durchaus sein dass er das zum. als Erwachsener tatsächlich besser konnte und sie das auch wußte - Entwicklungen verlaufen nunmal aus diversesten Gründen unterschiedlich, selbst wenn Sie beide als Kinder auf ähnlichem Stand gewesen sein sollten.



    Zitat

    Ich habe jetzt nur den kurzen verlinkten Text gelesen, aber Übungsstücke von 10jährigen für 5jährige hat man damals natürlich auch nicht veröffentlicht. - Wo sind die richtigen Kompositionen der erwachsenen Maria Anna geb. Mozart?

    Irgendwo auf einem Dachboden, in einem verstaubten Keller, oder von der damaligen "Generalzensorin" Constanze (ihr Ehemann Nissen hatte ja witzigerweise tatsächlich ab 1810 die Stelle als Zensor in Kopenhagen ... kein Wunder warum dann von Beiden soviel vernichtet und auch fast so viel biografisch verfälscht wurde wie im Film Amadeus :stumm: ), welche ja bekanntlich nicht gerade auf einer Wellenlänge mit Nannerl lag. :D

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Nun kann man das Werk tatsächlich auch hören! Hier findet sich ein Video:


    https://www.br-klassik.de/aktu…ri-urauffuehrung-100.html


    Ein erhebendes Gefühl, einen "neuen" Mozart zu hören, der noch nirgendwo eingespielt worden ist - und dann noch ein wichtiger Beweis für das Verhältnis Salieri - Mozart: ein aufregender, leider weniger als fünf Minuten dauernder Moment; ob uns noch mehr Trouvaillen in dieser Art beschieden sein werden? Hoffen wir es.

  • Bald wird es dieses Werk auch auf CD geben - im Rahmen dieser bereits angekündigten, neuen Mozart-Edition, die noch vollständiger sein soll als alles bisher Dagewesene und auch noch mit der ein- oder anderen Ersteinspielung aufwarten wird:


    http://www.mozart225.com/


    "200 CDs – 240 Stunden Musik, über 600 Solisten und Ensembles, 60 Orchester und die besten Mozart-Interpreten der letzten 50 Jahre. Darunter 30 CDs mit alternativen Aufführungen, 5 Stunden mit ganz neuen Aufnahmen, unter anderem eingespielt auf Mozarts eigenen Instrumenten, Ersteinspielungen von bislang verschollenen Kompositionen (einschließlich des Freudenlieds für Nancy Storace KV 477a) sowie erstmals alle aufführbaren Fragmente und Vervollständigungen sowie Arrangements und zweifelhafte Werke. "